Zum Inhalt springen

Organhandel

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 28. Februar 2014 um 20:51 Uhr durch 2a02:908:f753:8080:c4b7:2abe:8177:673e (Diskussion) (Organhandel und Gewaltkriminalität: Zeichensetzungsfehler verbessert). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Unter Organhandel versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch den Handel mit menschlichen Organen zum Zweck der Transplantation. Im Gegensatz zu der erlaubten Organspende an Verwandte oder andere nahestehende Personen ist es in den Ländern der Europäischen Union und in den USA illegal, Lebendspenden gegen Belohnung anzubieten, zu organisieren oder durchzuführen. Auch viele Entwicklungs- und Schwellenländer (z. B. Indien) haben ähnliche gesetzliche Regelungen.

Grundlage der dennoch seit etwa 1980 aufgetretenen mafiösen Strukturen ist der weltweite erhebliche Mangel an Organspendern, insbesondere für Nieren. Auch in Europa sterben 15 bis 30 % der Patienten auf den Transplantationslisten, bevor sie ein Spenderorgan erhalten können. Etwa 40.000 Menschen warten in Europa auf eine neue Niere, im Durchschnitt etwa fünf Jahre lang. Gleichzeitig bieten erfolgreiche Transplantationen immer bessere Überlebenschancen, bzw. Steigerung der Lebensqualität für die Empfänger. Organe von lebenden Spendern sind in der Regel besser funktionsfähig als solche von Verstorbenen.

Problematisch ist ferner die mit dem wachsenden illegalen Organhandel verbundene Kriminalität, insbesondere in Ländern der sogenannten „Dritten Welt“.

Es gibt auch einen Markt für bestimmtes Gewebe-Material Verstorbener (insbesondere Cornea); dieser ist in den meisten Staaten legal und in der Regel nicht mit dem Begriff Organhandel gemeint (vgl. Gewebebank). Allein in den USA setzt die Gewebebranche jährlich mehr als eine Milliarde Dollar um.[1]

Situation nach Regionen

Entwicklungs- und Schwellenländer

Vorwiegend aus Schwellenländern sowie Ländern der sogenannten „Dritten Welt“ wird dennoch immer wieder berichtet, dass Organe gegen Geld oder gegen andere Formen der Belohnung gekauft und zahlungskräftigen Kranken transplantiert werden. Dies soll im großen Stil geschehen. Sichere Hinweise für solche Praktiken liegen aus Indien, Brasilien, Afrika und China vor. China verwertet die Organe von hingerichteten oder verstorbenen Strafgefangenen offen kommerziell. In Brasilien und in Südafrika wurden illegale Organschieber bereits gerichtlich verurteilt. Die Gesamtindische Gesellschaft für die freiwillige Organspende glaubt, dass alleine dort in den letzten 25 Jahren mehr als 100.000 illegale Nierenverpflanzungen vorgenommen wurden. Die Spender erhalten umgerechnet 750 bis 1000 €. Die meisten Empfänger sind wohlhabende Inder oder Ausländer, z. B. aus Saudi-Arabien, den USA, Israel und Westeuropa; sie bezahlen Einzelberichten zufolge 30.000 bis 250.000 € für eine Niere. Der Transplantationsmediziner Michael Friedlaender berichtete über israelische Patienten, die in Indien, in Osteuropa und im Irak Nieren erhalten hatten. Zeitweise wurden auch Lebendspender nach Tel Aviv eingeflogen; erst öffentliche Proteste beendeten diese Praxis.[2]

Nach heftiger internationaler Kritik gegen die Politik in der Volksrepublik China[3][4] brachte der Staatsrat des Landes im April 2007 ein neues Gesetz auf den Weg, das jede Form von Organhandel verbietet und unter hohe Strafen stellt. Die gängige Praxis, Organe hingerichteter Häftlinge zu verwenden, wurde aber nicht in Frage gestellt. Der stellvertretende Gesundheitsminister Huang Jiefu teilte dazu mit: „Wenn einige Kriminelle sich bewusst werden, dass sie der Gesellschaft geschadet haben, und das wieder gutmachen wollen, indem sie nach ihrem Tod ihre Organe spenden, sollte man das ermutigen, nicht ablehnen“.[5]

Die Spender gehen hohe gesundheitliche Risiken ein. Nach den Erfahrungen in Moldawien verschlechtert sich der Gesundheitszustand von Nierenspendern fast immer, da sie nicht medizinisch betreut werden, die Ernährungslage schlecht und der Alkoholkonsum hoch ist. Viele werden selbst von der Dialyse abhängig.[6] Auch die Empfänger illegaler Organübertragungen riskieren schwere Nebenwirkungen, etwa Infektionen oder Abstoßungsreaktionen, da die üblichen medizinischen Standards nicht eingehalten werden. 10 % von Friedlaenders Patienten starben im ersten Jahr nach der Operation.[7]

Europa

2003 stellte die Schweizer Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot-Mangold dem Europarat ihren Bericht vor. Sie beschreibt darin die Machenschaften von international organisierten Verbrecherbanden, die den Bewohnern armer Regionen ihre Organe abkaufen, um sie im wohlhabenden Westen zu verkaufen. Konkret sprach Vermot mit 14 Moldawiern, die eine Niere für 2500 bis 3000 € „gespendet“ hatten (das durchschnittliche Monatseinkommen in Moldawien liegt bei 25 €). Die Organe wurden in der Türkei illegal explantiert und zu unbekannten Empfängern transportiert. Spender werden dem Bericht zufolge auch in der Ukraine, in Russland, Rumänien und Georgien rekrutiert.

Nach dem Ende des Kosovokriegs tötete die UÇK nach Angaben von Carla Del Ponte, der ehemaligen Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, serbische Zivilisten und Gefangene, um die Organe von Albanien aus zu verkaufen.[8] Ein im Dezember 2010 im Auftrag des Europarats erstellter Bericht des Schweizers Dick Marty knüpft an diese Vorwürfe an und stellt einen mutmaßlichen Zusammenhang zwischen dem seit 2008 als Ministerpräsident des Kosovo amtierenden Hashim Thaci und illegalem Organhandel im Kosovo her, der nach dem Abzug der serbisch-jugoslawischen Sicherheitskräfte und dem Einzug von UNMIK und NATO-geführten KFOR-Truppen in den Kosovo im Kosovo stattgefunden haben soll.[9][10][11] Trotz Kenntnis der Vorgänge, so der Bericht, sollen die im Kosovo tätigen internationalen Organisationen die Täter aus politischem Kalkül nicht zur Rechenschaft gezogen haben.[12][13][14]

Kriminalität und Gegenmaßnahmen

Bekämpfung

Nach Vermot-Mangolds Ansicht kann das Problem nur gemeinsam gelöst werden, indem die „Spender“- und die Empfängerländer zusammenarbeiten. Sie kritisiert insbesondere Bestrebungen einiger Staaten (Deutschland, Schweiz), ihre Organhandelsverbote zu lockern. Sie schlägt vor, künftig ausschließlich Blutsverwandte als Lebendspender zuzulassen. Gleichzeitig soll die Bereitschaft der Bevölkerung zur post-mortem-Organspende gesteigert werden, um den medizinischen Bedarf besser zu decken. Die „Spenderländer“ sollen ihrer Ansicht nach die Ursachen (Armut und Korruption) bekämpfen. Organhandel soll genau wie Menschen- und Drogenhandel durch internationale polizeiliche Zusammenarbeit bekämpft werden (Interpol, Europol). Jede Art der Beteiligung daran, selbst die Vermittlung einschlägiger Kontaktadressen, soll in ganz Europa bestraft werden.

Organhandel ist von der WHO, vom Europarat, und vom Weltärztebund geächtet worden. In Deutschland sind entsprechende Handlungen nach dem Transplantationsgesetz mit Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren bedroht, auch für den Empfänger. Diese Vorschrift betrifft auch Handlungen im Ausland, sofern Deutsche beteiligt sind. Die Krankenkassen dürfen die entstehenden Kosten nicht übernehmen.

Organhandel und Gewaltkriminalität

Unbestätigten Berichten zufolge sollen auch schon Menschen, etwa Straßenkinder, ermordet worden sein, um ihnen Organe entnehmen zu können. Dies wird z. B. aus Mosambik[15] berichtet. In Ägypten beispielsweise weitet sich die mit dem halbillegalen Organhandel verbundene Kriminalität offenbar aus: So berichtete die ARD in einer Reportage vom Mai 2009 von vermehrt und wiederholt vorkommenden Entführungen von Kindern und Erwachsenen, bei denen den Opfern verschiedene Organe entnommen werden und diese in der Folge meist den Tod finden, da sie nicht medizinisch versorgt werden.[16] Auch sollen dort schon ganze Gruppen von Kindern entführt worden sein, die man Tage später regelrecht „ausgeschlachtet“ wieder auffand. Die einheimischen Kriminalbehörden stehen dem Phänomen bisher scheinbar machtlos gegenüber.

 Wikinews: Organhandel – in den Nachrichten
Wiktionary: Organhandel – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Martina Keller: Lukrativer Leichenhandel. In: stern.de, 19. Oktober 2008. Abgerufen am 8. August 2012.
  2. Friedlaender MM: The right to sell or buy a kidney: are we failing our patients? The Lancet 2002;359(9310):971-3
  3. David Kilgour und David Matas: Blutige Ernte – Untersuchungsbericht zu den Anschuldigungen der Organentnahmen an Falun Gong-Praktizierenden in China (PDF; 560 kB) November 2007
  4. Peter Sturm: Zu gesund, um zu leben? FAZ.NET, 2. April 2007. Letzter Zugriff am 23. Februar 2009.
  5. Neue Zürcher Zeitung - Peking will Organhandel kontrollieren 8. April 2007
  6. http://assembly.coe.int/documents/workingdocs/doc03/edoc9822.htm
  7. Friedlaender MM:The right to sell or buy a kidney: are we failing our patients? The Lancet 2002;359(9310):971-3
  8. http://www.guardian.co.uk/world/2008/apr/12/warcrimes.kosovo
  9. Der starke Mann Kosovos unter massivem Beschuss, Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch, 15. Dezember 2010
  10. Inhuman treatment of people and illicit trafficking in human organs in Kosovo, Dick Marty, Switzerland, Alliance of Liberals and Democrats for Europe, 12. Dezember 2010
  11. http://www.dickmarty.ch
  12. Vorwürfe im Europarat: Kosovo-Premier Thaçi soll an Organmafia beteiligt sein. Spiegel online, 15. Dezember 2010, archiviert vom Original am 27. Januar 2013.
  13. Die furchtbaren Details aus dem Bericht zum Kosovo-Krieg - «Schweizer» Mafiaboss in Organhandel verwickelt!, Blick (Zeitung), 14. Dezember 2010, von Henry Habegger, archiviert vom Original am 3. Mai 2013.
  14. Council of Europe: Parliamentary Assembly, Inhuman treatment of people and illicit trafficking in human organs in Kosovo (englisch). Committee on Legal Affairs and Human Rights, Doc. 12462, 7. Januar 2011, von Dick Marty, S. 2, archiviert vom Original am 2. Mai 2013.
  15. http://www.taz.de/pt/2004/01/29/a0119.1/text
  16. Vorlage:Tagesschau

Literatur

Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu, Aus aktuellem Anlass: Zum strafbaren Handeltreiben mit Organen gem. §§ 17, 18 TPG, HRRS 8/2012, 381 - 388) [1]