Warendorfer Praxis
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Die „Warendorfer Praxis“ – Eine Verantwortungsgemeinschaft von Jugendhilfe und Justiz
Die Warendorfer Praxis im Kreis Warendorf ist eine außergerichtliche und gerichtliche Verfahrensweise vor, während und am Ende das Kindeswohl betreffenden familienrechtlichen Verfahren und im Besondern bei Trennung und Scheidung (Sorgerecht, Umgangsregelung, Kindesherausgabe, Gewaltschutzverfahren).
Ziele
Ähnlich wie beim Cochemer Modell, aber hier wird das Wohl des Kindes ganz besonders in den Mittelpunkt der Vermittlungsbemühungen gestellt. Wie beim Cochemer Modell sollen streitende Eltern befähigt werden, ihre alleinige und untrennbare elterliche Verantwortung weiter selbst wahrzunehmen, statt diese begleitenden familienfremden Fachleuten zu überlassen. Eltern sollen in die Lage versetzt werden, wenigstens grundlegende Anliegen ihres Kindes miteinander zu besprechen.
Das Ziel ist eine einvernehmliche außergerichtliche Einigung der Eltern! [1]
Entstehung der Warendorfer Praxis
Initiatoren der Warendorfer Praxis waren Herr Wolfgang Rüting, Leiter des Kreisjugendamtes Warendorf, und Herr Richter Andreas Hornung (damals Familienrichter am Amtsgericht Warendorf, heute Richter am OLG Hamm, 3. Familiensenat)[2].
Im Jahr 2006 trafen sich zum ersten Mal die Mittarbeiter(innen) der öffentlichen und freien Jugendhilfe, der Familienrichterschaft sowie Fachanwältinnen und -anwälte für Familienrecht und Verfahrensbeistände im Kreis Warendorf gemeinsam mit der Problematik des Trennungs- und Scheidungskonfliktes auseinandergesetzt.
Grundsätzliche Einigkeit bestand in dem Ziel: „Betroffene Kinder und Jugendliche gilt es zu schützen und in ihren Rechten und Interessen zu stärken sowie sie bei der Konfliktbewältigung zu begleiten.“[3]
Beteiligte Professionen
- Rechtsanwälte
- Familienrichter
- Gutachter (psychologisch und forensisch)
- Sozialarbeiter, Sozialpädagogen des Jugendamts
- Psychologen, Sozialpädagogen der Lebensberatungsstelle
- Verfahrensbeistände (vgl. Cochemer Praxis)
- Umgangspfleger
- Vormünder
- weitere nach Bedarf im Einzelfall.
Grundsätzlich werden alle Professionen beteiligt je nach Art und Umgang des Verfahrens. Hervorzuheben ist die Beteiligung des Verfahrensbeistandes bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Gegensatz zum Cochemer Modell.
Arbeitsweise
Von Anfang an zur klaren Abgrenzung zum so genannten Cochemer Modell waren sich alle an der Entwicklung der Warendorfer Praxis beteiligten Fachleute einig, dass eine unterschiedliche Bewertung der Fälle und Verfahrensweise erforderlich ist. Während das Cochemer Modell alle Fälle im Verfahrensablauf ähnlich behandelt, wird in der Warendorfer Praxis eine Differenzierung vorgenommen: zwischen sogenannten Regelverfahren und den eine erhebliche Kindeswohlgefährdung betreffenden sogenannten Gefährdungsverfahren wird klar unterschieden.
Bei den Regelverfahren handelt es sich i.d.R. um Sorgerechts- oder Umgangsverfahren ohne erkennbare erhebliche Gefährdung des Kindeswohls. In diesen Fällen gilt ähnlich wie in Cochem der Grundsatz „Schlichten statt Richten!“[4].
Hiervon abzugrenzen sind die Gefährdungsverfahren. Grundsätzlich liegen hier Anträge auf vollständigen oder teilweisen Entzug der elterlichen Sorge oder einer Anzeige des Verdachts auf Kindeswohlgefährdung vor (z. B. Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz). Hier hat schneller und effektiver Kinderschutz Vorrang.
Kernelemente der Warendorfer Praxis:
- Versuch der Herbeiführung einer außergerichtlichen Einigung unter Beachtung des Kinderschutzes.
- Bei Scheitern einer außergerichtlichen Lösung: Knappe, nicht Konflikt verschärfende Antragsschrift im Regelverfahren, ausführliche und detaillierte schriftliche Anzeige der „gewichtigen Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen“ im Sinne des § 8a SGB VIII im Gefährdungsverfahren.
- Im Regelverfahren und im Gefährdungsverfahren früher erster Termin binnen zwei bis drei Wochen ab Antragseingang.
- Mündlicher Bericht des Jugendamts im frühen ersten Termin.
- Frühzeitige Anhörung und Inaugenscheinnahme des betroffenen Kindes.
- Im Regelverfahren in der ersten mündlichen Verhandlung Hinwirken auf eine einvernehmliche Lösung. Bei Nichteinigung der Eltern, Aussetzung des Verfahrens für eine außergerichtliche Inanspruchnahme von Beratungs- oder Mediationsstellen. Entwicklung eines standardisierten Rückmeldungsformulars der freien Träger an Jugendamt und Gericht.
- Im Gefährdungsverfahren im ersten Termin Erörterung der Kindeswohlgefährdung mit allen Beteiligten. Das Familiengericht weist die Eltern auf Jugendhilfemaßnahmen und die möglichen Folgen von deren Ablehnung hin. Wenn es in der ersten Verhandlung zu keiner Lösung kommt, bestellt das Familiengericht dem Kind regelmäßig einen Verfahrensbeistand.
- Im Gefährdungsverfahren kein Aussetzen des Verfahrens, sondern weitere Beweiserhebung, v. a. durch ein familienpsychologisches oder bei Krankheitsverdacht auch fachpsychiatrisches Gutachten zur Erziehungsfähigkeit der Eltern. Wichtig: Sofortige Fristsetzung zur Gutachtenerstattung.
- Verfahrensende: Im Regelverfahren Protokollierung einer Einigung der Verfahrensbeteiligten. Gelingt eine Einigung im Regelverfahren trotz Beratung nicht oder ist ein Gefährdungsverfahren gegeben, entscheidet das Familiengericht am Ende des Verfahrens nach einer zweiten Verhandlung auf Grund einer erneuten Anhörung durch streitigen Beschluss.
- Regelmäßige Überprüfung des Ergebnisses.
(ausführlich beschrieben in: Wolfgang Rüting/Andreas Hornung/Birgit Kaufhold: Das Wohl des Kindes steht im Mittelpunkt. Verfahrensabläufe nach der Warendorfer Praxis. In: frühe Kindheit 2/11, 2011, S. 26–34. vgl. http://www.liga-kind.de/fruehe/211_kaufhold.php)
Literatur
- Hans-Christian Prestien/Andreas Hornung: Eingriffs- und Handlungsmöglichkeiten der Justiz in Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe und Anderen. Forum 4: Kinderschutz von Gericht. In: Dokumentation zur Fachtagung „Kindesschutz gemeinsam gestalten“ 4. April 2008 Wissenschaftspark Gelsenkirchen. 2009. 82 – 97.
- Andreas Hornung/Wolfgang Rüting: Das Gesetz zur Erleichterung familienrechtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (KiWoMaG). Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Justiz. Die Warendorfer Praxis. In: Das aktive Jugendamt im familiengerichtlichen Verfahren, Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe im Deutschen Institut für Urbanistik (Hrsg.). Aktuelle Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe. 2009, 73 -84.
- Andreas Hornung/Wolfgang Rüting: Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Familiengericht – Die Warendorfer Praxis. In: Institut für soziale Arbeit e.V. (Hrsg.): ISA-Jahrbuch zur Sozialen Arbeit. Waxmann Verlag. Münster. 2009. 86-104.
- Andres Hornung/Wolfang Rüting: Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Justiz – Die Warendorfer Praxis. In: LWL-Landesjugendamt Westfalen. Jugendhilfe aktuell. 2009. 2 – 10.
- Landesverband Westfalen-Lippe (Hrsg.): Trennung- und Scheidungsberatung auf der Grundlage des FamFG. Eine Arbeitshilfe für die Praxis. Münster. 2011.
- Birgit Kaufhold: Die Warendorfer Praxis. Interview mit Andreas Hornung – Richter am OLG Hamm. In: Papa-Ya 5/2013, Nr. 24, S. 12–16.
- Wolfgang Rüting/Andreas Hornung/Birgit Kaufhold: Das Wohl des Kindes steht im Mittelpunkt. Verfahrensabläufe nach der Warendorfer Praxis. In: frühe Kindheit 2/11, S. 26–34.
Weblinks
- Die Warendorfer Praxis: http://www.kreis-warendorf.de/w1/21453.0.html
- Konzept der Warendorfer Praxis: http://www.kreis-warendorf.de/w1/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/soziales/Beratung__Hilfen_und_Unterst%C3%BCtzung/Die_Warendorfer_Praxis/Warendorfer_Praxis_Endf.pdf&t=1393233799&hash=2f19f815f630472b0b7e17607adb44bd
- Flyer zur Warendorfer Praxis: http://www.kreis-warendorf.de/w1/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/soziales/Beratung__Hilfen_und_Unterst%C3%BCtzung/Die_Warendorfer_Praxis/Flyer_Warendorfer_Praxis.pdf&t=1393233799&hash=4dcdfe32c8f88dc87cef2f382aba66c8
- Leitfaden zur Verfahrensweise in Fällen häuslicher Gewalt in Ergänzung zur „Warendorfer Praxis“: http://www.kreis-warendorf.de/w1/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/soziales/Beratung__Hilfen_und_Unterst%C3%BCtzung/Die_Warendorfer_Praxis/Leitfaden_H%C3%A4usliche_Gewalt_24_06_10_Logo.pdf&t=1393233799&hash=95f605cf20e9b9933ed376f355d63b8d
- Rückmeldung über die Beratung: http://www.kreis-warendorf.de/w1/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/soziales/Beratung__Hilfen_und_Unterst%C3%BCtzung/Die_Warendorfer_Praxis/R%C3%BCckmeldung_%C3%BCber_Beratung_Stand_01-2011.pdf&t=1393233799&hash=f95b896d0f59e3a075579161ff0c4744
- Die „Warendorfer Praxis“ – Eine Verantwortungsgemeinschaft von Jugendhilfe und Justiz:http://www.diakonie-rwl.de/cms/media//pdf/aktuelles/archiv/2011/2011-10-06-warendorfer-praxis.pdf
- Inobhutnahme und Unterbringung: Was brauchen kleine Kinder? https://www.lwl.org/lja-download/datei-download2/LJA/erzhilf/u_6_und_HzE/1304425504_11/AG_3_Warendorfer_Praxis_Familiengericht.pdf
- Dokumentation zur Fachtagung vom 23.11.2011 http://www.kreis-warendorf.de/w1/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/soziales/Beratung__Hilfen_und_Unterst%C3%BCtzung/Die_Warendorfer_Praxis/Tagungsdokumentation_FT_Waf_Praxis_23.11.2011.pdf&t=1393233799&hash=66dc9afe06076d37e76eeeefe29db5b3
- Kreis Warendorf: Warendorfer Praxis: Wohl der Kinder steht bei Trennungen der Eltern an erster Stelle - Neues Faltblatt informiert – Presseinformation. Warendorf. http://www.kreis-warendorf.de/w1/17226.0.html?&tx_jppageteaser_pi1%5BbackId%5D=1606 1m 20.03.2011
- Andreas Hornung (Richter beim Amtsgericht Warendorf): Diskussionsbeitrag zum Fachkongress: Stand und Perspektiven des Kinderschutzes in Nordrhein-Westfalen am 26.September 2008. http://www.isa-muenster.de/KinderschutzkongressKöln/tabid/178/Default.aspx am 20.03.2011
- Westfälische Nachrichten: Kreis Warendorf Warendorfer Praxis gilt als Vorreiter (24.02.2009). http://www.wn.de/Muensterland/Kreis-Warendorf/2009/02/Kreis-Warendorf-Warendorfer-Praxis-gilt-als-Vorreiter
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. http://www.kreis-warendorf.de/w1/21453.0.html
- ↑ http://www.kreis-warendorf.de/w1/17226.0.html
- ↑ Birgit Kaufhold: Die Warendorfer Praxis. Interview mit Andreas Hornung – Richter am OLG Hamm. In: Papa-Ya 5/2013, Nr. 24, S. 12–16.
- ↑ http://www.kreis-warendorf.de/w1/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/soziales/Beratung__Hilfen_und_Unterst%C3%BCtzung/Die_Warendorfer_Praxis/Warendorfer_Praxis_Endf.pdf&t=1393777348&hash=033e2a1d95d1fe291703d0b616cca47e