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Glasharmonika

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Artikel aus dem Lexikon "Musik in Geschichte und Gegenwart" Stichwort "Glasharmonika"

I. Vorläufer der Glasharmonika. II. Geschichte der Glasharmonika. III. Herstellung und Akustik der Glasharmonika. IV. Weiterentwicklungen der Glasharmonika bis Ende des 20. Jahrhunderts. Quellenangaben



I. Vorläufer der Glasharmonika

Es gibt zwei allgemein bekannte Möglichkeiten, Gläsern Töne zu entlocken: durch Anschlagen und durch Reibung mit angefeuchteten Fingerspitzen am oberen Rand. Gläser zu musikalischen Zwecken anzuschlagen ist sicherlich schon so lange gebräuchlich, wie es Glas gibt. Viele Quellen belegen solche Idiophone aus Glas vorwiegend im orientalischen Raum. Ein Beleg für europäische Glasidiophone findet sich in der Theorica musicae (Mld. 1492) von Fr. Gaffurius (Abb. 1). Im Rahmen der 'Pythagoräischen Experimente' wird dort im "Experimentum III" die Reaktion der unterschiedlichen Temperamente auf bestimmte Töne beschrieben.

Das erste uns bekannte vollwertige Musikinstrument aus Glas ist 1596 im Inventar der Sammlung von Schloß Ambras/Tirol (heute a-Wkm) aufgeführt: "ain Instrument von Glaswerch" in einem schön verzierten kleinen Kästchen mit einem chromatischen Umfang von drei Oktaven und einer Terz (F-a) - nach einer Beschreibung der Sammlung von Alois Primisser (Die Kaiserlich-Königliche Ambraser-Sammlung, Wien 1819, s. 219). Ein "Glasspiel" beschreibt Kircher in seinem 1673 erschienenen Werk Phonurgia nova (s. 190f.; Abb. 2), übersetzt "in unsere Teutsche Muttersprach" von Agathon Cario unter dem Titel Neue Hall-und Thonkunst (Nördlingen 1684). Die form der abgebildeten, wassergestimmten Gläser würde eine Nutzung als Friktionsinstrument zulassen. Die Anordnung und geringe Anzahl der Gläser läßt jedoch eher auf eine beispielhafte Darstellung des Prinzips bzw. eine Versuchsanordnung schließen als auf ein bestimmtes Musikinstrument. Den ersten eindeutigen Beleg für die Klangerzeugung mit geriebenen Gläsern findet man in der Anleitung, wie "eine lustige Weinmusica zu machen" sei, in den Deliciae physico-mathematicae (2. Tl., veröff. durch Daniel Schwenter, dem Autor des 1. Tl., Nbg. 1677, s. 147) von Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658): "Nimm acht gleiche Gläser, schenke in eines einen Löffel mit Wein, in das andere zwei Löffel, in das dritte drei und also fort und fort; alsdann laß ihrer acht zugleich die Finger netzen und auf des Glases Rand herumfahren, so wirst du eine lustige Wein-Musica haben, daß dir die Ohren wehe thun; du kannst es aber auch mit weniger Gläser auf Terzen, Quinten und Octaven richten, und nach der Gläser Größe das Wasser mehren und mindern". Auf s. 488 der Deliciae wird über ein erstaunliches Experiment berichtet, welches an Gaffurius erinnert und auf die Bedeutung der nur fünf gefüllten Gläser bei Kircher einen Hinweis geben könnte: Die unterschiedlichen Klänge von vier mit Weinbrand, Wasser, Wein bzw. Salzwasser oder Öl gefüllten Gläser sollten Harsdörfer zufolge sogar die 'Dicke des Blutes' und andere Krankheiten beeinflussen oder kurieren können. Die erwähnten Flüssigkeiten ändern zwar entgegen der Darstellung den Klang nicht, doch ist es bemerkenswert, daß schon in diesen frühen Zeugnissen die besonderen Klangeigenschaften geriebenen Glases und deren vermeintliche physiologische Wirkung thematisiert wurden.

Joh. G. Walther (WaltherL) berichtet vom "Glas-Spiel" unter dem Stichwort Verrillon (von frz. verre, Glas), seinem Bau und seiner Spielweise und nennt als Virtuosen den Schlesier Christian Gottfried Helmond. In böhmen wurden die Gläserspiele als Verrophone bis in unser Jh. hinein hergestellt und in Katalogen angeboten. In Joh. Ph. Eisels Musicus autodidactus (Erfurt 1738) ist ebenfalls ein "Verrillon" abgebildet und seine Handhabung beschrieben. Erstaunlicherweise beziehen sich Walther und Eisel nur auf angeschlagene Gläser, obwohl die Tonerzeugung durch Reibung längst bekannt war und die Gläser allgemein immer bessere Materialqualitäten aufwiesen. Unklar ist die von Carl Ludwig Weißflock 1731 angewendete Spieltechnik. Sein "Klavier von auserlesenen Gläsern durch drey Octaven, worauf er, ohne irgend eine Dämpfung, nach Gefallen piano und fort ausdrücken konnte" (GerberATL, s. 791) hat den Fürsten von Anhalt-Zerbst immerhin so beeindruckt, daß er Weißflock als Hofmusiker auf Lebenszeit am Zerbster Hofe anstellte (p. Lynton/K. L. Loewenstein 1951).

Ohne davon zu wissen, bewirkte der Ire Richard Pockrich (ca. 1690-1759, von b. Franklin in einem Brief [s.u.] "Puckeridge" genannt) eine Verbreitung der Musical glasses zunächst in Dublin und später in ganz Britannien. Über seine 1741 erfundene "angelick organ" sagt er in The Real Story of John Carteret Pilkington (L. 1760, s. 58): "[...] glasses as large as bells, of my own invention, that give forth sounds as large as an organ, but more delicate and pleasing to the ear [...]". "[...] he then sat down and played Handel's Water Music on the glasses" (s. 60). Pockrich war eine sehr vielseitige Persönlichkeit, als er mit über 40 Jahren seine Konzertkarriere begann: Er besaß zeitweilig eine Brauerei, die später Bankrott machte, hatte eine große Gänsezucht, entwickelte - von der damaligen Marine verspottet - unsinkbare 'eiserne' Schiffe, erdachte "wings for human flight", war zweimal erfolglos Kandidat für das Parlament und gab verdienstvollerweise auf seinen Gläsern auch Unterricht. So unterrichtete er auch Anne Ford, die 1761 zusammen mit ihrer Gitarrenschule die Instructions for playing on the Musical Glasses herausgab, wohl das erste Schulwerk für Glasinstrumente (US-CA), da Pockrich 1759 samt seinem Instrument und seiner Noten Opfer eines Feuers in seiner Londoner Herberge geworden war. Am 27. Okt. 1761 spielte sie das erste uns überlieferte Duo für zwei Musical glasses mit einem Mr. Schumann, einem der vielen Nachahmer von Pockrich.

Der berühmteste unter ihnen war Gluck, der 1745 nach England gekommen war. Neben den vermehrten Nachrichten über das öffentliche Auftreten von Musikgläser-Künstlern kündigte er am 23. Apr. 1746 im General Advertiser ein Konzert mit einer neuen Komposition auf 26 wasserabgestimmten Gläsern in Begleitung eines Kammerorchesters im Londoner Little Haymarket Theatre an. Genau wie Pockrich nutzte er die beiden möglichen Spieltechniken, die Gläser anzureiben und anzuschlagen: Gluck versprach - in enthusiastischer Übertreibung -, alles ausführen zu können, was auf einer Violine oder einem Cembalo möglich sei. Gemessen an der Höhe der Eintrittspreise, spielte er vor einem sehr erlesenen Publikum. Gluck leistete durch sein Konzert, das er 1749/1750 auf Schloß Charlottenburg bei Kopenhagen wiederholte, und durch seine spätere Berühmtheit einen wichtigen Beitrag zur Anerkennung der Musikgläser als Instrument und gesellschaftliches Ereignis, wie in The Vicar of Wakefield (L. 1766) von Oliver Goldsmith dargestellt: "The two ladies threw my girls quite into the shade; for they would talk of nothing but high life and high lived copany; with other fashionable topics, such as pictures, taste, Shakespear, and the musical glasses" (Kap. 9; Abb. 3).


Autor Sascha Reckert (entnehmen Sie weitere Informationen zum Thema Glasmusik aus seiner Internetseite www.sinfonia-di-vetro.de)