Charles de Secondat, Baron de Montesquieu

Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (* 18. Januar 1689 auf Schloss La Brède bei Bordeaux; † 10. Februar 1755 in Paris) war ein französischer Schriftsteller und Staatstheoretiker.
Obwohl er durchaus auch ein erfolgreicher belletristischer Autor war, ist Montesquieu vor allem als geschichtsphilosophischer und staatstheoretischer Denker in die Geschichte eingegangen.
Leben
Die Anfänge und der frühe literarische Erfolg
Montesquieu ist geboren als Charles-Louis de Secondat in einer Familie des hohen Amtsadels, der sogenannten „noblesse parlementaire“. Mit sieben verlor er seine Mutter. Seine Schulzeit verbrachte er 1700-1705 als Internatschüler bei den Oratorianer-Mönchen in Juilly unweit Paris und studierte dann bis 1708 Jura und Philosophie in Bordeaux. Nach dem Examen (licence) lebte er längere Zeit in Paris, las und begann zu schreiben. 1713, nach dem Tod seines Vaters, kehrte er zurück nach Bordeaux und erhielt 1714 am dortigen Parlement, dem Obersten Gerichtshof der Aquitaine, das Amt eines Gerichtsrats (conseiller). 1715 heiratete er eine Hugenottin, was seine Distanz gegenüber der Frankreich beherrschenden Allianz von absolutistischer Monarchie und Katholischer Kirche vermutlich erhöhte. 1716, d.h. kurz nachdem der Regent Philipp von Orléans die von Ludwig XIV. beschnittene Macht der Parlements und damit dessen Oppositionswillen wieder gestärkt hatte, erbte er von einem Onkel das Amt eines Vorsitzenden Richters (franz. président à mortier), sowie auch den Titel eines Barons de Montesquieu.
Nebenher jedoch interessierte er sich weiterhin für die Wissenschaften und für Literatur. 1721 wurde er über Nacht berühmt durch ein kleines Buch, das heute als ein Schlüsseltext der Aufklärung gilt: Les lettres persanes/Persische Briefe, deren aufklärerischen Kern die Briefe zweier fiktiver Perser bilden, die Frankreich und vor allem Paris bereisen und Freunden daheim die Verhältnisse hier schildern – in einer Mischung aus Staunen, Kopfschütteln, Spott und Missbilligung (was spätestens seit Pascals Lettres provinciales ein beliebtes Verfahren war, um die Verhältnisse im eigenen Land aus einer kritischen Außensicht darzustellen).
Jahre der Reflexion und des Reisens
Nach dem Erfolg der Lettres, an dem eine kleine eingebaute Haremsgeschichte nicht ganz unbeteiligt war, gewöhnte Montesquieu sich an, jährlich ein paar Monate in Paris zu verbringen, wo er in einigen mondänen Salons und gelegentlich am Hof verkehrte, vor allem aber intellektuelle Zirkel frequentierte. 1725 erzielte Montesquieu nochmals einen beachtlichen Erfolg mit der (heute völlig vergessenen) rokokohaft-galanten Pastorale Le Temple de Gnide, einem angeblich vom Autor aus dem älteren Griechischen übertragenen Werk. Im Jahr darauf verkaufte er sein Richteramt und ließ sich in Paris nieder, nicht ohne in Zukunft jährlich einige Zeit auch auf seinem Schloss La Brède zu verbringen. 1728 wurde er, allerdings erst beim zweiten Anlauf, in die Académie française gewählt. Noch im selben Jahr trat er eine dreijährige Bildungs- und Informationsreise durch Österreich, Italien, mehrere deutsche Staaten, Holland und vor allem England an, wo er am 16. Mai 1730 in London Mitglied der Freimaurerloge Horn's Tavern in Westminster wurde. 1735 beteiligte er sich bei der Gründung der von Charles Lennox, Herzog von Richmond und John Theophilus Desaguliers eingesetzten Loge im l’Hôtel de Bussy in Paris an der rue de Bussy.
Die großen Schriften

1734 publizierte Montesquieu in Holland das Buch Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence (Betrachtungen über die Ursachen der Größe der Römer und ihres Niedergangs), worin er am Beispiel des Aufstiegs des Römischen Reichs und seines Niedergangs (den er mit Cäsars absolutistischer Alleinherrschaft einsetzen sieht) so etwas wie gesetzmäßige Verläufe im Schicksal von Staaten nachzuweisen versucht und damit verdeckte Kritik am französischen Absolutismus übt.
Sein wichtigstes Werk wurde jedoch die geschichtsphilosophische und staatstheoretische Schrift De l'esprit des lois/Vom Geist der Gesetze (Genf 1748), ein Produkt von zwanzig Jahren Arbeit. Hierin versucht er einerseits, die Determinanten zu finden, nach denen einzelne Staaten ihr jeweiliges Regierungs- und Rechtssystem entwickelt haben (z.B. Größe, Geographie, Klima, Wirtschafts- und Sozialstrukturen, Religion, Sitten und Gebräuche); andererseits versucht er – nicht zuletzt in Opposition gegen den im Milieu des Parlaments ungeliebten königlichen Absolutismus – die theoretischen Grundlagen eines universell möglichen Regimes zu entwickeln. Zentrales Prinzip ist hierbei für ihn die sog. Gewaltenteilung, d.h. die säuberliche Trennung von Gesetzgebung (Legislative), Rechtsprechung (Judikative) und Staatsgewalt (Exekutive). Montesquieus Buch fand sofort große und weitgestreute Beachtung und löste heftige Attacken der Jesuiten, der Sorbonne und vor allem der Jansenisten aus. 1751 wurde es von der kath. Kirche auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt.
Die Grundlage für seine Staatstheorie bildete seine Studie über Aufstieg und Fall des römischen Reiches. In der Vorstudie lässt sich sein methodischer Ansatz schon deutlich erkennen. Bisher erklärte die christliche Geschichtsphilosophie den Niedergang des römischen Reiches stets mit göttlicher Vorsehung. Montesquieu aber wollte eine auf den Naturgesetzen beruhende Erklärung für die geschichtlichen Abläufe finden. Er fragte nach den anthropologischen, ökologischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen der politischen Entwicklungen. Diese Einsichten wurden dann im Hauptwerk „Vom Geist der Gesetze” in einer Staats- und Gesellschaftstheorie verpackt: Montesquieu versucht, die bestimmenden Faktoren zu finden, gemäß denen einzelne Staaten ihr jeweiliges Regierungs- und Rechtssystem entwickelt haben (z.B. geographische Lage, Klima, wirtschaftliche Faktoren, religiöse Verhältnisse, Sitten und Gebräuche) (Kulturrelativistischer Ansatz). Der Geist der Gesetze entspricht dem „esprit général" (Volksgeist) einer bestimmten Nation. Eine Verfassung ist nach Montesquieu also nicht nur eine Reihe von beliebig zusammengestellten Gesetzen, sondern Ausdruck der natürlichen, historischen und charakterlichen Eigenschaften eines Volkes. ( Kriterium für die Beschaffenheit der Gesetzgebung eines Landes ist sozusagen das Milieu des Landes). Montesquieu unterscheidet dabei drei Grundtypen der Verfassung, denen jeweils eine bestimmte menschliche Grundhaltung zugeordnet wird: In der Republik herrscht die Tugend, in der Monarchie die Ehre und in einer Gewaltherrschaft die Furcht. Weiterhin fordert Montesquieu Gewaltenteilung als Prinzip des inneren Staatsaufbaus, um jegliche Willkür durch einzelne oder Gruppen zu vermeiden. Doch bei all seinen Überlegungen bleibt er nicht konsequent seiner eigenen Theorie treu, denn er favorisiert die parlamentarische Monarchie nach englischem Muster als Verfassungsform. Das dort verwirklichte Modell einer Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative sichere am besten die Freiheit des Einzelnen vor staatlicher Willkür. Er ergänzt diesen Ansatz von John Locke durch eine dritte Gewalt, die Judikative. Außerdem plädiert er für ein Zweikammerparlament mit einem aristokratischen Oberhaus, das verhindern soll, dass die Monarchie in Tyrannei und die Republik in „Pöbelherrschaft“ abgleitet. Montesquieus politische Philosophie enthält also konservative und liberale Elemente. Es lässt sich darüber streiten, ob hinter seiner Theorie demokratischer Wille oder eher die Wiederherstellung der durch Ludwig XIV. beseitigten politischen Mitspracherechte des Adels steckt. Von seinen Zeitgenossen und den nachfolgenden Generationen wurde Montesquieus Gedankengut unterschiedlich gewertet:
Das Prinzip der Gewaltenteilung wurde zu einer der wichtigsten Grundlagen der ersten Verfassungen in Nordamerika (1776–1787), und auch in allen späteren Verfassungen mit Gewaltenteilung hielt Montesquieus Ansatz vielfach Einzug. In der französischen Revolution hingegen widersprach Montesquieus These dem jakobinischen, von Rousseau inspirierten Programm einer ungeteilten Volkssouveränität, weshalb man sogar sein Grab zerstörte. Die katholische Kirche setzte sein Hauptwerk 1751 auf den Index der verbotenen Schriften, während Soziologen Montesquieu für einen Vorreiter der modernen Sozialwissenschaften hielten (Stichwort Milieutheorie).
Das System der Gewaltenteilung kam zum ersten Mal 1789 in der Verfassung der Vereinigten Staaten zum Tragen und 1791 in der Verfassung, die aus der Französischen Revolution hervorging. Heute ist es zumindest im Grundsatz in allen demokratischen Staaten verwirklicht.
Frühen Einfluss gewann Montesquieu auch auf die Aufklärung in Deutschland: So wandelt z.B. der damals bedeutende protosoziologische Autor Johann David Michaelis ganz auf seinen Spuren mit der Schrift Das Mosaische Recht, worin er bestimmte alttestamentliche Rechtsvorschriften, die von den Aufklärern als abstrus betrachtet wurden, als für Nomadenvölker vernünftig analysierte - sehr zum Ärger übrigens mancher Geistlicher und Theologen, die eine Verteidigung der Bibel von dieser Seite wenig goutierten.
Zitate
Vom Geist der Gesetze (1748), 2. Buch, 6. Kapitel: Über Gewaltenteilung
- Sobald in ein und derselben Person oder derselben Beamtenschaft die legislative Befugnis mit der exekutiven verbunden ist, gibt es keine Freiheit.
- Freiheit gibt es auch nicht, wenn die richterliche Befugnis nicht von der legislativen und von der exekutiven Befugnis geschieden wird. Die Macht über Leben und Freiheit der Bürger würde unumschränkt sein, wenn jene mit der legislativen Befugnis gekoppelt wäre; denn der Richter wäre Gesetzgeber. Der Richter hätte die Zwangsgewalt eines Unterdrückers, wenn jene mit der exekutiven Gewalt gekoppelt wäre.
- Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann beziehungsweise die gleiche Körperschaft entweder der Mächtigsten oder der Adligen oder des Volkes folgende drei Machtvollkommenheiten ausübte: Gesetze erlassen, öffentliche Beschlüsse in die Tat umsetzen, Verbrechen und private Streitfälle aburteilen.
- Que le pouvoir arrête le pouvoir.
Werke
- De l'esprit des lois (1748), dt. Vom Geist der Gesetze. Reclam, 1994, ISBN 3150089530
- Lettres persanes (1721), dt. Persische Briefe. Reclam, 1991, ISBN 3150020514
- Histoire véritable d'Arsace et Isménie (1730), dt. Wahrhaftige Geschichte. Aufbau Tb, 1997, ISBN 3746660106
- Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence. Lausanne 1749 dt. Erwägungen zu den Ursachen der Größe der Römer und ihres Verfalls. Lausanne 1749
Literatur
- Michael Hereth: Montesquieu zur Einführung. Hamburg 1995
Weblinks
- Vorlage:PND
- Eintrag in Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Vom Geist der Gesetze Auszüge
- Artikel in „Namen, Titel und Daten der franz. Literatur“ (Quelle für die Biografie)
- Biografie, Bibliografie, Analyse (französisch)
Siehe auch
Personendaten | |
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NAME | Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de |
KURZBESCHREIBUNG | franz. Schriftsteller und Staatsphilosoph |
GEBURTSDATUM | 18. Januar 1689 |
GEBURTSORT | Schloss La Brède bei Bordeaux |
STERBEDATUM | 10. Februar 1755 |
STERBEORT | Paris |