Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten
Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten (engl. Supreme Court of the United States / /, abgekürzt als USSC oder SCOTUS) ist das oberste rechtsprechende Staatsorgan der USA. Neben diesem obersten Bundesgericht existieren auch Supreme Courts in jedem einzelnen Bundesstaat.
Der Supreme Court ist das einzige amerikanische Gericht, das explizit in der Verfassung vorgesehen ist. Zusätzlich richtete der Kongress 13 Appellationsgerichte auf Bundesebene (Federal Courts of Appeals) und – eine Stufe darunter – 95 Bezirksgerichte auf Bundesebene (Federal District Courts) ein. Der Supreme Court kommt in Washington, D.C. zusammen, die anderen Bundesgerichte sind landesweit auf die Städte verteilt.
Bundesgerichte befassen sich mit Fällen, die die Verfassung, Bundesrecht, Bundesverträge und Seerecht betreffen oder bei den ausländische Bürger oder Regierungen oder die amerikanische Bundesregierung selbst Partei sind. Von wenigen Ausnahmen abgesehen werden nur Berufungsfälle der unteren Gerichte vom Supreme Court behandelt, wobei das amerikanische Rechtssystem keine strikte Abgrenzung zwischen Berufung und Revision kennt. Bei den meisten dieser Fälle geht es um die Verfassungsmäßigkeit von Handlungen der Exekutive und von Gesetzen, die vom Kongress oder von den Bundesstaaten verabschiedet wurden.

Verfahrensablauf
Der Verfahrensablauf vor dem Supreme Court ist immer derselbe. Berufungsanträge werden von Anwälten eingereicht, die eine spezielle Zulassung besitzen müssen. Diese Anträge werden dann von den Richtern geprüft, und anschließend entscheiden sie in einem freien Annahmeverfahren, ob sie den Fall vor Gericht anhören.
Maßgeblich ist dabei allein die richtungweisende Bedeutung der Sache oder ob sie eine ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, auf eine möglicherweise fehlerhafte Rechtsanwendung der Vorinstanz im Einzelfall kommt es hingegen nicht an. Entscheiden die Richter, den Fall nicht anzuhören, ist das Verfahren beendet. Die meisten der Anträge scheitern bereits hier. Für die zugelassenen Anträge werden mündliche Verhandlungen anberaumt.
Die Mündliche Verhandlung verläuft nach strengen Regeln. Die Richter betreten den Raum in einer zeremoniellen Art und Weise. Wenn die Verhandlung beginnt, klopft der Gerichtsdiener (Marshall) zwei Mal mit seinem Hammer auf den Tisch und verkündet:
- „The Honorable, the Chief Justice and the Associate Justices of the Supreme Court of the United States. Oyez, Oyez, Oyez, all persons having business before the Honorable, the Supreme Court are admonished to draw near and give their attention, for the Court is now sitting. God save the United States and this Honorable Court.“
- „Die Ehrenwerten, der Vorsitzende Richter und die Beigeordneten Richter des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten. Hört, hört, hört [französisch]: Alle Personen, die vor dem Ehrenwerten dem Obersten Gerichtshof ein Anliegen zu unterbreiten haben, sind aufgefordert vorzutreten und sich mit der Sache zu befassen, denn die Sitzung dieses Gerichtshofes ist nun eröffnet. Gott schütze die Vereinigten Staaten und dieses Ehrenwerte Gericht.“
Der Chief Justice eröffnet darauf hin die Sitzung und ruft den ersten Fall auf. Nun treten die Anwälte in Aktion. Jeder Anwalt bekommt 30 Minuten Zeit, um am Rednerpult seine Argumente vorzubringen, und sie gegen die Fragen der Richter zu verteidigen (so genannte oral arguments). Zeugen werden nicht gehört. Der Chief Justice beendet die Sitzung mit den Worten: „The Case is submitted“ („Der Fall wird zur Entscheidung angenommen“).
Danach ziehen sich die Richter zurück und bereden den Fall. Es finden einige Probeabstimmungen statt, und am Ende steht die richtige Abstimmung. Ist der Chief Justice in der Mehrheit, so fällt ihm die Aufgabe zu, die Auffassung des Gerichtes zu verfassen, er kann diese Aufgabe jedoch einem der anderen Richter übergeben. Ist er in der Minderheit, so hat er die Pflicht, die Meinung der Minderheit darzustellen, und die Auffassung der Mehrheit wird von dem ältesten Richter der Mehrheit selbst geschrieben oder auch delegiert.
Nachdem der Beschluss sowie eventuelle abweichende Meinungen (dissenting votes) niedergeschrieben sind, werden diese entweder in einer öffentlichen Sitzung verlesen oder nur schriftlich abgesetzt. Obwohl das Kollegium des Supreme Courts mehrere Beratungs- und Abstimmungsgänge kennt und die Position beider Fraktionen regelmäßig dargestellt wird, sind die Richter mit Sondervoten nicht gerade sparsam. Diese von Individualität geprägte Rechtskultur unterscheidet sich etwa von dieser des Bundesverfassungsgerichts, das konsensualer auftritt und von dem die viel selteneren Sondervoten bei gravierenden Differenzen oder einem dogmatisch anspruchsvollen Widerstreit niedergeschrieben werden.
Besetzung
Der Präsident der USA nominiert Richterkandidaten - im Regelfall bewährte Bundesrichter - , welche dann nach Befragung in einem speziellen Senatsausschuss und Zustimmung durch den US-Senat in ihr Amt berufen werden. Das Gericht setzt sich aus acht beigeordneten Richtern (Associate Justices) und einem Vorsitzenden (Chief Justice) zusammen. In der Verfassung heißt es, die Richter sollen during good behaviour im Amt bleiben. Faktisch bewirkt dies eine Ernennung auf Lebenszeit, es gibt keine Altersgrenze. Rücktritte wegen schlechter Gesundheit kommen jedoch regelmäßig vor. Wie alle anderen Richter auch können sie mittels Impeachment durch den Kongress abgesetzt werden.
Besonders durch die Benennung relativ junger Richterkandidaten kann ein Präsident die politische Richtung der USA weit über seine eigene Amtszeit hinaus beeinflussen. Daher sind diese Berufungen in den letzten Jahrzehnten oft politisch heftig umstritten.

Derzeitige Mitglieder
(in Klammern: durch welchen Präsidenten nominiert)
Vorsitzender
- John G. Roberts, Jr. (George W. Bush, 2005)
Beigeordnete Richter
- John Paul Stevens (Gerald Ford, 1975)
- Sandra Day O'Connor (Ronald Reagan, 1986) am 1.7.2005 Rücktritt erklärt; wird bis zur Bestätigung einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers im Amt bleiben. Nominiert wurde zuerst Harriet Miers, dann Samuel Alito.
- Antonin Scalia (Ronald Reagan, 1986)
- Anthony M. Kennedy (Ronald Reagan, 1988)
- David Souter (George H. W. Bush, 1990)
- Clarence Thomas (George H. W. Bush, 1991)
- Ruth Bader Ginsburg (Bill Clinton, 1993)
- Stephen Breyer (Bill Clinton, 1994)
Bedeutende Entscheidungen
Die folgende Tabelle listet einige bedeutende Fälle auf.
Links verweisen auf die Fallentscheidungen des Gerichts im englischen Original.
Jahr | Fall | Zusammenfassung | |
---|---|---|---|
1803 | Marbury v. Madison |
Der Supreme Court stellt fest, dass er das Recht habe, Gesetze des Kongresses für verfassungswidrig zu erklären. Solche Gesetze müssten nicht aufgehoben werden, sie seien vielmehr nichtig ("a legislative act contrary to the constitution is not law"). | |
1810 | Fletcher v. Peck |
Der Supreme Court stellt fest, dass auch Gesetze der einzelnen Bundesstaaten nicht von der Verfassung abweichen dürfen und notfalls vom Gericht annulliert werden. | |
1832 | Worcester v. Georgia |
Die Bundesregierung allein ist für die Beziehungen zu den amerikanischen Ureinwohnern zuständig. Bundesstaaten dürfen in deren Angelegenheiten nicht eingreifen. | |
1833 | Barron v. Baltimore |
Die Grundrechte der Bill of Rights sind nicht unbedingt bindend für die einzelnen Bundesstaaten. Dies wurde später mit Hilfe des 14. Verfassungszusatzes revidiert. | |
1856 | Dred Scott v. Sandford |
Schwarze können niemals Bürger der Vereinigten Staaten werden, da sie minderwertig sind und keinerlei Rechte in der Verfassung haben. Dieses wohl berüchtigtste Urteil in der Gerichtsgeschichte wird oft als eine der Ursachen des amerikanischen Bürgerkriegs angesehen. Durch Verfassungszusätze wurde es revidiert. | |
1869 | Texas v. White |
Bundesstaaten ist es nicht erlaubt, sich von den USA loszulösen. | |
1880 | Strauder v. West Virginia |
Schwarze generell von Geschworenengerichten auszuschließen ist verfassungswidrig, weil es gegen den 14. Verfassungszusatz verstößt. | |
1896 | Plessy v. Ferguson |
Rassentrennung durch die Staaten ist erlaubt, solange die Einrichtungen für Schwarze und Weiße vergleichbar sind. 1954 aufgehoben. | |
1923 | Meyer v. Nebraska | Das Verbot des Unterrichts einer nicht-englischen Sprache (hier: Deutsch) verstösst gegen das Elternrecht, wie es im 14. Verfassungszusatz grundgelegt ist | |
1954 | Brown v. Board of Education |
Rassentrennung ist verfassungswidrig in allen Fällen. Plessy v. Ferguson wird damit umgestossen. | |
1963 | Gideon v. Wainwright |
Das Recht auf einen Verteidiger ist absolut und hängt auch nicht vom Vermögen des Angeklagten ab. Regierungen müssen Anwälte für solche Fälle bereitstellen, in den der Angeklagte keinen bezahlen kann. |
|
1965 | Griswold v. Connecticut |
Bundesstaaten können Mittel zur Schwangerschaftsverhütung nicht verbieten, da dies gegen das der Verfassung inhärente Recht auf Privatsphäre verstößt. | |
1966 | Miranda v. Arizona |
Verdächtige, die von der Polizei vernommen werden, müssen vorher über ihre Rechte informiert werden. | |
1967 | Loving v. Virginia |
Das Verbot von Ehen zwischen Schwarzen und Weißen ist verfassungswidrig. | |
1972 | Roe v. Wade |
Schwangerschaftsabbruch ist ein Grundrecht als Folge des in der Verfassung implizierten Rechts auf Privatsphäre. | |
1976 | "153" Gregg v. Georgia |
Die Todesstrafe ist nicht per se eine "grausame und ungewöhnliche Strafe" und daher legal. | |
1986 | Bowers v. Hardwick |
Gesetze gegen Homosexualität sind rechtskräftig, wenn sie Teil der bundesstaatlichen Polizeigewalt darstellen. 2003 aufgehoben. | |
2000 | Bush vs. Gore |
Die damals laufenden Nachzählungen der Präsidentschaftswahl 2000 im Bundesstaat Florida sind verfassungswidrig. Der Entscheid bestätigte damit das vorläufige Wahlergebnis, wonach George W. Bush dank der Elektorenstimmen Floridas zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Das Urteil stiess auf verbreitete Kritik, unter anderem wegen der Mehrheitsverhältnisse: die konservativen Richter stimmten für, die liberalen gegen das Urteil. | |
2003 | Lawrence v. Texas |
Die Kriminalisierung von homosexuellem Sex (und implizite von anderem einverständlichen Sexualverhalten unter Erwachsenen) ist verfassungswidrig, da entsprechende Gesetze gegen das der Verfassung inhärente Recht auf eine Privatsphäre verstoßen. Bowers v. Hardwick wurde damit umgestossen. | |
2004 | Rasul v. Bush |
Die auf dem US-Stützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba inhaftierten mutmaßlichen Terroristen haben das Recht, vor US-Gerichten gegen ihre Inhaftierung vorzugehen. | |
2004 | Roper v. Simmons |
Die Hinrichtung von Minderjährigen verstößt gegen die Verfassung. Mehrheitsführer war Anthony Kennedy, was überraschend war, da er eigentlich zum konservativen Flügel des Gerichtes gezählt wurde. | |
2005 | MGM Studios, Inc. v. Grokster, Ltd. |
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Vergleich mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht
Das Aufgabenspektrum des Supreme Court ist weiter gefasst als das des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Letzteres befasst sich ausschließlich mit Verfassungsrecht, während der Supreme Court als oberste Instanz für alle Rechtsbereiche fungiert. Allerdings kann das Bundesverfassungericht leichter angerufen werden, da der Supreme Court fast ausschließlich als Berufungsinstanz für bereits in niedrigeren Instanzen verhandelte Fälle auftritt. Instrumente wie die Verfassungsbeschwerde oder die abstrakte Normenkontrolle sind in den USA unbekannt.