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Wilhelm (Schaumburg-Lippe)

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Friedrich Wilhelm Ernst, Graf zu Lippe-Schaumburg-Bückeburg (* 9. Januar 1724 in London; † 10. September 1777 auf Haus Bergleben, Wölpinghausen), bedeutender Militärtheoretiker und Heerführer im Siebenjährigen Krieg; Souverän der reichsunmittelbaren Grafschaft Schaumburg-Lippe.


Datei:Wilhelm-Schaumburg-Lippe.jpg
Wilhelm Graf zu Schaumburg-Lippe

Leben

Wilhelm war der zweite Sohn des Grafen Albrecht Wolfgang und der Margarete Gertrud, Gräfin von Oeynhausen. Er wurde in London geboren, erhielt seine Schulausbildung in Genf, studierte dann in Leiden und Montpellier und trat danach in England als Fähnrich in die königliche Leibgarde ein.

Nach dem Duelltod seines älteren Bruders, des Erbprinzen Georg (1722-1742), kehrte er als nunmehriger Erbe nach Bückeburg zurück. Er begleitete seinen Vater, der damals General in holländischen Diensten war, bei dem Feldzug gegen die Franzosen, wo er sich in der Schlacht bei Dettingen am 27. Juni 1743 auszeichnete und machte dann als Freiwilliger im kaiserlichen Heer den Feldzug von 1745 in Italien mit. Durch den Tod seines Vaters (1748) wurde er an die Spitze der Regierung der Grafschaft Schaumburg-Lippe gerufen.

Um militärische Erfahrungen zu sammeln, begab er sich zuerst nach Berlin zu Friedrich dem Großen, wo er zum engeren Kreis um Voltaire gehörte. (Wilhelm sprach französisch, englisch, lateinisch, italienisch und portugiesisch.) Später reiste er dann wieder nach Italien und Ungarn. Beim Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs stellte er ein eigenes Kontingent zur alliierten Armee, wurde kurhannoverscher Generalfeldzeugmeister (Generalmajor) und kämpfte mehrfach mit Auszeichnung. So wehrte die von ihm geführte Artillerie in der Schlacht bei Minden 1759 den Angriff des rechten Flügels der französischen Armee ab. 1759 erhielt er den Oberbefehl über die gesamte Artillerie der verbündeten Heere.

Büste von Graf Wilhelm in der Walhalla

Nach dem Angriff Frankreichs und Spaniens auf Portugal (1761) trug dessen leitender Minister, der große Reformer Pombal, ihm den Oberbefehl der verbündeten englischen und portugiesischen Truppen an. Wilhelm folgte dem Ruf 1762. Er gründete eine Kriegs- und Artillerieschule und legte die Festung bei Elvas an, die der König ihm zu Ehren "Fort Lippe" nannte. Da der Krieg noch 1762 durch den Frieden von Fontainebleau beendet worden war, kehrte er 1764 nach Deutschland zurück.

Graf Wilhelm heiratete erst sehr spät die 20 Jahre jüngere Marie Barbara Eleonore Gräfin zu Lippe-Biesterfeld. Die einzige Tochter des Grafen starb bereits mit drei Jahren, seine Frau zwei Jahre später. Nach diesen Schicksalsschlägen zog er sich in sein Jagdhaus Bergleben bei Wölpinghausen zurück, wo er am 10. September 1777 nunmehr kinderlos starb, weshalb ihm sein Neffe Philipp II. in der Regierung folgte.

Seine letzte Ruhestätte fand er neben seiner Frau und seiner Tochter in dem von ihm erbauten Mausoleum beim Jagdschloss Baum im Schaumburger Wald. Anstelle des Jagdhauses Bergleben, in dem der Graf starb, wurde später der Wilhelmsturm errichtet. Haus Bergleben wurde abgetragen und 1790 in Bad Nenndorf als Kurapotheke wieder aufgebaut.

Der Monarch

Um seine Grafschaft erwarb Wilhelm sich große Verdienste - durch Förderung der Gewerbe und des Ackerbaues, durch Gründungen von Webereien, Spinnereien, Ziegeleien, sowie der Schokoladenfabrik in Steinhude, dem Eisenhammer und der Papiermühle an der Ahrensburg und der Gießerei in Bückeburg. Auch gründete er neue Siedlungen und warb neue Siedler mit Abgabenfreiheit, kostenlosem Häuserbau oder freiem Saatgut und Aufhebung vieler Frondienste.

Der von Graf Wilhelm gebaute Wilhelmstein

Ebenso führte er eine Militärreform durch. Dabei schaffte er die entwürdigenden Prügelstrafen ab und führte mit der Landmiliz eine Art Wehrpflicht ein.

Dann gründete er eine Kriegsschule für die Artillerie und das Geniewesen, die großen Ruf erlangte, und legte für dieselbe 1761 bis 1767 die kleine Insel-Festung Wilhelmstein im Steinhuder Meer an. Dort wurde 1762 in Wilhelms Auftrag das erste Unterseeboot der Welt gebaut, das als Steinhuder Hecht bekannt wurde. Der bekannteste Schüler dieser Akademie war 1771 Scharnhorst.

Der Theoretiker des Verteidigungskrieges

Dies im Zuge der von ihm erstmals entwickelten polemologischen Theorie des reinen Verteidigungskrieges, den er aus ethischen Gründen für den einzig vertretbaren hielt: "Kein anderer als der Defensivkrieg ist rechtmäßig! " Kernpunkt der von ihm dafür entwickelten Strategie war das Konzept der „befestigten Landschaften“ in für eindringende Heere besonders störenden Gebieten: eine Kombination von Stützpunkten, bewaffneter Landbevölkerung und im Frieden teils der Landwirtschaft obliegenden Soldaten.

Bedeutung für die preußische Reformära

Von Wilhelms Ideen und Praxiserfahrungen lässt sich durchaus eine Brücke zu der von Scharnhorst und Gneisenau gegen Napoleon betriebenen Planung eines „Volkskrieges“ und zu der Scharnhorstschen Heeresreform schlagen. Auch sein Eintreten für eine allgemeine Wehrpflicht ist in diesem Zusammenhang zu sehen.

Festungsbau als politische Option für Kleinstaaten

Nicht etwa als Marotte, sondern als Stützpunkt für eine solche befestigte Landschaft wurde der für damalige Mittel außerordentlich schwer zu nehmende, also eine mehrfach größere Streitmacht bindende – bzw. ihren Nachschub empfindlich störende – Wilhelmstein angelegt. Er hatte das politische Ziel, den kleinen Staat nur schwer komplett eroberbar zu machen, und damit Schaumburg-Lippe zu einem wertvollen Bündnispartner auch sehr viel mächtigerer Staaten (zumal die Königreiche Hannover bzw. Preußen). Es sollte damit vor einem reinen Satellitenstatus bewahrt werden.

Nach seinem Tode wurde das Wilhelmsteiner Feld abgebaut, die Truppen stark reduziert, allerdings konnte 1787 bei der Besetzung des Landes durch hessische Truppen der Wilhelmstein von schaumburg-lippischen Truppen gehalten werden. Damit wurde die notwendige Zeit gewonnen, in der Hannover und Preußen sich für die weitere Selbständigkeit Schaumburg-Lippes einsetzten. Allerdings hatte die Militärpolitik hohe finanzielle Belastungen zur Folge, die das Land anschließend in innenpolitische Konflikte trieben.

Werke

  • Wilhelm Graf zu Schaumburg-Lippe: Schriften und Briefe. Hrsg. von Curd Ochwadt. Frankfurt am Main: Klostermann 1977–1983. (Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs. 6-8.)
    • Bd. 1: Philosophische und politische Schriften. 1977. 538 Seiten.
    • Bd. 2: Militärische Schriften. 1977. 506 Seiten.
    • Bd. 3: Briefe. 1983. 569 Seiten.

Literatur

  • Karl August Varnhagen von Ense: Graf Wilhelm zur Lippe. In: Varnhagen: Biographische Denkmale. 1. Teil. Berlin: G. Reimer 1824, S. 1-130.
  • Curd Ochwadt: Wilhelmstein und Wilhelmsteiner Feld. Vom Werk des Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe (1724-1777). Hannover: Charis-Verlag [um 1970].
  • Curd Ochwadt: Wilhelm Graf zu Schaumburg-Lippe 1724-1777. Zur Wiederkehr des 200. Todestages. Hrsg.: Schaumburg-Lippischer Heimatverein e.V. Bückeburg: Driftmann 1977.
  • Hans H. Klein: Wilhelm zu Schaumburg-Lippe. Klassiker der Abschreckungstheorie und Lehrer Scharnhorsts. Osnabrück: Biblio Verlag 1982. (Studien zur Militärgeschichte, Militärwissenschaft und Konfliktforschung. 28) ISBN 3-7648-1265-6
  • Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe (1724-1777). Ein philosophierender Regent und Feldherr im Zeitalter der Aufklärung. Ausstellung, 8. März - 15. April 1988 im Niedersächsischen Landtag (u.a.). Katalogtext: Gerd Steinwascher. Bückeburg: Niedersächsisches Staatsarchiv 1988.
  • Rademacher, Eva: Graf Wilhelm in Schaumburg-Lippe und seine Zeit. In: Schaumburg-Lippische Heimat-Blätter. Jg. 53 (77) (2002), Heft 4, S. 6-17.
  • Heike Matzke: Die Bibliotheken des Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe (1724-1777). Annäherung an die Persönlichkeit eines Landesherrn des 18. Jahrhunderts durch die Rekonstruktion seiner Büchersammlungen. Hannover: Fachhochschule 2003 (Diplomarbeit). Hauptband + Anhänge. (vorhanden in der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek Hannover)