Atomprogramm des Iran
Das Atomprogramm Irans besteht seit den den späten 60er Jahren. Durch die Islamische Revolution und den 1. Golfkrieg wurden die Arbeiten unterbrochen. Bis heute (Stand: Anfang 2006) ist kein einziger Kernreaktor zur Energieversorgung ans Netz gegangen - es existieren lediglich kleinere Forschungsreaktoren. Iran sieht sich seit geraumer Zeit dem Vorwurf ausgesetzt, die Entwicklung von Atomwaffen anzustreben. Von iranischer Seite wird dies zurückgewiesen; man betont, die Kernenergie lediglich friedlich nutzen zu wollen.
Geschichte
Obwohl Iran weltweit über die weltweit zweitgrößten Vorkommen an fossilen Energiequellen verfügt (Erdöl und Erdgas zusammengenommen), wurde dort bereits in den 60er Jahren über deren Begrenztheit nachgedacht. Der damalige Schah Mohammad Reza Pahlavi selbst kam zu dem Schluss, dass Erdöl zu kostbar sei, um es zur Energiegewinnung zu verbrennen.
Diese Haltung war auch für die USA als größter Ölimporteur und als Exporteur von Nukleartechnologie von Vorteil, und so wurde der Grundstein des Iranischen Atomprogramms mit US-amerikanischer Hilfe gelegt. 1967 wurde aus den USA ein Forschungsreaktor mit einer Leistung von 5 Megawatt geliefert und im Tehran Nuclear Research Center (TNRC) von der Atomic Energy Organization of Iran (AEOI) in Betrieb genommen.
1975 unterzeichnete der amerikanische Außenminister Henry Kissinger das National Security Decision Memorandum 292 zur US-amerikanisch-iranischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Nukleartechnologie. Es erläutert die Details des Verkaufs von Nukleartechnik im Wert von über 6 Milliarden US-Dollar an den Iran.
Es gab es Pläne zum Bau von bis zu 23 Atomreaktoren bis zum Jahr 2000. Bis in die 70er Jahre wurden zwischen den USA und dem Iran diesbezüglich zahlreiche Abkommen getroffen. 1976 wurde dem Iran sogar angeboten, eine Anlage zur Extraktion von Plutonium von den USA zu kaufen und zu betreiben. Die Vereinbarung bezog sich auf einen kompletten Nuklearkreislauf.
Trotz des amerikanischen Engagements waren es westdeutsche Konzerne, die 1974 einen Vertrag über den Bau des ersten iranischen Kernkraftwerks nahe der Stadt Buschehr abschlossen. Die Arbeiten wurden jedoch durch die Islamische Revolution und den Ersten Golfkrieg unterbrochen. 1990 begann der Iran, sich nach neuen ausländischen Partnern für sein Nuklearprogramm umzusehen. 1995 unterzeichnete Iran einen Vertrag mit Russland über die Fertigstellung des Reaktors von Buschehr, die bis heute andauert.
Einrichtungen
Buschehr
Die Kernkraftanlage Buschehr befindet sich 17 Kilometer südlich der gleichnamigen Stadt am Persischen Golf. Sie soll vor allem die landeinwärts gelegene Großstadt Schiraz mit Energie versorgen.
Bereits 1974 schloss die Westdeutsche Kraftwerk-Union AG, ein Joint Venture der Siemens AG und von AEG-Telefunken, einen Vertrag über den Bau im Umfang von 4-6 Milliarden US-Dollar ab. Der Bau der zwei Reaktorkerne wurde an die ThyssenKrupp AG abgegeben. Die Bauarbeiten sollten ursprünglich bis 1982 fertiggestellt sein.
Im Januar 1979 wurde der Bau unterbrochen, nachdem im Verlauf der islamischen Revolution Irans Wirtschaft praktisch zum Stillstand gekommen war. Im Juli zog sich Kraftwerk-Union aus dem Projekt zurück, da sich Iran im Zahlungsrückstand befand. Das Unternehmen hatte bis dahin 2,5 Milliarden Dollar erhalten. Zu diesem Zeitpunkt war der eine Reaktor zu ca. 85 Prozent, der andere zu 50 Prozent fertiggestellt. Zwischen 1984 und 1988 wurde ein Reaktor durch mehrere irakische Luftangriffe beschädigt. Kurz nach der Invasion irakischer Truppen wurde das Programm bis zum Ende des Krieges offiziell unterbrochen.
1995 unterzeichnete Iran einen Vertrag mit Russland über die Fertigstellung des Reaktors von Buschehr. Der Bau wird vom russischen Konzern Atomstroyexport durchgeführt, der dem Russischen Atomenergieministerium Minatom unterstellt ist. Die Anlage sollte urspünglich im Laufe des Jahres 2005 in Betrieb gehen. Im Januar 2006 wurde seitens des russischen Konzerns angekündigt, die Arbeiten in Buschehr ungeachtet der aktuellen Zuspitzungen im Atomstreit fortsetzen zu wollen.
Natans
Die durch Flugabwehrsysteme geschützte unterirdische Anlage von Natans liegt etwa 200 km südlich von Teheran. Hier betreibt Iran ein Projekt zur Urananreicherung. Die Anlage kann nach IAEO-Informationen bis zu 50 000 Gaszentrifugen aufnehmen. Iranischen Aussagen zufolge soll Uran in Natans nur bis zu einem Grad von 3,5 Prozent angereichert werden, was für Atomkraftwerk-Brennstoff reichen würde, nicht jedoch für eine militärische Nutzung. Für den Bau einer Atombombe ist ein Anreicherungsgrad von über 90 Prozent notwendig. Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde hat sich Iran aber bereits in den 80er Jahren aus Pakistan Anleitungen zum Bau von Zentrifugen besorgt, mit denen Uran bis Waffenfähigkeit angereichert werden kann.
Weitere Anlagen
Die Universitätsstadt Isfahan gilt als Zentrum der iranischen Kernforschung; dort befindet sich eine Anlage zur Produktion von Brennstäben. In Arak wird Schweres Wasser zur Moderation von Brennelementen in Reaktoren hergestellt. Die Militäranlage in Parschin gilt als möglicher Standort für Atomexperimente. In Teheran, Ramsar und Bonab werden Forschungsreaktoren betrieben.
In der Anlage von Lavizan wurden mehrere Gebäude abgerissen und planiert, bevor sie von Inspektoren der IAEO begutachtet werden konnten. Die iranischen Behörden verweigerten Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde die Entnahme von Bodenproben.
Kontroverse
Iran ratifizierte bereits 1968 den Atomwaffensperrvertrag. Signatarstaaten haben diesem zufolge das Recht, Kernenergie ausschließlich für zivile Zwecke einzusetzen. Jedwede militärische Nutzung ist untersagt und mit Sanktionen bedroht. Unterzeichnerstaaten willigen auch in unangekündigte Inspektionen durch die Internationale Atomenergiebehörde ein.
Der Iran hält diese Position für "scheinheilig" und "doppelzüngig" und verweist einerseits auf das ursprüngliche Ziel des Vertrags, nämlich: die globale nukleare Abrüstung voranzutreiben, andererseits auf das Verhalten dreier Staaten (die den Atomwaffensperrvertrag allerdings nicht unterzeichnet haben): Israel, Indien und Pakistan. Diese drei Staaten eigneten sich Atomwaffen in Geheimprojekten an (Israel 1968, Indien 1974, Pakistan 1990).
Im Jahr 2002 wurde bekannt, dass der Iran Atomanlagen unterhielt, die der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) verheimlicht worden waren, unter anderem in Natans und Arak. Dabei spielten Geheimdienstkontakte des Journalisten Seymour Hersh, Aussagen iranischer Dissidenten sowie die militärische Aufklärung mittels Satellitenfotografie eine Rolle.
Insbesondere bei der Urananreicherung handelt es sich um eine sogenannte Dual-Use-Technologie, also ein Verfahren, das sowohl zur zivilen Zwecken als auch zur Herstellung von Atomwaffen verwendet werden kann. Jedoch ist für den gegenwärtigen Stand iranischer Atomstromgewinnung nach Ansicht von Experten kein angereichertes Uran erforderlich. Des weiteren verfügt Iran über Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von ca. 2000 Kilometern, deren Zielgenauigkeit allerdings so gering sein soll, dass ihr Einsatz nur mit Massenvernichtungswaffen militärisch einen Sinn ergebe, wie westliche Experten behaupten.
Die Regierung in Teheran erlaubte zunächst Inspektionen der IAEO und stellte die Urananreicherung vorübergehend sogar ein. Nach wie vor wird vehement jegliches Streben nach Atomwaffen bestritten. Man frage sich, warum es dem Land nicht erlaubt sein sollte, seine Energieversorgung zu diversifizieren, besonders vor dem Hintergrund der Verdopplung der iranischen Bevölkerung in den vergangenen 20 Jahren und der weltweiten Sorge um eine Erschöpfung der Ölvorräte. Angesichts steigender Ölpreise ist es für Iran auch wirtschaftlich von Interesse, mehr Öl zum Export zur Verfügung zu haben und Strom im Inland mit Atomkraft zu produzieren.
Insbesondere die USA halten dagegen, dass der Iran kein Atomprogramm brauche, da das Land über umfangreiche Öl- und Erdgasreservern verfüge und deren Ausbeutung billiger sei als die Bemühungen zur Gewinnung nuklearer Energie. Der Iran bezichtigt die USA im Gegenzug, das seiner Meinung nach illegale Atommonopol Israels im Nahen Osten aufrechterhalten zu wollen.
Verschiedene Kompromissvorschläge der EU und Russlands sahen Lieferungen von nicht waffenfähiger Nukleartechnologie an den Iran vor (darunter auch Leichtwasserreaktoren). Die Bedingung ist, dass jene Komponenten des Atomkreislaufs, die auch zu militärischen Zwecken eingesetzt werden können, ans Ausland abgegeben oder liquidiert werden. Ein russischer Vorschlag, angereichertes Uran zu liefern, wurde von Teheran im Spätherbst 2005 gleichfalls zurückgewiesen.
Jahreswende 2005/2006
Seit der Ernennung des derzeitigen iranischen Präsidenten Mahmūd Ahmadī-Nežād hat sich die Konfrontation erneut zugespitzt. Insbesondere die Ausfälle Ahmadi-Nedschads gegen Israel, die er seit November 2005 mehrfach wiederholte, wurden in diesem Zusammenhang mit großer Besorgnis aufgenommen. Als vorläufiger Höhepunkt wurden im Januar 2006 von der IAEO versiegelte Anlagen zur Urananreicherung wieder in Betrieb genommen. Für den Fall der Anrufung des UN-Sicherheitsrats, wie nun auch von der EU angekündigt, drohte Iran mit dem Abbruch aller Verhandlungen. Die mit der Vermittlung im dem Streit befasste "EU-Troika" (auch: EU-3) der Außenminister Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands sah die Verhandlungen mit Teheran "an einem toten Punkt angekommen." Unklar ist weiterhin die Haltung der ständigen Sicherheitsratsmitglieder Russland und China hinsichtlich möglicher Sanktionen gegen den Iran. Beide Länder haben dort enge wirtschaftliche Bindungen und Interessen. Nicht zuletzt deshalb warnten u.a. führende deutsche Politiker vor einem vorschnellen Drängen auf Strafmaßnahmen. Andere hingegen befürworteten eine rasche Überweisung der Angelegenheit an den Sicherheitsrat und betonten, "ohne Druck auf den Iran geht es nicht".
Bis dato hat die IAEO keine Beweise für die Existenz eines iranischen Atomwaffenprogramms gefunden. Jedoch äußerte der Chef der IAEO, Mohammed el-Baradei, Iran habe in den vergangenen drei Jahren nicht glaubwürdig belegen können, dass sein Atomprogramm ausschließlich friedfertigen Zwecken diene. Man werde nun entsprechende Untersuchungen erzwingen. El-Baradei schloss dabei den Einsatz von Gewalt nicht aus. Als "Deadline" für die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit der IAEO nannte er den 6. März 2006.
US-Präsident George W. Bush behält sich schon seit Januar 2005 einen Militärschlag gegen den Iran dezidiert vor. Er werde "niemals irgendeine Option vom Tisch nehmen", erklärte Bush seinerzeit. Damals hatte Seymour Hersh behauptet, US-amerikanische Spezialeinheiten hätten bereits rund drei Dutzend Ziele im Iran für mögliche Bomben- und Raketenangriffe ausgekundschaftet ([1]). Andere US-amerikanische Kommentatoren halten die Streitkräfte der USA hingegen für so ausgelastet (Thomas L. Friedman: "maxed out"), dass ein umfassender Schlag gegen den Iran jedenfalls im Alleingang und mit dem Ziel eines Regimewechsels schon aus Kapazitätsgründen ausscheide.
Weblinks
- Wikinews: Portal:Iranisches_Atomprogramm – in den Nachrichten
- [2] IAEO-Chef Mohammed el-Baradei im Interview mit dem US-Magazin "Newsweek" (15.01.2006)
- [3] Iranischer Außenminister Manuchehr Mottaki bezichtigt EU der "Überreaktion" (16.01.2006)
- Britischer Experte rechnet mit US-Angriff - Ali Asari: Militärschläge in sechs bis 18 Monaten ("Die Presse", 14.01.2006)
- Die größten Öl-Kunden und Energie-Partner des Iran ("Der Standard", 12.01.2006)
- Q&A: Iran nuclear stand-off (BBC, 10.01.2006 - FAQ zum iranischen Atomprogramm)
- Russland baut iranisches Atomkraftwerk weiter
- Die neue „außenpolitische Doktrin“ des Iran (MEMRI, 09.09.2005)
- Jörg Kronauer, Kampf um die Anbindung Irans an den Westen (Telepolis, 10.08.2005 - Hintergrundinformationen)