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Wirtschaft Chiles

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Chuquicamata, die größte offene Kupfermine der Welt
Kupfer, das wichtigste Exportgut

Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen in US$ ist Chile das reichste Land Südamerikas. Beim Pro-Kopf-Einkommen in Kaufkraftparitäten liegt Chile auf Platz drei in Südamerika mit rund 10.000 US$ pro Kopf. Es beträgt also ungefähr ein Drittel des deutschen. Die Wirtschafts ist sehr marktorientiert: Die meisten Bereiche sind liberalisiert und privatisiert, die Staatsquote beträgt mit 22% deutlich weniger als die Hälfte Deutschlands und nur wenig mehr als die der USA.

Chile das exportstärkste Land Südamerikas, aber auch ist sehr abhängig von Exporten, die etwa ein Drittel des BIP ausmachen (was etwa der deutschen Exportquote entspricht). Exportiert werden vor allem Rohstoffe, in erster Linie Kupfer, und landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Wein, Holz und Fischereiprodukte. Das Land verfügt über die größten bekannten Kupfervorkommen der Welt (ca. 40 Prozent) und ist der weltgrößte Kupferexporteur, was seine Wirtschaft extrem abhängig vom Kupferpreis macht. Der Fall der Kupferpreise um einen Cent pro Pfund bedeutet für das Land Einnahmeverluste von etwa 100 Millionen US-Dollar im Jahr.

Chile ist Mitglied der APEC (Asia Pacific Economic Cooperation) sowie assoziiertes Mitglied des Mercosur.

Aktuelle Situation

Als im Zuge der Krisen in Asien und Brasilien 1998 die Rohstoffpreise einbrachen, geriet auch Chile in eine Rezession. Nachdem sich der Kupferpreis von 1999 bis 2005 um 150 Prozent erhöht hat (von 0,74 US-Dollar auf 1,88 US-Dollar je englischem Pfund Feinkupfer), wächst die Wirtschaft Chiles auch wieder kräftiger (2004 um 5,8 Prozent). Bei einer Steuerquote von 19 Prozent erwirtschaftet der Staat einen kleinen Haushaltsüberschuss.

Sektoren

Die Landwirtschaft erwirtschaftet neun Prozent des BIP, die Industrie 34 Prozent und der Dienstleistungsbereich 57 Prozent.

Landwirtschaft

Nicht einmal zur Schafzucht nutzbar: Patagonien

Nur etwa 7 % der Landfläche wird für die Landwirtschaft genutzt, davon nur 3% für Ackerbau und der Rest für meist extensive Weidewirtschaft. Intensive Landwirtschaft wird vor allem im Zentraltal betrieben. Im Norden Chiles beschränkt sich die Landwirtschaft im wüstenhaften Gebiet oft nur auf Oasen. Die Viehzucht ist hauptsächlich in Zentralchile und im nördlichen Teil von Südchile angesiedelt.

Unter Frei und Allende wurden umfangreiche Agrarreformen durchgeführt, bei denen 40% der bewirtschafteten Fläche umverteilt wurden und die Vorbesitzer entschädigt wurden. Pinochet gab zwar 29% des entwigneten Landes zurück und beendeten den Anbau in Genossenschaften, doch wurde der größte Teil der verteilten Flächen nicht zurückgegeben. Deshalb gibt es in Chile bis heute einen großen Sektor an mittleren Betrieben (20 ha - 100 ha). Unter der Diktatur und von den Concertación-Regierunen weiter verfolgt, wurde die Landwirtschafts modernisiert und trägt heute ganz wesentlich zum Export und Arbeitsangebot (20% der Beschäftigte) bei.

Basis der Forstwirtschaft sind riesige gepflanzte Wälder aus Kiefern (pino insigne) und Eukalyptus. In den 70ern und 80ern wurden 80.000 ha jährlich neu gepflanzt (entspricht fast der Fläche Berlins).

Chile ist die viertgrößte Fischfangnation der Welt, wobei während der Diktatur der Pazifik massiv Überfischt wurde. Das Land hat vor kurzen Norwegen als größten Produzenten von (meist gezüchtetem) Lachs überholt, allerdings stammen sowohl Kapital als auch Technologie meist aus Norwegen oder Japan.

Chile exportiert vor allem Holzprodukte (Holz, Papier, Zellulose), Fischereiprodukte (Fischmehl, Lachs), Früchte (Äpfel, Weintrauben) und Wein und kann sich mit den wichtigsten Lebensmitteln selbst versorgen.

Bergbau

Chuquicamata

In Chile liegen die größten Kupferminen der Welt, Chuquicamata (Übertage) und El Teniente in Sewell (Untertage). Etwa 27% der globalen Produktion und 40% der Vorkommen befinden sich in Chile. Fast die gesamte Produktion befindet sich in Händen des staatlichen Konzerns CODELCO.

Bis in die 50er Jahre besaßen vor allem US-amerikanische Firmen die Kupferminen. Die wichtigsten waren Anaconda und Kennecott. Weil diese Konzerne trotz immenser Gewinne (der relative kleine Außlandsstandort (16% des Kapitals) Chile brachte Anaconda 80% ihres Auslandsgewinnes) kaum investierten, sank der Weltmarktanteil Chiles am Kupfer von 19% in den 40ern auf 13% 1966. Eduardo Frei Montalva handelte mit den Firmen 1965 eine 51%ige Beteiligung des Staates ("Chilenisierung") und die Option auf eine komplette Übernahme aus. Da nun alle Investitionen von der Regierung getragen wurden, aber ein Großteil der Gewinne weiterhin den Konzenen zugute kam, forderten auch die Christdemokraten schon 1969 eine komplette Verstaatlichung. Im Juni 1971 beschloss das Parlament unter Allendes UP-Regierung einstimmig die Verstaatlichung. Die Firmen sollten entschädigt werden, allerdings unter Abzug der übermäßigen (d.h. über dem US-amerikanischen Renditeniveau liegenden) Gewinne der letzten 25 Jahre. Der Oberste Rechnungshof kam nach Kalkulationen auf Schulden der Konzerne von 400 Mio. US$ an den chilenischen Staat.

Trotz Schwierigkeiten nach der Nationalisierung (Ersatzteilemangel, Kaufboykott der USA, fehlende Investitionen der letzten Jahre, 25% Preisrückgang auf dem Weltmarkt bis 1972) behielt die Militärdiktatur die Verstaatlichung bei. Seit 1958 erhält das Militär direkt (also ohne Einflussmöglichkeit des Parlaments) 10% der Kupfererlöse.

Industrie

Nach Anfängen im 19. Jahrhundert begann in Chile im Zuge der Importsubstituierenden Industrialisierung (ISI) in den 30er Jahren der Aufstieg eines dynamischen Senkundärsektors, der mit einem Anteil von fast 30% am BIP in den 60ern den Höhepunkt seiner Bedeutung erreichte. 1939 wurde als Planungsbehörde die Corporación de Fomento de la Produción (CORFO) gegründet. Bis 1970 stieg der Anteil des Staates an allen Investitionen auf 70%. Bis in die 50er Jahre wurde eine weitgehende Deckung der inländischen Nachfrage nach kurzlebigen Konsumgütern erreicht (Lebensmittel, Schuhe, Textilien, Holzprodukte). Aufgrund des kleinen Marktes (Neun Millionen Einwohner) sties die ISI schon bald an ihre Grenzen.

Allende begann 1970 mit einer schrittweisen Umgestaltung der Industrie nach sozialistischem Muster. Gegen den massiven Widerstand der politischen Opposition und der Unternehmerschaft und unter in Kauf Nahme einer radikalen Polarisierung der Politik begann er mit Vertsaatlichungen von Konsumgüterindustrien. Banken wurden Verstaatlicht, in dem die Regierung ihre Aktien aufkaufte.

Die Diktatur Pinochets begann mit einer strikten Austeritätspolitik, die zwar die Inflation nicht unter 300% senken konnte, aber zu einem Rückgang der Industrieproduktion von 27% führte. Grund war die Öffnung der Märkte (alle Zölle sofort auf 10% gesenkt) und damit ein Ende der bisher durch die ISI geförderten Branchen. Auch regelmäßige Abwertungen konnten die Deindustrialisierung nicht aufhalten. Erst nach dem Wunder von Chile - der Boomphase von 1977 bis 1980 - wurde wieder das Produktionsniveau unter Allende erreicht. Durch die Fixierung des Peso an den US-Dollar 1979 (Verhältnis 39:1) - immer noch zur Inflationsbekämpfung - wertete die Währung real (Inflationsrate war immer noch um die 20%) massiv auf und eine zweite Welle des Fabirksterbens setzte ein: Die Industrieproduktion sank alleine 1982 um 21%. Gemessen am BIP, sank das Gewicht des sekundären Sektors von 30% 1974 auf 19% in den 80er Jahren. Erst unter den demokratischen Regierungen erholte sich die Industrie substanziell und leistet heute 34% des des BIPs. Die Grundlagen wurden aber durch eine weniger ideologische Wirtschaftspolitik ab 1985 unter Finanzminister Hernán Büchi gelegt: Die schnell eingeführten Schutzzölle (bis 35%) wurden nur schrittweise gesenkt und der Export aktiv gefördert (Exportpromotionsagenturen).

Im Zuge der Reprivatisierungen der von Allende verstaatlichten Betriebe bildeten sich für Konzerne heraus, die zusammen den Bankenmarkt und über Beteiligungen zwei Drittel der 250 größten Privatunternehmen kontrollierten. Nach massiven Staatseingriffen im Zuge der Krise 1982/83 (in der der Staat für private Spekulationsschulden aufkam) wurden die Betriebe Anfang der 80er Jahre abermals privatisiert. Außerdem wurde in der zweiten Hälfte der 80er Jahre eine Reihe von Staatsbetrieben, die zu CORFO gehörten, privatisiert und damit die bis heute andauernde Welle von Privatisierungen in Entwicklungs- und Schwellenländern eröffnet. Relativ zur größe des Landes wurde etwa doppelt so viel privatisiert wie in Großbritannien unter Margaret Thatcher. Häufig wurden die Unternehmen bei der völlig intransparenten Privatisierung weit unter ihrem Wert verkauft - die meisten waren nur wenig verschuldet und warfen hohe Gewinne ab.

Dienstleistungen

Außenhandel

Chiles Wirtschaft hängt stark vom Export ab. 2004 betrug der Exportanteil 34 Prozent des Bruttosozialprodukts. Besonders wichtig für die chilenische Wirtschaft ist der Kupferexport. Momentan steigen andere Exportgüter stärker als Kupfer, der 1975 noch bei 70 Prozent und heute nur noch etwa 40 Prozent ausmacht. Mit dem starken Anstieg der Rohstoffpreise explodierten die Exporte 2004 geradezu von 20,4 Milliarden US-Dollar im Vorjahr auf 31 Milliarden US-Dollar. Importiert wurden Güter für rund 22 Milliarden US-Dollar.

Produkte

Exportiert werden vor allem Rohstoffe und nur wenig verarbeitete Produkte. Der Großteil der Wertschöpfung findet im Ausland statt.

Die wichtigsten Exportprodukte waren 2002 Kupfer (35%), Nahrungs- und Futtermittel (9%), Obst (8%), Fisch und Fischereiprodukte (8%) und Zellstoff und Papier (6%). Aufgrund der Hausse bei den Rohstoffpreisen ist seitdem der Anteil des Kupfers bei insgesamt stark steigendem Export leicht auf etwa 40% gestiegen.

Handelspartner

Anteil ausgewählter Länder an Chiles Export (2002/04) [1]
Region Land Exporte Importe
Europa 27% 17%
EU 25% 16%
davon Deutschland 3% 4%
Asien 36% 19%
China 11% 8%
Japan 11% 3%
Lateinamerika 14% 38%
Argentinien 18%
Brasilien 4% 9%
Mexiko 5% 3%
NAFTA 22% 19%
USA 15% 15%
Rest der Welt 2% 6%

Wichtigster einzelner Handelspartner des Landes sind die USA, allerdings weist Chile eine sehr viel breiter gefächerte Struktur an Handelspartnern auf als andere südamerikanische Länder. Dies ist erstens darauf zurückzuführen, dass Chile aufgrund seiner geografischen Lage eine Schnittstelle zwischen Südamerika, Nordamerika (per Schiff ist die US-Westküste gut zu erreichen), Ozeanien sowie dem östlichen und südöstlichen Asien einnimmt. Ein zweiter Grund für Chiles breite Exportstruktur ist der weltweite Bedarf an chilenischem Kupfer. Drittens haben chilenische Agrarprodukte (insbesondere Obst und Wein) inzwischen weltweit einen hervorragenden Ruf.

Quelle: [2]

Außenhandelspolitik

Chile betreibt eine sehr selbstbewusste Außenhandelspolitik, die sich in erster Linie auf bilaterale Verhandlungen stützt.

So trat Chile als Gründungsmitlgied 1976 schon wieder aus der Andengemeinschaft (CAN) aus und ist nur assoziiertes Mitglied des Mercosur. In den letzten Jahren hat die Regierung Freihandelsabkommen mit der EU (2002), der NAFTA (2003) sowie den ostasiatischen Staaten Brunai, Südkorea und Singapur abgschlossen. Im September 2005 folgte der wichtigste Absatzmarkt China. Im Moment laufen Verhandlungen mit Japan und Indien. Bereits jetzt hat Chile Zollfreien Zugang zu Ländern, in denen insgesamt 2,4 Mrd. Menschen leben, die 3/4 des globalen BIPs erwirtschaften. Damit ist das Land auf den Gütermärkten die offenste Volkswirtschaft der Welt!

Geschichte

Staatswirtschaft und Importsubsitution

Die Weltwirtschaftskrise hatte im Exportland Chile gravierende Folgen. Zwischen 1929 und 1932 brach der Export um 70% ein und in der Folge sank die Wirtschaftsleistung um 46%. In der Folge begann Chile wie die meisten lateinamerikanischen Staaten, dem wirtschaftlichen Entwicklungskonzept der Importsubstitution zu folgen. Durch die Abschottung der Märkte mit Zöllen sollte die Binnenachfrage auf die eigene Industrie gelenkt werden und diese sich so entwickeln. Gleichzeitig wurde sukzessive der Wohlfahrtsstaat ausgebaut und der staatliche Einfluss auf die Wirtschaft gestärkt. Beide Entwicklungen wurden unter der Präsidentschaft von Salvador Allende noch beschleunigt. So sank der Anteil vom Importen am Angebot von 52 Prozent vor dem ersten Weltkrieg auf 25 Prozent in den 1960er Jahren. 1974 betrugen die Zölle bis zu 700% (andere Produkte waren dagegen zollfrei).

Der Sozialstaat gehörte Mitte des 20. Jahrhunderts zu den besten Lateinamerikas. Bis zu 79% der Bevölkerung (1974) waren von Sozialgesetzgebung abgedeckt, die Altersvorsorge (Umlageverfahren), Individialität, Berufsunfälle, Krankheit und Arbeitslosigkeit abdeckten. Ab Mai 1981 reformierte das Pinochet-Regime den Sozialstaat von Grund auf: Der Großteil der Sozialversicherung wurde privatisiert, Arbeitsgeberbeteiligung und Solidarausgleich wurden weitgehend abgeschafft, auch wenn es z.B. eine staatlich Garantierte Mindesrente gibt. Die Militärs und Polizei, die ja einen großen Teil des personals der Diktatur stellten, behielten ihre staatliche Vorsorgesysteme allerdings bei (und haben sie bis heute).

Neoliberale Wende und Stabilisierung

Mit dem Putsch von Augusto Pinochet 1973 wurde zunächst unter extremen sozialen Kosten wie Armut, Repression und Unterdrückung die Inflation erfolgreich gesenkt. Nach einem Besuch des amerikanischen Ökonomen Milton Friedman in Chile im Jahre 1975 konnte dieser die Militärführung von monetarisitsch-neoliberalen Reformen überzeugen. Die marktliberale Strömung innerhalb des Regimes behielt die Oberhand über eher nationalistisch-populistische Tendenzen. Statt einer nach innen gerichteten Entwicklung eröffnete das Pinochet-Regime die Periode der Exportorientierten Entwicklung in Südamerika. Mitte der 1980er Jahre bis Mitte der 1990er folgten alle südamerikanischen Länder Chile in dieser "Neoliberalen Wende". Die wirtschaftstheoretische Ideologie für diese Wende lieferten die Chicago Boys mit ihrem geistigen Vater Milton Friedman und der chilenische Finanzminister Hernán Büchi. Die damaligen Reformen gingen von der Idee aus, dass der Markt die meisten Probleme besser löse als Regierungsprogramme. In Chile äußerte sich das vor allem durch eine starke Exportorientierung, eine umfassende Liberalisierung und Deregulierung (der Staat zog sich aus vielen Bereichen der Wirtschaft zurück), eine wirtschaftspolitisch motivierte Privatisierung, auch von Infrastruktur, Bildungswesen und Gesundheitsversorgung sowie den Rückbau der staatlichen Sozialsysteme.

Durch die Senkung der staatlichen Aufgaben erreichte das Pinochet-Regime eine umfassende makroökonomische Stabilisierung; so konnte die Staatsverschuldung ebenso deutlich gesenkt werden wie die Inflation.

Exportorientierung und Deindustrialisierung Unmittelbar nach dem Putsch wurden alle Außenzölle einheitlich auf 10 Prozent gesenkt. Verbunden mit einer starken Aufwertung des Peso führte dies zu einer schnellen Deindustrialisierung des Landes, die bis heute fortwirkt: Noch heute ist der Anteil am BIP, den die Industrie erwirtschaftet, geringer als 1970 (23 Prozent im Vergleich zu 27 Prozent). 1980 war die Industrieproduktion nicht größer als zehn Jahr zuvor und die Anzahl der Beschäftigten ging sogar um 22 Prozent zurück. Während unter Pinochet das BIP insgesamt um durchschnittlich 3,4 Prozent pro Jahr wuchs, stieg der Ausstoß der Industrie nur um 1,9 Prozent jährlich. Die Folge war unter anderem, dass die Arbeitslosigkeit von 4,8 Prozent 1973 bald auf knapp unter 20 Prozent stieg und 1983 mit 30 Prozent ihren Höhepunkt erreichte.

Abbau des Sozialstaates Im Vergleich zu 1970 (also noch vor Allendes Reformen) waren 1975 die Ausgaben für Gesundheit um 33 Prozent niedriger, für Erziehung um 37 Prozent, für Wohnungsbau um 26 Prozent und für Versicherungen um 39 Prozent. Deutlich wird die neue Prioritätensetzung des Diktators: Statt 59 Prozent (1970) gab der Staat 1975 nur noch 32 Prozent seiner Mittel für Soziales aus. Die Löhne waren 1980 (also sieben Jahre nach dem Putsch) 17 Prozent niedriger als vor Allende.

Privatisierung und Staatsquote Erstaunlicherweise wurde die Staatsquote während der Diktatur nicht deutlich gesenkt. So betrug sie mit 34 Prozent 1980 deutlich mehr als mit 29 Prozent neun Jahre zuvor. Zwar wurden zahlreiche Betriebe privatisiert, darunter auch der Bildungsbereich, die Infrastruktur und die Wasserversorgung. Doch blieben die von Allende enteigneten Kupferminen Staatseigentum, wurden aber der parlamentarischen Kontrolle entzogen und die Erträge flossen direkt in das Budget des Militärs. Pinochets Privatisierungspolitik scheiterte vor allem im Finanzbereich zunächst kläglich: Nachdem die Institute in Folge der gravierenden Wirtschaftskrise Anfang der 1980er einen Großteil ihrer Kredite abschreiben mussten, war der Staat gezwungen, sie durch Zuschüsse und Bürgschaften unterstützen, um eine noch tiefer gehende wirtschaftliche Krise zu vermeiden. Dies führte zu einer De-facto-Verstaatlichung des gesamten Bankensektors führte somit die von Allende in Gang gesetzte Anbindung der Banken an den Staat paradoxerweise fort.

Makroökonomische Stabilisierung In diesem Kernanliegen des Monetarismus war Pinochet äußert erfolgreich: Er konnte die Inflation von 606 Prozent im Putschjahr innerhalb von vier Jahren auf 84 Prozent senken und bis 1981 auf nur noch zehn Prozent drücken. Auch drehte er das jährliche Staatsdefizit von horrenden 25 Prozent des BIP im Putschjahr in ein kleines Plus gegen Ende des Jahrzehnts.

Wachstum, Wohlstand und Armut

Wohlstandsverteilung unter Pinochet.
1969 1978 1988
20% ärmste 7,7 5,2 4,4
20% 12,1 9,3 8,2
20% 16,0 13,6 12,6
20% 21,0 20,9 20,0
20% reichste 43,2 51,0 54,9

Quelle: Handbuch der Dritten Welt, Band 2: 322.

Wie die Tabelle deutlich macht, wurden bei relativer Betrachtung 80 Prozent der Bevölkerung unter Pinochet ärmer. Besonders als mit der Krise Anfang der 80er Jahre die Arbeitslosigkeit explodierte, versank ein größer Teil der Bevölkerung in Armut. Chile gilt heute als eines der Länder mit der größten sozialen Ungerechtigkeit.

Krise 1981/82 und Aufschwung

Die Krise Die Erfolge waren in den 70er Jahren eher bescheiden. "Unter der Demokratie haben wir bessere Resultate geschafft", meint der ehemalige Chef-Volkswirt der chilenischen Zentralbank, Ricardo French-Davis. Mit dem durch die zweiten Ölkrise globalen Wachstumseinbruch fielen auch die Exportpreise für chilenisches Kupfer um 17,5% und Chile wurde 1981 in eine tiefe Rezession gerissen. 1982 brach die Wirtschaftsleistung um 14,2 Prozent ein und die Arbeitslosigkeit sprang im folgenden Jahr auf 30 Prozent. Der chilenische Peso wurde mehrmals deutlich abgewertet. Da sich - anders als der Staat - viele Privatunternehmen nach der Kapitalverkehrsliberalisierung durch die neue Regierung stark im Ausland verschuldet hatten (zwischen 1973 und 1981 stieg die Auslandsverschuldung von vier Mrd. US-Dollar auf 16 Mrd. US-Dollar an), führte die Abwertung zu zahlreichen Insolvenzen. Die Regierung musste die Schulden zahlreicher privater Banken übernehmen, um einen Zusammenbruch des Bankensektors und einen Bank Run zu verhindern. In der Folge stieg die Staatsquote über 34% und damit weit höher als unter dem Sozialisten Allende. Spöttisch wurde dieses drastische wirtschaftspolitische Versagen der eigenen Ideologie des Regimes als "Sozialismus á la Pinochet" bezeichnet.

Modifizierung der Wirtschaftspolitik Nach der "arroganten" Wirtschaftpolitik der 70er, als sich die Chicago Boys gegenüber jeglichen Interessengruppen (auch Unternehmerverbänden) regelrecht abschotteten, wurde die Wirtschaftspolitik deutlich modifiziert. Statt "Neoklassik aus dem Lehrbuch" wurde die Politik wesentlich pragmatischer und ging auch auf die Forderungen von Lobbygruppen ein. So wurden etwa Exportförderprogramme wie ProChile ins Leben gerufen. Als Reaktion auf die Bankenkrise wurde die Bankenaufsicht SBIF gegründet.

Rentenreform Ab Mai 1981 reformierte das Pinochet-Regime den Sozialstaat von Grund auf: Der Großteil der Sozialversicherung wurde privatisiert, Arbeitsgeberbeteiligung und Solidarausgleich wurden weitgehend abgeschafft, auch wenn es z.B. eine staatlich Garantierte Mindesrente gibt. Die Militärs und Polizei, die ja einen großen Teil des personals der Diktatur stellten, behielten ihre staatliche Vorsorgesysteme allerdings bei (und haben sie bis heute).

Erfolg Schon bald stabilisierte sich die Wirtschaft und Mitte der 1980er Jahre begann ein enormer Aufschwung, der bis Ende der 1990er Jahre anhielt. Die Wirtschaft wuchs um Durchschnitt jährlich um 7,9 Prozent, ist also zwischen 1986 und 1999 auf das zweieinhalbfache gewachsen. Milton Friedman prägte in diesem Zusammenhang den Begriff Wunder von Chile (er wunderte sich aber weniger über den Erfolg der Reformen als über die Konsequenz, mit der das Regime die Reformen durchhielt). Auch deshalb war Pinochet (wie die meisten Beobachter) überrascht, als die Chilenen ihn 1988 in einem Referendum abwählten. Trotz allen Erfolges waren die Reallöhne 1988 immer noch 10% niedriger als 1970.

Nach Pinochet

In den letzten Monaten der Dikatur versuchte das Regime, die Wirtschaftsordnung unabänderlich festzuschreiben. Zahlreiche Unternehmen wurden privatisiert und die Zentralbank in die Unabhängigkeit entlassen. Der Präsident der Zentralbank sollte fortan vom Militär bestimmt werden. All diese Vorsichtsmaßnahmen erwiesen sich als weitgehen unnötig: Die nachfolgenden demokratischen Regierungen haben am marktorientierten, monetaristischen, rein marktbasiertem und exportorientiertem Wirtschaftsmodell durchgehend festgehalten. So wurden die Häfen und die Wasserversorgung in den 90er Jahren privatisiert. Bis heute gibt es keine fundamentale Verbesserung des Sozialstaates, die Bildung ist weitgehend privatisiert und die Einkommensverteilung ist weiterhin extrem ungleich. Dafür beschleunigte sicher der Wirtschaftsaufschwung noch, infolge dessen die Armut in den 90ern halbiert werden konnte (Economist). Ökonomisch war Chile in diesem Zeitraum das mit Abstand erfolgreichste Land des Kontinents.

Asienkrise

1997 und 1998 kam es in Ostasien, Russland und Brasilien zu schweren Wirtschaftskrisen.

Ursachen Mit den Wirtschafts- und Währungskrisen in Südostasien brachen die Rohstoffexporte in diese Region ein, die immerhin etwa ein Drittel des Exportvolumens ausmachen. Durch die dortige Abwertung wurden die Tigerstaaten außerdem zu noch wettbewerbsfähigeren Konkurrenten. Des weiteren wurden auch die Südamerikanischen Nacharn mit in die Rezession gezogen. Das BIP des Kontinents wuchs 1997 noch um 5,2%, im folgenden Jahr nur noch um 2,3% und 1999 schrupmfte es um 0,5%. Nach Südamerika geht ein Fünftel von Chiles Exporten. Insgesamt gingen die Preise für chilenische Exportgüter um 24% zurück (das ist fast doppelt so viel wie in der schweren Krise 1982/83), alleine die für Kupfer um 30% (verglichen mit 17,5% 17 Jahre zuvor). Weniger aussschlaggebend war die Abnahme des Kapitalzuflusses nach Chile, da das Land in den 90ern eher von zu viel Kapitalzufluss bedroht war. Nun konnte die Regierung die sogenannten unremunerated reserve requirements (deutsch Bardepot), ein Instrument zur Dämpfung des Kapitalzuflusses, abschaffen.

Wirtschaftseinbruch Die Folgen für die chilenische Wirtschaft waren gravierend, aber nicht dramatisch. Über zwei Jahre sank das BIP um 3%, die Arbeitslosigkeit stieg von 5% auf 11% und der Peso wertete um 16% gegenüber dem US-Dollar ab. Bei der letzten Krise hatte der BIP-Rückgang (trotz eines kleineren Schocks) noch 14% betragen und die Arbeitslosigkeit war auf 30% gestiegen. Chiles Volkswirtschaft ist also wesentlich resistenter gegenüber externen Schocks als Anfang der 80er Jahre.

Reaktion von Regierung und Zentralbank Die Zentralbank reagierte sofort mit einer massiven Zinserhöhung von 7% auf 14%, um einen Kapitalabfluss zu vermeiden und den Peso zu stabilisieren (schließlich brachen ja gerade weltweit die Währungen von Schwellenländern ein). Anders als im Rest Lateinamerikas (vor allem Brasilien) kam es jedoch nicht zu beunruhigenden Abflüssen. Die Zinserhöhung trug jedoch kurzfristig nicht unerheblich zu Wachstumseinbruch und Arbeitslosigkeit bei. Schon kurze Zeit später wurden die Zinsen wieder auf 5% gesenkt und die Regierung reagierte mit keynesianischer Nachfragepolitik. Das erste Mal seit Jahren wies der Staatshaushalt ein Defizit von 1,5 Prozent des BIP aus. Die Wirtschaft konnte so stabilisiert werden und wuchs nach 3,2% im Jahr 2003 im folgenden Jahr schon wieder um 5,8%.

Untypisch für Lateinamerika ist, dass im Verlaufe der Wirtschaftskrise sowohl der wirtschaftspolitische Kurs beibehalten wurde, als auch zu keinem Zeitpunkt die Gefahr eines Putsches bestand.

Rohstoffboom

Mit dem globalen Aufschwung ab 2001 und der Explosion der chinesischen Rohstoffimporte stiegen die Preise auch für Kupfer sprunghaft an. In nur vier Jahren stieg der Preis für ein englisches Pfund Kupfer an der Londonder Rohstoffbörse von 0,73 Pfund Sterling auf 1,88 Pfund im Oktober 2005 an. In Folge dessen beträgt der Exportanteil von Kupfer heute wieder 45% und die Wirtschaft boomt. Langfristig verstärkt dies die Gefahr, dass eine Diversifikation und Industrialisierung von Wirtschaft und Exporte weiterhin zu gunsten einer von Rohstoffen getragenen Entwicklung unterbleibt.

Probleme und Risiken

Soziale Lage

Chile ist im südamerikanischen Vergleich relativ wohlhabend und in den 90er Jahren bei der Bekämpfung der Armut das erfolgreichste Land des Kontinents gewesen. Trotzdem bleibt Chile, wie fast alle Länder der Region, ein Land mit einer extrem ungleichen Verteilung an Wohlstand. 1994 erhielt das ärmste Fünftel der Bevölkerung 4,6% des Volkseinkommens, das Reichste 56,1%, also 13 mal so viel. Damit ist Chile kein Sonderfall: In Brasilien betrug das Verhältnis sogar 24, in Mexiko 14 und in Venezuela 10. Selbst relativ ungleiche Industriestaaten wie die USA weisen hier mit einem Faktor 9 ein deutlich gerechteres Bild auf, gar nicht zu reden von Deutschland mit 6 oder Japan mit 4. Auch Ostasiatische Schwellenländer wie Südkorea (6) oder Thailand (8) verteilen ihr Volkseinkommen sehr viel egalitärer. (Quelle: Ramos, Joseph: Poverty and Inequality in Latin America) Man kann grob sagen, dass die Armut in Lateinamerika etwa halbiert würde, wenn das Einkommen genauso gerecht verteilt würde wie in den Tigerstaaten.

Die Población Nogales in Santiago

In den Städten, vor allem in Santiago, leben fast die Hälfte der Bevölkerung in Armenvierteln (Poblaciones). Zwar ist die Armut in den 90er Jahren deutlich gesunken, doch bleibt der Sozialstaat in Chile auch unter den demokratischen Regierungen rudimentär.

Chile im Human Developement Index (HDI)
1975 1980 1985 1990 1995 2000 2003
Chile 0,704 0,739 0,763 0,785 0,816 0,843 0,854

Umwelt

Korruption

Korruption ist in Chile ein sehr viel geringeres Problem als im Rest von Lateinamerika. Gründe sind die marktwirtschaftlichen Strukturen, ein funktionierendes Justizsystem und relativ gut arbeitenden demokratische Institutionen. Der Index der Nichtregierungsorganisation Transparency International weist Chile unter den amerikanischen Ländern nach Kanada und den USA den dritten Platz zu.

Chile im Korruptions-Wahrnehmungs-Index von TI.
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005
Score 7,9 6,8 6,1 6,8 6,9 7,4 7,5 7,4 7,4 7,3
Rang 23 (von 52) 20 (von 85) 19(von 99) 18 (von 90) 17 (von 102) 20 (von 133) 20 (von 145)

Makroökonomische Daten

Auslandsschulden

Die Staatsschulden Chiles betragen gerade einmal 15% des BIP, und davon ist nur die Hälfte im Ausland aufgenommen. Dafür ist der private Sektor (Unternehmen, Banken und Haushalte) mit mehr als 33% des BIP im Ausland verschuldet. [3]

Vergleich in Südamerika

Ein Vergleich von vier wichtigen makroökonomischen Kennzahlen Südamerikanischer Länder. Stand: 2003/2004.
Land BIP ($) je Einwohner Kaufkraftparität Wirtschaftswachstum (%) Staatsverschuldung % des BIP Export ($) je Einwohner
Argentinien 12.352 8,00 67,50 755
Bolivien 2.560 2,50 171
Brasilien 8.104 -0,20 58,50 398
Chile 10.686 3,30 14,80 1.292
Ecuador 3.747 2,50 53,70 460
Kolumbien 6.644 3,70 51,90 306
Paraguay 4.834 1,80 45,10 440
Peru 5.638 4,00 49,20 325
Uruguay 14.494 2,50 637
Venezuela 5.804 -9,20 38,80 1.034
Zum Vergleich: Mexiko 9.593 1,30 23,10 1.570
Zum Vergleich: Deutschland 28.666 0,90 64,20 8.815

Quelle

Siehe auch

CIA World Factbook Der TI-Korruptionsbericht 2005 zu Amerika

Literatur