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Waldglashütte im Reiherbachtal

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Ausgrabung der Waldglashütte im Reiherbachtal, Sommer 2013

Die Waldglashütte im Reiherbachtal, auch als Glashütte Kreickgrund I bezeichnet, war eine spätmittelalterliche Glashütte, die im Tal des Reiherbachs zwischen Polier und Bodenfelde im Solling lag. Die Relikte der Glashütte, die während des 15. Jahrhunderts Waldglas herstellte, liegen heute im Erdreich einer Wiese an einem kleinen Bachlauf. Seit dem Jahr 2012 wird die Stelle, an der sich oberirdisch keine Baulichkeiten erhalten haben, von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg archäologisch untersucht.

Lage

Reiherbachtal im Bereich des Kreickgrundes mit Bachlauf und Grabungstelle

Die Waldglashütte lag etwa zwei Kilometer nördlich von Bodenfelde in dem vom Reiherbach durchflossenen Reiherbachtal östlich der Landesstraße 551 auf 150 Meter ü. NN. Die Fundstelle befindet sich in Höhe des Kreickgrundes, einem östlichen Nebental des Reiherbachtals. Unmittelbar an der früheren Glashütte führt ein kleiner Bach vorbei, der oberhalb an der Erhebung Heidkopf entspringt und den Kreickgrund durchfließt.

Allgemeines

Im näheren Umfeld von Bodenfelde finden sich in Tälern und höher gelegenen Waldbereichen mindestens 11 frühere Glashüttenstandorte. Das Gebiet zwischen Bodenfelde und Nienover diente über Jahrhunderte als Standort für Waldglashütten.[1]

Im Solling tauchen mittelalterliche Waldglashütten bereits im 12. Jahrhundert auf. In der spätmittelalterlichen Wüstungsperiode im 14. Jahrhundert ist eine Hüttentradition kaum noch nachweisbar, während in der frühen Neuzeit im 16. Jahrhundert eine neue Produktionsphase einsetzte. Bis ins 20. Jahrhundert gehörte das waldreiche Weserbergland einschließlich des Sollings zu den wichtigsten Herstellungsgebieten von Glas in Europa. Die Glasmacherei war hier ein exportierendes Spezialgewerbe, dem eine überregionale und internationale Bedeutung zu kam. Die Hütten lagen meist in abgelegenen Waldgebieten, die für andere Zwecke, wie die Jagd, wenig lohnenswert waren. Nicht unerheblich profitierten die Landesherren als Grundeigentümer des Waldes vom Hüttenzins. Nach einer Nutzungsdauer von maximal 25 Jahren wanderten die Waldglashütten weiter, wenn die Holzvorräte in der näheren Umgebung aufgebraucht waren.

In der Glashüttenforschung ist die Erkenntnislage zu den vorindustriellen Produktionsanlagen der Waldglashütten noch unzureichend. Dies liegt am schlechten Erhaltungszustand der Bodenrelikte. Von den Glasöfen bleiben häufig nur die untersten Teile der steinernen Fundamente und (wie in diesem Fall) ein mit Ziegeln ausgelegter Boden erhalten. Damit lassen sich zwar die Umrisse und die Anordnung der Öfen rekonstruieren, doch die Bauweise der höher gelegenen Ofenteile kann nur vermutet werden. Es ist anzunehmen, dass die zum Teil schlechte Fundlage auch auf die damaligen Glasmacher zurückzuführen ist. Nach der Aufgabe der Hütte könnten sie die Anlage demontiert oder zerstört haben, um ihr Betriebsgeheimnis zu hüten.

Entdeckung

Den Standort der Waldglashütte im Reiherbachtal entdeckte ein Heimatforscher im Jahre 2004 während der Suche nach einer Wüstung.[2] Ihm war eine Urkunde des Herzogs Otto der Einäugige des Fürstentums Göttingen bekannt,[3] die die Übereignung einer Mühle an das Kloster Lippoldsberg in der später wüst gefallenen Siedlungsstelle Bredenbeke[4] zum Inhalt hat. Sie konnte der Heimatforscher im Reiherbachtal lokalisieren, als er in Bachnähe auf Steinfundamente von früheren Gebäuden stieß und mittelalterliche Keramik fand. Da er im Bachbett auch einen Stein mit Glasschmelzresten fand, was auf eine Glashütte hinwies, suchte er bachaufwärts weiter. Rund 100 Meter von der Wüstungsstelle entfernt, stieß er auf einer Wiese auf die Reste einer Waldglashütte. Im Gelände war noch die flache Erhebung eines Ofenhügels sichtbar und im Bachbett lagen Scherben von Hafenöfen. Die Fundstelle trägt die offizielle Bezeichnung Glashütte Kreickgrund I und ist als Bo 5 (Bodenfelde) klassifiziert. Im Tal des Kreickgrundes finden sich höher gelegen mit Kreickgrund 2 und Kreickgrund 3 bzw. Bo 6 und Bo 7 zwei weitere Fundstellen von einstigen Glashütten.[5]

Ausgrabung 2012

Eine erste Ausgrabung führte das Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas (IKARE) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Jahre 2012 durch. Sie erfolgte als Lehr- und Forschungsgrabung durch den Archäologen Hans-Georg Stephan mit rund 15 Studierenden. Zuvor war auf dem Gelände eine geophysikalische Prospektion mit den zerstörungsfreien Methoden der Geoelektrik und Geomagnetik vorgenommen worden. Damit können Besonderheiten oder Veränderungen im Boden festgestellt werden, wie menschliche Bodeneingriffe durch die Errichtung von Gebäuden oder Ofenstellen. Im Boden konnten die Strukturen der ehemaligen Glashütte mit mindestens drei Öfen erkannt werden. Bei der Grabung bis in einem Meter Tiefe wurden Grundmauern von Brennöfen und mit Glas durchsetzte Steine und Glasscherben gefunden. Die Funde lassen darauf schließen, dass die Glashütte in der Zeit von 1420 bis 1460 Glasgefäße für den alltäglichen Gebrauch und Fensterglas herstellte. Dazu zählen blaue und rote Farbgläser, die für Kirchenfenster genutzt wurden. Ein gefundener Silberpfennig aus Bremen entstammt der Zeit um 1420; er kam anscheinend auf dem Schiffswege über die Weser in die Region.

Ausgrabung 2013

Ausgrabungsgelände nach Ende der Grabung, Herbst 2013

Bei der Grabung im Jahre 2013, wiederum mit etwa fünfzehn Studierenden der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, wurden die Reste von zwei Glasnebenöfen entdeckt, die stark zerstört waren. Vermutlich sind die Öfen und die Produktionshalle nach Betriebsende abgetragen worden. Die Größe des Betriebsareals lässt darauf schließen, dass zwei Glasmeister in der Hütte tätig waren. Der Fund eines Dachziegels weist darauf hin, dass zur Glashütte feste Gebäude gehörten, die eingedeckt waren. Da Waldglashütten üblicherweise nicht länger als 25 Jahre bestanden, ist die massive Bauweise ein Indiz für einen einst lohnenswerten Betrieb.

Die Ausgräber untersuchten auch eine unterhalb der Glashütte am Bachrand entdeckte Halde mit Produktionsresten. Darunter befand sich grünliches sowie blaues und rot überfangenes Glas. Des Weiteren wurden in der Abfallhalde Fragmente von großen und dickwandigen Hafenöfen festgestellt. Die Funde belegen, dass in der Hütte Flach- und Hohlglas hergestellt wurde. Die Grabungsergebnisse bestätigten die bereits im Jahr 2012 vorgenommene Datierung der Hütte in das 15. Jahrhundert. Die Einschätzung beruht aufgrund der vorgefundener Gebrauchskeramik sowie technischer Keramik, wie auch von Hafenöfen und Glasresten.

Ausgrabungsbereich der früheren Halden mit Produktionsabfällen direkt am Bachlauf

Die Grabungskampagne 2013 war ursprünglich auf acht Wochen angesetzt und wurde wegen der ausgiebigen Fundlage um zwei Wochen verlängert. Im Jahr 2014 ist eine weitere Ausgrabung geplant.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Karte mit Standorten von 11 Waldglashütten bei Bodenfelde
  2. Roland Henne: Standorte mittelalterlicher Waldglashütten im Hochsolling und im Raum Bodenfelde (Teil II) in: Sollinger Heimatblätter 1/2005, S. 14 ff.
  3. Über 200 Glashütten gibt es im mittelalterlichen Weserbergland in: Täglicher Anzeiger Holzminden vom 13. Oktober 2010
  4. Hans-Georg Stephan: Der Solling im Mittelalter. Archäologie, Landschaft, Geschichte im Weser- und Leinebergland. Siedlungs- und Kulturlandschaftsentwicklung. Die Grafen von Dassel und Nienover: Wüstungen und mittelalterliche Siedlungen im und am Solling S. 446, Wüstungsliste S. 468
  5. Hans-Georg Stephan: Der Solling im Mittelalter, Übersicht Waldglashütten S. 522

Koordinaten: 51° 39′ 38″ N, 9° 32′ 47,9″ O