Katjuscha (Lied)

Katjuscha (russisch Катюша, „Katharinchen“) ist ein russisches Liebeslied. Der Text wurde 1938 von Michail Issakowski (1900–1973) geschrieben, die Melodie stammt von Matwei Blanter (1903–1990). Ebenso wie Moskauer Nächte, Dorogoi dlinnoju (internationale Version: Those Were the Days) und einige andere russische Schlager entwickelte sich Katjuscha zu einem beliebten Liedklassiker, der bis heute populär geblieben ist und von vielen Künstlern – unter anderem dem deutschen Folklore- und Schlagerinterpreten Ivan Rebroff – interpretiert wurde. Die russische Bezeichnung des Mehrfach-Raketenwerfers Katjuscha, auf Deutsch unter dem Begriff Stalinorgel bekannt, geht auf dieses Lied zurück.
Geschichte
Katjuscha entstand 1938 als Schlagerkomposition im Rahmen der offiziellen sowjetischen Estrada-Unterhaltungsmusik. Den Text stammte von Michail Issakowski, die Musik von Matwei Blanter. Beide waren im sowjetischen Musikbetrieb etablierte Größen. Issakowski hatte bereits eine Reihe bekannter Schlagertexte verfasst. Blanter, der während seiner Laufbahn auch Partisanenlieder vertonte und 1946 für sein Werk den Stalinpreis erhielt, forcierte in stilistischer Hinsicht einen Mittelkurs zwischen traditionellem Folklore-Liedgut und stärker urban geprägten modernen Schlagern. Textlich war Katjuscha simpel gehalten. Das Lied thematisierte die Sehnsucht einer jungen Frau, die darunter leidet, dass ihr Geliebter im Krieg ist. Der titelgebende Vorname Katjuscha ist eine liebevolle Verkleinerungsform des russischen Namens Ekaterina (Екатерина). Uraufgeführt wurde das Stück am 27. November 1938 im Moskauer Haus der Gewerkschaften. Die Orchesterleitung hatte Victor Knuschewitzki; Sängerin war Walentina Batischtschewa.[1][2]
Nachhaltige Popularisierung sowie weltweite Verbreitung erfuhr Katjuscha anlässlich des Angriffs der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion und des dadurch ausgelösten Großen Vaterländischen Kriegs. Die Popularität des Liedes während der Kriegsjahre geht angeblich auf einen Studentinnenchor einer Moskauer Industriehochschule zurück, der an die Front ausrückende Soldaten im Juli 1941 mit dem Lied verabschiedete.[3] Zur offiziellen Kriegshymne der Sowjetunion avancierte allerdings Wstawaj, strana ogromnaja (Steh auf, du Riesenland; englischer Titel: The Sacred War) – ein Stück, das eigens zu diesem Zweck komponiert und bereits einen Monat zuvor bei einer früheren Soldatenverabschiedung gespielt worden war.[4] Bis Kriegsende wurde Katjuscha von unterschiedlichen Interpreten und Formationen interpretiert – unter andem der bekannten Folkloresängerin Lidija Ruslanova und dem Chor der Roten Armee. Der Überlieferung zufolge geht der Name des sowjetischen Katjuscha-Raketenwerfers ebenfalls auf das Lied zurück.[5] Was die Bedeutung für die Soldaten an der Front anbelangt, veranschlagen Historiker Katjuscha ähnlich hoch wie den bekannten deutschen Weltkriegsschlager Lili Marleen.[2]

Text und Melodie von Katjuscha verbreiteten sich während der Kriegsjahre in ganz Europa. Eine der bekanntesten Adaptionen ist das 1943 entstandene italienische Partisanenlied Fischia il vento.[2] Der Text stammte von dem Arzt und Resistenza-Aktivisten Felice Cascione. Anders als das russische Original war Fischia il vento ein reines Mobilisierungs- und Kampflied. Nach Bella Ciao ist es bis heute das wohl bekannteste italienische Partisanenlied. Zwei bekannte, später eingespielte Versionen stammen von der Sängerin und Schauspielerin Milva (1966) sowie der sich ebenfalls politisch links einordnenden Folkrockband Modena City Ramblers (1995). Adaptiert wurde Katjuscha auch von der griechischen Partisanenbewegung. Während des Griechischen Bürgerkriegs 1946 bis 1949 war die Katjuscha-Melodie Basis der Hymne der kommunistischen Widerstandsbewegung EAM. Schriftlich festgehalten, vertont und eingespielt wurde diese Variante erst später – unter Ägide des Komponisten Thanos Mikroutsikos und gesungen von Maria Dimitriadi. Während und nach dem Krieg etablierte sich auch eine hebräische Version. Besonders populär war das Lied bei jungen israelischen Pionieren und in Kibbutzim. Der hebräische Text von Katya ging auf den Schriftsteller Noah Pniel zurück, der ihn 1940, vor seiner Flucht aus Litauen niedergeschrieben hatte. Ebenso wie andere russische Lieder war Katjuscha in Israel sehr populär und wird auch heute noch gern gesungen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich an der Popularität des Liedes nur wenig. In der DDR war Katjuscha fester Bestandteil des antifaschistischen Liedrepertoires. Zusätzlich befördert wurde seine Verbreitung durch den Gedanken der sozialistischen Völkerfreundschaft und der engen Verbundenheit mit der Sowjetunion. Verbreitet in der DDR war eine textlich leicht abgewandelte Version, die auf einer freien Übersetzung des Originals basierte. Auf Tonträger eingespielt wurde diese unter anderem vom Rundfunk-Jugendchor der DDR sowie der Singgruppen-Formation Oktoberklub. Im Westen erfuhr das Lied ebenfalls zahlreiche Einspielungen. Eine frühe aus dem Jahr 1945 stammt von dem US-amerikanischen Jazz-Musiker und Swing-Entertainer Nat King Cole. In der Bundesrepublik nahm der auf russische Folklore spezialisierte Sänger Ivan Rebroff das Stück mit in sein Repertoire auf. Auf Diskothekenhit getrimmt, mit neuem Text und unter dem Titel Casatschock stürmte die Katjuscha-Melodie 1969/70 die Hitparaden. Die Uraufnahme der Casatschock-Variante stammte von der italienischen Sängerin Dori Ghezzi. Die französische interpretierte die aus Israel stammende Sängerin Rika Zaraï, die spanischsprachige der Franzose Georgie Dann und die deutschsprachige – mit dem Zusatztitel Petruschka – die Schlager- und Popsängerin Dalida. Unter dem Originaltitel Katjuscha spielten in der ersten 1970er-Hälfte auch Karel Gott sowie Peter Alexander eingedeutschte Schlager-Varianten ein.[6]
Der Fall des Eisernen Vorhangs unterstützte nicht nur die grenzüberschreitende Verbreitung, sondern auch eine stilistische Auffächerung der Interpretationen. Im Westen wurde das Stück als bekannter russischer Schlager adaptiert. Eine bekannte Version spielte 1991 die finnische Band Leningrad Cowboys ein – zunächst solo, zwei Jahre später anlässlich eines Live-Konzerts zusammen mit dem Chor der Roten Armee. Auch in der Punk- und Folkpunk-Szene wurde Katjuscha von unterschiedlichen Bands adaptiert. 1991 erschien unter dem Titel Heut nacht eine Punkrock-Version der Duisburger Band Dödelhaie. Die aus Potsdam stammende Band 44 Leningrad nahm den Song ebenfalls in ihr Repertoire auf. In einem Interview führte sie die Beliebtheit von Stücken wie Katjuscha oder Partisanen vom Amur auf eine gewisse Ostalgie-Stimmung zurück, welche in den neuen Bundesländern verbreitet sei und der zufolge entsprechende Lieder beim Publikum eben gut ankämen. Allerdings betonte die Band, dass die moderne Interpretationsweise mindestens ebenso wichtig sei. Ihre Einschätzung: „Wir haben es geschafft, eine ganz typisch östliche Geschichte mit dem Westen zu verbinden. Eine Brücke zu bauen, die es noch nicht gab.“[7]
In der GUS sowie anderen Ländern des ehemaligen Warschauer Pakts transportiert das Lied bis heute mit die Erinnerung an die leidvollen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg sowie das durch den Sieg wieder aufgerichtete Selbstbewußtsein. So gibt es x-hunderte von Estrada-, Orchester- und Karaoke-Einspielungen. Beispiele für der herkömmlichen Estrada verhaftete Künstler sind Georgi Vinogradow, Sarah Gorby, Eduard Chil, Anna German, Dmitri Chworostowski und Vitas. Darüber hinaus existieren unterschiedliche Interpretationen im Bereich Rock, Elektronische Musik, Techno und House (beziehungsweise Popsa, der russischen Variante). Neuere Versionen spielten unter anderem die estnische Ethnopop-Formation Camille & The Band, die bulgarische Sängerin Dessy Dobreva, die Electronic-Formation Global Planet, die Folkpunk-Band Red Elvises und die tschechische Punkband Zina & The Stereophonic Punx ein. Kommerziell erfolgreiche, international bekanntgewordene Neueinspielungen im Bereich der Dance Music stammen von der Gruppe Moskwa Beat (2000) und der House-Formation The A.R.T (2005). Von Fans der russischen Fußball-Nationalmannschaft wird die Katjuscha-Melodie regelmässig als Stadion-Mitsinghymne verwendet. Weltweit dürfte die Anzahl der eingespielten Versionen im vierstelligen Bereich liegen – darunter auch chinesische und japanische. Als Thema beziehungsweise Melodiezitat wurde das Lied in dem US-Kriegsfilm Die durch die Hölle gehen und der deutschen Produktion Der Untergang verwendet, ebenso in der japanischen Anime-Serie Mädchen und Panzer sowie dem Nintendo-Spiel Super Dodge Ball.
Text

Foto: William P. Gottlieb (um 1946)
Bedingt unter anderem durch die Schwierigkeiten, Angaben in Kyrillischer Schrift ins Lateinische zu übertragen, existieren unterschiedliche Schreibweise. Im Deutschen ist Katjuscha (mit „j“ und „sch“) am geläufigsten, im Angelsächsischen Katjusha (ohne „c“ im „sch“) oder auch Katyusha (mit „y“ und „sh“). Katiusha (Spanisch), Katioucha (Französisch) und Katiusza (Polnisch) sind sprachlich bedingt ebenfalls weit verbreitet. Entsprechend den zahlreichen Abwandlungen und Adaptionen von Katjuscha kursieren auch unterschiedliche Textversionen. Die beiden bekanntesten – das italienische Partisanenlied Fischia il vento sowie der Disko-Hit Casatschock – verwenden lediglich die ursprüngliche Melodie. Der Text von Casatschock ersetzte den ursprünglichen Lied-Inhalt durch gängige, allgemein gehaltene Klischees über Sehnsucht, Wein sowie spielende Balalaikas. Als zusätzliches, musikalisch vom Original abweichendes Element führt er im Refrain das Element des Kosakentanzes Kasatschok ein. Ähnlich frei verfuhren auch andere Schlager-Eindeutschungen. Die in der DDR gängige Version hingegen orientierte sich textlich eng am Original an und passte diesen lediglich für die neue Songstruktur an. Hier die Gegenüberstellung von russischer Originalversion, Transkription in lateinische Schrift sowie die deutsche Übersetzung.
Original | Transkription | Übersetzung |
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Расцветали яблони и груши, Поплыли туманы над рекой. |
Raszwetali jabloni i gruschi, |
Die Apfel- und die Birnbäume erblühten, |
Выходила, песню заводила Про степного, сизого орла, |
Wychodila, pesnju sawodila |
Sie ging hinaus und sang ein Lied |
Ой ты, песня, песенка девичья, Ты лети за ясным солнцем вслед. |
Oi ty, pesnja, pessenka dewitschja, |
Ach, du Lied, du kleines Lied eines Mädchens, |
Пусть он вспомнит девушку простую И услышит, как она поёт, |
Pust on wspomnit dewuschku prostuju |
Er soll an sein einfaches Mädchen denken |
Bekannte Versionen (Auswahl)
- 1938: Orchester Victor N. Knushevitsky (Gesang: Valentina Batishcheva) – Katjuscha (Uraufführung, russisch)
- 1941: Lidija Rusanova – Katjuscha (russische Version)
- 1945: Nat King Cole – Katyusha (US-amerikanische Jazz-Version)
- 1965: Hootenanny Singers – Katjusha (finnische Version)
- 1966: Milva: Fischia il vento (bekannte Einspielung der italienischen Partisanenlied-Variante)
- 1966: Hein & Oss - Katjuscha (russische Version)
- 1969: Dori Ghezzi – Casatschock (italienische Version)
- 1969: Rika Zaraï – Casatschock (französische Version)
- 1969: Georgie Dann – Casatschock (spanische Version)
- 1969: Peter Alexander – Katjuschka (deutsche Version)
- 1969: Dalida – Petruschka (Casatschok) (deutsche Version)
- 1974: Karel Gott: Katjuscha (deutsche Version)
- 1990: Erste Allgemeine Verunsicherung: Einer geht um die Welt
- 1991: 44 Leningrad: Katjuscha (Speedfolk-Version)
- 1991: Dödelhaie: Heut nacht (deutschsprachige Punk-Adaption)
- 1991: Leningrad Cowboys: Katjuscha (Rock-Version)
- 1995: Modena City Ramblers: Fischia il vento (Folkpunk-Version)
- 2000: Moskwa Beat – Katjuscha (russisch; Euro-House-Version)
- 2005: The A.R.T.: Katjuscha (russische Version)
Einzelnachweise
- ↑ „Katjuscha“: I pesnja, i oruschije, Gorodok Nr. 46, S. 5, 16. November 2007 (PDF; russ.; 5,4 MB)
- ↑ a b c „Stalinorgel“ und Katjuscha. Geschichte eines Liedes und einer Waffe, Wolf Oschlies, shoa.de, aufgerufen am 25. Mai 2013
- ↑ Katyusha (song), Musikquellen-Vergleichsseite TopShelfReviews, aufgerufen am 25. Mai 2013 (engl.)
- ↑ Die Sowjetunion am 22. Juni 1941, Winfried R. Garscha, Weg und Ziel, Ausgabe 6/1991 (Online-Version)
- ↑ Die zweite Sendung. „Katjuscha“, Radio Stimme Russlands, 31. August 2010
- ↑ Katjuscha, Versionen-Auflistung bei Coverinfo.de, aufgerufen am 26. Mai 2013 (Titel muß in Suchmaske eingegeben werden)
- ↑ 44 Leningrad – Presseschau, Webseite von 44 Leningrad, aufgerufen am 25. Mai 2013