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Ethem Sarısülük

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Luftaufnahme des Taksim-Platzes.

Die Proteste in Istanbul im Jahr 2013 richten sich gegen die politische Führung der Türkei. Die Protestwelle begann am 28. Mai 2013 und bezog sich zunächst auf ein Bauprojekt am Gezi-Park, der unmittelbar an den Taksim-Platz in Istanbul angrenzt. Nach einer Eskalation des Konfliktes in Folge eines als unangemessen beschriebenen Polizeieinsatzes begehrten die Demonstranten direkt gegen die als autoritär empfundene Politik der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP auf.[1][2][3]

In den Medien werden die Proteste, in Anlehnung an den Arabischen Frühling, teilweise auch als „Türkischer Frühling“ bezeichnet.[4][5] Mehrere Demonstranten trugen während der Besetzung des Taksim-Platzes Guy-Fawkes-Masken,[4] weshalb unter anderem auch von „Occupy-Gezi“ die Rede ist.[6][7][8]

Hintergrund

1940 abgerissene Topcu-Kaserne.

Auf einem Teil des Taksim-Platzes im Istanbuler Stadtteil Beyoğlu stehen im Gezi-Park Bäume, die etwa 70 Jahre alt sind. Es handelt sich dabei um die letzte verbliebene Grünfläche mit Bäumen in der Innenstadt der türkischen Metropole. Die Stadtverwaltung Istanbuls möchte die Bäume fällen, um Platz für den geplanten Bau eines Einkaufszentrums zu schaffen, dessen Fassade an die dort im Jahre 1940 abgerissene Topcu-Kaserne erinnern soll. Der Protest richtet sich auch gegen andere Großprojekte wie etwa eine weitere Brücke über den Bosporus oder den Bau eines dritten Flughafens in Istanbul.[9]

Verlauf der Ereignisse

Demonstration in Beyoğlu.
Ausschreitungen in Beyoğlu.
Polizeibeamte auf dem Taksim-Platz.

28. Mai

Am Morgen des 28. Mai 2013 versammelten sich etwa 50 Menschen am Gezi-Park, um das Fällen der Bäume zu verhindern.[10] Bagger waren dabei, die Mauern des Parks abzutragen, bis dieses Vorhaben durch den Abgeordneten Sırrı Süreyya Önder gestoppt wurde. Mit Hilfe der Zabıta konnte der Platz jedoch vorerst teilweise geräumt und der Abriss fortgesetzt werden. Obwohl es keinen physischen Widerstand gab, kam Tränengas durch die Polizei zum Einsatz.[11][5]

29. Mai

Am 29. Mai versammelten sich nach Bekanntwerden des Verhaltens der Polizeibeamten gegenüber den Demonstranten weitere Menschen, die Zelte aufschlugen, um den Gezi-Park zu besetzen.[12][13] Von den Demonstranten wurde für den Tag ein Programm organisiert; es war vorgesehen, sich um 7:30 Uhr am Gezi-Park zu treffen, um 12:30 Uhr eine Presseerklärung abzugeben, um 18:00 Uhr ein Konzert und um 22:00 Uhr einen Film vorzuführen.[14] Im Laufe des Tages schlossen sich weitere prominente Personen des öffentlichen Lebens wie die zweite Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP) Gürsel Tekin, der Sänger Can Bonomo sowie die Schauspieler Memet Ali Alabora und Okan Bayülgen. Weiterhin teilte der Hauptdarsteller des Historienfilmes Fetih 1453, Devrim Evin, mit, die Premiere des Filmes am 29. Mai nicht besuchen zu werden.[15]

30. Mai

Um 5:00 Uhr kam es seitens der Polizei am 30. Mai erneut zu Übergriffen auf Demonstranten. Kurz darauf folgten Presseerklärungen der CHP und BDP. Eine weitere Presseerklärung um 10:00 Uhr wurde durch das Eingreifen der Polizei verhindert.[16] Aus Protest gegen dieses Vorgehen stieg die Zahl der Demonstranten am Taksim-Platz bis zum Abend an.[17]

31. Mai

Am 31. Mai sperrten türkische Polizeibeamte den Platz ab und zündeten Zelte campierender und schlafender Demonstranten an. Anschließend attackierten sie diese mit Tränengas und Pfefferspray; auch Wasserwerfer kamen zum Einsatz.[18][19][20] Daraufhin riefen die Demonstranten „ihr bringt uns um!“ und warfen mit Steinen nach den Polizeibeamten.[9][21] Laut der Vereinigung türkischer Ärzte wurden an diesem Tag ungefähr 1000 Menschen verletzt, von denen sechs ihre Augen verloren, nachdem sie von Gaspatronen getroffen worden waren.[22] Zehntausende Menschen marschierten um den Taksim-Platz und über die Bosporus-Brücke.[4]

1. Juni

Am 1. Juni forderten die Demonstranten den Rücktritt von Ministerpräsident Erdoğan.[23][2] Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül rief daraufhin zur Ruhe und Besonnenheit auf. Die Proteste hätten mittlerweile ein „besorgniserregendes Niveau“ erreicht. Er bat alle Beteiligten, Demonstranten wie auch Polizeibeamte, mit „gesundem Menschenverstand“ zu handeln. Die Polizei forderte er auf, „angemessen“ auf die Proteste zu reagieren.[24] Erdoğan räumte ein, dass „der Einsatz von Pfeffergas durch die Sicherheitskräfte […] ein Fehler“ war. Auch die Festnahme von über 900 Menschen sei unangemessen gewesen. Das Innenministerium kündigte an, „die Verantwortlichen für die unverhältnismäßige Gewalt gegen Demonstranten“ zur Verantwortung zu ziehen.[23] Nachdem sich die Polizei am Abend vom Taksim-Platz zurückgezogen hatte,[25] gab es weitere Zusammenstöße mit Demonstranten im Stadtteil Beşiktaş. Einige Demonstranten versuchten den Amtssitz von Erdoğan zu stürmen.[26] Dabei feuerte die Polizei weitere mit Tränengas gefüllte Granaten ab, woraufhin Demonstranten einen Polizeiwagen anzündeten.[11][27]

2. Juni

Am 2. Juni setzt die Polizei erneut Tränengas und Pfefferspray ein, um Demonstranten vom Amtssitz des Ministerpräsidenten Erdoğan fernzuhalten.[28] Abdullah Gül bat erneut darum, dass sich die Beteiligten beruhigen sollten. Der Innenminister Muammer Güler orderte der Polizei an, sich zurückzuziehen, um den Demonstranten eine erneute Besetzung des Taksim-Platzes zu ermöglichen. Diese begaben sich daraufhin zurück zum Platz, um den Schutt wegzuräumen.[29]

Reaktionen

Die Demonstrationen griffen auch auf andere Städte über. So forderten Demonstranten aus Ankara, Izmir, Berlin und Paris ebenfalls den Rücktritt von Ministerpräsident Erdoğan. Darüber hinaus nahmen in weiteren deutschen Großstädten wie Köln, Hamburg, Frankfurt, München, und Stuttgart tausende Menschen an Solidaritätskundgebungen teil.[30]

Auch die Alevitische Gemeinde in Deutschland protestierte gegen das „harte Vorgehen der türkischen Polizei und forderte den Rücktritt der Regierung Erdoğan“.[30][9]

Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlamentes bezeichnete das Verhalten der Polizei als „völlig unangemessen“ und appellierte „dringend an alle zuständigen Stellen in der Türkei, sich um Deeskalation zu bemühen und mit den Demonstranten das Gespräch zu suchen“. Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jennifer Psaki verwies darauf, dass die Teilnehmer der Demonstration offensichtlich ihre Rechte wahrnehmen wollen und erklärte, „dass die Stabilität, die Sicherheit und der Wohlstand der Türkei langfristig am besten durch die Beibehaltung der Grundrechte auf freie Meinungsäußerung sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gewährleistet wird“. Auch die EU-Kommission in Brüssel äußerte sich ähnlich. Die SPD in Deutschland forderte eine sofortige Beendigung der Gewalt in der Türkei. Die Türkei habe „sich in den vergangenen Jahren erheblich modernisiert“. Dieser Erfolg dürfe „durch die aktuellen Vorkommnisse nicht infrage gestellt werden“. Markus Löning, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung forderte eine Achtung der Grundrechte in der Türkei.[27][31]

Commons: Ethem Sarısülük – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Demonstration in Istanbul: Schwere Zusammenstöße mit der Polizei. Stuttgarter Nachrichten, 1. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  2. a b Proteste gegen Erdogan: Fast tausend Festnahmen in der Türkei. Spiegel Online, 1. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  3. Polizei räumt Protestcamp in Istanbul. Deutsche Welle, 31. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  4. a b c Aufstand gegen Erdogan: Türkischer Frühling. Spiegel Online, 1. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  5. a b Istanbul park protests sow the seeds of a Turkish spring. The Guardian, 31. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  6. Polizeigewalt in Istanbul: Mit Knüppeln gegen die Wutbürger vom Gezi Park. Spiegel Online, 31. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  7. Peaceful Protest Over Istanbul Park Turns Violent as Police Crack Down. New York Times, 31. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  8. Protesters #OccupyGezi to save Istanbul park. Aljazeera, abgerufen am 2. Juni 2013.
  9. a b c Polizeigewalt in Istanbul löst Protestwelle aus. Stern, 31. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  10. Gezi Parkı'ndaki nöbete biber gazı. MSNBC, 28. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  11. a b Raid on ‘Occupy Taksim Park’ demonstrators triggers outcry. Hürriyet Daily News, 30. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  12. Taksim Gezi Parkı için nöbet tuttular. Sabah, 28. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  13. Eylemciler Gezi Parkı'nda sabahladı. Sabah, 29. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  14. Gezi Parkı’nda direniş: 29 Mayıs programı. Sendika, 29. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  15. „Fetih Günü Gezi Parkı’nda eylemdeyim“. MSNBC, 29. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  16. Hürriyet. 30. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  17. Taksim Gezi Parkı'ndaki eylem sürüyor. Anadolu Ajansı, 30. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  18. Polizei räumt Protestcamp in Istanbul gewaltsam. ZEIT, 31. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  19. Polizei geht massiv gegen Demonstranten vor: Verletzte bei Protesten in Istanbul. Tagesschau, 31. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  20. Eine Ahnung von Tahrir in Istanbul. 31. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  21. „Ihr bringt uns um!“ – Besorgniserregende Gewalt bei Protesten in Istanbul. Handelsblatt, 31. Mai 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  22. Turkey protests rage for second day. The Guardian, 1. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  23. a b Demonstranten feiern nach Zusammenstößen in Istanbul: Erdogan ruft Polizei zurück. n-tv, 1. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  24. Proteste in Istanbul: Zehntausende Türken strömen auf den Taksim-Platz. Spiegel Online, 1. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  25. Feiern auf Istanbuler Taksim-Platz nach Rückzug der Polizei. ZEIT, 3. Juni 2013, abgerufen am 3. Juni 2013.
  26. Türkische Polizei hält sich zurück: Die Ruhe nach dem Sturm. 2. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  27. a b Demonstranten fordern Rücktritt von Erdogan. Stern, 2. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  28. Calm on Turkish streets after days of fierce protests. Reuters, 2. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  29. Protesters clean Taksim area after police withdrawal. Hürriyet Daily News, 2. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  30. a b Proteste in Istanbul: Pfeffergas als Fehler ausgemacht. taz, 2. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  31. Internationale Kritik an Polizeigewalt in der Türkei. ZEIT, 1. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.