Kurdistan
Kurdistan ist das geographische Siedlungsgebiet der Kurden im Nahen Osten. Es umfasst Teile der Türkei, des Iraks, des Irans und Syriens und hat etwa die Größe Frankreichs.



Territorialer Umfang
Der Name Kurdistan wurde erstmalig offiziell als Verwaltungseinheit des Seldschukenreiches etwa 1157 erwähnt und bezeichnete ein Gebiet im Südosten-Anatoliens und Mesopotamiens. Es handelt sich also um kein Land sondern um das Siedlungsgebiet der Kurden.
Die Grenzen Kurdistans lassen sich aus mehreren Gründen nicht eindeutig definieren. Zum einen gibt es, abgesehen von der Autonomen Region Kurdistan im Irak und einer Provinz Kordestan im Iran, offiziell kein politisches Territorium und Verwaltungseinheit Kurdistan. Erschwerend kommt hinzu, dass sich das Siedlungsgebiet der Kurden, zu großen Teilen mit demjenigen der Nachbarvölker (Türken, Aserbaidschaner, Araber, Perser, Iraner, Armenier, Turkmenen) überschneidet..
Die Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit vieler Gebiete zu den kurdischen Siedlungsgebieten (Kurdistan) ist deshalb sehr umstritten.
Geografisch gesehen liegt Kurdistan zwischen dem 34. und 40. Grad nördlicher Breite und dem 38. und 48. Grad östlicher Länge. Von Ost nach West ist das Gebiet etwa 2000 km breit und von Nord nach Süd etwa 300 - 500 km. Man rechnet mit einer Gesamtfläche von bis zu 500.000 km². Diese erstreckt sich über Ost- und Südostanatolien - genauer gesagt von Iskenderun und dem Antitaurus (Gebirge) bis hoch zum Ararat - bis zum Urmiasee in Iran und schließt die Region der Zagrosgebirgskette, also den Nordirak und den Westiran, sowie Teile von Nordsyrien mit ein.
Geschichte Kurdistans
Kurdistan liegt im Nahen Osten. Über Jahrhunderte hinweg war Kurdistan immer wieder Schauplatz von Kämpfen zwischen westlichen und östlichen Mächten: Römer und Parther, bzw. persische Sassaniden, türkische Osmanen und persische Safawiden. Wichtige historische Eckpunkte sind die Islamisierung im 7. Jh. u.Z., die swellen turkmenischer Nomadenstämme im 11. Jh. und von Türken und Mongolen im 13. Jh.
Die erste bedeutende Teilung Kurdistans wurde zwischen dem Osmanischen Reich und dem Reich der Safawiden (Persien) 1639 im Vertrag von Qesra Serin besiegelt. Der Großteil der kurdischen Fürsten begab sich unter die osmanische Oberhoheit. Die damalige Teilung ist auch heute noch an der fast identisch verlaufenden Grenze zwischen der Türkei und dem Iran sichtbar.
Das Osmanische Reich ist im 19. Jahrhundert durch einen krisenhaften Zustand gekennzeichnet. Mittels Reformen und einer Öffnung zu den Zentraleuropäischen Staaten hin versuchen die Osmanen die Existenz ihres Reiches zu bewahren. Im Inneren bedeutete dies Militarisierung und Intensivierung der Ausbeutung. Eine Art Beamtensystem zur Einziehung der Steuern und Abgaben wurde geschaffen, was die tiefgreifende Beschneidung der Rechte der feudalen kurdischen Klasse beinhaltete. Diese reagierten das ganze Jahrhundert hindurch mit Aufständen, die allesamt von der Zentralmacht niedergeschlagen wurden.
Im 1. Weltkrieg hatte sich das Osmanische Reich auf die Seite Deutschlands gegen England, Frankreich und Russland gestellt.
Nach der Niederlage und dem Zerfall des Osmanischen Reichs wurde den Kurden im Vertrag von Sevres 1920 das Recht auf Selbstbestimmung zugebilligt. Die südwestlichen Gebiete Kurdistans waren französischer Einflussbereich und wurden so Syrien zugeschlagen, England wurde Mandatsmacht im heutigen Irak, dem die südöstlichen kurdischen Landesteile zugefügt wurden. Zur gleichen Zeit organisierte Mustafa Kemal Atatürk den Widerstand gegen die europäischen Besatzungsmächte und Griechenland. Die Kemalisten propagierten eine Regierung aller Völker und banden auf diese Weise die kurdischen Stammesführer und Scheichs in den türkischen nationalen Befreiungskampf ein. Atatürk schuf so den türkischen Nationalstaat.
In dem Vertrag von Lausanne (24. Juli 1923) wurden die neuen Machtverhältnisse zwischen der Türkei und den Besatzungsmächten England, Frankreich und Italien vertraglich festgeschrieben. Von den Versprechungen des Vertrages von Sevres gegenüber den Kurden war keine Rede mehr. Das Siedlungsgebiet der Kurden befand sich von da an in vier Staaten: die vier Teile entfielen auf die Türkei, den Iran, den Irak, und Syrien, wobei letztere erst in den darauffolgenden Jahrzehnten ihre Unabhängigkeit erhielten.
Nach der Konsolidierung des neuen Staates wandte sich Mustafa Kemal gegen seine ehemaligen Bündnispartner im Inneren. Systematisch ließ er die kurdischen Stammesführer liquidieren und setzte eine Politik Ein Staat eine Nation durch. Unter dem Begriff Kemalismus wurde ein gegen Minderheiten im Inneren gerichteter aggressiver, rassistisch-chauvinistischer Nationalismus entwickelt. Der kemalistische Nationalismus sah vor, innerhalb der Misaak-i-Milli-Grenzen eine türkische Nation zu schaffen, die mit ihrem Land und ihrer Nation eine unteilbare Einheit bildet. Die diversen Nationalitäten und Minderheiten, die mit dieser Absicht nicht in Einklang zu bringen waren, sollten im türkischen Nationalisierungsprozeß verschmelzen. In den Jahren 1925-40 wurde Nordwestkurdistan fest unter die Kontrolle des türkischen Staates gebracht. Mehrere begrenzte Aufstände - 1925 Scheich-Said-Aufstand, 1930 Ararat, 1938 Dersimaufstand - wurden von der überlegenen türkischen Armee grausam niedergeschlagen.
Die Kurden galten im offiziellen Sprachgebrauch als Bergtürken. Ihre Sprache war verboten, ihr Land kolonialistischer Ausbeutung ausgesetzt. Allein in Ostkurdistan (Iran) wurde der Gedanke an Widerstand, Freiheit und Unabhängigkeit aufrecht erhalten. 1946 existierte in Ostkurdistan kurzzeitig die autonome Republik Mahabad. Welche von vielen Kurden als Vorbild für einen eigenen Staat gesehen wird. Im Irak kam es immer wieder zu Aufständen gegen die Zentralregierung in Bagdad, die jedoch allesamt mit Niederlagen endeten. Dies lag an der sozialen Struktur und an der Führung durch Stammesführer und Feudalherren, die sich immer wieder zu Spielbällen ausländischer Interessen machen ließen.
Seit den Reformen Atatürks in den 1920er Jahren, näherte sich die Türkei dem Westen an. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Türkei Mitglied in der NATO und hatte an der Südostflanke eine strategische Rolle gegenüber der Sowjetunion inne. Neben Israel lehnt sich die Türkei als zweites Land der Region politisch, wirtschaftlich und militärisch an den Westen an. Als türkische Provinz Teil der Nato ursprünglich gegen die Sowjetuion positioniert, verlor die Region nach dem Fall des eisernen Vorhangs zuerst an strategischem Interesse. Im Zuge des angestrebten Beitritts zur Europäischen Union würde die Region als Grenzregion zum Mittleren Osten erneut große strategische Bedeutung erhalten.
1945 wurde die kurdische Nationalkleidung, der Sal Sapik, verboten, ebenso der Gebrauch der Sprache in der Öffentlichkeit. 1967 erfolgte ein erneutes offizielles Verbot von kurdischer Sprache, Musik, Literatur und Zeitungen. Militärputsche (1960, 1971, 1980) sollten immer wieder dazu dienen, islamische Regierungen zu verhindern und den laizistischen Kurs Atatürks beizubehalten, sowie die Lage im Inneren zu stabilisieren. In Kurdistan zwangen sie der in Armut lebenden Bevölkerung Friedhofsruhe auf. Gegenwärtig (Oktober 2004) wird unter dem Vorwand der Grenzsicherung zum Irak bei Militäraktionen der Dorfbevölkerung der Aufenthalt in den Dörfern mit der Begründung verboten, sie würden Freiheitskämpfern Unterschlupf gewähren.
Viele vom türkischen Militär gewaltsam ins Ausland vertriebenen Kurden reimportierten ab Ende der 1960er Jahre fortschrittliche Gedanken aus anderen Teilen der Welt, wo sich Völker im Widerstand gegen Kolonialismus, Korruption und Kultur-Imperialismus befanden. Unter diesem Einfluss setzte ein Bewusstwerdungsprozess in Teilen der kurdischen Gesellschaft ein. Ein Ergebnis davon war u.a. die Entstehung der Sozialistischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die sich bei dem Kampf gegen Kolonialismus, fremde Ausbeutung von Naturschätzen, das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Sozialismus gegen den türkischen Nationalstaat zum Ziel gesetzt hat. Dabei setzte die Militante Kurdische Rebellen auch Mittel der Gewalt ein, was anderen, gewaltfreien Vertretern Kurdistans häufig von der türkischen Regierung, Richtern und sogenannten Dorfschützern vorgewurfen wurde. Die Rebellen sind in einem Zeitraum von zehn Jahren für den Tod von mehr als 30000 Menschen, darunter auch ein sehr großer Anteil an zivilen Frauen und Kindern, verantwortlich. Auffällig ist, dass sich unter den Opfern auch sehr viele Kurden befinden. Das lässt sich damit begründen, dass sich die Rebellen als Ziel die Vertreibung von nicht-kurdischen (Turkmenen, Türken, Araber, Assyrer) Bevölkerungsgruppen oder anti-terror-gesinnten Kurden aus dem kurdischen Siedlungsgebiet gesetzt haben. Die PKK wird von den meisten Staaten der Welt und den Vereinten Nationen als Terrororganisation angesehen und verfolgt.
Wirtschaft und Rohstoffe
Dieses Gebiet enthält viele Rohstoffe, dessen Bedeutung für die Staaten sehr hoch ist. Da wäre zuerst das Erdöl, dass bei Kirkuk, Mosul, Chanaqin, Kermanschah, Batman und Diyarbakır lagert. Das Öl im irakischen Teil ist seit dem Sturz von Saddam Hussein das wichtigste Thema zwischen den Kurden und den Arabern, denn wenn die Kurden die Ölquellen um Kerkuk kontrollieren würden, hätten sie die wirtschaftliche Grundlage für einen kurdischen Staat. Neben dem Öl ist das Wasser der wichtigste Rohstoff, das sich von den Gebirgen in Flüssen wie den Euphrat und dem Tigris sammelt. Die Türkei hat an diesen beiden Flüssen mehrere große Staudämme gebaut, die alle ein Teil des Südostanatolien-Projektes sind. Die Tatsache, dass die Türkei damit Kontrolle über diese Flüsse hat, führt zu politischen Spannungen zwischen der Türkei und Syrien und dem Irak. Sonst gibt es Chrom in großer Menge in Elaziğ und Dersim, Eisen in Sulaimaniyya und Amadiya, Kupfer in Diyarbakır, Kohle in Şırnak, Erzurum, Van, Dersim, Bingöl und Zachu, Silber in Keban, Blei bei Maku, Phosphat in Kilis, Schwefel in Amadiya und Sine sowie Gold bei Kermanschah.
Haupterwerbzweige sind Ackerbau und Viehzucht. Es werden Getreide, Reis, Linsen, Bohnen, Kichererbsen und weitere Gemüse- und Obstsorten angebaut. Daneben gibt es Nüsse, Zuckerrüben, Baumwolle, Tabak, Wein und Oliven. Die Getreidefelder im syrischen und irakischen Teil haben als Kornkammern eine hohe Bedeutung für die jeweiligen Staaten. In Kurdistan werden Schafe, Ziegen und Rinder gezüchtet. Bevor die Kämpfe zwischen der aufständische Rebellen und der türkischen Armee begannen, war der türkische Teil einer der wichtigsten Fleischproduzenten des Nahen Ostens.
Provinzen und Städte
Nachfolgend sind die Provinzen und die Städte dieser Provinzen, in denen die Kurden die Mehrheit stellen, aufgelistet. An erster Stelle ist der offizielle Name; In Klammern die kurdische Bezeichnung.
Türkischer Teil
Provinzen:
Städte: (neben den gleichnamigen Provinzhaupstädten)
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Irakischer Teil
Provinzen:
Städte:
- Akrê (عقرة / Aqra)
- Amediye (al-Amadiyya)
- Dschamdschamal (Çamçamal)
- Dihok (Duhok)
- Halabdscha (Halabdscha)
- Hewler (Arbil)
- Mosul (Al-Mawsil)
- Kirkuk (Kerkük)
- Rewanduz (Rawandoz)
- Salahedin
- Silemani (as-Sulaimaniyya)
- Xaneqin (Chanaqin)
- Zaxo (Zachu)
Iranischer Teil
Provinzen:
- Hamadan
- Ilam
- Kermānschāh
- Kordestan
- West-Aserbaidschan
- Ost-Aserbaidschan
- Lorestan
- Zandschan
- Tschahār Mahāl und Bachtiyārī
- Kohkiluyeh und Buyer Ahmad
- Buschehr
Städte:
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Syrischer Teil
Städte:
Literatur
- Bernd Drücke: Serxwebun! Gesellschaft, Kultur und Geschichte Kurdistans. Edition Blackbox, Bielefeld 1988
- Andrea Fischer-Tahir: »Wir gaben viele Märtyrer«. Widerstand und kollektive Identitätsbildung in Irakisch-Kurdistan. 2004, ISBN 3-89771-015-3
- Siamend Hajo, Carsten Borck, Eva Savelsberg, Sukriye Dogan (Hrsg.): Gender in Kurdistan und der Diaspora. 2004 (Beiträge zur Kurdologie, Band 6), ISBN 3-89771-014-5
- Şerafettin Kaya: Diyarbakır - Erfahrung in einem türkischen Kerker. Verlag Edition CON, Bremen 1984, ISBN 3-885261-35-9
- Namo Aziz: Kein Weg nach Hause. Schmerz und Traum der Kurden. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 1991 (Reihe Spektrum), ISBN 3-451-04074-3 (Widmung: Den Toten von Halabdscha)
- Selahaddin Mihotuli: Arya Uygarliklarindan Kürtlere. Koral Verlag, 1992, ISBN 975-7780-01-4
- Hans-Lukas Kieser (Hrsg.): Kurdistan und Europa. Chronos Verlag, 1997, ISBN 3-905312-32-8
- Sahin, Kauffeld: Daten und Fakten zu Kurden und Kurdistan. Pro Humanitate, Köln 2002
- Azad Salih: Die Schutzzone der Kurden in Irakisch-Kurdistan. Dissertation. Freie Universität Berlin, 2004 (online)
- Sabine Skubsch: Kurdische Migration und deutsche (Bildungs-)Politik. 2003 (Beiträge zur Kurdologie, Band 5), ISBN 3-89771-013-7
- Nazif Telek: Das Volk ohne Anwalt. Geschichte, Kultur, Literatur und Religion in Kurdistan. Weimar 2004
- Martin Strohmeier, Lale Yalçin-Heckmann: Die Kurden. München 2003, ISBN 3-406-42129-6
- Ferdinand Hennerbichler: Die Kurden. Albert & Hennerbichler, 2004, ISBN 963-214-575-5
Weblinks
- Informationen zu Kurden und Yeziden.
- www.amude.com - Das unabhängige kurdische Internetportal, Schwerpunkt Syrisch Kurdistan und Syrien, kurdisch, arabisch, deutsch
- http://www.nadir.org/isku
- Entwicklungen in Kurdistan im 20. Jahrhundert - Türkei/Iran/Irak/Syrien
- Kurdistans Unabhängige Online-Zeitschrift auf Deutsch
- Kartographie Kurdistans (auf "Karten" klicken)
- Kurdistan Rundbrief
- Eine Reise durch Kurdistan - relevante Informationen mit vielen Fotos kurz dargelegt
- Ein yezidisches Dorf in der türkischen Provinz Sirnak
- Kurdische Regionalregierung im Norden Iraks