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Kanak Sprak – 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Deutsch-Türkische Jugendsprache-Slang ist eine Pidgin-Sprache, mit der sich die soziale Gruppe der sogenannten Lan oder der sogenannten Kanaken in Deutschland verständigen. Es handelt sich um ein verballhorntes Deutsch, mit einer vereinfachten Grammatik, Lautverschiebungen und vielen türkischen und englischen Einsprengseln. Der Begriff Kanak Sprak für diesen besonderen Soziolekt existiert seit den 1990er Jahren.

Kennzeichen der Gruppenzugehörigkeit

Der Begriff stammt von der ursprünglich rassistisch-abschätzig gemeinten Bezeichnung Kanaken, mit der viele Deutsche Einwanderer und ehemalige Gastarbeiter insbesondere türkischer Abstammung bedachten. Mit dem bewussten Umgang mit dem Begriff bekennen sich junge Türken offensiv zu ihrer Rolle als gesellschaftliche Außenseiter: Die Schmähungen Kanaken und Türkendeutsch werden ins Positive gewendet: in ein Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einer selbstbewusst-aggressiv auftretenden Kultur zwischen den Kulturen.

In der deutschen Öffentlichkeit bekannt und mit geprägt wurden die Begriffe Kanak und Kanak Sprak durch das gleichnamige Buch von Feridun Zaimoglu.

Zaimoglu schreibt: ... die Kanaken suchen keine kulturelle Verankerung. Sie möchten sich weder im Supermarkt der Identitäten bedienen, noch in einer egalitären Herde ... untergehen. Sie haben eine eigene innere Prägung und ganz klare Vorstellungen von Selbstverwirklichung.

Weiter schreibt Zaimoglu zur Redeweise und zum Auftreten: Die Wortgewalt des Kanaken drückt sich aus in einem herausgepressten, kurzatmigen und hybriden Gestammel ohne Punkt und Komma, mit willkürlich gesetzten Pausen und improvisierten Wendungen. ... In seine Stegreif-Bilder lässt er Anleihen vom Hochtürkisch bis zum dialektalen Argot anatolischer Dörfer einfließen. Er unterstreicht und begleitet seinen freien Vortrag mimisch und gestisch. ... Die weit ausholenden Arme, das geerdete linke Standbein und das mit der Schuhspitze scharrende rechte Spielbein bedeuten dem Gegenüber, dass der Kanake ... auf eine rege Unterhaltung großen Wert legt. ... Und über die die einzelne charakteristische Gebärde hinaus signalisiert der Kanake: ... Ich zeige und erzeuge Präsenz.

Polarisierende Aspekte

Die Kehrseite ist, dass dieses offensive Selbstbewusstsein bis hin zu offen zur Schau gestellter Gewaltbereitschaft geht. Diese äußert sich sowohl in der Sprache selbst als auch im Auftreten mancher ihrer Sprecher. Drohungen wie Isch mach Disch Krankenhaus oder Brauchst du hart? Geb ich dir korrekt sind immer wieder gebrauchte Redewendungen. Neben Gewaltdrohungen finden auch rassistische oder sexistische Schmähwörter großzügig Verwendung. Beispielsweise ist es in Kanak Sprak fast üblich, Frauen grundsätzlich als Mösen, Keulen, Fotzen, "Uschis" oder Schlampen zu bezeichnen.

Damit wirkt Kanak Sprak stark polarisierend: Gruppenzugehörigkeit und das Gefühl von Stärke vermittelnd auf ihre Sprecher, die Lans, abstoßend und einschüchternd oder auch belustigend auf viele andere, die dieser Subkultur nicht angehören.

Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft und Sprache

Zaimoglu betont auch, dass der Kanake nicht mit einem Spross aus bürgerlichen Kreisen verwechselt werden dürfe, der Four Letter Words kultiviere und mit der Bierdose in der Hand vor dem Kaufhaus anzuecken versuche. Vielmehr sieht er die Vorboten eines beginnenden grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandels: Analog zur Black-consciousness-Bewegung in den USA werden sich die einzelnen Kanak-Subidentitäten zunehmend übergreifender Zusammenhänge und Inhalte bewusst. ... Innerhalb der Mainstreamkultur entstehen die ersten rohen Entwürfe für eine ethnizistische Struktur in Deutschland.

Das Kanakische, eine abgemilderte Parodie der Kanak Sprak, wurde durch die Figuren Dragan und Alder der Komikergruppe Mundstuhl und in Ansätzen auch durch die Sketche von Kaya Yanar populär. Einzelne Redewendungen sind im Begriff, in der deutschen Umgangssprache Fuß zu fassen, beispielsweise der häufige Gebrauch der Wörter korrekt, krass und fett als Ausdruck der Wertschätzung und Bestärkung.

http://www.politikforum.de/forum/archive/13/2000/11/3/5878

Literatur

Feridun Zaimoglu, Kanak Sprak, ISBN 3-434-54518-2