Population (Anthropologie)
Eine Population ist in der Anthropologie und Humanbiologie (analog zur Biologie) eine Gruppe von Menschen, die aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte miteinander verbunden sind, eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden und zur gleichen Zeit in einem einheitlichen Areal zu finden sind. Die Grenzen einer Population werden weitgehend willkürlich gezogen und orientieren sich nicht selten an Nationen oder Ethnien.
Spätestens seit den 1990er Jahren ersetzt dieser Begriff beim Menschen die Bezeichnung Rasse.
Rasse, Unterart oder Population?
Population ist nicht einfach eine synonyme Bezeichnung, die statt Rasse oder Unterart verwendet wird! Es handelt sich um eine grundsätzlich verschiedene Betrachtungsweise. Daher im Folgenden eine genauere Unterscheidung der Begrifflichkeiten.
Rasse
Der Begriff „Rasse“ legt grundsätzlich die Vorstellung von qualitativen Unterschieden nahe, wie es von der Nutztier-Zucht bekannt ist. Im Gegensatz zu der vom Menschen bewusst-gezielten Auslese bestimmter Merkmale der Tiere – die tatsächlich auf Kosten der Fitness gehen kann und dann zu Geschöpfen führt, deren körperlicher Zustand mehr oder weniger degradiert ist –, führt die natürliche Evolution grundsätzlich zu einer verbesserten Anpassung der Lebewesen. Daher wird der Rasse-Begriff auch in der Biologie heute vermieden. Man spricht hier stattdessen von Varietäten und Unterarten (Subspezies).[1]
Unterart
Die Unterart (Subspezies) ist in der biologischen Systematik die taxonomische Rangstufe direkt unterhalb der Art. Eine Untergliederung des (heutigen) Homo sapiens in Unterarten ist aus zwei Gründen nicht sinnvoll:
- Eine solche Gliederung würde scharf abgegrenzte, weitgehend isolierte Menschengruppen mit klar unterscheidbaren Merkmalen suggerieren. Das Erbgut aller heutigen Menschen ist jedoch zum allergrößten Teil identisch. Von den drei Milliarden Nukleotiden der menschlichen DNA stimmen 99,9% bei allen Menschen überein. Auch die fließenden Übergänge bei den restlichen drei Millionen Sequenzen lassen keine klare Abgrenzung zu.
- Es bestünde die Gefahr, die Unterarten mit den aufgegebenen „Rassen" gleichzusetzen.
Population
Die Diskrepanz zwischen der Verschiedenheit in der äußeren Erscheinung und der Gleichförmigkeit der genetischen Ausstattung erklären Luca Cavalli-Sforza und sein Bruder Francesco in ihrem Buch Verschieden und doch gleich (1994) folgendermaßen: „Die Gene, die [im Verlauf der Evolution] auf das Klima reagieren, beeinflussen die äußeren Merkmale des Körpers, weil die Anpassung an das Klima vor allem eine Veränderung der Körperoberfläche erforderlich macht (die sozusagen die Schnittstelle zwischen unserem Organismus und der Außenwelt darstellt). Eben weil diese Merkmale äußerlich sind, springen die Unterschiede zwischen den „Rassen“ so sehr ins Auge, dass wir glauben, ebenso krasse Unterschiede existierten auch für den ganzen Rest der genetischen Konstitution. Aber das trifft nicht zu: Im Hinblick auf unsere übrige genetische Konstitution unterscheiden wir uns nur geringfügig voneinander.“[2] Die Brüder Cavalli-Sforza waren maßgeblich für die Anwendung des Populationsbegriffes auf den Menschen.
Populationsgenetische Studien ergaben, dass etwa 85 % der genetischen Variation innerhalb der Populationen zu finden sind.[3][4] Dagegen sind die genetischen Unterschiede zwischen den Populationen verschiedener Kontinente mit etwa 6 bis 10 % vergleichsweise gering. Hinzu kommt, dass auch diese (früher vermeintlich rassenspezifischen) Unterschiede bei genauerer Untersuchung der geografischen Verbreitung keine klaren Grenzen erkennen lassen. Die Übergänge zwischen den „Rassen“ sind (mit Ausnahme der australischen Aborigines) fließend.
In der Deklaration von Schlaining gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung erklärte eine Gruppe von Wissenschaftlern 1995, dass sich die Unterscheidung von homogenen und klar gegeneinander abgrenzbaren Populationen aufgrund jüngster Fortschritte der Molekularbiologie und der Populationsgenetik als unhaltbar erwiesen habe.[5]
Die geografische Abgrenzung der Homo sapiens-Populationen

Populationen führen nur zu Unterarten und schließlich zu neuen Arten – wenn sie isoliert voneinander sind. Die Ausbreitung des Menschen über die Erde hat in der Ur- und Frühgeschichte zu solchen isolierten Populationen geführt. Evolutionäre Anpassung an die veränderten Klima- und Umweltbedingungen, an andere Nahrungsmittel oder Krankheitserreger führte bei den meist recht kleinen Gruppen zur Ausbildung neuer Merkmale wie Haut-, Haar- und Augenfarbe, Körpergröße, Mongolenfalte, Schweißproduktion, Lactoseintoleranz und einigem mehr. Die moderne Humangenetik erlaubt es heute, anhand der genetischen Unterschiede zu berechnen, wann neue Populationen entstanden sind und wie sie sich ausgebreitet haben.
Dabei zeigte sich, dass sich die menschliche Evolution in den letzten 40.000 Jahren beschleunigte, denn die Rate genetischer Veränderungen stieg. Die Bevölkerungszahlen wuchsen permanent und mit der Zeit fanden immer mehr Vermischungen vormals isolierter Populationen statt, so dass heute keine klaren Grenzen mehr zu erkennen sind. Demnach wird der Begriff „Population“ beim Menschen heute in aller Regel nur noch als willkürliche Abgrenzung verstanden, die vor allem für Forschungszwecke vorgenommen werden. Während Cavalli-Sforza zum Beispiel in Europa nur Sarden (und Basken[6]), Europäer, Iraner und Samen unterscheidet, grenzt Jun Z. Li in seiner Studie aus dem „Human Genome Diversity Panel" (einer Sammlung von Erbinformationen von rund 1000 Individuen aus 51 Populationen) Adygen, Russen, Orkadier, Franzosen, Basken, Italiener, Sarden und Toskaner voneinander ab.[7]
Alle Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass die größte genetische Vielfalt bei den Populationen Süd- und Ostafrikas herrscht und die kleinste bei den indigenen Amerikanern. (Diese Tatsache wird als eindeutiger Beleg für die Out-of-Africa-Theorie gesehen, die postuliert, dass der Homo sapiens ursprünglich aus Ostafrika stammt.)
Beispiel: Stammbaum und Karte nach Cavalli-Sforza
Als Resultat der umfangreichen Forschungen von Luigi Luca Cavalli-Sforza entstand ein Stammbaum von 38 menschlichen Populationen und ihrer jeweiligen genetischen Verwandtschaft bzw. der Zeit, an dem die Trennung von der Ursprungspopulation stattfand. Die fließenden Übergänge auf der Weltkarte machen deutlich, dass eine Abgrenzung von Populationen fast immer „künstlich" ist. (Die Karte entstand durch die Einfärbung der geografisch verorteten Populationen mit Hilfe einer Regenbogen-Farbskala, auf die die Zahlen zur jeweiligen genetischen Differenz umgerechnet wurden.)

(Die in Klammern gesetzten Populationen werden im Buch erwähnt, wurden im Stammbaum vermutlich aus Vereinfachungsgründen jedoch nicht berücksichtigt)
Literatur
- Luigi Luca Cavalli-Sforza: Gene, Völker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation. Hanser, München/ Wien 1999, ISBN 3-446-19479-7.
- Gary Stix: Wie hat sich die Menschheit ausgebreitet? In: Spektrum der Wissenschaft. Spektrumverlag, Heidelberg September 2009.
Einzelnachweise
- ↑ Bernhard Streck (Hrsg.): Wörterbuch der Ethnologie. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2000, ISBN 3-87294-857-1.
- ↑ Cavalli-Sforza: Gene, Völker und Sprachen. 1999, S. 203.
- ↑ R.C. Lewontin: Confusions about Human Races, im Webforum Is Race „Real“? des Social Science Research Councils, 2006.
- ↑ Lynn B. Jorde, Stephen P. Wooding: Genetic variation, classification and ‘race’. In: Nature Genetics. Band 36, 2004, S. 28–33, doi:10.1038/ng1435.
- ↑ Deklaration von Schlaining: Gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung (PDF), 1995, Abschnitt II: „Zur Obsoletheit des Begriffes der ‚Rasse‘“.
- ↑ Abgerufen am 06. November 2013.
- ↑ Jun Z. Li u. a.: Worldwide Human Relationships Inferred from Genome-Wide Patterns of Variation. In: Science. Band 319, 2008, S. 1100–1104.