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Werner Richter (Messtechniker)

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Werner Richter (links) und Peter Neumann bei einer wissenschaftlichen Tagung in Berlin, 2010

Werner Richter (* 24. April 1931 in Gohla) ist ein deutscher Ingenieur und Professor für Messtechnik sowie Mitbegründer der Ausbildung von Diplom-Ingenieuren für Automatisierungsanlagen in Deutschland.

Bildungsgang

Werner Richter wurde 1931 in Gohla, Kreis Meißen in Sachsen als zweites von vier Kindern geboren, sein Vater war Werkzeugmacher. Von 1937 bis 1945 besuchte er die Volksschule in Rüsseina und danach bis 1948 die Handelsschule in Nossen parallel zu einer kaufmännischen Lehre. Anschließend war er als Maschinenbuchhalter in Landhandelsbetrieben tätig. In den Jahren 1950 bis 1952 besuchte er die Arbeiter- und Bauernfakultät (ABF) an der TH Dresden und an der Universität Greifswald und erwarb dort die Hochschulreife.

Der Studienwunsch Luftfahrttechnik entstand, weil er schon als Kind und Jugendlicher Drachen und Flugmodelle gebaut hat und dabei auch versuchte, das Prinzip des Fliegens tiefer zu verstehen. Sein Studium absolvierte er daher an der Universität Rostock und der Technischen Hochschule Dresden in den Fächern Luftfahrttechnik, Maschinenbau und Elektrotechnik. Seinen Abschluss als Diplom-Ingenieur erlangte er 1958 in der Fachrichtung Luftfahrtgeräte. Als Arbeiterkind eingestuft, hatte er Stipendien und allseitige Unterstützung erhalten, und er fühlte sich entsprechend gebotener Bildungsmöglichkeiten der DDR verpflichtet.

Seinem Studium folgte eine wissenschaftliche Tätigkeit als Assistent und Oberassistent an der Technischen Universität Dresden, Fakultät Elektrotechnik, Institut für Fernwirktechnik. Bedingt durch die totale Auflösung der Luftfahrtindustrie in der DDR im Jahre 1961 befasste sich W. Richter dann mit Mess- und Regelungstechnik. Er fand somit innerhalb derselben Fakultät enge Verbindungen zum Institut für Regelungstechnik (Direktor: Heinrich Kindler) sowie zum Institut für Regelungs- und Steuerungstechnik Dresden der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, dem späteren Bereich Technische Kybernetik Dresden der Akademie der Wissenschaften (Bereichsleiter: Hans-Joachim Zander).

1968 erlangte er seine Promotion zum Dr.-Ing. mit einem Thema zur Synchronisation bei der großformatigen Bildtelegrafie für den dezentralen Zeitungsdruck. Seine Hochschullehrertätigkeit begann 1969 als Hochschuldozent für Prozessmesstechnik an der TU Dresden, 1971 hat er dort die Lehrbefähigung (facultas docendi) für Messtechnik erworben. 1974 folgte seine Promotion zum Doktor der Wissenschaften (Doctor scientiae technicarum, Dr. sc. techn.) mit einer Arbeit über Frequenzanaloge Messsysteme (1990 Umwandlung des „Dr. sc. techn.“ in „Dr.-Ing. habil.“).

Wirken in der Hochschulausbildung und Wissenschaft

Im Jahre 1974 erfolgte die Berufung von W. Richter zum ordentlichen Professor für Messtechnik an die Ingenieurhochschule in Leipzig, der 1977 der Status Technische Hochschule Leipzig (THL) verliehen wurde. Er setzte hier seine 1969 begonnenen Vorlesungen und Seminare im Fach Messtechnik/Sensorik für Elektrotechniker, Maschinenbauer und Verfahrenstechniker fort (vorwiegend in Leipzig, Dresden und Chemnitz).

Die weiteren Forschungs- und Entwicklungsarbeiten von W. Richter bezogen sich auf Sensortechnik und deren Elektromagnetische Verträglichkeit (Patente). Speziell erfolgten Forschungen zu Frequenzanalogen Messsystemen, zur Informations- und Messwertübertragung, zur Störbeeinflussung und zur Sensortechnik/Sensorelektronik sowie zur Anwendung von langwelligem Infrarot (Wärmestrahlung).

Als Direktor der Sektion Automatisierungsanlagen hat er die Ausbildung von Diplom-Ingenieuren in der im deutschsprachigen Raum einmaligen Spezialisierung für Automatisierungsanlagen maßgeblich aufgebaut und mitgestaltet. Hinzu kam später noch die Spezialisierung Automatisierung Bauwesen unter der Federführung von W. Kriesel. In interdisziplinärer Kooperation mit der Sektion Bauwesen sowie mit der Bauakademie Berlin wurden hier Ende der 1980er Jahre die ersten Absolventen verabschiedet. Als Mitglied im Beirat für Elektrotechnik beim Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen seit 1980 konnte W. Richter diese beiden Profilierungen stabilisieren.

Ein Novum und eine Besonderheit in der DDR war in der von W. Richter geleiteten Sektion der 1980 gegründete Industrie-Hochschul-Komplex Anlagenautomatisierung (IHK). Die drei Industriebetriebe bzw. Kombinate Geräte- und Regler-Werke Leipzig, Chemieanlagenbau Leipzig-Grimma und Starkstromanlagenbau Leipzig-Halle sowie auch die TH Leipzig finanzierten gemeinsam die Personalstellen und Sachkosten des IHK, so dass die hier beschäftigten Ingenieure kurzfristig Probleme im Sinne von Technologietransfer lösen konnten. Dieser IHK wurde durch den außerordentlichen Professor W. Bennewitz geleitet und hatte zuletzt 50 feste Mitarbeiterstellen; er wurde im Zuge der Wiedervereinigung 1990 aufgelöst. Das damalige IHK-Konzept ähnelte in seiner Funktion und Struktur der heutigen Drittmittelforschung in einem An-Institut mit Transferaufgaben von der Forschung in die Anwendung.

W. Richter bewältigte eine unermessliche Aufgabenfülle einschließlich zahlreicher wissenschaftlich-gesellschaftlicher Funktionen, die er wahrgenommen hat:

Durch seine Mitgliedschaft im "Zentralen Arbeitskreis Steuerungs- und Regelungstechnik" (ZAK-Vorsitz: Heinz Töpfer) beim Forschungsrat im Ministerium für Wissenschaft und Technik seit Anfang der 1980er Jahre war er stets über aktuelle Tendenzen der Forschung und Entwicklung in der Industrie informiert. Dies ermöglichte ihm zusammen mit den Mitarbeitern seiner Sektion, auch umfangreiche Forschungsprojekte in Kooperation mit der Automatisierungsindustrie aufzunehmen, insbesondere konzentriert auf den Schwerpunkt "Vorlauf für künftige Automatisierungsanlagen" (Geräte- und Regler-Werke Teltow).

W. Richter war in der Nachfolge von Heinz Töpfer von 1982 bis 1991 Vorsitzender der "Wissenschaftlich-technischen Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (WGMA)" in der Kammer der Technik Berlin. In dieser Eigenschaft war er zugleich Vertreter der Nationalen Mitgliedsorganisation in der IFAC (International Federation of Automatic Control) und der IMEKO (International Measurement Confederation), Member of Credentials and Membership Committee. Von 1991 bis 1997 wirkte er als Mitglied des Beirats der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (GMA) in Düsseldorf und Frankfurt/Main.

Insgesamt hat W. Richter der von ihm geleiteten Sektion Automatisierungsanlagen der TH Leipzig durch ihre ausdrückliche Anwendungsorientierung hohe Anerkennung im In-und Ausland verschafft. Er hat 6 Lehrstühle für alle Hauptkomponenten von Automatisierungsanlagen in der Sektion eingerichtet und den Personalbestand auf rd. 120 Mitarbeiterstellen, zahlreiche Doktorandenstellen, 50 Personalstellen im IHK sowie rd. 500 Studenten ausgebaut. Damit haben er und seine Mitarbeiter eine der größten Hochschuleinrichtungen mit ausschließlicher Spezialisierung für Automatisierungstechnik im deutschsprachigen Raum geschaffen. Zu deren Ansehen hat nicht zuletzt auch das vielfache Wirken von W. Richter als Chairman / Co-Chairman in nationalen und internationalen Fachtagungen im In- und Ausland beigetragen.

W. Richter war langjähriges Mitglied des Senats der Technischen Hochschule Leipzig sowie von 1990 bis 1992 Prorektor für Wissenschaftsentwicklung. In den Jahren 1991 bis 1993 war er zugleich Fachgutachter für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in Bonn.

Ehrungen:


Wirken in der freien Wirtschaft

Eine Folge des Beitritts der DDR zur BRD war der Übergang aller Hochschulen in die Länderverantwortung, sodass Sachsen nunmehr 8 Technische Hochschulen hatte. Davon wurden 5 TH geschlossen und durch Fachhochschulen ersetzt. Die Schließung der TH Leipzig erfolgte schrittweise in einem Zeitfenster von 1992 bis 1996, nachdem 1992 die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) neu gegründet wurde (Gründungsrektor: K. Steinbock).

W. Richter wechselte nunmehr in die freie Wirtschaft. Von 1995 bis 1999 übernahm er die Leitung eines Forschungsinstituts der britischen GENOVA Ltd. Hier betrieb er Entwicklungen zur Anwendung von langwelliger Infrarot-Strahlung (Wärmestrahlung), insbesondere für die Raumheizung in der Klimatechnik, zur Temperierung des Sitzbereichs in hohen Räumen (z. B. in Kirchen) sowie für medizinische Zwecke.

Von 1997 bis 1999 war er zugleich Vorstandsmitglied der Trapos AG Mittweida und hier speziell an der Entwicklung eines Elektro-Autos als Shuttle zum bevorzugten Einsatz in Kureinrichtungen, in Kliniken und auf Messen beteiligt.

Seit 2000 ist er als Fachberater und Gutachter aktiv, vorwiegend auf dem Gebiet der Wärmewirkung sowie der Energieeffizienz von langwelligem Infrarot in der Raumheizung. Die bisherige gesamte Gutachtertätigkeit von W. Richter ist sehr umfangreich, z. B. über 80 Gutachten zu Dissertationen, über 30 Gutachten zu Habilitationen, nahezu 50 Gutachten zu Berufungen sowie zahlreiche Gutachten für die Wirtschaft.

Darüber hinaus wirkt er weiterhin als Fachautor. Er ist insgesamt Autor und Mitautor von 12 Lehr- und Fachbüchern (bis zu 14 Auflagen), 5 Buchübersetzungen aus dem Russischen und Tschechischen sowie von 45 Artikeln in Fachzeitschriften und von zahlreichen populärwissenschaftlichen Artikeln. Er hat über 50 Vorträge auf wissenschaftlichen Konferenzen im In- und Ausland gehalten. Als Mitinhaber ist er an 19 Patenten beteiligt.

W. Richter gehört zu den herausragenden Experten der Messtechnik sowie zu den Wegbereitern der Ausbildung von Diplom-Ingenieuren für Automatisierungsanlagen in Deutschland. Hunderte von ihm ausgebildete Diplom-Ingenieure und Wissenschaftler arbeiten an verantwortlicher Stelle und sorgen ihrerseits für zunehmenden Nachwuchs bei Fachingenieuren der Automatisierung, indem sie Aufgaben in der Lehre wahrnehmen. Aus dem Umfeld von W. Richter in Dresden und Leipzig sind auch zahlreiche Professoren hervorgegangen, von denen insbesondere genannt seien: H. Ehrlich, R. Müller, D. Balzer, W. Kriesel, H.-G. Woschni, W. Bennewitz, K.-P. Schulze, G. Stein, K. Steinbock, G. Gruhn, R. Werthschützki, A. Pretschner, A. Hebestreit, J. Hoffmann, M. Kappert, J. du Puits, H. Richter, T. Sturm, T. Heimbold, P. Helm.


Schriften (Auswahl)

  • 19 Patente, angemeldet im In- und Ausland und von der Industrie genutzt.
  • Lehrbuch der Automatisierungstechnik (Mitautor). 1. Aufl. 1976, 14. Aufl. 1985. Verlag Technik Berlin.
  • Luftfahrzeuge (Federführung und Mitautor). In: Das Fachwissen des Ingenieurs, Band IV. Fachbuchverlag Leipzig 1968.
  • Luftfahrzeuge (Mitautor). Carl Hanser Verlag München. 1970.
  • Grundlagen der elektrischen Messtechnik. Verlag Technik Berlin. 7. Aufl. 1983 (mit R. Drachsel).
  • Grundlagen der elektrischen Messtechnik. Verlag Technik Berlin, VDE-Verlag Offenbach. 3. Aufl. 1994.
  • Taschenbuch der Messtechnik (Mitautor). Carl Hanser Verlag München. 6. Aufl. 2011.
  • Handbuch der Messtechnik (Mitautor). Carl Hanser Verlag München. 4. Aufl. 2012.
  • Humboldts Messtechnik. BBAW Berlin (mit M. Engshuber), erscheint demnächst.

Literatur

  • Wechsel im WGMA-Vorsitz. In: messen, steuern, regeln, Berlin. Jg. 26, Nr. 4, 1983, S. 230.
  • Werner, D.; Herrmann, D.: msr stellt vor: Technische Hochschule Leipzig – Sektion Automatisierungsanlagen. In: messen, steuern, regeln, Berlin. Jg. 26, Nr. 9, 1983, S. 527-531.
  • Richter, W.; Töpfer, H.: Schlüsseltechnologie Automatisierung: gestern –heute –morgen. In: messen, steuern, regeln, Berlin. Jg. 32, Nr. 10, 1989, S. 434-438.
  • Dittmann, F.: Zur Entwicklung der “Allgemeinen Regelungskunde” in Deutschland. Hermann Schmidt und die “Denkschrift zur Gründung eines Institutes für Regelungstechnik”. In: Wiss. Zeitschrift TU Dresden. Jg. 44, Nr. 6, 1995, S. 88-94.
  • Kriesel, W.; Rohr, H.; Koch, A.: Geschichte und Zukunft der Meß- und Automatisierungstechnik. VDI-Verlag, Düsseldorf 1995, ISBN 3-18-150047-X.
  • Fasol, K. H.: Hermann Schmidt, Naturwissenschaftler und Philosoph – Pionier der Allgemeinen Regelkreislehre in Deutschland. In: Automatisierungstechnik, München. Jg. 49, Nr. 3, 2001, S. 138-144.
  • Starke, L.: Vom Hydraulischen Regler zum Prozessleitsystem. Die Erfolgsgeschichte der Askania-Werke Berlin und der Geräte- und Regler-Werke Teltow. 140 Jahre Industriegeschichte, Tradition und Zukunft. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-8305-1715-3.
  • Reinschke, K. J.: Erinnerung an Heinrich Kindler, erster Professor für Regelungstechnik an der TH Dresden. In: Automatisierungstechnik, München. Jg. 58, Nr. 06, 2010, S. 345-347.