Linksextremismus
Linksextremismus ist ein Sammelbegriff für Ideologien und Aktivitäten von radikalen Gegnern repräsentativ-demokratischer und marktwirtschaftlicher Verfassungsstaaten und ihrer Institutionen, die diese durch ein anderes, radikal egalitäres Gesellschaftssystem ersetzen wollen.
Der Begriff ist – wie auch sein Gegenstück Rechtsextremismus – in doppelter Hinsicht problematisch. Zum einen bezieht sich der Begriff auf eine von ihm gar nicht definierte „Mitte“ der Gesellschaft oder des politischen Spektrums. Die Definition dieser Mitte ist aber historisch starken Schwankungen unterworfen: Forderungen, die während der siebziger Jahre noch als gemäßigt fortschrittlich galten wie z.B. die „Verstaatlichung der Schlüsselindustrien“, die François Mitterrand 1974 und 1981 im Wahlkampf erhob, werden heute als linksextrem eingestuft. Der Begriff taugt daher nicht dazu, Positionen oder Gruppierungen überzeitlich und objektiv zu beschreiben.
Zum anderen enthält er eine pejorative Konnotation und dient daher auch nie zur Eigenbeschreibung. (Von anderen als linksextrem bezeichnete Personen oder Gruppen nennen sich selbst zumeist „radikal“ oder „linksradikal“, vgl. die bekannte Parole des SDS aus dem Jahr 1967: „Wir sind eine kleine radikale Minderheit“). Der Begriff „linksextrem" dient zumeist dazu, die bestehende Ordnung gegen als solche definierte Theorien, Personen oder Gruppierungen zu verteidigen. Dabei werden deren zum Teil sehr unterschiedliche „positive" Zielmodelle (Kommunismus, Anarchismus oder andere) oft ignoriert.
Der Begriff stammt aus der Totalitarismustheorie der westdeutschen Nachkriegszeit. Er wird vor allem vom deutschen Verfassungsschutz und von Extremismusforschern wie Eckhard Jesse verwendet, um Gruppen aus dem linken Spektrum zu kategorisieren, die wesentliche Werte des Grundgesetzes negieren würden. Demnach bekämpfen sogenannte Linksextremisten den Staat und seine Institutionen als Ausdruck eines von Rassismus und Faschismus geprägten Kapitalismus, den man nur mit Gewalt stürzen könne.
Während die Verwender des Begriffs Linksextremisten meist eine Orientierung an demokratischen Grundwerten absprechen, betonen diese oft umgekehrt die Distanz der heutigen demokratischen Staatsorgane zu diesen Grundwerten und bestreiten die Identität von Verfassungsnormen und Verfassungswirklichkeit, um ihre radikale Systemopposition zu legitimieren.
Zur Klärung des Begriffs formuliert Eckhard Jesse als Extremismusexperte für die Bundeszentrale für Politische Bildung, das Bundesministerium des Innern sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz: Linksextremismus ist eine Sammelbezeichnung für jene antidemokratischen Strömungen, die nach eigenem Anspruch jegliche Herrschaft des Menschen über den Menschen ablehnen und sei es, dass zentrale Organisationsformen generell als Übel gelten ("Anarchismus"), sei es, dass die "kapitalistische Klassengesellschaft" als Ausgeburt des Bösen firmiert ("Kommunismus"). Der Begriff des "Stalinismus" kann den des Linksextremismus nicht ersetzen, da er nur eine Spielart des Linksextremismus erfasst. Jeder Stalinist ist ein Linksextremist, aber nicht jeder Linksextremist ein Stalinist.
Was umfasst Linksextremismus?
Im Gegensatz zu Rechtsextremisten, die von für sie naturgegebener Ungleichheit der Menschen ausgehen und eine kulturelle, nationale oder rassische "Volksgemeinschaft" anstreben, bejahen Linksextremisten theoretisch die fundamentale Gleichheit aller Menschen und stellen daher internationalistische gegen nationalistische politische Ziele in den Vordergrund.
Als Extremismus werden in der Wissenschaft dabei "politische Diskurse, Programme und Ideologien erfasst, die sich implizit oder explizit gegen grundlegende Werte und Verfahrensregeln demokratischer Verfassungsstaaten richten" (Uwe Backes). Während der Rechtsextremismus dabei das "Ethos fundamentaler Menschengleichheit" nicht anerkenne, handele es sich beim Linksextremismus um "radikal-egalitäre Strömungen".
Linksextremisten sehen die repräsentative Demokratie nicht als politischen Ausdruck einer realisierten Gleichberechtigung, sondern als Herrschaftsinstrument zur Verhinderung wirklicher Gleichheit an. Sofern sie sich auf den Marxismus beziehen, betrachten sie die "formale" oder "bürgerliche" Demokratie als einen bloßen "Überbau" der kapitalistischen Klassengesellschaft, der deren ausbeuterischen Charakter verdecken und schützen solle.
Mit dieser Einschätzung geht allerdings - und das unterscheidet Linksextremisten von demokratischen Sozialisten und Kommunisten - eine Abwertung traditioneller Politikformen zur Überwindung der Klassenherrschaft einher. Linksextreme Gruppen und Personen sind oft nicht in der Arbeiterbewegung verwurzelt und beteiligen sich kaum an der Alltagsarbeit in Betrieben, Gewerkschaften und Linksparteien, deren repräsentative oder hierarchisch aufgebaute Organisationsmodelle sie ablehnen. Sie bevorzugen die direkte Konfrontation mit den Staatsorganen und glauben, damit könnte eine revolutionäre Entwicklung in Gang gesetzt werden.
Dies hat ihre gesellschaftliche Isolation und damit ihre Gewaltneigung in der Vergangenheit bis hin zum Terrorismus - z.B. der RAF oder der italienischen Rote Brigaden in den 1970er Jahren - verstärkt. Statt der angestrebten Gesellschaftsveränderung erreichten gewaltbereite Linksextremisten die Abkehr der Menschen, die sie vorgeblich befreien wollten, von ihren Zielen und eine weitere Zementierung der Verhältnisse, gegen die sie kämpften. Insofern vertreten sie entgegen ihrem Anspruch nicht die Interessen einer unterdrückten Mehrheit, sondern nur den abstrakten Machtkampf einer isolierten Minderheit. Gleichwohl stellen sie durch das ihnen innewohnende Gewaltpotenzial auch eine latente Bedrohung für andersdenkende Menschen dar, die sich ihren Machtansprüchen widersetzen.
Andererseits versuchen viele Gruppen, die von Staatsbehörden als "linksextrem" eingestuft werden, Freiräume innerhalb der Gesellschaft zu erkämpfen und dort ihre Utopien zu leben. Dazu gehören zum Beispiel die Hausbesetzerbewegung, viele linksalternative Gruppen innerhalb der Ökologie- und Antiatombewegung sowie viele den Globalisierungsgegnern nahestehende Gruppen. Die regierungsamtliche Definition des Linksextremismus gewährleistet also keine ausreichende Differenzierung zwischen gewaltbereiten Systemgegnern und Gruppen, die auf friedliche und basisdemokratische Weise eine Gesellschaftsveränderung anstreben.
Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland
Die Nachkriegssituation in Westdeutschland war auch durch die nachhaltige Zerstörung von radikaldemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Bewegungen im Faschismus bestimmt. Im Kalten Krieg wurde dann ein pauschaler Antikommunismus zum Gründungskonsens der bundesrepublikanischen Demokratie, während die diktatorische DDR die Führungsmacht der Sowjetunion beschwor und glorifizierte. So setzte die amtliche bundesdeutsche Ideologie Linksextremismus, Kommunismus und Demokratiefeindschaft stets gleich.
In dieser innenpolitischen Lage konnten Ansätze zu einer weitergehenden Demokratisierung von Ökonomie, Staat und Gesellschaft, die einer Machtkonzentration und "Formierung" (Ludwig Erhardt) begegnen wollten, nur schwer Fuß fassen. Arbeiterbildung, basisdemokratische Parteistrukturen oder Austausch mit Akademikern hatten in den 50er Jahren noch kaum Chancen.
Erst die Studentenbewegung durchbrach den antikommunistischen Konsens und politisierte eine neue Generation. Dabei wurden die Zusammenhänge zwischen Außen- und Innenpolitik, Vietnamkrieg und Bildungsnotstand erstmals angreifbar. Ein indirektes Ergebnis war die Ablösung der langjährigen CDU/CSU-Regierung durch die SPD-FDP-Koalition 1969. Doch die Hoffnungen, die Willy Brandt mit seiner Regierungserklärung weckte - "mehr Demokratie wagen" -, erfüllten sich für manche nur unzureichend: Die Integration eines Teils der radikalisierten antiautoritären Studenten in das politische System der Bundesrepublik misslang.
So ging aus dem "Linksradikalismus" der APO der "Linksextremismus" in Gestalt des Individualterrors der "Roten Armee Fraktion" hervor. Diese spezifisch bundesdeutsche Variante hatte mit dem Anarchismus und Marxismus, deren Theorien im 19. Jahrhundert entfaltet wurden, faktisch nichts zu tun. Ihre theoretische Basis war ein Konzept der "antiimperialistischen Stadtguerilla", bei dem Methoden des Guerillakampfes aus der "Dritten Welt" in die "Metropolen" der deutschen Industriegesellschaft übertragen wurden. Damit sollte der demokratische Staat als in Wahrheit faschistisches Machtgebilde "entlarvt" werden. Darum konzentrierten sich die Linksterroristen bei ihren Aktionen auf hervorgehobene Repräsentanten von Wirtschaft und Staat, die eine Verbindung zum Nationalsozialismus hatten oder denen sie eine solche unterstellten.
Die in den 1970ern kulminierenden Anschläge der RAF führten zu massiven Kontroversen innerhalb der linken Szene über den Einsatz jeder Art von Gewalt. Teilweise wurde Gewalt gegen "Sachen" von Gewalt gegen "Personen" zu unterscheiden versucht und die Letztere meist abgelehnt. In der Praxis war diese Unterscheidung jedoch kaum durchführbar: zum Einen, weil auch Gewalt gegen Sachen - z.B. Castortransporte und Bahnstrecken - Menschen gefährdete, zum Anderen, weil die Unterscheidung in der öffentlichen, von Medien und Parteien bestimmten Gewaltdefinition keinen Rückhalt fand. Vielmehr setzte sich die Einschätzung von Verfassungsschützern durch, dass nicht nur expliziter Terrorismus, sondern auch K-Gruppen, "Antiimperialisten" und "Autonome", ja selbst betont gewaltfreie Gruppen wie die "Graswurzelrevolution" als Linksextremisten einzustufen und zu bekämpfen seien.
Das "autonome" Spektrum - Gruppen mit unterschiedlichem antiimperialistischem oder antifaschistischem Selbstverständnis und einer Gewaltbereitschaft gegen Staatsorgane - versuchte seit etwa 1980, die damals wachsende Friedensbewegung und Anti-Atomkraft-Bewegung für seine Ziele zu beeinflussen. Bei angemeldeten Demonstrationen verursachte der sogenannte "schwarze Block" nicht selten Sachbeschädigungen, bei Gegendemonstrationen gegen Rechtsextremisten kamen oft Gewalt gegen Personen, Prügeleien, Steinwürfe, Brandsätze usw. hinzu. Die Zahl der Autonomen ging jedoch im Gefolge der europäischen Einigung der späten 80er Jahre stark zurück.
Im Kontext neuer sozialer Bewegungen wie der Globalisierungskritiker oder Hartz-IV-Opposition versuchen noch vorhandene radikale oder extreme Gruppen, auf sich aufmerksam zu machen und Anschluss zu finden. Dabei kann jedoch beobachtet werden, dass diese Gruppen ihre radikalen Forderungen teilweise moderaten Zielen unterordnen, um ihre eigentlichen Kernanliegen einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen.
Liste des Verfassungsschutzes
Entgegen obiger Definition werden zur Zeit vom Bundesverfassungsschutz als linksextrem eingestuft:
- Autonome,
- traditionelle Anarchisten
- einige Graswurzelanarchisten
- Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands
- Deutsche Kommunistische Partei
- Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
- Kommunistische Plattform
- Marxistisches Forum
- Antideutsche (eine Sonderform antifaschistisch orientierter Gruppen)
- Trotzkistische Gruppen (z. B. Linksruck, SAV)
- Rote Hilfe e. V.
Unter Beobachtung steht nach wie vor die PDS. Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes Heinz Fromm stellte im Gespräch mit der Bild am Sonntag fest, es bestehe kein Anlass, auf die Beobachtung zu verzichten. Ferner sagte er der Zeitung:
- Es gibt eindeutig extremistische Bestrebungen innerhalb der PDS, etwa das Marxistische Forum oder die Kommunistische Plattform.
Literatur
Uwe Backes, Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl., Bonn 1996, Klassiker der Extremismusforschung
Patrick Moreau, Jürgen P. Lang: Linksextremismus. Eine unterschätzte Gefahr, Bonn 1996, ISBN 3416025431
Manfred Agethen, Eckhard Jesse, Ehrhart Neubert (Hg.): Der missbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken, Freiburg im Breisgau 2002, ISBN 3451280175, Sammelband von der Konrad-Adenauer-Stiftung mit wissenschaftlichen und journalistischen Beiträgen
Hans-Helmuth Knütter, Stefan Winckler (Hg.): Handbuch des Linksextremismus, Graz-Stuttgart 2001 Aufsatzsammlung aus konservativer und neu-rechter Perspektive
Siehe auch
Weblinks
- verfassungsschutz.de Artikel zum Thema Linksextremismus vom Verfassungsschutz
- extremismus.com Wissenschaftliche Texte zum Linksextremismus
- Nadir: Kampfbegriff "Extremismus" Ideologiekritische und radikal linke Kritik am Extremismusbegriff