Stottern
Definition: "Stottern ist grundsätzlich eine erworbene, komplexe, hochgradig vernetzte Verhaltensstörung mit neurotischen Anteilen."
Phänomenologie:
Es gibt in den meisten Sprachen einen nahezu gleichbleibenden Anteil von ca. 1% stotternden Erwachsenen, davon ca. 80% Männer und 20% Frauen. Die ungleiche Verteilung ist nicht ganz geklärt, wahrscheinlich liegt sie an verschiedenen Entwicklungsverschiebungen bezogen auf die Festigung der Feinmotorik des Sprechaktes und die Überlagerung mit Störungen der Weiterentwicklung der kindlichen Persönlichkeit.
Interessant ist die Häufigkeit des "temporären" Stotterns bei Kindern: Hier unterscheidet sich die Literatur: Manche Studien sagen 50% aller Jungen stottern kurzfristig, andere tendieren zu 33% oder 20%. Bei Mädchen ist der Prozentsatz geringer, aber höher, als das 80-20-Verhältnis vermuten lässt, die Zahlen gehen von 10%-25% der Mädchen.
Es ist zwischen genuinem "Stottern", "Poltern" und "Stammeln" zu unterscheiden:
- Stottern bezeichnet das unmittelbare "Stocken" vor oder in einem Wort.
- Poltern äussert sich in überstürztem Sprechen, Verschlucken von Lauten oder hastiger, undeutlicher Aussprache
- Beim Stammeln fehlen einzelne Sprachlaute, die durch andere ersetzt oder verzerrt werden. Hierzu zählen Lispeln und die falsche "R"-Aussprache.
Verlauf des Phänomens
Grundsätzlich kann man sagen, dass Stottern relativ gut behandelbar ist. Es treten bei unterschiedlichsten Therapien immer wieder Erfolge auf, sehr häufig ist auch die "Selbstheilung", bei der Betroffene das Phänomen schrittweise bezwingen.
Gleichzeitig zeigt sich Stottern schulwissenschaftlichen Heilungsansätzen als erstaunlich resistent und gilt weithin als schwer bis nicht therapierbar. Je nachdem wie man "Heilung" definiert kann man mit gleichem Recht von unheilbar, aber auch von absolut heilbar sprechen.
Ursachen-Forschung:
Grundsätzlich ist es sinnvoll, bei komplexen Verhaltensmustern zwischen "auslösenden Ursachen" und "aufrechterhaltenden Ursachen" zu unterscheiden:
- Auslösende Ursachen können eine genetische Disposition zu leichtem hypernervösen Verhalten, gravierende Störungen des emotionalen Gleichgewichtes und viele andere Faktoren sein.
- Aufrechterhaltende Ursachen sind primär die neurophysiologische "Standard-Prägung" des Sprechaktes in Verbindung mit der permanenten Anforderung an Stotterer zu sprechen.
Grundlegende therapeutische Ansätze:
Es gibt zum einen die Modifikations-Therapie nach Charles van Riper, einem gebürtigen Niederländer, der in den USA als starker Stotterer und Neuropsychologe Fourore gemacht hat und mit einem umfangreichen Therapie-Programm einen Zweig der Logopädie begründet hat. Hier geht es ausgehend von der Annahme, dass Stottern grundsätzlich nicht heilbar ist, primär darum, die stotternde Sprechweise anzunehmen, mit ihr zu leben und sie explizit modifizieren zu lernen.
Zum anderen gibt es die "Naturmethode" (verschiedene Begründer), die sich am Singen und natürlichen Sprechen orientiert und versucht über stärkere Klangführung beim Sprechen eine bessere Sprechtechnik einzuüben. Das bedeutet vereinfacht, dass das Sprechen als solches in weiten Teilen zu überarbeiten ist und die eigentliche Sprechtechnik im Hinblick auf "Tongebung", Stimmgebrauch, Sprechhaltung und ~anspannung neu zu lernen ist.
Daneben gibt es eine ganze Reihe von Teil-Methoden, die ihren Schwerpunkt auf unterschiedliche Aspekte wie Atemtechnik, Klangerzeugung o.ä. legen oder mit Hilfsmitteln wie Hypnose arbeiten. Allerdings ist die Fachwelt uneins über die Wirksamkeit der Ansätze, wiewohl in den Medien immer wieder "geheilte" Klienten vorgeführt werden.
Berühmte Stotterer:
Winston Churchill, King Georg (Vater von Queen Elizabeth), Isaac Newton, Marilyn Monroe, Bruce Willis (mittlerweile "geheilt"), Demosthenes, vermutlich Paulus von Tharsus, James Earl Jones (Stimme von "Darth Vader").