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Amt für Verfassungsschutz Thüringen

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Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz

Stellung Oberbehörde
Aufsichtsbehörde Thüringer Innenministerium
Hauptsitz Erfurt
Behördenleitung Roger Derichs
Bedienstete 98
Haushaltsvolumen 6,21 Mio. Euro (2012)
Netzauftritt www.thueringen.de/verfassungsschutz

Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) ist die Landesbehörde für Verfassungsschutz des Freistaats Thüringen. Die 1991 errichtete Behörde hat ihren Sitz in Erfurt. Es nutzt für seine Aufgaben nachrichtendienstliche Mittel.

Auftrag

Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist es, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder sowie gegen Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität zu treffen.

Aufbau

Das TLfV verfügte im Haushaltsjahr 2012 über 98 hauptamtliche Mitarbeiter und einen Etat in Höhe von 6.219.500 Euro.[1] Dem Präsidenten unterstehen folgende Abteilungen:

Behördenleitung

Zeitraum Name Funktion Bemerkung
bis 1994 Harm Winkler[2][3] Amtsleiter
1994–2000 Helmut Roewer Präsident U.a. aufgrund einer Veruntreuungsaffäre um die Tarnfirma Heron Verlagsgesellschaft zunächst suspendiert, dann in den Ruhestand versetzt.
2000–2012 Thomas Sippel Präsident Wegen Pannen bei Ermittlungen zum Nationalsozialistischen Untergrund in den einstweiligen Ruhestand versetzt.[4]

Rechtsgrundlage

Rechtsgrundlage der Arbeit des TLfV ist das Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) vom 29. Oktober 1991 (GVBl. S. 527), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Thüringer Gesetzes zur Änderung sicherheits- und verfassungsschutzrechtlicher Vorschriften vom 16. Juli 2008 (GVBl. S. 245)

Kontrolle

Das LfV unterliegt der Fachaufsicht durch das Thüringer Innenministerium, Referat „Verfassungsschutz, Geheimschutz“. Eine parlamentarische Überwachung erfolgt durch Unterrichtung des ständigen Ausschusses des Landtags durch den Innenminister sowie die sogenannte G10-Kommission.

Bekannte V-Leute

  • Kai-Uwe Trinkaus[5], war 2007 und 2008 Kreisvorsitzender der NPD-Erfurt und ist seit Ende 2008 Landesvorsitzender der DVU. Er arbeitete zwischen Mai 2006 und September 2007 im Auftrag des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz. 2012 enttarnte er sich öffentlich in Gesprächen mit Journalisten und gab an von seinem V-Mann-Führer eine Liste mit Adressen und Namen von elf AntifaschistInnen erhalten zu haben die auf der Homepage der Erfurter NPD veröffentlicht wurde. Die Staatsanwaltschaft Erfurt konnte bis dahin nicht aufklären wie diese Namen aus polizeilichen Ermittlungsverfahren zur NPD gelangt waren[6]. Das TLfV widersprach seinen Behauptungen in einer Pressemitteilung[7]. Darüber hinaus behauptet er den bereits 2007 enttarnten Neonazi Andy F. der als Praktikant die Linksfraktion im Thüringer Landtag und den Landesverband der Jusos ausspioniert hatte hierzu angeleitet und dies auch mit dem Landesamt für Verfassungsschutz abgesprochen zu haben, doch auch davon will das TLfV im Vorhinein nichts gewusst haben.
  • Tino Brandt, von 1994 bis 2001 für das Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen tätig; treibende Kraft im neonazistischen Kameradschaftsnetzwerk „Thüringer Heimatschutz”; seit 1999 in der NPD; seit April 2000 stellvertretender Landesvorsitzender der NPD.
  • Marcel Degner[8], Kassenwart und Sektionsleiter von Blood and Honour
  • Thomas Dienel[9], gründete die Deutsch-Nationale Partei (DNP)[10] und war bis 2000 V-Mann[11][12] Im Jahr 1992 stellte Bundesinnenminister Rudolf Seiters einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht, ihm die Grundrechte nach Art. 18 Grundgesetz zu entziehen.[13] Der Antrag wurde aber vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen. Zu diesem Zeitpunkt war das Bundesinnenministerium plötzlich davon überzeugt, dass er keine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt.[14]
  • Manfred Reich[15]

Affären

Ende der 1990er Jahre führte das Landesamt mit nicht unbeträchtlichem finanziellen Aufwand zahlreiche V-Leute in der rechtsextremen Szene. Einer davon, Tino Brandt, war im Thüringer Heimatschutz Anführer einer Gruppe, aus der 1998 nach einigen geplanten Sprengstoffanschlägen ein Trio in den rechtsterroristischen Untergrund abtauchte. Dieses verübte in den folgenden 13 Jahren eine Mordserie, von den Ermittlungsbehörden als „Mordserie Bosporus“ bezeichnet. Außer den Morden, die in Form von Exekutionen durchgeführt wurden, begingen die Täter noch mindestens das Nagelbomben-Attentat in Köln und eine Serie von Banküberfällen. Die in dem vom Terror-Trio bewohnten Zwickauer Haus gefundenen Papiere nähren den Verdacht, dass sie vom Landesamt möglicherweise sogar neue Identitäten und Pässe erhalten haben könnten.[16][17] Der zur Zeit des Abtauchens des Neonazi-Trios verantwortliche Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer wurde 2000 entlassen und publiziert inzwischen selbst im rechtsextremen Grazer Ares-Verlag.

Die Mitte der 1990er Jahre im Raum Coburg gegründete „Fränkische Heimatschutz“ wurde von einem V-Mann des thüringischen Verfassungsschutzes geleitet.[18]

Die nachrichtendienstliche Überwachung des heutigen thüringischen Oppositionsführers Bodo Ramelow begann ebenfalls unter Roewer in den 1990er Jahren. Die Überwachung des Parlamentariers wurde vom Bundesverfassungsgericht im Oktober 2013 für verfassungswidrig befunden.

Wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs gab es im März 2012 mehrere umfangreiche Hausdurchsuchungen bei ehemaligen V-Leuten des Thüringer Verfassungsschutzes; unter den Beschuldigten befindet sich auch Brandt.[19]

Ein Polizist der später als V-Mann-Führer zum Thüringer Verfassungsschutz versetzt wurde, soll nach Angaben des Magazins „Der Spiegel“ wiederholt Informationen über geheime geplante Polizeiaktionen an den Thüringer Heimatschutz weitergegeben haben.[20] Der betroffene Polizist streitet jedoch die Vorwürfe ab.[21]

Einzelnachweise

  1. http://www.thueringen.de/imperia/md/content/verfassungsschutz/bericht_-_pressefassung.pdf
  2. Spiegel Online vom 10. Juli 2012: Thüringer Neonazi-Ausschuss: „Ab morgen bin ich hier Präsident, Sie können gehen“
  3. mdr vom 11. Juli 2012: Thüringer NSU-Ausschuss: Erster Verfassungsschutzchef Harm Winkler greift Innenministerium an
  4. Spiegel Online vom 3. Juli 2012: NSU-Affäre: Thüringer Verfassungsschutz-Chef muss gehen
  5. Spiegel Online vom 1. Februar 2013: Ex-Verfassungsschützer vor NSU-Ausschuss: König V-Mann (Archiv)
  6. mdr vom 5. Dezember 2012: Ehemaliger Erfurter NPD-Chef war V-Mann
  7. Presseerklärung des TLfV vom 6. Dezember 2012
  8. Haskala: Blood and Honour Thüringen: Marcel “Riese” Degner alias Quelle 2100
  9. MDR: Der V-Mann Thomas Dienel
  10. Profil der DNP bei apabiz
  11. Thüringische Landeszeitung: Ex-V-Mann Dienel: Ich wurde vor Polizei-Aktionen gewarnt
  12. Thüringer Allgemeine: Verfassungsschutz soll V-Leute aktiv beeinflusst haben
  13. Spiegel Ausgabe 51/1992 vom 14. Dezember 1992: Rechtsradikale: Der Innenminister will zwei Neonazis die Grundrechte entziehen lassen. Die spielen jetzt die Märtyrer.
  14. Die Welt vom 31. Juli 96: Rechtsextremisten behalten Grundrechte: Verfassungsrichter lehnen Antrag der Bundesregierung ab - "Beide sind keine Gefahr mehr"
  15. Der V-Mann-Fall Manfred Reich (Interview mit Rolf Gössner)
  16. Nach Mordserie Hinweise auf rechten Terror. SWR, 12. November 2011
  17. Rechter Terror: Die mögliche Verbindung der Täter zum Geheimdienst. In: Welt-Online, 13. November 2011.
  18. Webseite des Bayerischen Landtags vom 9. Oktober 2012: NSU-Untersuchungsausschuss startet mit der Zeugeneinvernahme (Archiv)
  19. Spiegel Online vom 28. März 2012: Betrugsermittlungen im rechten Milieu: Razzia bei ehemaligen V-Leuten
  20. Spiegel Online vom 24. August 2012: Pannen bei NSU-Ermittlungen: Polizist half Thüringer Neonazis
  21. Spiegel Online vom 30. August 2012: NSU-Ermittlungen: Polizist streitet Hilfe für Neonazis ab