Inklusive Pädagogik
Die inklusive Pädagogik ist eine neue Form der Pädagogik, welche besonders in den skandinavischen Ländern bereits Alltag ist, in Deutschland jedoch noch kritisch gesehen wird.
Entwicklung
Das Ziel der Bildungssysteme war bisher immer die Selektion, das Trennen der Spreu vom Weizen. Schüler wurden nach der Grundschule beurteilt und dann eingeteilt in Haupt- und Realschule und Gymnasium; wer in keine dieser Schulen passte, wurde in die Sonderschule abgeschoben, wo eine weitere Sortierung nach Auffälligkeit und Förderschwerpunkt geschah. Wer an einer der oben genannten Schulen versagte, der wurde ein Jahr zurück gestuft oder an eine "niedrigere" Schulstufe verwiesen. Man wollte so möglichst homogene Klassen mit einem gleichen Kenntnisstand erzeugen und gewissermaßen Bildungskarrieren initiieren, die eine Vorauswahl treffen, welche Auswirkungen auf den gesamten Lebenslauf hatte. Wozu sollte man einen Schüler zum Abitur führen, wenn er nicht die Fähigkeit zum abstrakten Denken hatte? Wozu Realschulabschluss, wenn er schlechte Noten in Mathemtatik hat? Wozu überhaupt ein Schulabschluss, wenn er eine Lernstörung hat? Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die gesellschaftliche Aufgabe der Schulen weniger in der Bildung der Jugendlichen, als vielmehr in der Erziehung und Sortierung der Kinder lag und liegt.
Erste Bestrebungen, dies aufzuweichen, war die Einführung der Gesamtschulen, welche integrativ arbeiten, Schüler entsprechend ihren Interessen ausbilden und den Umgang mit "Andersartigen" lehren. Die Idee der Gesamtschulen wurde jedoch nicht erreicht, sondern sie bildete vielmehr einen weiteren Schulzweig, welcher neben den Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen existiert. Auch löst die Integration das Denken von Andersartigkeit nicht auf, denn bevor jemand "integriert" werden kann, muss er ja außerhalb eines Systems stehen. Im Fall von integrativ arbeitenden Schulen, wurden Förderbedürftige in speziellen Förderkursen zusätzlich unterrichtet und verbrachten nur einen Teil der Schulzeit mit den "normalen" Kindern. Dadurch entstand in den Köpfen der Kinder schon wieder der Gedanken des "normal und anders", auch wenn der Umgang mit den "Anderen" besser gelernt wurde.
Idee
Die Idee der inklusiven Pädagogik besteht darin, keinen Schüler mehr als "andersartig" anzusehen. Eine Klasse bildet ein heterogenes Ganzes, eine Einheit vieler unterschiedlicher Schüler, die alle förderbedrüftig sind. In der inklusiven Pädagogik gibt es keine normalen Schüler mehr, jeder Schüler ist Sonderschüler und dadurch wird der Sonderschüler zum normalen Schüler. Sonderschulen werden somit überflüssig und die Sonderpädagogik wird der "normalen" Pädagogik gleichgestellt, sie bilden eine Einheit. Statt verschiedenen Schulen gibt es nur noch eine Schule für alle, die jeden individuell fördert, seine Interessen beachtet.
Dies soll zu mehr Chancengleichheit, Gleichberechtigung und vor allem zu einem hohen Bildungsstandard führen.
praktische Umsetzung
Um die Ideen der inklusiven Pädagogik umsetzen zu können, ist es nötig, alle bisherigen Konzepte und Ideen von Schule zu verwerfen. Die inklusive Schule hat keine Klassen im herkömmlichen Sinne mehr, es gibt auch keine Bänke und keine Tafel mehr. Sie hat viele verschiedene Räume, z.B. einen "Mathe-Raum", einen "Geografie-Raum", einen "Informations-Raum". Die Räume bestehen wiederum aus verschiedenen Bereichen, z.B. einer "Bücher-Ecke", einer "Computer-Ecke" und einer "Lese- und Schreibecke". Jeder Schüler hält sich gerade in dem Raum auf, in welchem das Fach unterrichtet wird, zu welchem er gerade Lust hat. Hat er Lust auf Mathematik, so geht er in den Mathe-Raum, wo Schüler aller Altersstufen, die gerade Lust auf Mathematik haben in Mathematik unterrichtet werden. Ein fragend-entwickelnder Unterricht wie er an deutschen Schulen häufig noch anzutreffen ist, ist hier natürlich unmöglich. Die Schüler müssen sich den Stoff selbst aneignen, wofür ihnen eine Vielzahl an Medien zur Verfügung steht, der Lehrer lehrt dabei nicht mehr, sonden gibt dem Schüler nur noch Hilfestellungen. Hat ein Schüler in einem Fach besondere Schwierigkeiten, so gibt es spezielle Förderräume, in welchem Sonderpädagogen sich den Problemen dieses Schüler annehmen.
Da Schüler bei diesem System das selbsterschließende Lernen möglichst früh lernen müssen, werden in Ländern, in welchen die inklusive Pädagogik bereits Realität ist, die besten und fähigsten Pädagogen in den Vor- und Grundschulen eingesetzt.
Kritikpunkte
Ein häufiger Kritikpunkt an der inklusiven Pädagogik ist die Befürchtung, dass elitäre Schüler zurückbleiben. Beachtet man jedoch, dass in Schweden 70% eines Jahrgangs das Abitur erreichen und Schweden dabei bei der Pisa-Studie als Gewinner dastand, wird diese Befürchtung hinfällig.
Ein wesentlich berechtigterer Kritikpunkt ist die Feststellung, dass die bisherige Selektion ausbleibt, sondern vielmehr eine Bildungsgesellschaft herangezogen wird. Erreicht 70% eines Jahrgangs das Abitur, werden deutlich mehr junge Erwachsene künftig ein Studium anstreben und immer weniger die arbeitende Grundlage der Gesellschaft bilden.
Oft wird der inklusiven Pädagogik auch vorgeworfen, sie sei ein Aktionismus der zu einem chaotischen Durcheinander mit unglaublichem bürokratischen Aufwand führt. Hier muss klar festgestellt werden, dass Lehrer künftig höheren Anforderungen ausgesetzt sein werden, sowohl in ihrer Ausbildung, als auch im Beruf. Das einmalige Ausarbeiten eines Konzeptes und das jährliche Wiederholen des Schema F ist in dieser neuen Form der Bildung sicherlich nicht mehr möglich. Lehrer sind vielmehr dazu gezwungen, sich jeden Tag aufs Neue mit dem Stoff und der Frage wie dieser dem einzelnen Schüler näher gebracht werden kann auseinander zu setzen. Vielleicht führt auch dies zu dem heftigen Widerstand aus Lehrerkreisen, wobei die neuen Unterrichtsformen für den Lehrer zwar arbeitsintensiver, dafür aber weniger anstrengend sind, so dass es zu keinem großen effektiven Freizeitverlust für die Lehrkräfte kommt.
Um dieses neue Konzept der Pädagogik umsetzen zu können, müssen völlig anders ausgebildete Lehrer eingestellt werden. Die klassische Aufteilung in Gymnasial-, Real-, Haupt- und Sonderschullehrer entfällt, dadurch würden die momentan beschäftigten Lehrer nicht mehr in das System passen. Es wären umfangreiche Umschulungen notwendig und sicherlich auch zahlreiche Entlassungen, was sich das Bildungssystem beim aktuellen Lehrermangel jedoch nicht leisten kann.
Ebenso sind die bisherigen Schulgebäude für ein solch neues Konzept nicht geeignet. Es müssten neue Gebäude her und die alten beseitigt werden. Dies wäre mit einem enormen finanziellen Aufwand verbunden.
siehe auch
Literatur
- Rainer Grubich: Inklusive Pädagogik, 2005, ISBN 3900050503
- Irmtraud Schnell, Alfred Sander: Inklusive Pädagogik, 2004, ISBN 3781513173