Pflasterstrand
Der Pflasterstrand (Schreibweise ab Februar 1986: „PflasterStrand“) war ein unter diesem Namen von 1976 bis 1990 vierzehntäglich bzw. monatlich erscheinendes Frankfurter Stadtmagazin, dessen verantwortlicher Redakteur Daniel Cohn-Bendit war.
Bevor es sich „Stadtzeitung für Frankfurt“ und später „Metropolenmagazin“ nannte, erschien es unter einer Reihe anderer Untertitel, die seine kritische politische Ausrichtung ausdrücken sollten, beispielsweise: Sponti-Stadtzeitung, Zeitung für Stadtindianer, Zeitung für Exhibitionisten, Zeitung für Krankfurt, Zeitung der Linksradikalen in Frankfurt, Zeitung für eine Welt mit festen Spielregeln und Gags, Zentralorkan des Rhein-Main-Sumpfes, Zeitung für Träumer/innen, Zeitung für Bankfurt, Zeitung für Punkfurt, Zeitung für Zankfurt, Zeitung für Schweinfurt, Zeitung für Fluchthelfer, Zeitung für Linksaußen.
Das herausragende Merkmal des Magazins war jedoch ein 14-täglicher Veranstaltungskalender für Musik, Kino, Theater, politische, kulturelle und Kinder-Veranstaltungen, der damals in dieser zusammenfassenden Form sonst nirgends gedruckt wurde.
Geschichte
Anfänge
Der Pflasterstrand ging aus der Zeitschrift FUZZY (Abkürzung für „Frankfurter Uni-Zzeitungs-Ynitiative“) des Frankfurter AStA hervor. Die Zeitschrift verstand sich zunächst als Sprachrohr der linken Sponti-Szene in Frankfurt am Main. Dies wurde verdeutlicht durch ihren Titel, der sich auf den Sponti-Spruch „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ bezieht (der Slogan war allerdings älter, und stammte ursprünglich aus dem Mai 1968). Sie bot jedoch darüber hinaus einem breiten Spektrum linker Meinungen ein Forum. Zentrale Person und Spiritus Rector war Daniel Cohn-Bendit. In der Nullnummer vom Oktober 1976 wurde die Zielsetzung formuliert: „[E]ine Darstellung und Auseinandersetzung eines Spektrums [zu] werden, das von den Makrobioten bis zur Revolutionären Zelle reicht, das unsere Fluchtwünsche und individuellen Schwierigkeiten ebenso aufgreift wie politische Dimensionen, die brutale Repression der Polizei ebenso wie die Selbstrepression unter uns Linken.“[1]
Konsolidierung
Seit Mitte der 80er Jahre orientierte sich der Pflasterstrand politisch an der Linie des Realo-Flügels innerhalb der Grünen, den Cohn-Bendit und seine ehemaligen Sponti-Mitkämpfer Joschka Fischer und Thomas Schmid entscheidend mitprägten. Parallel dazu gab es journalistische Professionalisierungstendenzen.
Ab 1982 hatte der Pflasterstrand, der bis dahin in erster Linie Beiträge von außen abdruckte, eine feste eigene Redaktion: Albert Sellner (Pseudonym „Emil Nichtsnutz“), Matthias Horx („Paul Planet”), Georg Dick („Trino Gordo“), Gisela Wülffing, Cora Stephan („Vita Quell“), Tatjana Botzat, Edith Kohn („Remy Martin“), Gerd Koenen, Johannes Winter („Franz Frühling”), Reinhard Mohr, Esther Schapira, Hartwin Möhrle, Joachim Klein, Werner W. Wille. Leidenschaftlich wurde von Seiten der linken Anwälte (Mike Knöss, Wilhelm Barabas, Armin Golzem und Rupert von Plottnitz) gefochten – nicht zuletzt gegen die RAF-Ideologie und die Argumentationen vieler Unterstützerzirkel. Das Feuilleton entwickelte sich unter der Ressortleitung von Elisabeth Kiderlen zu einem beachteten Diskursort Kultur, für den (fast) alle, die in Frankfurt Debattenbedarf hatten, veröffentlichten: Kasper König, Felix Schneider, Bernd Feuchtner, Heiner Goebbels, Jean Trouillet, Alexander Gauland, Claus Leggewie, Carl Hegemann („Carolina Bonavita“), Taygun Nowbary, Heipe Weiss, Harry Oberländer, Heiko Rosner, Inga Buhmann, Ulrike Kolb, Heike Kühn, Marli Feldvoß, Cornelia Niemann, Gitta Mohrdieck, DiWi Dreyse, Frank Herterich u.v. a. Austausch gab es auch mit der taz, aus deren Lokalredaktion vor allem Heide Platen, Klaus-Peter Klingelschmitt und Michael Miersch Beiträge lieferten. Walter E. Baumann verantwortete das teilweise recht avantgardistische (punkige) Layout und achtete darauf, dass die Politik nicht zu sehr überhandnahm. Ständige Autoren kamen aus Frankfurts Frauenszene, aus den diversen Zentren, Initiativen wie dem „Sogenannten linksradikalen Blasorchester“, „Karl Napps Chaostheater“, aus der Alternativszene der selbstverwalteten Betriebe – vom Druckladen bis zum Kino. Unter dem Künstlernamen Brösel veröffentlichte der Comicautor Rötger Feldmann im Oktober 1979 seine ersten Comicstrips. Mitte der 1980er-Jahre existierte außerdem für einige Zeit eine Regionalausgabe Kassel/Nordhessen. Ab 1986 wurden Cohn-Bendits Verlagtätigkeiten mit einem zunächst zinsfreien Kredit über 260.000 DM aus dem Topf zur "Förderung alternativer Betriebe" durch die SPD-geführte Landesregierung Hessens gefördert, um die landes- und bundesweite Expansion des Pflasterstrands zu ermöglichen.[2]
Wandel nach 1987
1987 stieg Matthias Kierzek, Eigentümer der Fuldaer Verlagsanstalt und Mitgründer des Eichborn Verlags, beim Pflasterstrand ein.[3] Neuer Chefredaktuer wurde Matthias Horx, der antrat, den Pflasterstrand „in ein modernes Diesntleistungsunternhemen zu verwandeln“. Das Magazin solle auch für diejenigen brauchbar sein, „die nicht unbedingt in ihrer Jugend Steine gegen die Banken geworfen haben“. Aus dem 14-täglich erscheinenden Untergrundblatt wurde ein monatliches Hochglanzmagazin, das gleichwohl nicht den erwarteten Erfolg erzielte. Zunächst stieg die Auflage das neuen Pflasterstrands auf 24.000, sank aber in der Folge wieder erheblich. Im August 1990 verkaufte Kierzek den Pflasterstrand an die Presse Verlagsgesellschaft mbH der beiden Verleger Dr. Jan-Peter Eichhorn und Gerhard Krauß, die seit 1982 in Frankfurt das konkurrierende Stadtmagazin Auftritt publizierte. Dort entschied man sich im September 1990, beide Monatstitel aufzugeben.[4] Die beiden ehemals konkurrierenden Teams entwickelten gemeinsam unter der Leitung der vom Pflasterstrand gekommenen Matthias Horx und Hartwin Möhrle eine neue, nun wieder 14-täglich erscheinende Stadtillustrierte, die im Oktober 1990 unter dem Titel Journal Frankfurt erstmals erschien und sich sehr schnell zur bis heute führenden Frankfurter Stadtillustrierten entwickelte.
Beiträge der Revolutionären Zellen
Zu einem Eklat kam es, als der Pflasterstrand 1978 im Rahmen einer längeren Diskussion über den untergetauchten Ex-Terroristen der Revolutionären Zellen Hans-Joachim Klein eine Erklärung von dessen ehemaliger Organisation unter dem Titel „Hunde, wollt ihr ewig bellen“ veröffentlichte. Der Vorgang veranlasste die Staatsanwaltschaft, die Räume des Pflasterstrands zu durchsuchen und die gesamte Auflage der betreffenden Ausgabe zu beschlagnahmen. 1985 erschien ein Interview von Cohn-Bendit mit dem zu der Zeit im Untergrund lebenden Klein.
Pädophile Beiträge
In der Kritik von Betroffenenverbänden und Medien stehen auch Beiträge, die Pädosexualität propagieren:[5]
- Pflasterstrand Nr. 21, 1978, S. 42: „Letztes Jahr hat mich ein 6jähriges Genossenmädchen verführt. Es war eines der schönsten und sprachlosesten Erlebnisse, die ich je hatte. Vielleicht war es so schön, weil es so sprachlos war. Es war das einzige Mal, wo es mir nicht zu früh kam. Aber das war nicht wichtig in dem Moment, und es ist auch jetzt nicht wichtig, ein Traktat über das Für und Wider von Päderastie zu schreiben.“
- Pflasterstrand Nr. 71, Januar 1980, S. 3 : „Vorbei das Jahr des Kindes. Endlich. Jetzt sind sie wieder zum Abschuss freigegeben. Wiewohl sich die Population noch immer nicht so recht vom Pillenknick erholt haben soll. Drum bleiben auch weiterhin die folgenden Schonzeiten in Kraft: Für alle Altersstufen von Mai bis Juni (Regenerationsmonate), für ein- bis dreijährige gilt die Schonzeit während der ganzen ersten Jahreshälfte. Zusätzlich zum Schutz der durchschnittlichen Kinderpopulation ist eine allgemeine Streckebeschränkung pro Revier auf maximal 10 Stück pro Jäger und Saison festgelegt. Das zulässige Höchstabschußalter wurde im Vergleich zu den Vorjahren (vor dem Jahr des Kindes) um zwei auf vierzehn Jahre gesenkt (früher einsetzende Zeugungsfähigkeit).“[6]
In weiteren Texten wurde befunden, die Linke solle sich stärker mit dem „Tabu“ der „abgewehrten und verleugneten Sexualität in der Erwachsenen-Kind-Beziehung“ beschäftigen, es habe sich gezeigt, „daß man nicht ohne weiteres davon ausgehen kann, daß die sexuellen Bedürfnisse von Erwachsenen und Kindern soweit auseinanderfallen, daß man hier nur und ausschließlich sexuelle Ausbeutungsverhältnisse unterstellen müsste.“ Ein Autor äußerte die Meinung, man tue „Kindern ja Gewalt an, wenn wir auf ihre sexuellen Bedürfnisse nicht eingehen.“[7]
Einschätzungen
Alice Schwarzer wertete in einer Retrospektive im Jahr 2001, der von Cohn-Bendit „jahrelang herausgegebene Pflasterstrand dürfte, viel mehr noch als sein Buch (Anm.:Der große Basar), eine Fundgrube sein für die von Feministinnen zu Recht beklagte linke Sexualpolitik.“[8] Volker Beck befürwortete 2013, Publikationen wie den Pflasterstrand in die Aufarbeitung der Pädophilie-Debatte einzubeziehen.[9]
Sekundärliteratur
- Stephanie Horn: Abschied Vom Kollektiv. Der Frankfurter PflasterStrand. Frankfurt am Main 1989, Brandes & Apsel, ISBN 3-925798-40-4
- X.2 Der Neoanarchismus. Renaissance und Entwicklung libertärer Presse in der Bundesrepublik von 1968 bis 1985. In: Bernd Drücke: Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland. Klemm & Oelschläger, Ulm 1998, ISBN 3-932577-05-1, S. 150 ff.
Weblinks
- Dokumentation der Auseinandersetzung um Hans-Joachim Klein im Pflasterstrand mit dem inkriminierten Artikel der Revolutionären Zellen „Hunde wollt ihr ewig bellen“ (1978) Klein-Interview von Daniel Cohn-Bendit (1985)
- Pflasterstrand in der Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus (DadA)
Einzelnachweise
- ↑ DadA-Periodika, Dok.-Nr.: DA-P0000891
- ↑ Standbein mit Coca. DER SPIEGEL 32/1986, S. 77/78
- ↑ „Pflasterstrand“: Neuer Teilhaber. In: Der Spiegel. Nr. 46, 1987, S. 293b (online).
- ↑ Nadja Büteführ: Zwischen Anspruch und Kommerz: lokale Alternativpresse 1970 - 1993: systematische Herleitung und empirische Überprüfung. Waxmann Verlag, 1995, S. 234f
- ↑ zitiert nach Pressemitteilung vom 22. Juli 2013] von netzwerkB
- ↑ zitiert nach Reinhard Löffler (online)
- ↑ Pädophile im linksalternativen Milieu. Die Freude am Tabubruch. taz, 12. Juni 2013
- ↑ In der Vergangenheit liegt die Gegenwart. Emma, Mai/Jui 2001
- ↑ Volker Beck über die Pädophilie-Debatte: „Man hörte sich erst mal jeden und alles an“. Badische Zeitung, 18. Mai 2013