Demografischer Übergang
Unter dem Begriff Demografischer bzw. Demographischer Übergang wird in der Demographie der Versuch zur Erklärung von Veränderungen in der Bevölkerungsentwicklung von Staaten bzw. Gesellschaften verstanden.
Modell des demografischen Übergangs
Dazu dient v.a. das Modell des demografischen Übergangs (auch Theorie des demografischen Übergangs oder aus dem engl. Demografische Transformation). Dabei handelt es sich im wissenschaftlichen Sinn nicht um eine Theorie, sondern um eine modellhafte Beschreibung des Übergangs von hohen zu niedrigen Sterbe-, Geburten- und damit natürlichen Bevölkerungswachstumsraten.
Das Modell geht auf erste Ansätze von Thompson (1929) und Notestein (1945) zurück und wurde später von den unterschiedlichsten Autoren aufgeriffen und verfeinert. Das Modell hat Anwendung gefunden:
- zur idealtypischen Beschreibung der Veränderungen von Mortalität und Fertilität in den westlichen Industrieländern (v.a. England und Schweden)
- zur Typisierung verschiedener Länder hinsichtlich ihres Standes in der demografischen Entwicklung und
- um nach den Ursachen des Transformationsprozesses zu fragen.
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4-Phasen Modell
Das ursprüngliche Modell wird in Phasen unterteilt:
- PHASE I (high stationary)
- stark schwankende Geburten- und Sterberate, die auf hohem Niveau dicht nebeneinander liegen.
- Kein wesentliches Bevölkerungswachstum bei hohem demografischem Umsatz.
- PHASE II (early expanding)
- Schere öffnet sich durch Sinken der Sterberate bei etwa gleichbleibender Geburtenrate.
- Es entsteht ein Geburtenüberschuß, der sich laufend vergrößert.
- PHASE III (late expanding)
- Schließen der Schere: Die Geburtenrate sinkt, und zwar sehr bald rascher als die Sterberate.
- Der Geburtenüberschuß nimmt laufend ab.
- PHASE IV (low stationary)
- Geburten- und Sterberate liegen auf tiefem Niveau eng beieinander.
- Kein wesentliches Bevölkerungswachstum bei niedrigem demografischem Umsatz.
5-Phasen Modell
In neueren Arbeiten (ca. 1970er Jahre) wird vielfach nicht zwischen vier, sondern fünf Phasen des demografischen Transformationsprozesses unterschieden:
- PHASE I Prätransformative oder Vorbereitungsphase:
- hohe, kaum voneinander abweichende Geburten- und Sterberaten
- Sterberate kann größere Schwankungen aufweisen und zeitweilig (durch Krankheiten, Seuchen, Hungersnöte, Kriege) die Geburtenrate übertreffen
- sehr geringes Bevölkerungswachstum.
- PHASE II Frühtransformative oder Einleitungsphase:
- die Geburtenrate bleibt konstant hoch, kann sogar aufgrund des verbesserten Gesundheitszustandes der Frauen leicht ansteigen
- langsames, meist nicht gleichmäßiges Absinken der Sterberate
- die Bevölkerungsschere öffnet sich
- PHASE III Mitteltransformative oder Umschwungphase
- die Sterberate fällt weiter auf ein niedriges Niveau; die Geburtenrate geht langsam zurück
- die Bevölkerungsschere ist am weitesten geöffnet
- PHASE VI Spättransformative oder Einlenkungsphase:
- die Sterberate sinkt kaum noch; die Geburtenrate nimmt dagegen sehr stark ab (durch bekannte Methoden und Mittel der Empfängnisverhütung)
- das Bevölkerungswachstum geht zurück, die Bevölkerungsschere schließt sich
- PHASE V Posttransformative oder ausklingende Phase
- Geburten- und Sterberate sind stabil und niedrig
- Bevölkerungswachstum ist gering und unterliegt kaum Schwankungen
Variables Modell
Der in der Empirie festgestellte demografische Übergang ist nicht in allen europäischen Ländern gleich verlaufen. Begonnen hat er in England und dauerte dort ca. 200 Jahre, während er in Ländern wie Niederlande oder Deutschland nur 90 bzw. 70 Jahren dauerte. Entsprechend schneller wurde auch der demografische Übergang abgeschlossen.
Nicht nur die Dauer, sondern auch die Ausprägung der Bevölkerungsschere ist in den europäischen Ländern unterschiedlich. Eine Ausnahme stellt z.B. Frankreich dar: Der Rückgang von Sterbe- und Geburtenrate erfolgte fast gleichzeitig. Wie in anderen europäischen Ländern kam es also zu keinem starken Bevölkerungszuwachs durch eine große Scherenöffnung.
Um solche Abweichungen mit einzubeziehen wurde in den 1980er Jahren das variable Modell des demografischen Übergangs entwickelt. Indem es verschiedene Kurven der Geburtenrate (g1, g2, und g3) sowie der Sterberate (s1,s2 und s3) gibt, und diese unterschiedliche Neigungen aufweisen, können unterschiedliche Transformationsprozesse im Modell abgebildet werden. Z.B.:
- Der Verlauf des französischen Übergangs wird durch die Kurven die eng beieinander liegen dargestellt (s1 und g1); in Deutschland liegen die Kurven entsprechend weiter auseinander (s2 und g2).
- In Staaten der Dritten Welt kann deren Verlauf durch die Kurven die weit auseinander liegen dargestellt werden (s3 und g3).
Damit ist das Modell des demografischen Übergangs flexibel genug um eine Klassifizierung und Typisierung von Staaten hinsichtlich ihres Standes im Prozess der demografischen Übergang und in der Art wie diese abläuft zu erlauben.
Kritik
Das oben beschriebene Modell kann a priori nicht weiter kritisiert werden, da es unter dem modellhaftem Charakter lediglich eine Beschreibung vorgefundener Entwicklungen darstellt und diese eben bestätigt oder nicht.
Versteht man das oben beschriebene Modell allerdings als eine wissenschaftliche Theorie muss das sukzessive Durchlaufen der einzelnen Phasen als zwingende Hypothese interpretiert werden und das Modell kann weiterhin zur Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Staaten dienen. Dabei hat sich das variable Modell als am besten geeignet gezeigt. An der Theoriekonzeption sind jedoch folgende Kritikpunkte geübt worden:
- nur bedingte historische Beschreibung für Europa (da sehr unterschiedliche Entwicklung)
- kulturspezifisch (da auf westlichen generativen Verhaltensmustern aufbauend)
- bestimmende Faktoren nicht hinreichend erklärt (generatives Verhalten als Ergebnis des Modernisierungsprozess korreliert nur bedingt)
- geringer Prognosewert(nur qualitative Aussage, dass Sterberate irgendwann nach der Geburtenrate absinkt)
- Entwicklung nicht abgeschlossen (kein Stabilisation der Bevölkerungsentwicklung in den Industrieländern, sog. 2. demographischer Übergang)