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Globale Überwachungs- und Spionageaffäre

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Radarkuppeln der ehemaligen Echelon Field Station 81 in Bad Aibling, Bayern

Die Überwachungs- und Spionageaffäre 2013 betrifft die Ereignisse ab Juni 2013, nachdem der US-amerikanische Whistleblower Edward Snowden als Top Secret gekennzeichnete Dokumente der National Security Agency (NSA) öffentlich gemacht hatte. Diese zeigen detailliert, wie die USA und das Vereinigte Königreich in großem Stil insbesondere das Internet überwacht haben. Darüber hinaus wurde in verschiedenen Massenmedien berichtet, dass der US-amerikanische Geheimdienst europäische Botschaften abgehört hat.

Verlauf

Im Zuge der ersten Enthüllungen veröffentlichten die linksliberale britische Tageszeitung The Guardian und die US-amerikanische Tageszeitung The Washington Post Dokumente und Informationen über die bis dahin noch nicht bekannten US-amerikanischen Programme zur Überwachung der weltweiten Internetkommunikation, PRISM und Boundless Informant.[1][2] Am 8. Juni 2013 berichtete The Guardian über Boundless Informant.[3][4]

Erst am darauffolgenden Tag, dem 9. Juni, offenbarte Edward Snowden, der bis Mitte Mai im Namen des US-amerikanischen Beratungsunternehmens Booz Allen Hamilton als Systemadministrator für die NSA tätig war, als Informant seine Identität.[1][2]

Nach Dokumenten, die Snowden dem Guardian und der Washington Post zukommen ließ, hat der britische Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ) beim G20-Treffen 2009 in London systematisch Politiker anderer Nationen überwacht. So wurden unter anderem E-Mails und Computer ausspioniert und – teilweise auch noch nach dem G20-Gipfel – mittels Keyloggern Daten gestohlen. Während des Meetings sollen britischen Politikern Erkenntnisse über die Mobilfunkverbindungen der anderen Teilnehmer annähernd in Echtzeit übermittelt worden sein.[5]

Deutschland

Vergleich der Fläche der ausgedruckten Datenmengen von NSA und Stasi (CC-BY 3.0 OpenDataCity).[6]
herausgezoomt
hereingezoomt

In einem Interview mit der deutschen Wochenzeitschrift Der Spiegel gab Snowden bekannt, dass die NSA mit Billigung des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) in Wiesbaden das „Consolidated Intelligence Center“ (deutsch: „Vereinigtes Geheimdienstzentrum“) baue, von dem aus die Telekommunikation überwacht werden solle.[7] Weiterhin berichtet der Spiegel, dass in Deutschland monatlich ca. 500 Millionen Kommunikationsverbindungen von der NSA überwacht würden. Unter Kommunikationsverbindungen versteht die NSA Telefonate, E-Mails, SMS und Chatbeiträge. Gespeichert würde in Fort George G. Meade zum Beispiel, wann welcher Anschluss mit welchem Anschluss verbunden war.[8]

Auch wenn die Menge des von der NSA gesammelten Datenmaterials aufgrund der Unterschiedlichkeit der Daten nur eingeschränkt mit den Daten der Stasi vergleichbar ist, so gibt ein von OpenDataCity vorgenommener grafischer Vergleich der Datenmengen nach der Fläche, die die dafür nötigen Aktenschränke benötigen würden, eine Vorstellung davon, wie groß das tatsächliche Ausmaß der Datenregistrierung sein kann, wenn das Utah Data Center im September 2013 fertiggestellt sein wird und die geplante Speicherkapazität von 5 Zettabytes erreicht ist: Die Stasi hätte 0,019 km² gebraucht, wogegen die NSA 17 Millionen km² benötigen würde. D. h., es könnten von ihr rund 1 Milliarde mal soviel Daten gesammelt werden, als es der DDR-Geheimdienst je getan hat.[9][6]

Brasilien

Die NSA soll laut einem Bericht der brasilianischen Zeitung O Globo auch Bürger Brasiliens abgehört haben. Millionen von E-Mails und Telefongesprächen seien angezapft worden, heißt es in einem Artikel, den der Guardian-Journalist Glenn Greenwald gemeinsam mit Reportern von O Globo verfasste. Brasilien sei das am meisten ausspionierte Land Lateinamerikas.[10] Brasilien beschloss als Reaktion auf die US-amerikanischen Abhöraktivitäten die Vereinten Nationen (UNO) anrufen. Ziel ist eine Initiative zum besseren Schutz der Privatsphäre von Internetnutzern.[11]

USA

In einer von Gallup durchgeführten Telefonumfrage, deren Ergebnis am 12. Juni veröffentlicht wurde, gaben 53 % der befragten erwachsenen US-Amerikaner an, die publik gewordenen Überwachungsprogramme abzulehnen, 37 % befürworteten sie.[12]

Programme und Systeme zur Überwachung

PRISM

Im Rahmen des PRISM-Programms werden Daten von den Servern von neun großen amerikanischer Internetunternehmen, u. a. Apple, Microsoft, Facebook, Google und Skype, abgeschöpft. Diese Daten ermöglichen eine "Live-Überwachung" der Betroffenen.[13] Die Unternehmen bestreiten, freiwillig Daten herauszugeben. Sie würden Daten nur auf richterlichen Beschluss zur Verfügung stellen.[14]

Boundless Informant

Das US-amerikanische Programm Boundless Informant analysiert die von der NSA erfassten Datenmengen. Zum Beispiel ist es möglich, Karten zu erstellen, die über Farbzuordnung die aus den einzelnen Ländern bezogene Datenmenge anzeigen.[15][16]

Tempora

Tempora ist ein Programm des britischen GCHQ zur Abschöpfung von Online- und Telefonkommunikation, in dessen Rahmen Glasfaserkabel, die über britisches Territorium laufen, angezapft werden.[14]

Sonstige Überwachungsaktivitäten

Überwachung von Botschaften

Im Zuge der Enthüllungen wurde bekannt, dass die NSA fremde, insbesondere europäische Botschaften abgehört hatte. Dabei wurden auch die Computernetzwerke infiltriert.[17]

Das Utah Data Center

Das Utah Data Center bei Camp Williams in der Stadt Bluffdale ist eine im Bau befindliche US-amerikanische Anlage der United States Intelligence Community. Bauherr der Einrichtung ist die NSA. Auch wenn die genaue Bestimmung der Anlage noch geheim ist, soll sie auf jeden Fall die Comprehensive National Cybersecurity Initiative (CNCI) unterstützen. Nach einigen Medienmeldungen sei das Ziel die Erfassung aller privaten E-Mails, Google-Suchanfragen oder Telefonate der US-Amerikaner.[18]

Auswirkungen und Reaktionen

Deutschland

In einem am 9. Juli 2013 veröffentlichten Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte Josef Foschepoth, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg, wie die NSA seit den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland legal die Kommunikation überwache (→ Besatzungsrecht). Die ursprünglichen Abkommen seien heute noch gültig und wurden in den 60 Jahren seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland weiter ausgebaut und angepasst. Die ermögliche der NSA die Überwachung Deutschlands ohne gegen bestehendes Recht zu verstoßen.[19][20] Auf die Frage, wie er die Auswirkungen dieser Abkommen und Zusatzvereinbarungen bewerte, entgegnete Josef Foschepoth:

„Das ist eine der schlimmsten Beschädigungen des Grundgesetzes. Die heutige Fassung stellt den Grundgedanken unseres Staatsverständnisses auf den Kopf. Der Staat hat die Bürger und seine Grundrechte zu schützen und nicht diejenigen, die es verletzen. Er hat die Grundrechte zu gewährleisten und nicht zu gewähren.“

Josef Foschepoth: Süddeutsche Zeitung[19]

Am 8. Juli 2013 erklärte sich Regierungssprecher Steffen Seibert anlässlich des bevorstehenden Besuchs des Bundesinnenministers in den Vereinigten Staaten und ließ dabei offen, auf welche Grundlage er sich bezieht:[20][21]

„Der BND hält sich, bei allem, was er tut, an Recht und Gesetz. Bei allem, was die Bundesregierung, was die Nachrichtendienste zum Schutz der Bürger tun, muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Immer gilt die zentrale Frage: Haben wir hier die Balance von Freiheit und Sicherheit gewahrt?“

Steffen Seibert: Süddeutsche Zeitung

Ecuador

Ecuador, eines der Länder, in denen Edward Snowden um Asyl ersucht hatte, kündigte einseitig ein Handelsabkommen mit den USA auf, um gegen die US-amerikanische Versuche zu protestieren, Einfluss auf Entscheidungen der ecuadorianischen Regierung zu nehmen.[22]

PRISM Break

Mit PRISM Break ist ein Projekt entstanden, welches kostenfreie und quelloffene Alternativen zum möglichen Umgehen des Überwachungsprogramms PRISM aufzeigt. Darüber hinaus sollen die gelisteten Alternativen aufgrund ihrer spezifischen Vorgehensweise wesentlich sicherer vor Abhörmaßnahmen sein.[23]

Einzelnachweise

  1. a b Andreas Wilkens: PRISM-Whistleblower bekennt sich. heise.de, 9. Juni 2013, abgerufen am 11. Juni 2013.
  2. a b Johannes Kuhn: Prism-Informant Snowden auf der Flucht: Obamas Jagd auf die Wachhunde. sueddeutsche.de, 10. Juni 2013, abgerufen am 11. Juni 2013.
  3. Edward Snowden: the whistleblower behind the NSA surveillance revelations, The Guardian, 9. Juni 2013
  4. Boundless Informant: the NSA's secret tool to track global surveillance data, The Guardian, 9. Juni 2013
  5. Ewen MacAskill, Nick Davies, Nick Hopkins, Julian Borger, James Ball: GCHQ intercepted foreign politicians’ communications at G20 summits. In: The Guardian. 16. Juni 2013, abgerufen am 16. Juni 2013 (englisch).
  6. a b OpenDataCity: Stasi versus NSA. In: OpenDataCity. 5. Juli 2013, abgerufen am 10. Juli 2013.
  7. Spiegel Online: Interview mit Edward Snowden im SPIEGEL: NSA und BND arbeiten zusammen. In: Spiegel Online. 7. Juli 2013, abgerufen am 10. Juli 2013.
  8. Laura Poitras, Marcel Rosenbach, Holger Stark: NSA überwacht 500 Millionen Verbindungen in Deutschland. In: Spiegel Online. 30. Juni 2013, abgerufen am 10. Juli 2013.
  9. Handelsblatt: Infografik: Gegen die NSA sind die Stasi-Daten ein Fliegenschiss. In: Handeslblatt. 5. Juli 2013, abgerufen am 10. Juli 2013.
  10. Heise Online: Zeitung: Auch Brasilien im Fadenkreuz des US-Geheimdienstes vom 7. Juli 2013
  11. SPON: Datenskandal: Brasilien entrüstet sich über NSA-Spionage, vom 8. Juli 2013
  12. Frank Newport: Americans Disapprove of Government Surveillance Programs. In: Gallup Politics. 12. Juni 2013, abgerufen am 12. Juni 2013 (englisch).
  13. http://www.washingtonpost.com/wp-srv/special/politics/prism-collection-documents, abgerufen am 10.7.2013/
  14. a b Matthias Kremp, Konrad Lischka, Ole Reißmann: Projekt Prism: NSA spioniert weltweit Internet-Nutzer aus. In: Spiegel Online. 7. Juni 2013, abgerufen am 10. Juli 2013.
  15. Glenn Greenwald, Ewen MacAskill: Boundless Informant: the NSA’s secret tool to track global surveillance data. In: The Guardian. 8. Juni 2013; (englisch).
  16. Glenn Greenwald, Ewen MacAskill: Obama orders US to draw up overseas target list for cyber-attacks. In: The Guardian. 7. Juni 2013, abgerufen am 8. Juni 2013 (englisch).
  17. SPON: Geheimdokumente: NSA horcht EU-Vertretungen mit Wanzen aus, abgerufen am 10.7.2013
  18. Deutsche Mittelstands Nachrichten: USA bauen geheimes Spionage-Zentrum für private Daten. In: Deutsche Mittelstands Nachrichten. 18. März 2012, abgerufen am 20. Juni 2013.
  19. a b Interview geführt durch: Oliver Das Gupta: Historiker Foschepoth: „Die NSA darf alles machen“. In: Süddeutesche Zeitung. 9. Juli 2013, abgerufen am 9. Juli 2013.
  20. a b SZ Online-Autoren Oliver Das Gupta, gal, mati, rus: Konrad Adenauer erlaubte US-Geheimdienst das Schnüffeln. In: Süddeutsche Zeitung. 8. Juli 2013, abgerufen am 9. Juli 2013.
  21. Silke Engel: NSA: Regierung auf Recherchereise. In: Tagesschau. Abgerufen am 9. Juli 2013.
  22. SPON: Snowden-Affäre: Ecuador kündigt Zollabkommen mit den USA vom 27. Juni 2013
  23. prism-break: Sagen Sie NEIN zu PRISM, dem globalen Spionageprogramm der NSA. prism-break.org, abgerufen am 19. Juni 2013.