Islamismus
Der Begriff Islamismus oder islamischer Fundamentalismus bezeichnet das Streben nach der Errichtung eines islamischen Staatswesens, die Einführung der Scharia, des islamischen Rechts, und die Rückbesinnung auf die Normen Mohammeds und der ersten vier Kalifen (Sunna), ohne auf die Errungenschaften der modernen Technik zu verzichten. Den Islamisten war anfangs der ursprünglich westliche Begriff "Fundamentalisten" fremd, heute bezeichnen sie sich selbst als Fundamentalisten. (arab. الأصولية الإسلامية al-usûlîya al-islâmîya, von أصول usûl "Wurzeln", "Fundament"). Den Begriff "Fundamentalist" (usuli) gibt es im Islam schon seit Jahrhunderten, das Wort bezeichnet traditionell jedoch die Gelehrten der ilm al-usul, der Wissenschaft, die sich mit dem Studium der Fundamente des islamischen Rechts befasst.
Der angloamerikanische Islamwissenschaftler Bernard Lewis bezeichnet den Begriff des Fundamentalismus bezogen auf den Islam als unglücklich und irreführend, da er ursprünglich auf das Christentum angwendet wurde. Dort bezeichnet er zumeist protestantische Strömungen, die den göttlichen Ursprung der Bibel und ihre Unfehlbarkeit verfechten. Lewis weist darauf hin, dass es im Islam (bisher) niemanden gibt, der am göttlichen Ursprung des Koran zweifelt (Ausnahmen siehe satanische Verse), und von daher jeder Muslim, also jeder Anhänger des Islam dem Wortsinne nach ein Fundamentalist sei.
Das Phänomen des Islamismus entstand im 20. Jahrhundert. 1928 gründete Hasan al-Banna die Muslimbrüder in Ägypten gegen den als dekadent geltenden Einfluss des Westens, dem sie durch islamische Erziehung und ein soziales Netz entgegenzuwirken suchten. Man nahm den Westen als Kolonialismus, "Kreuzfahrertum", christliche Mission, ein fremdes Erziehungssystem wahr, kurz - als "kulturelle Invasion" - und vermutete eine "globale Verschwörung gegen den Islam". Mitunter galten Politiker und Machthaber islamischer Länder islamistischen Gruppen als westliche und östliche Agenten des Imperialismus.
Eine Debatte um die Frage eines islamischen Staates vor allem zwischen Ali Abdarraziq und Rasid Rida endete - wesentlich bedingt durch die Auswirkungen der Kolonialherrschaft - zugunsten der Muslimbrüder.
In den 1960er Jahren gewannen radikale Islamisten (z.B. Saiyid Qutb) Einfluss, die die Gegenwart als "Dschahiliya" (Zeit der Unwissenheit) verstanden, welcher durch den Dschihad zur Gottesherrschaft in den islamischen Staaten verholfen werden müsse.
In den 1980er Jahren versuchten islamistische Gruppen zunehmend, ihre Ziele gewaltsam durch Attentate und Entführungen zu erreichen.
Der Islamismus bedient sich unterschiedlicher Mittel: auch innerhalb der Familie durch ein an islamischen Grundsätzen orientiertes Leben, mittels Werbung für den Islam (da'wa), durch das Streben nach allen rechtlichen Möglichkeiten für den Islam, durch Literaturverbreitung, durch den Unterhalt sozialer Einrichtungen oder den Bau von Moscheen.
Nach dem Niedergang von Sozialismus, Monarchie und des panarabischen Nationalismus entstanden neben den Muslimbrüdern neue islamistische Gruppen.
Im Zusammenhang mit "Islamismus" wird seit dem 11. September gerne die Bezeichnung Islamismus-Experte verwendet.
Dem Islamismus muss nicht unbedingt ein rein ideologisches oder religioses Konzept zugrunde liegen, er kann auch als eine De-Säkularisierung gemässigter muslimischer Kräfte gesehen werden, deren legitme Ansprüche sich in Folge einer Misachtung nur anders Geltung verschaffen wollen.
Islamisten in Deutschland
Die bekannteste in Deutschland aktive islamistische Vereinigung mit dem Namen "Der Kalifatstaat" wurde im Dezember 2001 verboten. Ihr Führer, der so genannte "Kalif von Köln" Metin Kaplan fordert die Wiedereinführung der islamischen Rechtsordnung in der Türkei. Im Jahr 2000 wurde Metin Kaplan wegen eines Mordaufrufs zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt.
Islamistische Gruppen und Organisationen
- Muslimbruderschaft (Ägypten, Jordanien...)
- Wahhabiten (Saudi Arabien)
Militante islamistische Bewegungen
- FIS (Algerien)
- Hisbollah (Libanon)
- Hamas (Palästina)
- Al-Qaida (Afghanistan)
- Taliban (Afghanistan)
- Islamischer Dschihad
- Ansar al-Islam
- IBDA-C (Front der Vorkämpfer für den großen Islamischen Osten)
Siehe auch: Terrorismus
Weblinks:
- Militante religiöse und politische Gruppierungen in der islamischen Welt
- Islamkatalog der Uni-Leipzig
- Ex-Oriente-Lux Webseite und Forum über den Orient
Literatur
- Gilles Keppel: Das Schwarzbuch des Dschihad. Piper, München 2002
- Matthias Küntzel:Djihad und Judenhass. ca ira, Freiburg, 2002
- Bernard Lewis: Die politische Sprache des Islam. Rotbuch, Berlin 1991 (Originalausgabe: The Political Language of Islam. University of Chicago 1988)