Quadratnotation


Unter Quadratnotation versteht man in der Geschichte der Notenschrift die letzte Entwicklungsstufe der diastematischen Neumen vor Einführung der Modalnotation. Die rhythmische Differenzierung ist bei der Quadratnotation häufig gar nicht sichtbar oder nur angedeutet, so dass die Interpretation der Gesänge häufig mensuralistisch oder sogar äqualistisch ist. Anders als bei der Modalnotation beziehungsweise bei der Mensuralnotation wurden bei der Quadratnotation seit den ersten Restitutionen anhand der adiastematischen Neumen Morae und Episeme für Dehnungen und Tonverlängerungen hinzugefügt, die den Rhythmus besser differenzieren.
Entwicklung
Ihren Namen haben sie von der vorwiegend quadratischen Form der Notenzeichen. In einer leicht modernisierten Abwandlung werden sie noch heute in der katholischen Liturgie in den entsprechenden Choralbüchern des Gregorianischen Chorals verwendet, wie zum Beispiel dem Liber Usualis, dem Graduale Romanum oder dem Graduale Novum.
Die heute in der Kirchenmusik verbreiteten römischen Choralneumen wurden im 19. Jahrhundert nach dem Vorbild der seit dem Ende des 12. Jahrhunderts üblichen Quadratneumen (wie sie zum Beispiel in der abgebildeten Jenaer Liederhandschrift zu finden sind) standardisiert. In den modernen liturgischen Chorbüchern wird bewusst die alte Notation verwendet. In neueren Veröffentlichungen werden die Quadratneumen teilweise auch in der Notation der weiterentwickelten Neographie wiedergegeben.
Die Noten erhielten durch die Benutzung von Federkielen ihre charakteristische Form: Quadrate waren damit einfacher zu schreiben als Kreise oder andere Formen. Alternativ entstand die durch schräg gestellte Federn hergestellte Hufnagelnotation.
Beschreibung
In der Quadratnotation werden meist vier horizontale Neumenlinien verwendet, die vier Tonhöhen im Terzabstand festlegen. Eine der Neumenlinien wird durch einen Notenschlüssel der Tonhöhe C oder F zugeordnet. Diese Tonhöhe ist jedoch nicht absolut, sondern beschreibt lediglich einen Ton, der über einem der beiden Halbtöne der Tonskala liegt.
- Notenschlüssel in der Quadratnotation
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C-Schlüssel
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F-Schlüssel

Für Tonhöhen, die mindestens eine Terz höher als die oberste Neumenlinie oder mindestens eine Terz tiefer als die unterste Neumenlinie liegen, werden Hilfslinien eingesetzt. Die Melodie wird von links nach rechts gesungen, wobei beim Pes, bei dem beide Quadrate übereinander stehen, zuerst der untere Ton gesungen wird. Der Text steht mit dem ersten Vokal der jeweiligen Silbe unter der ersten zu dieser Silbe gehörenden Neume. Bei bestimmten Gruppenneumen werden einige Neumen um 45° auf die Seite geneigt, so dass eine Raute entsteht (Punctum inclinatum).

Am Ende einer Neumenzeile wird häufig ein Custos gesetzt, der die Tonhöhe des ersten Tons der nächsten Zeile angibt. Der Custos ist ein Hilfszeichen und besteht aus einer halbierten Neume, die nicht gesungen wird, sondern dazu gedacht ist, dass der Sänger leichter den Anschluss an die erste Neume der nächsten Zeile findet.
Die Melodien sind üblicherweise in einer der acht Kirchentonarten und diatonisch notiert, die durch eine entsprechende römische oder arabische Ziffer angegeben wird. Der Ton auf der Tonhöhe H kann durch die Notation des B molle um einen Halbton nach unten alteriert werden. Eine solche Alteration gilt gegebenenfalls für das gesamte Melisma auf dem entsprechenden Vokal. Die Notation des B durum hebt diese Alteration wieder auf.
- Tief- und Hochalteration in der Quadratnotation
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B molle
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B durum
Für Silbenfolgen, bei denen die erste mit einem Konsonanten endet und die zweite mit einem Konsonanten beginnt, werden oft Liqueszenzen verwendet, bei der in der Quadratnotation der letzte Ton der ersten Silbe als kleine Stichnoten dargestellt wird. Diese Darstellung soll die Sänger darauf hinweisen die Konsonanten getrennt zu artikulieren, was für deutsche Muttersprachler in der Regel aber keine Probleme darstellt, da solche Konsonantenfolgen in der deutschen Sprache häufig sind.


Mehrere Einzeltonneumen können zu verschiedenen Doppeltonneumen und Dreifachtonneumen oder mehrere solcher Gruppenneumen zu Mehrgruppenneumen zusammengesetzt werden.
Dehnungszeichen
Dehnungen beziehungsweise Tonverlängerungen können durch Morae hinter einer Einzeltonneume und Episeme über oder unter einer Neume oder Gruppenneume verdeutlicht werden. Der Iktus wird als Betonungszeichen heute meist nicht mehr beachtet.
- Bespiele für Morae in der Quadratnotation bei Einzeltonneumen
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Einzeltonneume zwischen den Linien
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Einzeltonneume auf der Linie
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Punctum inclinatum auf der Linie
- Bespiele für Episeme in der Quadratnotation
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Episemiertes Punctum
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Episemierte Clivis
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Episemierter Pes
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Episemierter Porrectus
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Episemierter Torculus
Pausae
Atemzäsuren oder Pausen zur Gliederung des Textes werden durch die Pausae gekennzeichnet. Sie sind bei Gesängen, die im Original in adiastematischer Schreibweise vorliegen, hinzugefügt worden, um den Sängern eine bessere Orientierung zu geben. Die Pausenzeichen haben keine fest vorgegebene Länge und sind auch nicht in einem Metrum verankert.
- Pausenzeichen in der Quadratnotation
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Pausa minima
(kleinste Pause) -
Pausa minor
(kleine Pause) -
Pausa maior
(große Pause) -
Pausa finalis
(Schlusspause)
Literatur
- Luigi Agustoni: Gregorianischer Choral. In: Hans Musch (Hrsg.): Musik im Gottesdienst. Ein Handbuch zur Grundausbildung in der katholischen Kirchenmusik. Band 1: Historische Grundlagen, Liturgik, Liturgiegesang. 5. unveränderte Auflage. ConBrio Verlags-Gesellschaft, Regensburg 1994, ISBN 3-930079-21-6, S. 199–356.
- Luigi Agustoni, Johannes Berchmans Göschl: Einführung in die Interpretation des Gregorianischen Chorals (= Bosse-Musik-Paperback 31). 3 Bände (Band 2 in zwei Teilbänden). Bosse, Regensburg,
* Band 1: Grundlagen. 1987, ISBN 3-7649-2343-1;
* Band 2, Teilband 1: Ästhetik. 1991, ISBN 3-7649-2430-6;
* Band 2, Teilband 2: Ästhetik. 1991, ISBN 3-7649-2431-4. - Eugene Cardine: Gregorianische Semiologie. La Froidfontaine, Solesmes 2003, ISBN 2-85274-049-4.
- Bernhard K. Gröbler: Einführung in den Gregorianischen Choral. 2. überarbeitete und ergänzte Auflage. IKS Garamond, Jena 2005, ISBN 3-938203-09-9.
- Stefan Klöckner: Handbuch Gregorianik. Einführung in Geschichte, Theorie und Praxis des gregorianischen Chorals. ConBrio, Regensburg 2009, ISBN 3-940768-04-9.
- Bruno Stäblein: Schriftbild der einstimmigen Musik (= Musik des Mittelalters und der Renaissance. Lieferung 4 = Musikgeschichte in Bildern. Bd. 3). Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1975.