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Theorie

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Eine Theorie ist eine Gebrauchsanweisung zur Welt, die anpassungsfähig ist. Während Begriffe die Welt bestimmen, richten sich Theorien nach ihr. Eine Theorie, die ihren Zweck verfehlt, gilt dadurch als widerlegt. Während Begriffe Maßstäben gleichen, die zeigen, wieviel ein bestimmter Gegenstand von ihnen enthält oder nicht, entsprechen Theorien Futteralen, die nach ihrem Gegenstand gearbeitet sein wollen.

Das Wort Theorie (griechisch theoró: beobachten, betrachten, schauen; theoría: das Anschauen, die wissenschaftliche Betrachtung) bezeichnete ursprünglich die Betrachtung der Wahrheit durch reines Denken, unabhängig von ihrer Realisierung.

Vermutlich deshalb wird der Begriff auch unbestimmt als Gegenteil von Praxis benutzt.

Eine Theorie entwirft ein Bild (trifft eine Aussage) über den Lauf der Welt und ist insofern immer eine Prognose, die per Experiment zur Rechenschaft gezogen werden kann. Das Ergebnis des Experimentes bestätigt (verifiziert) oder widerlegt (falsifiziert) eine Theorie. Nicht falsifizierbare Aussagen, z. B. eine Tautologie oder Definition, können keine Theorien sein.

Eine Theorie muss sinnhaftig sein: das Bild, das sie von der Welt gibt, muss den Vorschriften der Logik und Grammatik entsprechen. Ihre Wahrhaftigkeit kann danach aber nur durch einen Vergleich des Bildes, das sie von der Welt gibt, mit der Wirklichkeit erwiesen werden. Theorien, die etwas über den Lauf der Welt sagen, ohne ein Experiment zu wissen, das sie gegebenenfalls widerlegt, heißen spekulativ.

Daneben gibt es auch eine formale Definition des Theoriebegriffs, wie sie in den strengen Wissenschaften verwendet wird: Eine Menge T von Aussagen in einer Sprache heißt eine Theorie genau dann, wenn T erfüllbar ist und wenn jeder Satz, der aus T folgt, bereits zu T gehört. Oder locker gesagt: Sie muss überhaupt wahr sein können und 'in sich rund' sein.

Weitere wichtige Eigenschaften sind zum Beispiel auch die Möglichkeit, Axiome für eine Theorie angeben zu können, sowie die 'Ausdruckskraft' einer Theorie: Ist es möglich die Theorie durch endlich/abzählbar viele Axiome zu beschreiben, so heißt sie endlich/abzählbar axiomatisierbar. Eine Theorie heißt (negations-)vollständig genau dann wenn jeder Satz ihrer zugrundeliegenden Sprache oder seine Negation Elemente der Theorie sind.

Beispiele

  1. Physik: Die Vorhersagen der klassischen Mechanik und der speziellen Relativitätstheorie unterscheiden sich beispielsweise deutlich, wenn die betrachteten Objekte sich mit Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit bewegen.
    Im Alltag kann man die Unterschiede nicht feststellen, da die klassische Mechanik der Grenzfall der speziellen Relativitätstheorie ist, wenn die Geschwindigkeit wesentlich geringer ist als die Lichtgeschwindigkeit. Daher ist die klassische Mechanik im Alltag die angemessene Theorie.
  2. Geometrie: Zu jeweils einer Geraden und einem Punkt, der nicht auf dieser Geraden liegt, gibt es genau eine Parallele durch diesen Punkt. Diese Aussage hat man lange versucht aus den anderen Axiomen der Geometrie zu folgern. Dadurch, dass man zeigen konnte, dass die Geometrie, in der die Parallelenaussage nicht gilt, zu sinnhaften Modellen führen, hatte man bewiesen, dass die Parallelenaussage ein zu den übrigen Geometrieaxiomen unabhängiges Axiom ist (siehe nichteuklidische Geometrie).
  3. Mathematik: Der Mathematiker Georg Cantor hatte eine naive d.h. informelle Definition für den Begriff Menge vorgeschlagen. Die daraus resultierende Theorie wurde von Bertrand Russell als widersprüchig nachgewiesen mit der Antinomie: Die Menge aller Mengen, die sich selbst nicht als Element enthalten. Diese "Menge" ist eine Menge im Sinne Cantors. Aber die Aussage bezogen auf diese Menge: Diese Menge ist Element ihrer selbst stellt eine Antinomie dar. Trotzdem genügt es in der Schulmathematik mit dieser informellen Mengenlehre zu arbeiten. Die Mathematiker verwenden jetzt in der Regel die formale Theorie der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre, womit das Problem der Widerspruchsfreiheit zwar nicht gelöst, aber einer mathematischen Behandlung zugänglich gemacht wurde.

Weitere Beobachtungen zum Theoriebegriff

Die methodische Art und Weise, wie Theorien zustandekommen, wie also der Zuwachs an Wissen stattfindet, ist umstritten.

In der Fortentwicklung von Theorien wird gelegentlich zwischen Induktion und Deduktion unterschieden:

Bei der Theorienbildung durch Induktion geht man davon aus, dass der Wissenschaftler im empirischen Prozess Datenmaterial erarbeitet, in dem schließlich innere Strukturen und Gesetzmäßigkeiten sichtbar werden. Weitere positiv verlaufende Experimente sollen die Theorie bestätigen und sind die Bausteine einer Verifikation (Beweisführung), die letztlich in naturgesetzlicher Sicherheit (Wahrheit) münden soll.
Bei der Theorienbildung durch Deduktion geht man davon aus, dass der Wissenschaftler durch kreative Akte sinnvolle Hypothesen erzeugt, deren Übereinstimmung mit dem Datenmaterial er anschließend überprüft. Weitere Experimente müssen mit dem ernsthaften Ziel der Falsifikation (Widerlegung) unternommen werden. Nur in dem Ausmaß wie sich Theorien bewähren (der Falsifikation entziehen), kann relative Sicherheit gewonnen werden.

In der Praxis der Wissenschaft mischen sich induktive und deduktive Elemente ohne Probleme, so dass diese Frage mehr eine wissenschaftstheoretische und weltanschauliche Bedeutung besitzt. Bietet die Wissenschaft mit ihren Theorien einen Weg zu absoluter Wahrheit oder zu einer schrittweise stattfindenden Annäherung an die Wahrheit (der man sich jedoch nie ganz gewiss sein kann)? Diese zweite, auf Karl Popper zurückgehende, Position wird derzeit von der Mehrheit der Naturwissenschaftler bevorzugt.

In der Soziologie wurde - für die Sozialwissenschaften allgemein - das Konzept der Theorie mittlerer Reichweite entwickelt.

In der Umgangssprache wird der Begriff meist im Sinne von "nur eine Theorie" verstanden, und bezieht sich dann lediglich auf besonders unsichere Erkenntnisse. Dies hat nicht viel mit der wissenschaftlichen Definition von "Theorie" zu tun, und führt leider häufig zu Missverständnissen: Beispielsweise bedeutet der Begriff "Relativitätstheorie" nicht, wie oftmals (von nicht-Wissenschaftlern) fälschlich angenommen, dass diese im Sinne von "nur eine Theorie" besonders unsicher sei. Selbstverständlich ist sie falsifizierbar, aber das Teilwort "-theorie" besagt nichts über die (Un-)Sicherheit der in ihr enthaltenen Aussagen.

Alltagstheorien

Auch wenn Menschen sich nicht immer dessen bewusst sind: sie handeln im Alltag nach Theorien, die sie sich im Laufe ihres Lebens aufgebaut haben. Im Kleinkindalter werden beim Spielen z.B. unbewusst physikalische Experimente gemacht, die ein schlussfolgerndes physikalisches Denken begründen. Weitere praktische Erfahrungen auch im sozialen und kulturellen Bereich schaffen den Raum für Erkenntnisse, die den Aufbau von persönlichen Alltagstheorien schaffen. Der Grad der Kohärenz ihrer Theorie richtet sich nach dem Stand ihrer Reflexion. So ist davon auszugehen, dass Kenntnisse in Psychologie und Soziologie eine größere Kohärenz beispielsweise bei Erziehungsmaßnahmen oder generell beim Umgang mit anderen Menschen sichern. Alltagstheorien sind in allen Lebensbereichen wirksam und beeinflussen das Wahlverhalten, die Haltung gegenüber Ausländern und gegenüber Minderheiten, die Freizeitgestaltung und die Art und Weise, wie man Werte in der Öffentlichkeit vertritt. Verdeckte Alltagstheorien bewusst zu machen, ist eine Aufgabe des Bildungssystems.

Zitate

Es gibt zahlreiche Zitate zum Thema Theorie, siehe in Wikiquote: de.wikiquote.org/wiki/Theorie

Siehe auch

Wikiquote: Theorie – Zitate

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Literatur

  • Stephen Hawking: Die Illustrierte Kurze Geschichte der Zeit. ISBN 3-499-61487-1
  • Immanuel Kant: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. (1793). Neuerer Abdruck in: Schriften zur Geschichtsphilosphie, Immanuel Kant, Stuttgart 1985 (reclam).
  • Kurt Lewin: Feldtheorie in den Sozialwissenschaften. Bern, Stuttgart: Huber, 1963
  • Joachim Ritter: Die Lehre vom Ursprung und Sinn der Theorie bei Aristoteles, in: Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften 1 (1953), S. 32-54.
  • Helmut Seiffert und Gerard Radnitzky: Handlexikon der Wissenschaftstheorie, Deutscher Taschebuchverlag (DTV) 1992, ISBN 3-423-04586-8