Taijiquan
Das Taìjíquán (Pinyin-Umschrift, chin. 太极拳/太極拳), auch T'ai-Chi-Ch'uan (Wade-Giles-Umschrift, früher gebräuchlich), verkürzend Tai Chi oder vereinfachend chinesisches Schattenboxen genannt, ist eine Jahrhunderte alte im Kaiserreich China entwickelte innere Kampfkunst. Es verbindet die Aspekte Selbstverteidigung, Gesundheit und Meditation.
"Taiji" (太极/太極) ist im Daoismus ein Synonym für das allerhöchste Wirkprinzip, die wörtliche Übersetzung von "Taiji" ist "Das größte Ganze" oder die "Allergrößten Gegensätze", die einzelnen Morpheme "tai" (太) und "ji" (极/極) bedeuten im klassischen Chinesisch in etwa "sehr" und "Firstbalken", "Taiji" ist also "der große Firstbalken, der Himmel und Erde verbindet". "Quan" (拳) heißt wörtlich übersetzt "Faust". Taijiquan könnte also mit "Die Faustkampftechnik der extremen Gegensätze" übersetzt werden.
In der Volksrepublik China ist Taijiquan in zumeist stark vereinfachter Form ein Volkssport und in den Parks der Städte sieht man in den Morgenstunden tausende Menschen beim Üben der Bewegungen.
Über den Aspekt als Kampfkunst hinaus wird Taijiquan häufig als allgemeines System der Bewegungslehre oder als Gymnastik betrachtet, welches einerseits der Gesundheit sehr förderlich ist, andererseits der Persönlichkeitsentwicklung und der Meditation dienen kann. Besonders im Westen tritt der Kampfkunstaspekt häufig hinter diesen Aspekten zurück, da die meisten Lehrer nur eine kurze Ausbildung haben und mit den energetischen, inneren Aspekten selbst nicht vertraut sind.
Praxis
Form
Im Zentrum des Übens von Taijiquan steht meistens eine so genannte "Form", eine feste Bewegungssequenz, die unterschiedlich lang sein kann (vergleichbar einer Kata in den japanischen Kampfkünsten).
Die Form wird typischerweise langsam und ruhig ausgeführt, doch kann es hier je nach Stil und Form Unterschiede geben. Die inneren Prozesse, deren äußerer Ausdruck die Formen sind, sind jedoch in allen Schulen gleich.
Eine Form setzt sich aus mehreren Bildern bzw. Einzelbewegungen zusammen. Viele Formen werden deswegen nach der Anzahl ihrer Bilder benannt, so zum Beispiel die 24-Bilder-Form (Pekingform) oder die 48-Bilder-Form. Die längsten Formen haben über 100 Bilder und ihre Ausführung dauert über eine halbe Stunde.
Waffenformen

Die gebräuchlichsten Formen sind waffenlos, doch gibt es auch zahlreiche Waffen- oder Geräteformen. In traditionell orientierten Taijiquan-Schulen werden fortgeschrittene Schüler in den Waffenformen unterrichtet. Waffen des Taijiquan sind
Auf den höheren Stufen des Taijiquan praktiziert man Waffenformen mit Partner.
Push Hands (推手)
Das Formtraining ist eine Vor- und Übungsstufe des (Push Hands), der Anwendung des Taijiquan im Kampf. Die höchste Vollendung erfährt das Üben im freien Push Hands, in der die Übenden sich gegenseitig demonstrieren, ob sie die Prinzipien des Taijiquan verinnerlicht haben.
Die 10 Grundregeln
Die folgenden zehn Grundprinzipien des Taijiquan werden Yang Chengfu (1883-1936) zugeschrieben:
- Halte den Kopf aufrecht, um Deinen Geist zu entfalten
- Lockere die Ellenbogen, damit die Schultern sinken
- Brust und Rücken sollen entspannt sein
- Lockere Deine Taille
- Verteile das Gewicht richtig (Fülle / Leere)
- Bringe Ober- und Unterkörper in Einklang
- Deine Bewegungen sollen fließen
- Verbinde den Geist mit dem Körper
- Gebrauche Yi (Intention, Absicht), nicht rohe Kraft (Muskelkraft)
- Suche die Ruhe in der Bewegung und die Bewegung in der Ruhe
Entstehungslegenden und Verbindungen zum Daoismus
Über die Entwicklungsgeschichte des Taijiquan gibt es widersprüchliche Angaben. Die meisten der heute Taijiquan Praktizierenden berufen sich auf Vorläufer oder Wurzeln aus dem 15. Jahrhundert oder früher. Des Weiteren sollen die Wurzeln oder Vorläufer nur einem engen Personenkreis zugänglich gewesen sein, etwa einem Kloster oder einer Familie. Entsprechend entziehen sich diese auch der offiziellen Geschichtsschreibung. Erschwerend kommt hinzu, dass es im chinesischen Kaiserreich üblich war, sich in eine Reihe von Vorfahren oder Lehrer zu stellen, die möglichst hoch angesehen oder gar Sagengestalten waren, d.h. es wurden nicht immer die tatsächlichen Sachverhalte weitergegeben. All dies leistete der Mythenbildung Vorschub.
Unsicher ist, ob es eine historische Verbindung zwischen dem philosophischen Daoismus (im Gegensatz zum religiösen Daoismus) jener Zeit und der Entstehung des Taijiquan gibt. Zumindest heute verwenden einige Schulen des Taijiquan zahlreiche daoistische Prinzipien und Motive, genauso gibt es aber auch Elemente, die als buddhistisch und konfuzianisch gedeutet werden können. In den klassischen Schriften des Taijiquan gibt es zahlreiche Punkte, die einen besonderen Bezug zum Daoismus nahelegen. Wann diese Schriften entstanden sind, ist jedoch umstritten.
Innerhalb der Kampfkünste wird Taijiquan oft zu den inneren Kampfkünsten gerechnet, auch wenn es bei einigen Schulen immer wieder zu Diskussionen um diese Frage kommt. Als legendärer Begründer der inneren Kampfkünste und damit auch des Taijiquan wird Zhang Sanfeng betrachtet. Der Legende nach entdeckte er die Prinzipien der inneren Kampfkünste in den Wudang-Bergen, nachdem er den Kampf zwischen einer Schlange und einem weißen Kranich beobachtet hatte. Zhang Sanfeng soll zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert gelebt haben, aber seine historische Existenz ist nicht belegt.
In den Wudang-Bergen wird heutzutage eine Form des Taijiquan als Teil der inneren Kampfkünste praktiziert und gelehrt, die sich von anderen Stilen des Taijiquan unterscheidet. Diese wird von Anhängern des Wudang-Stils direkt auf Zhang Sanfeng und die Traditionen der Klöster zurückgeführt, auch wenn die Bezeichnung Taijiquan für die Form sicherlich neueren Ursprunges ist.
Entstehung der "5 Familienstile" Chen, Yang, Wu/Hao, Wu und Sun
Relativ gesichert ist die Tatsache, dass Chen Wangting (9. Generation Chen-Familie) Mitte des 17. Jahrhunderts, im Dorf Chenjiagou aus seinen bestehenden Kenntnissen der Kampfkünste einen neuen inneren Boxstil entwickelte, der seit dieser Zeit weiterentwickelt und tradiert wurde. Dieser Boxstil wurde lange Zeit nur innerhalb der Chen-Familie weitergegeben. Welche Rolle daoistische Lehrer aus den Klöstern der Wudang-Berge bei der Entwicklung diese Stils spielten, ist nicht mehr nachzuvollziehen.
Die Geheimnisse der Chen-Familie wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert erstmals an einen Außenstehenden weiter gegeben: Chen Changxing (1771-1853) akzeptierte Yang Luchan (1799-1872) als Schüler im inneren Kreis der Familie. Yang Luchan entwickelte das Gelernte weiter und wurde zum Begründer des Yang-Stils. Etwas später unterrichtete Chen Qingping (1795-1868) ebenfalls außerhalb der Familie Wu Yuxiang (1812-1880).
Yang Luchang erlangte in China einen außerordentlichen Ruf durch seine sagenhaften Fähigkeiten in der Kampfkunst. Er erlangte den Beinamen 'Yang, der nicht kämpft', da er Angreifer ohne Kampf einfach von sich oder von seinem langen Stock abprallen ließ. Auch seine Nachkommen gelangten zu ähnlich großem Ansehen.
So wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Grundlage für die heute bekannten, sogenannten 5 Familienstile gelegt, benannt nach dem Familiennamen der Stilbegründer. Dies sind:
- Chen-Stil (陳氏) im "alten Rahmen" nach Chen Changxing (1771-1853) oder nach Chen Qingping im "kleinen Rahmen" (1795-1868)
- Yang-Stil (楊氏) im "großen Rahmen" nach Yang Chengfu (1883-1936) oder im "kleinen Rahmen" nach Yang Banhou (1837-1892)
- Wu/Hao-Stil (武氏) nach Wu Yuxiang (1812-1880)
- Wu-Stil (吳氏) nach Quan You (1834-1902) und seinem Sohn Wu Jianquan (1870-1942)
- Sun-Stil (孫氏) nach Sun Lutang (1861-1932)
Man beachte, dass das "Wu" in "Wu Yuxiang" ein anderes Schriftzeichen ist als in "Wu Jianquan" - es handelt sich also um verschiedene Familien.
Dem Verhältnis von Meister und Meisterschüler (engl. disciple) wurde im chinesischen Kaiserreich große Bedeutung beigemessen. Der Meisterschüler schuldete dem Meister Gehorsam und war verpflichtet die Tradition zu schützen. Normalerweise wurden Schüler die außerhalb der Familie standen nicht als Meisterschüler akzeptiert und daher nicht vollständig in die Geheimnisse der Kunst eingewiesen. Oft gründeten solche aussenstehenden Schüler dennoch ihre eigenen Schulen und gaben ihr unvollständiges Wissen weiter. In solchen Schulen flossen dann oft Elemente aus dem Tanz oder aus den äußeren Kampfkünsten in die Bewegungen ein - die inneren Prinzipien gingen dabei verloren.
Man sagt, es habe immer wieder Verbindungen zwischen den Taijiquan-Familien gegeben:
- Wu Yuxiang lernte von Chen Qingping und Yang Luchan.
- Wu Yuxiang hatte einen Schüler Li Yiyu, der wiederum unterrichtete Hao Weichen, und dieser wiederum unterrichte Sun Lutang.
- Quan You lernte von Yang Chienhou (Sohn von Yang Luchan) und (inoffiziell) von Yang Luchan selbst
- Yang Chengfu (Enkel von Yang Luchan) und Wu Jianquan lebten beide in Peking zur Zeit ihrer Ausbildung, kannten einander und trainierten miteinander.
Größerer Verbreitung in der westlichen Welt erfreuen sich heute insbesondere der Yang-, Chen- und Wu-Stil.
Weblinks
- http://www.shenwu.com/taichi.htm - Überblick über die verschiedenen Stile und deren Geschichte (engl.)
- http://www.chinafrominside.com/ma/taiji.html - Fachaufsätze, Interviews und historische Fotos (in engl.)
- http://www.china-traditionen.com - umfangreiche Linksammlung zum Thema, zu vielen Schulen und Praktikern weltweit
- http://www.tqj.de - Das Tajiquan & Qigong Journal (deutsch)