DB-Baureihe 120
Die Baureihe 120 ist eine Elektrolokomotive der Deutschen Bahn AG und war ihrerzeit die erste in Serie gebaute Drehstrom-Lokomotive der Welt.
Geschichte
Der Antrieb der Baureihe 120 basiert auf dem Drehstrom-Asynchronmotor, der sich aus bahntechnischer Sicht dadurch auszeichnet, dass sich seine Drehzahl praktisch stufenlos regeln lässt, indem man Spannung und Frequenz variiert. Dieses Ziel wurde mit der Baureihe 120 erreicht.
Erste Erfahrungen mit der Drehstrom-Antriebstechnik wurden in Deutschland ab 1974 mit den Diesel-elektrischen Erprobungsträgern der Reihe DE2500 von Henschel gesammelt. Aus einer dieser Lokomotiven, der 202 002, waren der Dieselmotor und der Generator ausgebaut worden, und die Lok wurde fest mit einem Steuerwagen der Bauart BDnrf 740.2 gekuppelt. Der Steuerwagen übernahm die Stromversorgung der Lokomotive; er besaß dazu einen Transformator und einen Stromabnehmer. Auf diese Weise konnte eine Drehstrom-Elektrolok simuliert werden.
Die Versuche mit dem Gespann verliefen überaus erfolgreich und zeigten, dass die zur damaligen Zeit als das Nonplusultra apostrophierte Universallokomotive technisch möglich war. Es wurde möglich, was seit Beginn des Lokomotivbaus als unmöglich galt: Die Lok konnte prinzipiell alle damals in Gebrauch befindlichen Elektroloks ersetzen und jede Art von Zug, egal wie schwer oder wie schnell, befördern. Dies führte 1976 zum Entwicklungsauftrag für die Bo'Bo'-Ellok der Baureihe 120. Konsortialpartner waren BBC für die Elektrik, sowie Krauss-Maffei, Krupp und Henschel für den Fahrzeugteil.
Am 14. Mai 1979 stand dann mit der 120 001 die erste Drehstrom-Vollbahnlokomotive der Welt auf den Schienen. Sie wurde zunächst für 160 km/h zugelassen und beim Bw Nürnberg Rbf praktisch erprobt. Bis Januar 1980 wurden ihre Schwestern 120 002 - 005 ausgeliefert. Die Drehstromantriebstechnik und die dadurch mögliche elektrische Nutzbremse (beim elektrischen Bremsen kann die Lok Energie in die Fahrleitung zurückspeisen) überzeugten vollständig, aber die Transformatoren der Loks waren noch verbesserungswürdig und wurden im Verlauf der Testphase durch verbesserte Modelle ersetzt.
1984 wurden dann 60 Serienlokomotiven der Baureihe 120.1 bestellt. Die Änderungen im Vergleich zu den Prototypen waren marginal (dies ist im Nachhinein nicht unbedingt als positiv zu sehen, denn es wurden die Schwächen im mechanischen Teil der 120.0 in die Serie durchgeschleppt), so entfiel beispielsweise die als Rückfallebene eingebaute elektrische Widerstandsbremse, da sich die Nutzbremse entgegen ersten Erwartungen als zuverlässig herausgestellt hatte. Nach positiven Versuchen mit den Prototypen konnten die Loks für bis zu 200 km/h zugelassen werden.
Die Auslieferung der Serienloks begann im Januar 1987 und dauerte bis Ende 1989. Sie wurden sofort im planmäßigen Dienst eingesetzt, wobei sie in einem gestrafften Umlaufplan tagsüber InterCity- und InterRegio-Züge und nachts schnelle Güterzüge zogen. Im Zuge der dritten Stufe der Bahnreform wurden die Loks dem Geschäftsbereich Fernverkehr (später DB Reise&Touristik, heute wieder DB Fernverkehr) zugeschlagen, so dass die Einsätze im Güterverkehr inzwischen eingeschränkt sind. Die fünf Vorserien-Lokomotiven wurden über die Jahre immer wieder zusammen mit den anderen 120ern im Plandienst eingesetzt, die meiste Zeit über dienten sie jedoch als Bahndienstfahrzeuge (sie bekamen dazu auch neue Nummern und wurden zur Baureihe 752) oder Erprobungsträger für neue Technologien, die dann erstmals bei den E-Lok-Neubeschaffungen der späten 1990er Jahre in Serie verwendet wurden. Dazu gehörten z.B. Scheibenbremsen, die vorher aus Platzgründen bei Lokomotiven nicht eingesetzt werden konnten, oder neue Drehgestelle und Umrichter für die Baureihe 101. Seit Anfang 2002 befindet sich keine der Vorserien-120 mehr im aktiven Dienst.
Auch die Zukunft der 120.1 ist seit neuestem unklar, da durch die zunehmende Umstellung des Fernverkehrs auf Triebzüge inzwischen ein Überbestand an Fernverkehrsloks vorhanden ist. Seit Dezember 2002 existiert ein Beschluss des DB-Vorstandes, die Loks nicht mehr mit neuen Sicherheitsausrüstungen zu bestücken, die möglicherweise bereits im nächsten Jahr zur Pflicht werden könnten. Offiziell würden die Loks dann wegen fehlender Einsatzgenehmigung abgestellt werden, inoffiziell erfährt man jedoch, dass der wahre Grund für den Beschluss der erwähnte Überbestand und die seit Lieferung der Loks immer wieder auftretenden mechanischen Probleme sind, die man sich durch den extremen Leichtbau einhandelte, der betrieben werden musste, um die damals recht schwere Elektronik in eine Lok mit maximal 84 t Gewicht zu bekommen.
Wie dann mit diesen Drehstromloks der ersten Generation verfahren wird, ist noch unklarer als der gegenwärtige Stand der Dinge. Im Vergleich zu vielen anderen DB-Loks sind die 120er noch "frisch" und kaum 15 Jahre alt, daher ist es eigentlich unwahrscheinlich, dass die Loks verschrottet werden. Andererseits wird sich DB Fernverkehr schwer tun, die Loks verkaufen zu können: Railion besitzt genügend eigene moderne Güterzug-Elloks und hat bereits abgelehnt, und für einen Einsatz bei DB Regio ist die Baureihe 120 eindeutig übermotorisiert. An private Bahngesellschaften verkauft die DB ihre Lokomotiven nur ausnahmsweise.
Es wird behauptet, dem revolutionären Konzept der 120 sei hauptsächlich die Politik in Gestalt der Bahnreform in die Quere gekommen; mithin hätten die damit eigenständig gewordenen Geschäftsbereiche der DB nicht zuletzt aus Abrechnungsgründen speziell auf ihre jeweiligen Bedürfnisse zugeschnittene Fahrzeuge favorisiert. Dass die 120 jedoch auch technische Probleme bereitete, steht außer Zweifel. Der einstige Hoffnungsträger der Deutschen Bundesbahn wurde nie in den beabsichtigten Stückzahlen bestellt; auch blieb die Maschine ohne direkten Nachfolger, stand jedoch Pate für die heutige Generation neuer Hochleistungs-Elloks, von der Baureihe 101 über die 152 bis zur Baureihe 145.
Angesichts der Probleme im mechanischen Teil ist es rückblickend wohl als Weise zu bezeichnen, dass die Bundesbahn nicht die geplante riesige Zahl von mehreren tausend 120ern beschafft hatte, sondern Risikostreuung betrieben hat; eine eventuelle Rückrufaktion hätte den gesamten deutschen Bahnverkehr praktisch komplett zum Erliegen gebracht.
Zum Fahrplanwechsel am 11.12.05 hat DB AutoZug einige Lokomotiven der BR 120 von DB Fernverkehr erworben um diese für Autoreise-Züge zu verwenden. Die Loks bleiben weiterhin in München beheimatet, werden aber zur Baureihe 121 umgezeichnet.
Konstruktion
Hinter den vier getrennten Sekundär-Wicklungen des Haupttransformators unterscheidet sich die Elektrotechnik deutlich von allem, was es vorher auf deutschen Schienen gab. An jeder Sekundär-Wicklung ist ein ölgekühlter Traktions-Umrichter angeschlossen, der aus folgenden Baugruppen besteht:
- Vierquadrantensteller (im folgenden abgekürzt 4q-S)
- Gleichstromzwischenkreis
- Pulswechselrichter (PWR)
Je zwei Traktions-Umrichter sind zusammengeschaltet und versorgen gemeinsam die beiden Motoren eines Drehgestells. Ihre Pulswechselrichter erzeugen den Dreiphasen-Wechselstrom mit variabler Spannung (0 - 2200 V) und Frequenz (0,4 - 120 Hz) für die Fahrmotoren. Im Gleichstromzwischenkreis werden durch die 4q-S konstant 2800 V gehalten. Die 4q-S sind jeweils um 90° versetzt mit 183 Hz getaktet. Da ein 4q-S und ein PWR prinzipiell recht ähnlich aufgebaut sind, funktioniert auch die umgekehrte Arbeitsrichtung, was man sich bei der elektrischen Bremse der Lok zu Nutze macht: Der PWR speist dann mit dem von den Motoren erzeugten Drehstrom den Zwischenkreis, und der 4q-S erzeugt daraus wieder Einphasen-Wechselstrom, der in die Fahrleitung abgegeben wird. Der gesamte Aufbau der Drehstrom-Technik ist im Vergleich zu konventioneller Wechselstrom-Ausrüstung bzw. zu einer Widerstandsbremse recht einfach.
Auf dem Dach findet man zwei Einholm-Stromabnehmer der Bauart SBS 80. Diese war aus dem damaligen Standard-Einholmpantografen SBS 65 weiterentwickelt worden und durfte bis zu 250 km/h (SBS 65 nur bis 200 km/h) laufen. Die Konstruktion war 90 kg leichter als der SBS 65 und besser gefedert, um auch bei hohen Geschwindigkeiten sicheren Kontakt zu gewährleisten. Da die Baureihe 120 ursprünglich nur als Erprobungsträger gedacht war, konnte man auch im Fahrzeugteil einige alte Paradigmen über Bord werfen und buchstäblich alles anders machen: Erstmals konnte der Haupttransformator unter dem Fahrzeugboden angeordnet werden, dadurch war es möglich, den Maschinenraum sehr sauber, aufgeräumt und mit einem geraden, durchgehenden Mittelgang auszustatten. Der gesamte Fahrzeugteil ist durch weitgehenden Leichtbau geprägt. Wie bereits angedeutet, war dies der Hauptgrund, warum die Lokomotiven über die Jahre immer wieder Kummer bereiteten. Besonders die Getriebegroßräder und Getriebekästen waren schlichtweg zu leicht ausgeführt, es kam häufig zu Brüchen und Öllecks, bis diese Teile durch stärkere ersetzt wurden. Bei den Drehgestellen setzte man auf die konventionelle Bauweise mit Drehzapfen. Die Sekundärfederung der Laufwerke wird durch Flexicoil-Schraubenfedern übernommen, die das Drehgestell nach einem Kurvenlauf automatisch wieder in zentrierte Position rückstellen können sowie Querbewegungen des Lokkastens ermöglichen. Die Kraftübertragung auf die Räder wird von einem Hohlwellen-Kardangelenk-Antrieb von BBC übernommen; die Masse der Fahrmotoren ist dabei vollständig über das Drehgestell abgefedert.
Auch in puncto Hilfsbetrieb ging man bei der BR 120 völlig neue Wege: Erstmals wurde ein Drehstromhilfsbetriebe-Netz verwendet, dass neben kleineren Motoren auch erstmals eine Regelung der Hilfsbetriebe ermöglicht. Die BR 120 verfügt über drei Hilfsbetriebeumrichter (HBU), die über die Hilfsbetriebewicklung des Haupttransformators gespeist werden. HBU 1 und 2 versorgen jeweils die beiden Fahrmotorlüfter eines Drehgestells sowie jeweils einen zugeordneten Transformatorölkühlerlüfter. Dabei wird die Motordrehzahl in Abhängigkeit vom Kühlbedarf durch den HBU flexibel geregelt. Der dritte HBU arbeitet mit fester Frequenz und versorgt andere Hilfsbetriebe, wie z. B. die Trafoölpumpen. Der Luftpresser der BR 120 wird ebenfalls über den HBU 3 versorgt. Um ein problemloses Anlaufen zu ermöglichen, wird beim Zuschalten des Luftpresser der HBU 3 kurzzeitig heruntergefahren. Die Lokomotive überwacht alle relevanten Temperaturwerte automatisch. Kommt es trotz voll ausgeregelter Hilfsbetriebe zu Grenzwertüberschreitungen, wird eine Traktionssperre ausgegeben.
Als Bremseinrichtung verfügen die Loks neben der elektrischen Bremse noch über eine durchgehende, indirekt wirkende mehrlösige Druckluftbremse Bauart KE-GPR mit direkter Zusatzbremse zum Rangieren. Im Bremsbetrieb wirkt an der Lokomotive in der Regel allein die elektrische Bremse; die Druckluftbremse ist vorgesteuert und kommt nur beim Ausfall der E-Bremse zum Einsatz. Im Gegensatz zu den elektrischen Widerstandsbremsen der Einheitselloks sinkt die Bremskraft nicht mit abnehmender Fahrgeschwindigkeit, sondern die E-Bremse kann aufgrund der Drehstromantriebstechnik quasi bis zum Stillstand mit voller Kraft wirken. Um die Haftreibung auf der Schiene ist besondere unter schlechten Witterungsverhältnissen zu verbessern, wurde nachträglich eine "Putzbremse" eingerichtet, die bei Betrieb der E-Bremse die Klotzbremse mit 0,25 bar Bremszylinder-Druck anlegt. Dadurch werden die Radreifen aufgeraut, was zu verbesserter Zug- und Bremstraktion führt.
Als Festhaltebremse dient (erstmalig bei einem Schienenfahrzeug) eine Federspeicherbremse.
Als Führerstand kam der erstmals bei der Baureihe 111 verwendete DB-Einheitsführerstand zum Einbau. Bei der Baureihe 120.1 war er bereits ab Anlieferung druckdicht ausgeführt, um die Loks auch auf den Neubaustrecken einsetzen zu können, die 120.0 wurden entsprechend nachgerüstet. Druckgeschützte Innenräume sind bei hohen Geschwindigkeiten wichtig, da bei Zugbegegnungen die Außenluft durch die sich mit hoher Relativgeschwindigkeit annähernden Züge stark komprimiert wird, was im schlimmsten Fall Gehörschäden bedeuten kann. Wenn sich nun eine E 120 und ein ICE begegnen, ist die Relativgeschwindigkeit größer als 400 km/h, was zu völlig unberechenbaren Effekten führen könnte. Daher müssen alle auf den ICE-Neubaustrecken eingesetzten Fahrzeuge Druckschutz-Auflagen erfüllen.
Neben dem vorgeschriebenen Sicherheits-Paket bestehend aus Sicherheitsfahrschaltung, Punktförmiger Zugbeeinflussung (ursprünglich LZB/I80, inzwischen bei einigen Loks bereits mit Softwarestand der PZB 90) und Zugbahnfunk verfügen die Loks über die bei hohen Geschwindigkeiten notwendige Linienförmige Zugbeeinflussung (LZB), eine Automatische Fahr-Bremssteuerung sowie über Steuergeräte für die elektropneumatische Zugbremse (ep) und die Notbremsüberbrückung (damit ein notgebremster Zug nicht ausgerechnet im Tunnel, sondern erst dahinter zum Stehen kommt). Nachgerüstet wurde ein Rechner für den elektronischen Buchfahrplan EBuLa. Alle Lokomotiven sind seit Anlieferung Doppeltraktions- und Wendezugfähig (auch hier erstmals verwandt: Die zeitmultiplexe Doppeltraktionssteuerung [ZDS]), daher waren sie bis zum Erscheinen der Baureihe 101 auch die einzigen Loks, die Steuerwagen-geführte IC-Züge mit bis zu 200 km/h schieben durften.
Literatur
- Marcus Niedt: Abschied der Weltmeister. Die Baureihe 120.0. In: LOK MAGAZIN. Nr. 248/Jahrgang 33/2002. GeraNova Zeitschriftenverlag GmbH München, ISSN 0458-1822, S. 36-47.