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Hydraulischer Widder

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Hydraulischer Widder mit Windkessel (Joh. Schlumpf)

Ein hydraulischer Widder, Stoßheber, Staudruck-Wasserheber oder „Wasserwidder”, ist eine wassergetriebene, intermittiernd arbeitende Pumpe. Der Widder nutzt den Druckstoß oder Staudruck-Effekt, um einen Teil des Wassers, mit dem die Pumpe angetrieben wird, auf ein höheres Niveau zu heben. Er eignet sich besonders für Pumpaufgaben in der Nähe von Fließgewässern mit zum Betrieb ausreichendem Gefälle.

Geschichte

Ein Stoßheber in Vogn, Dänemark

Der Hydraulische Widder ist die Automatisierung der 1772 von John Whitehurst erfundenen Pulsation Engine, bei der die durch das Schließen eines Wasserhahns hervorgerufene Wasserschlossschwingung eine Wassersäule über die Höhe des Zuflusses hebt. Durch wiederholtes Öffnen und Schließen des Hahns wurden größere Wassermengen gehoben. 1796 ersetzte der Franzose Joseph Michel Montgolfier den Wasserhahn der Pulsation Engine durch ein sich selbsttätig wieder verschließendes Ventil.

Der Hydraulische Widder wird zum ersten Mal in der Aufzeichnung der Académie de Sciences vom 14. Juli 1797 erwähnt. Der „Bürger“ Montgolfier hatte einen Vortrag mit dem Titel „Sur un moyen très simple d’élever l’eau des fleuves“ („Über ein sehr einfaches Mittel, das Wasser von Flüssen zu heben“) gehalten. Das französische Patent für die Erfindung wurde bereits im November 1797 erteilt. Für England ist die Patenterteilung (Nummer 2207) am 13. Dezember 1797 an den Dampfmaschinenpionier Matthew Boulton nachgewiesen, der die Anmeldung in seinem Namen für Montgolfier vornahm.

Das erste amerikanische Patent wurde 1809 an J. Cerneau und S.S. Hallet erteilt. In den USA nahm das Interesse an hydraulischen Widdern ab etwa 1840 stark zu, als weitere Patente erteilt wurden und einheimische Unternehmen die Produktion aufnahmen.

Einer der ersten Hersteller in der Schweiz war Johann Georg Schlumpf, der 1885 den ersten hydraulischen Widder verkaufte. 1923 entwickelte er die „Selbstbelüftung“. Diese erledigte automatisch die regelmäßige Auffüllung des Luftpolsters, wodurch ein jahrzehntelanger wartungsfreier Betrieb möglich wurde.

Erst nach Mitte des 20. Jahrhunderts ging das Interesse wieder zurück, als die Anwendung der Elektrizität und elektrische Pumpen sich ausbreiteten.

Aufbau und Prinzip

Rohrplan eines hydraulischen Widders
Hydraulischer Widder, Easton & Amos, 1851

Ein hydraulischer Widder besteht aus vier Hauptkomponenten:

  • einer Wasserfassung als Vorratsbehälter
  • der Triebwasserleitung mit endständigem Stoß- und Druckventil
  • dem „Windkessel“ als Druckbehälter
  • der daran angeschlossenen Steigleitung

Diese Komponenten bilden zusammen ein schwingungsfähiges System, das nach einmaligem Anstoß selbstgesteuert weiterschwingt, solange für ausreichend Wassernachschub gesorgt ist. Da das System nur zwei bewegliche Teile besitzt (Stoß- und Druckventil) kann die Fertigung kostengünstig erfolgen, die Wartung ist einfach und das Aggregat ist extrem zuverlässig.

Aus einem Vorratsbehälter, der von einer Quelle oder einem Bach gespeist wird, strömt Wasser durch eine nicht zu kurze Triebleitung und tritt an deren Ende durch das Stoßventil (am Widder) aus. Das Stoßventil wird zunächst durch eine Feder oder durch Schwerkraft offen gehalten, bis die Geschwindigkeit der durch die Schwerkraft beschleunigten, austretenden Wassermasse ausreichend groß ist, um das Stoßventil mitzureißen – es schließt schlagartig. Der in der Triebleitung bis dato strömenden Wassermasse wird also abrupt der Ausfluss versperrt. Die Wassermasse reagiert aufgrund ihrer Massenträgheit mit einem gewaltigen Druckanstieg, der sich berechnen lässt (siehe hier):


wobei:
= Dichte von Wasser [kg/m³];
= Geschwindigkeitsänderung des Wassers [m/s];
= Schließzeit der Armatur [s];
= die Länge der Rohrleitung [m].

Fließt beispielsweise Wasser mit 3 m/s durch ein 5 m langes Rohr, das innerhalb von 5 ms abgesperrt wird, steigt der Druck kurzzeitig auf 60 bar. Dieser Druckstoß bewirkt zwei Vorgänge:

  1. Das Druckventil zum Windkessel öffnet sich, Wasser strömt von unten in den Windkessel und komprimiert das Luftpolster im oberen Bereich.
  2. Dieser Druckstoß läuft als Stoßwelle mit etwa 1000 m/s (kleiner als die Schallgeschwindigkeit in Wasser, siehe hier) auch rückwärts durch die Treibleitung und bewirkt ein sehr kurzzeitiges „Pendeln“ der Wassersäule. Diese Vor- und Rückwärtsbewegungen können in jeder Gas-, Flüssigkeits- oder Festkörpersäule auftreten. Man kann sie auch bei einem Hammer beobachten, der auf dem Amboss abprallt. Als Folge entsteht am Stoßventil einige Male kurzzeitiger Unterdruck (in der nebenstehenden Zeichnung blau gekennzeichnet), der – wichtig für den Dauereinsatz des Widders – durch ein Schnüffelventil bzw. eine kleine Bohrung Außenluft nachzieht. Die Bläschen steigen nach oben, wodurch bei jedem Druckstoß der Luftvorrat im Windkessel nachgefüllt wird.
Druckschwingungen im Treibrohr eines Widders

Dieser maximal auftretende Druckstoß tritt jedoch nur auf, wenn die Schließzeit des Absperrorgans kürzer ist als die Zeit, die der Druck benötigt um zum Einlauf der Triebwasserleitung und wieder zum Verschluss zurück (2·L) zu gelangen – die sogenannte Reflexionszeit tR der Druckwelle.


wobei:
= Geschwindigkeit der Stoßwelle im Wasser [m/s] ist;

Mit den oben gewählten Beispielswerten ergibt sich T = 10 ms. Diese sehr kurze Zeit kann nur mit Messinstrumenten registriert werden, die beiden Ventile können wegen ihrer trägen Masse nicht schnell genug reagieren.

Das Triebwasser strömt nun solange in den Windkessel ein, bis dessen Gegendruck das Druckventil wieder schließt. Dadurch wird der Triebwasserteil im Windkessel bei gestiegenem Innendruck zurückgehalten. Die Rohrreibung sorgt dafür, dass die Pendelbewegung der Wassersäule schnell abklingt. Das Stoßventil öffnet sich und der Vorgang beginnt von Neuem.

Ein vertrauter Beobachter sieht im Widdersystem also eine schwingende Wassersäule mit einem wassergefüllten, langen und abschüssigen Rohr auf der einen Seite und einem teilgefüllten, voluminösen Druckbehälter mit Luftpolster auf der anderen Seite. Dieses System wandelt also selbsttätig (unter Verbrauch von Triebwasser) eine strömende Wassermenge in eine unter (Hoch)druck stehende Wassermenge um.

Diese, im Windkessel unter (Hoch)druck stehende Wassermenge wird über eine Steigleitung angezapft und dem höhergelegenen Verbrauchsort zugeführt. Es lassen sich dadurch Wasserdrücke bis 30 bar erzeugen, die Förderhöhen bis 300 m entsprechen. Typische Gefällehöhen der Triebwasserleitung liegen zwischen 30 cm und 5 m. Experimente haben gezeigt, dass das Verhältnis Fallhöhe:Treibleitungslänge zwischen 1:3 und 1:12 liegen sollte. Diese Längen ergeben typischerweise eine Zykluszeit von 1 bis 2 Sekunden.

Mit Hilfe einer Reihenschaltung mehrerer Widder können auch große Förderhöhen erreicht werden. Jedoch sinkt mit jeder Stufe die Menge des geförderten Wassers, weil nur etwa 10 % des durchfließenden Wassers weitergepumpt werden.

Unter Verwendung sog. „Wildwasserwidder“ lassen sich auch unterschiedliche Wässer für den Widderantrieb und die Wasserförderung verwenden. So kann zum Beispiel der Widder mit Oberflächenwasser betrieben werden, während das zu fördernde Trinkwasser aus einem Brunnen vom Triebwasser durch eine elastische Membran getrennt ist. Die Druckstöße des Triebwassers treiben also eine Art aufgesetzte Membranpumpe an.

Vergleich mit elektrischer Schaltung

Schaltplan eines elektrischen Aufwärtswandlers

Der Hydraulische Widder hat auch ein elektrisches Analogon, das deutlich häufiger eingesetzt wird: den Aufwärtswandler, der aus einer geringen Spannung impulsweise erheblich höhere Spannungsspitzen erzeugen kann. Dabei entsprechen:

  • Strom in der Induktivität = träge Masse des Wassers in der Triebwasserleitung
  • Schalter S = Stoßventil
  • Gleichrichter D = Druckventil
  • Elektronenspeicher C = Windkessel

Typische Betriebsprobleme

Typische Betriebsprobleme sind Luft in der Treibleitung, Blockierung der Wasserzufuhr oder der Ventile und Einfrieren im Winter.

Zu wenig Luft im Windkessel kann durch ein kleines Luftventil (1–2 mm Bohrung) oder ein Schnüffelventil knapp vor dem Rückschlagventil (Druckventil) vermieden werden. Dabei wird bei jedem Hub ein wenig Luft angesaugt und in den Kessel gedrückt.

Anwendung

Für Landwirtschaft, Berghütten und Ferienhäuser, die in der Nähe von fließenden Gewässern liegen, werden zur Wasserversorgung gerne Widder benutzt. Meist handelt es sich um Anwesen in abgelegenen Gegenden, die weder an die öffentliche Wasserversorgung noch an das öffentliche Stromnetz angeschlossen sind, oder aus anderen Gründen nur zeitweilig genutzt werden.

Der erste Hydraulische Widder in Deutschland wurde von dem Technikwissenschaftler Joseph von Baader (1763–1835) zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Wasserversorgung auf dem Landsitz des Grafen Montgelas in Bogenhausen bei München installiert.

Hydraulische Widder finden sich in Mitteleuropa heute noch unter anderem an folgenden Orten:

  • Hinterbach, Odenwald (funktionsfähig)
  • In Vielbrunn, Odenwald, auf dem Wanderweg zur Geiersmühle, im Jugendstil erbaut und funktionstüchtig.
  • Drei weitere funktionsfähige in Oberstdorf (einer neben der Kirche, einer im angrenzenden Oytal, auf halbem Weg von Oberstdorf zum Oytal-Haus und einer auf der Rappenseehütte).
  • In Kainen, einem Ortsteil von Braunswalde in der Nähe von Allenstein, Ostpreußen.[1]
  • Für die Wasserversorgung der Burg Hohenzollern bei Hechingen werden aufgrund der exponierten Lage auch hydraulische Widder eingesetzt. Über eine ca. 700 m lange Steigleitung wird das Wasser ca. 220 m hochgepumpt.
Die Lambachpumpe im Freilichtmuseum Roscheider Hof
  • In Pelkering, einem Weiler bei Triftern (Niederbayern), funktionsfähig und im Einsatz zur Versorgung von Ställen und Gärten einiger Landwirte.
  • Tauchersreuth in Lauf an der Pegnitz: Rekonstruktion einer ursprünglich aus dem Jahr 1907 stammenden Anlage.
  • Stadtpark von Strehla in Sachsen.[2]
  • Schauanlage im Wasserkraftmuseum Ziegenrück, Thüringen, wird bei Führungen in Betrieb gesetzt.
  • Im Energiemuseum in Hottingen gibt es einen Widder, der ein Wasserrad antreibt und mit zwei Metern Gefälle der Murg (Südschwarzwald) das Wasser sieben Meter hoch pumpt.[3]
  • Eine nicht funktionsfähige Lambachpumpe, benannt nach ihrem Erbauer Wilhelm Lambach (1875–1944) aus Oberemmel, befindet sich in einem rekonstruierten Pumpenhaus im Volkskunde- und Freilichtmuseum Roscheider Hof in Konz.[4]
  • Im Görlitzer Ortsteil Tauchritz in Betrieb.
  • Am Rand des Tagebau-Restlochs Berzdorfer See steht das Wasserschloss Tauchritz auf Eichenpfählen in einem Schlossteich. Im Zusammenhang mit dem Bau eines Flutungsgrabens für den Tagebau wurde im Jahre 2003 eine Anlage, bestehend aus vier Widdern, installiert, um den Wasserstand im Teich zu halten. Mit einer Treibwassermenge von 25 l/s werden 4 l/s (ca. 15 m³/h) um 13 m gefördert. Das überschüssige Treibwasser wird dem Flutungsgraben wieder zugeführt.
  • Anschauungsobjekt am Isarradweg bei Usterling im Landkreis Dingolfing/Landau.
  • Radeckalm im Anlauftal bei Bad Gastein-Böckstein in Österreich versorgt die Almhütte mit Trinkwasser.
  • Am Besucherbergwerk in Neubulach im Nordschwarzwald
  • In Wildpoltsweiler (bei Neukirch). Dort werden im Sommer die Tiere eines in der Nähe gelegenen Wildparks versorgt. Die Leitungslänge beträgt ca. 700 m, der Höhenunterschied ca. 50 m.
  • Im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim befindet sich ein in den frostfreien Monaten betriebener Widder mit einer Förderleistung von ca. einem Liter pro Minute zur Demonstration der Technik.
  • Im Walldürner Stadtteil Hornbach (Neckar-Odenwald-Kreis) wurde 1995 eine Lambachpumpe von 1924 wieder funktionstüchtig instand gesetzt und das Maschinenhaus von 1894 saniert.
  • In Scheidegg (West-Allgäu) auf dem Spielplatz bei den Scheidegger Wasserfällen sind neben einem hydraulischen Widder auch andere Wasser-Fördersysteme mit Schautafeln aufgebaut.
  • In Stollberg/Erzgeb. fördert ein Widder im Rosental (ehemaliges Trinkwassereinzugsgebiet mit über 30 Sammelschächten) in einen Molchteich.
  • Unterhalb Berggasthaus Mesmer, Alpstein, Appenzell-Innerrhoden, Schweiz (CH)
  • Im Hotel Faulhorn ob Grindelwald (CH)
  • In Sennhütten, Kästhal, Aargau, Schweiz. Anlage ist seit 70 Jahren in Betrieb und speist ein altes Bauerngehöft. Pumphöhe 70 m
  • Auf dem Großen Waldstein im Fichtelgebirge
  • Bei Klingelrain (Einzelgehöft in der Gemeinde Eberhardzell im Landkreis Biberach); funktionsfähig.

Heute werden neue hydraulische Widder besonders in der Entwicklungshilfe eingesetzt. So gibt es zum Beispiel eine Anwendung hydraulischer Widder im südöstlichen China für die kleinbäuerliche Landwirtschaft als Alternative zu Dieselpumpen.[5]

Siehe auch

Literatur

Commons: Hydraulische Widder – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. ostpreussen-info.de
  2. www.strehla.de
  3. swr.de
  4. roscheiderhof.de
  5. atmosfair.de