Zum Inhalt springen

Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 29. April 2004 um 10:10 Uhr durch Nerd (Diskussion | Beiträge) (=Weblinks= erw). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Das GATS (General Agreement on Trade in Services) ist ein internationales Vertragswerk der Welthandelsorganisation (WTO), das den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen regelt.

GATS § 3 Abs 1: GATS umfasst alle Dienstleistungen, mit Ausnahme solcher Dienstleistungen, die im Rahmen staatlicher Zuständigkeit erbracht werden. Dienstleistungen, die im Rahmen staatlicher Zuständigkeit erbracht werden, werden definiert als Dienstleistungen, die weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht werden.

Die OECD schlägt vor, Dienstleistungen, die im Rahmen staatlicher Zuständigkeit erbracht werden als non profit aufzufassen.

Geschichte

Dieser Vertrag gilt nicht nur für den Handel mit Dienstleistungen, sondern auch für den Konsum von Dienstleistungen im Inland sowie die Erbringung von Dienstleistungen durch ausländische Investoren. Es lehnt sich somit an das beim WTO-Gipfel (1999) in Seattle gescheiterte Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) an. Das MAI beabsichtigt in diesem Zuge, Schadenersatzansprüche für Konzerne gegenüber Regierungen zu ermöglichen, in deren Land gestreikt wird oder in dem höhere Arbeitnehmer- oder Umweltschutzgesetze in Kraft treten. Der Schadenersatz für den Konzern soll sich nach der Gewinnschmälerung richten, die dem Konzern durch die Maßnahmen entstanden ist.

Das GATS-Abkommen wurde am Ende der Uruguay-Runde am 1.1. 1995 unterzeichnet (GATS 1995). Damals wurde beschlossen, den Vertrag nach fünf Jahren zu überarbeiten. So wird das GATS seit Beginn 2000 neu verhandelt (GATS 2000). Die Verhandlungen sollen bis zum Ende der "Neuen Runde" (der in Doha unter gewissen Konditionen vereinbarten neuen Verhandlungsrunde) 2005 abgeschlossen sein. Um dies zu erreichen, hat die Ministerkonferenz den Verhandlungsrahmen festgelegt. In den WTO-Verträgen geht es nicht nur um Exporte, sondern um nahezu alle Gesetze, die Menschen, Arbeitnehmer, Wohlstand und soziale Absicherung betreffen. Wichtiges Eckdatum der laufenden Verhandlungen war der 30.6. 2002, bis zu diesem Tag konnten Mitgliedsländer an andere Mitgliedsländer Forderungen stellen, welche Dienstleistungssektoren geöffnet werden sollen. Bis zum 31.3. 2003 haben nun die Länder Zeit, Angebote abzugeben: So könnte Indien etwa anbieten seine Wasserwirtschaft zu liberalisieren.

Der ehemalige Direktor der GATS Abteilung im WTO Sekretariat David Hartridge meinte: Ohne den enormen Druck der amerikanischen Finanzdienstleister, insbesondere von Firmen wie American Express oder Citicorp, hätte es kein Dienstleistungsabkommen gegeben. Neben Banken und Versicherungen zählen große Wasserversorger (Vivendi, Suez, RWE), Energie-, Bildungs- und Gesundheitskonzerne, wie private Krankenhauskonzerne, zu den vermutlichen Gewinnern des GATS.

Länderlisten und GATS-Verhandlungen

Die Sektoren werden nur stückweise geöffnet. Diese Öffnung geht in Runden vor sich, etwa: "Gibst du mir die Dienstleistung Bildung, gebe ich dir die Dienstleistung Verkehr". In den so genannten Länderlisten verpflichten sich die einzelnen Staaten, welche Dienstleistungen freigegeben sind bzw. welche Einschränkungen es in Bezug auf Marktzutritt und Inländerbehandlung gibt.


Die Liberalisierung der Dienstleistung wird in sehr vielen Einzelpunkten - 12 Sektoren bzw. 155 Subsektoren "mal" den jeweils vier verschiedenen Dienstleistungserbringungsarten (Modes) - verhandelt. Derzeit führt die WTO-Verhandlungen mit dem Ziel, die Beschränkungen in den Länderlisten bis 2005 zu liberalisieren. Die Liberalisierung soll in jeder Runde zunehmend, verstärkt betrieben werden, der Artikel XIX spricht ausdrücklich von einer fortschreitenden Liberalisierung.

Die GATS-Diskussion

Der zentrale Diskussionspunkt ist [1]: sind öffentliche Dienstleistungen (Gesundheitsdienstleistungen, Bildungsdienstleistungen, ...) durch Artikel 1.3 ausgenommen oder fallen sie unter das GATS?

So argumentiert etwa das österreichische Wirtschaftsministerium, dass das System der österreichischen Sozial- und Pensionsversicherung aus dem GATS ausgenommen sei, da es sich um Dienstleistungen handelt, die gemäß Artikel 1 Abs. 3 lit. b des GATS-Abkommens in staatlicher Zuständigkeit erbracht werden.

Was laut den Kritikern das Wirtschaftsministerium regelmäßig verschweige, ist lit. c dieses Artikels. In dieser Bestimmung heißt es, dass Dienstleistungen die

in Ausübung staatlicher Gewalt erbracht werden, nur dann vom GATS ausgenommen sind, wenn diese Dienstleistungen weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Anbietern erbracht werden.

Es besteht weder unter WTO-Mitgliedern noch im WTO-Sekretariat Einigkeit über die Bedeutung des Begriffs erbracht in Ausübung staatlicher Gewalt. Besonders das Sekretariat der WTO scheint, je nach Umstand, unterschiedliche Ansätze zu verfolgen.

In einem Hintergrundpapier zu Gesundheitsdienstleistungen und soziale Dienste (S/C/W/50) argumentiert das Sekretariat, dass es in Fällen, wo private, kommerziell orientierte und öffentlich-gemeinützige Krankenhäuser parallel existieren, unrealistisch sei, zu behaupten, dass keine Wettbewerbssituation herrsche. Folglich sind öffentliche Krankenhäuser, obwohl sie ein öffentlicher Dienst sind, nicht vom GATS ausgenommen.

Was bedeutet Artikel 1 (3) also tatsächlich? Das erscheint manchen unklar. Man könnte zu kommerziellen Zwecke so verstehen, dass ein Preis für die Dienstleistung bezahlt wird, so dass jede Dienstleistung, die nicht kostenlos bereitgestellt wird, eine kommerzielle Dienstleistung wäre. Folglich fiele quasi jede öffentliche Dienstleistung unter das GATS, da gewöhnlich irgendein Preis für die Dienstleistung erbracht wird, wenn auch nicht direkt vom Dienstleistungsempfänger.

Diskutiert wird weiters der Artikel IV.4, wo unter anderem ein sog. Notwendigkeitstest beschrieben wird. Dieser soll prüfen ob staatliche Umwelt- oder sonstige Auflagen handelsneutral sind und ob es andere Auflagen geben könnte, die einen größeren Anreiz für ausländische Investoren bieten. Dieser bedrohe den demokratischen Gestaltungsspielraum, da der Nationalstaat beweisen muss, dass seine Auflagen die geringstmöglichen sind.

GATS und EU

Unerwünschterweise sind die Forderungen [2] der EU wie auch die Angebote [3] an die EU an die Öffentlichkeit gekommen und haben für Unmut gesorgt, da u.a. von den USA gefordert wird, im Bildungssektor zu privatisieren. Von den 109 Ländern, an deren Adresse die EU ihre Liberalisierungsforderungen (so genannte Requests) richtete, sind die große Mehrheit (94) Entwicklungs- oder Schwellenländer.

In Europa haben wir das "European Service Forum" (ESF), das von Sir Leon Brittain (EU-Handelskommissar vor Pascal Lamy) geschaffen wurde, um die europäischen Dienstleistungskonzerne in die GATS-Verhandlungen einzubinden.

GATS und Österreich

In Österreich sind unter den GATS-Gegner u.a. vereint: der Gemeindebund, der Städtebund, die Caritas, ATTAC und Ex-ÖVP-Vizekanzler Josef Riegler.

Auch der Gerwerkschaftsbund ist beteiligt, so hat der ÖGB zum ersten Mal mit anderen Trägerorganisationen zusammengearbeitet. Der frühere "Gegner" Greenpeace, etwa beim Kraftwerksbau Hainburg, wurde einer von 80 Bündnispartnern. Die EU eröffnete zu den Offers aufgrund der Bürgerproteste einen so genannten Konsultationsprozess: eine Umfrage von NGO und Sektorverbänden wurde begonnen; von Tausenden Anfragen kamen über 60% aus Österreich. Um diesen Bedenken zu begegnen, hat die EU nun ein Dokument veröffentlicht, in dem über die an sie gerichteten Forderungen Auskunft gegeben wird: [4]

Der Nahverkehr, Gesundheit, Bildung und die audiovisuellen Medien seien nach offiziösen Meldungen für Österreich aus den GATS ausgenommen, eine Nachprüfbarkeit ist aufgrund der Geheimverhandlungen nicht möglich. Auch wielange diese Ausnahmen für die Dauer der Verhandlungen erhalten bleiben, ist fraglich, da ja genau darüber verhandelt wird.

Auch die Länder und Gemeinden in Österreich melden Kritik an: so meint Sepp Rieder, Vize-Bürgermeister von Wien, dass zwar zuerst versichert worden sei, dass die Sozialpartner mit eingebunden werden würden, es aber keine konkreten Verhandlungen oder Informationen gebe. Er schlug vor, dass

  • die GATS-Regeln der Notwendigkeitsprüfung und der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Bereich der Daseinsvorsorge nicht gelten sollten
  • Länder und Gemeinden mitverhandeln sollten, in der Bundesverfassung wäre dafür ein Spielraum vorhanden
  • Garantien abgeben werden, dass die zu Anfang der Verhandlungen versprochenen Bereiche auch wirklich fortwährend aus den Verhandlungen ausgenommen blieben.

GATS-Kritik

Mittlerweile mehrt sich die Kritik am GATS-Abkommen. Folgendes sind die Hauptkritikpunkte:

  • Elementare Dienste werden im Sinne von PPP zumindest teilweise privatisiert (Wasser- und Erdgasversorgung, Gesundheitswesen, Bildung, Krankenhäuser, Pflegeheime). Die Sprachregelung hierzu ist oft eine sog. strategische Partnerschaft. Der Liberalisierung folgt oft eine Privatisierung mit Lohnkürzungen der staatlichen Betriebe. [5]
  • Im Gegensatz zu industriellen Lobbygruppen wie dem ESF ist weder das jeweilige nationale Parlament direkt in die Verhandlungen eingebunden und informiert, noch ist die Zivilgesellschaft eingebunden. Die Verhandlungen sind geheim, nicht direkt demokratisch legitimiert und ihre Ergebnisse werden in Abkommen festgeschrieben. Es ist mit irreversiblen Verträgen zu rechnen, die keinem politischen Meinungsbildungsprozess unterworfen waren.
  • Dem Prinzip der so genannten "Inländerbehandlung" folgend müssen ausländische und inländische Anbieter grundsätzlich gleich behandelt werden. Staatliche Aufwendungen müssen also auch privaten Anbietern zur Verfügung stehen. Die beachteten, und kritisierten, Maßnahmen sind nicht mehr Zollpolitik sondern innerstaatliche Regelungen. Damit werden Gebiete staatlicher Hoheitspolitik berührt und möglicherweise durch das GATS-Vertragswerk außer Kraft gesetzt. Dazu meint etwa Rufus H. Yerxa (WTO Generaldirektor): die Entscheidungen werden von den Mitgliedstaaten getragen, das WTO-Büro führe nur aus. Ein freier Handel sei für ein friedvolles Zusammenleben notwendig.
  • Die Versorgungssicherheit und -stabilität im Sinne einer Daseinsvorsorge scheint durch GATS nicht zweifelsfrei weiter garantiert zu werden.

Siehe auch: Neoliberalismus