Sebastian Röttinger

Sebastian Röttinger (Rettinger, Rättinger) (* Oktober 1537 in Nördlingen; † 11. Mai 1608 in Nördlingen) war Ratsadvokat der Freien Reichsstadt Nördlingen, Konsulent der Fränkischen und Schwäbischen Reichsritterschaft und ein Hexenjäger.
Sebastian Röttinger war der Sohn des Kürschners Sebastian Röttinger († um 1551/52) und der Dorothea Bachmann, Tochter des Arztes Franz Bachmann aus Nördlingen, die 1559 in zweiter Ehe den Gerichtsschreiber Wolfgang Fischer aus Wallerstein heiratete.
Sebastian Röttinger studierte fünf Jahre in Wittenberg und erwarb unter Philipp Melanchthon den Magistergrad. 1559 wurde er als Magister der Präzeptor (Lehrer) des Grafen Anton von Ortenburg (1550–1573) und des Grafen Maximilian Fugger (1550–1588), der später Komtur des Deutschen Ordens in Sterzing wurde, engagiert, die gemeinsam an der Universität Ingolstadt studierten.[1] Später begleitete er Graf Anton zum Studium nach Frankreich. 1561 trafen die beiden Johannes Calvin und Theodor Beza in Genf, 1561/62 studierten sie in Bourges, wo Röttinger den Dr. iur. utr. erwarb, danach in Straßburg.
Während der sogenannten „Ortenburger Adelsverschwörung“ 1563/64 unterstützte Sebastian Röttinger den Grafen Joachim von Ortenburg (1530–1600), indem er Publikationen vorbereitete und zusammen mit dem Sekretär Hans Hager ein Verzeichnis von Decknamen und Begriffen für den Fall einer Inhaftierung anlegte[2].
1564 reiste Röttinger mit seinem Schüler Anton von Ortenburg zum Studium nach Tübingen und 1566 nach Orléans[3]. 1566 war Röttinger Stellvertreter des Kurators der deutschen Nation in Orléans, Johann Conrad Meyer (1544–1604)[4].
Anschließend begleitete Röttinger den jungen Grafen auf einer Reise durch Italien. Im Oktober 1569 musste Graf Joachim von Ortenburg „dem Präzeptor seines Sohnes Sebastian Röttinger, Doctor“, eine Schuldverschreibung über 900 Gulden ausstellen, weil er nicht mehr in der Lage war, ihm Besoldung, Kleider und Zinsen zu zahlen[5].
1570 wurde Röttinger Syndikus in Nördlingen und nahm im selben Jahr zusammen mit Bürgermeister Peter Seng d. Ä. (1512–1589)[6] am Reichstag zu Speyer teil. 1571 erwirkte er beim kaiserlichen Hof in Prag gegen den Widerstand der Oettinger sicheres Geleit für die zur Messe ziehenden Kaufleute[7]. 1576 vertrat Röttinger die Städte Nördlingen und Bopfingen auf dem Regensburger Reichstag. 1582 waren er und der Ratsherr und spätere Bürgermeister Karl Gundelfinger (1542–1592), dessen Witwe Dorothea († 1594) als Hexe verbrannt wurde, Gesandte der Stadt Nördlingen zum letzten Reichstag in Augsburg[8].
Röttinger gilt als einer der eifrigsten deutschen Hexenjäger. Von 1589 bis 1598 starben 34 Frauen und ein Mann in Nördlingen auf dem Scheiterhaufen.
Sebastian Röttinger und Johann Gundelfinger aus Nördlingen gehörten im August 1590 zu einer Delegation des in Speyer zusammengetretenen Städtetages, die in Augsburg einen Vergleich zwischen dem katholischen Stadtrat und der evangelischen Bürgerschaft zu vermitteln versuchte, der allerdings erst im folgenden Jahr zustande kam[9]. 1591 wurde Röttinger von Kaiser Rudolf II. (1552–1612) die Pfalzgrafenwürde (Comes palatinus) mit dem Recht der Wappenverleihung zuerkannt. Er nahm 1594 für Nördlingen und auch im Namen der Städte Offenburg und Gengenbach zusammen mit dem Ratsherren Thomas Dithei und 1603 zusammen mit dem Nördlinger Bürgermeister Johann Wilhelm Gundelfinger (1561–1630) am Reichstagen in Regensburg teil. 1603 stiftete Röttinger mit 3000 Gulden ein Studienstipendium für Nördlinger Bürgersöhne.
Röttinger war mit dem Komponisten Orlando di Lasso (1532–1594) befreundet.
Familie
Sebastian Röttinger war seit 1571 verheiratet mit Ursula Steck († 1590), verwitwete Schertlin, aus Cannstatt und seit 1591 in zweiter Ehe mit Maria Hardesheim (1569–1617), Tochter von Christoph Herdesianus (Hardesheim) (1523–1585) aus Nürnberg. Sein Sohn Christoph († nach 1625) heiratete 1616 Maria Pfinzing von Henfenfeld aus Nürnberg, Tochter von Ratsherr Georg Pfinzing von Henfenfeld (1568-1631)[10]. Ein Sohn Christian (* 1592; † nach 1623) war Soldat (Kornett) in Nürnberg. Die Söhne Sebastian und Philipp starben 1600 im Kindesalter.
Ein Holz-Epitaph für Sebastian Röttinger, Ursula Steck und Maria Hardesheim mit Gemälden von Hans Simon Metzger (1586-1629) zur Geschichte Hiobs und der Auferstehung Christi befindet sich an der Südwand des Chores der St.-Georg-Kirche. Auf dem Epitaph ist auch die Familie dargestellt.
Wappen
Schild geviert; in 1 und 4 (Röttinger) auf goldenem Grund auf einem Dreiberg stehend ein Mann in schwarzer (ursprünglich roter) Kleidung mit ausgebreiteten Armen, in denen er jeweils drei rote Rosen hält, auf seinem Kopf eine goldene Krone; in 2 (Strauß) auf rotem Grund ein silberner, zurücksehender Vogel Strauß mit einem goldenem Ring im Schnabel; in 3 (Althammer) auf rotem Grund aus dem rechten Schildrand hervorkommend ein schwarzer Arm, der an goldenem Stiel einen silbernen Hammer hält. Wahlspruch: „In silentio et spe“ (= „durch Stillesein und Hoffen“) nach Jes 30,15 Lut.
Quellen
- Friedrich Frank[11] / Melchior Fabricius[12] / Johannes Oertel[13] / Gottlieb Regner[14] / Matthäus Röttinger[15]: Epithalamia Scripta in honorem nobilissimi, et amplissimi viri, Domini Sebastiani Roettingeri, Noerdlingenis … I. V. Doctoris … et … virginis, et Sponsae Mariae … Noribergensium Iurisconsulti Christopheri Herdesiani … relictae filiae … deuterogamu, Celebratum Noerlingae IV. Idus Octobris An[n]o M.D.XCI., Lauingen: Leonhard Reinmichel 1591[16]
- Melchior Fabricius: Aqva viva, ex fontibus Israelis hausta … Sebastiano Rötingero … Lugenti duorum cariss. filiolorum, Sebastiani & Philippi, praematurum & inopinatum obitum[17], Nürnberg: Kaufmann 1600[18]
- Friedrich Frank: Christliche Leichpredigt, Bey der Leich weilund deß Edlen, Hochgelehrten Herrn Sfbastiani Röttingeri, der Rechten Doctoris, Keyserlichen Palatij Comitis, der löblichen Freyen Ritterschaft in Schwaben vn[d] Francken vnd der Statt Nördlingen gewesnen Aduocatenz &c., … Welcher … den 11. Maij, … im Jahr Christi 1608, sanfft und selig in dem Herrn entschlaffen, vnd den 16. eiusdem, … in dem Chor der Bergkirchen zu S. heimeran, ehrlich zur Erden bestettiget worden, gehalten … durch M. Friderich Francken, Pfarrern daselbst. Syrac. 44. v. 13. [= JesSir 44,13 EU], Lauingen: Jakob Winter 1608[19]
- Melchior Fabricius: Ad Deum Ter Opt. Max. Et Triunum Pia & devota Precatio, Pro Restitutione Pristinae Sanitatis … Doctoris Sebastiani Röttingeri, Reip. Nordlingensis, & Nobilitatis Suevicae &c. Advocati primari …, Nümberg: Lochner o. J. [ca. 1610][20]
Literatur
- Daniel Eberhardt Beyschlag / Johannes Müller, Röttingerisches Epitaphium, darin bes. D. Sebastian Röttinger. In: Beyträge zur Nördlingischen Geschlechtshistorie die Nördlingischen Familien und Epitaphien enthaltend, Band II/2, Nördlingen: Karl Gottlob Beck 1803, S. 140–162, bes. 159–162.
- Gerhild Hausmann: Anton Graf zu Ortenburg (1550-1573) – Ein Beitrag zur Bildungsgeschichte des protestantischen Adels im 16. Jahrhundert. Diss. Graz 1968.
- Martha Schad: Die Frauen des Hauses Fugger von der Lilie (15. - 17. Jahrhundert), Tübingen: Mohr 1988, S. 79–88.
- Gunter Wieland: Anton Graf zu Ortenburg (1550-1573) – frühes Ende einer großen Hoffnung. In: Förderkreis Bereich Schloss Ortenburg (Hrsg.): Ortenburg - Reichsgrafschaft und 450 Jahre Reformation 1563-2013. Ortenburg 2013, S. 96-100.
Einzelnachweise
- ↑ Wieland, S. 97.
- ↑ Vgl. Friedrich Hausmann: Verzeichnis von Decknamen und Begriffen für den Briefwechsel des Grafen Joachim zu Ortenburg mit seiner Gemahlin Ursula für den Fall seiner Inhaftierung in München, November 1563. In: Hubert Glaser (Hg.): Um Glauben und Reich. Kurfürst Maximilian I.. Katalog der Ausstellung in der Residenz in München 12. Juni–5. Oktober 1980, Bd. II (Wittelsbach und Bayern II/2), Hirmer, München 1980, S. 28–30; Walter Goetz, Leonhard Theobald (Bearb.): Beiträge zur Geschichte Herzog Albrechts V. und der sog. Adelsverschwörung von 1563 (Briefe und Akten zur Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts mit besonderer Rücksicht auf Baierns Fürstenhaus 6), M. Rieger, Leipzig 1913, S. 467.
- ↑ „Sebastianus Redingherus“ bzw. „Sebastianus Rotthinger Nordlinghensis, praeceptor generosi comitis in Ortenburg“; vgl. Cornelia M. Ridderikhoff / Chris L. Heesakkers: Les livres des procurateurs de la nation germanique de l'ancienne Université d'Orléans: 1444 - 1602, Bd. II, Leiden: Brill 1988, S. 512 und 514.
- ↑ Aus Schaffhausen, Studium in Basel, Heidelberg, Orléans und Padua, später Dr. jur. und Bürgermeister von Schaffhausen, 1599 von dort wegen Überschuldung geflohen.
- ↑ Vgl. Bayerisches Hauptstaatsarchiv (Grafschaft Ortenburg, Urkunde 1569 X 2).
- ↑ Gerichtsschreiber und ab 1566 Bürgermeister von Nördlingen, unterzeichnete 1579 für die Rat der Stadt die Konkordienformel.
- ↑ Vgl. Martin Crusius: Schwäbische Chronick, hrsg. von Johann Jacob Moser, Bd. II, Frankfurt am Main: Wohler 1738, S 323.
- ↑ Vgl. M. Crusius: a. a. O., S. 351.
- ↑ Vgl. Paul von Stetten [d. Ä.]: Geschichte Der Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg, Merz & Meyer, Frankfurt am Main / Leipzig 1743, S. 716.
- ↑ Vgl. Georg Remus / Christoph Reich: Epithalamia In honorem Nuptiarum Viri-Iuvenis, Generis Nobilitate ... Christophori Rötingeri ... Sebastiani Rötingeri, p.m. J.C. Com. Pal. Caes. Fransisci atq[ue]; Suevici Equestris Ordinis, nec non Reipub: Nordlinganae Advocati dignissimi, F. Sponsi, Cum ... Maria ... Georgii Pfinzingi, ab Henfenfeld, &c. inclyti ordinis Senatorii apud Norinbergens. Filiâ, Sponsâ, celebrandarum Norimbergae, a.d. 16. Kal. VIII BR. Anno Gratiae CIS. IS. CXVI, Nürnberg: Wagenmann 1616; Cyriacus Herdesianus: Thalasso Pentaglossus Pro Auspicatissimis Nubti[i]s ... Christophori Roetingeri, Sebast. IC. S. Caes. Maies. Olim. Nec Non Equestr. Francon. Et Suevor. Ordinis Reiq. Publ. Norling. Consilari[i], Com. Palatini, &c. Filii, Christophori Herdesiani JCti & Theol. Celeberr: Ex Filia ... Sponsi & ... Mariae ... Georgi[i] Phincingi[i], Dni. in Henfenfeld. Sanctioris apud Inclutam Noribergam Consilii Senatoris, Filiae, Sponsae, Wittenberg: Johann Gormann 1616.
- ↑ Mag. Friedrich Frank (1558-1628) aus Nördlingen, 1577 immatrikuliert in Tübingen, Student in Basel und Straßburg, war seit 1583 Diakonus in Alzey, 1596 Diakonus und seit 1596 Pfarrer und Superintendent in Nördlingen.
- ↑ Melchior Fabricius (1551–1626) aus Wiesenthal, 1565 Student in Leipzig, 1568 in Wittenberg, 1577 in Völkermarkt, 1579 in Wien, dann bis 1611 Diakonus in Nördlingen.
- ↑ Auch Johannes Ortelius (um 1555-1622) aus Schwandorf; Professor für Ethik und Redekunst in Lauingen.
- ↑ Mag. Theophil Regner (um 1554-1609) aus Nördlingen, Studium in Tübingen, Wittenberg und Jena, 1580 bis 1587 Kloster- und Vesperprediger in Nördlingen, 1584 bis 1597 Rektor der Lateinschule, 1597 bis 1609 Diakon. Seine Frau Barbara (um 1549-1609), Tochter der 1590 als Hexe verbrannten Barbara Wörlin, wurde ebenfalls der Hexerei bezichtigt, ohne dass aber gegen sie ein Anklageverfahren eingeleitet wurde.
- ↑ Mag. Matthäus (Matthias) Röttinger (1563-1634) aus Nördlingen, Sohn von Kürschner Balthasar III. Röttinger († um 1570), Studium 1587 in Wittenberg und 1590 in Ingolstadt, 1590 bis 1593 Lehrer in Nördlingen, 1594 Subdiakon in Donauwörth, um 1603 bis 1628 Pfarrer in Dischingen, dann in Marktlustenau, von dort vertrieben, 1630 im Exil in Nördlingen, dann Pfarrer in Kleinerdlingen, dort gestorben, Schwiegersohn von Melchior Fabricius.
- ↑ Staatliche Bibliothek Neuburg an der Donau (Sigel: 150).
- ↑ Trauergedichte auf Sebastianus und Philippus Rötingerus, Söhne des Sebastianus Röttinger.
- ↑ Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Sign. Signatur: A: 48.9 Poet. 23; A: 190.25 Quod. 4).
- ↑ Gotha, Forschungsbibliothek (Sign. LP D 8° III, 00005 (04)).
- ↑ Staatliche Bibliothek Regensburg (Sigel: 155).
Personendaten | |
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NAME | Röttinger, Sebastian |
ALTERNATIVNAMEN | Rötinger, Sebastian; Rettinger, Sebastian; Rättinger, Sebastian |
KURZBESCHREIBUNG | Ratsadvokat der Freien Reichsstadt Nördlingen, Konsulent der Fränkischen und Schwäbischen Reichsritterschaft und eifriger Hexenjäger |
GEBURTSDATUM | Oktober 1537 |
GEBURTSORT | Nördlingen |
STERBEDATUM | 11. Mai 1608 |
STERBEORT | Nördlingen |