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Anneliese Michel

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Anneliese Michel (* 21. September 1952 in Leiblfing; † 1. Juli 1976 in Klingenberg am Main) war eine deutsche Katholikin, die nach einem jahrelangen, schweren Leiden, dessen Ursachen bis heute umstritten sind, verstarb. In den letzten Monaten ihres Lebens beteten zwei katholische Priester im Auftrag des Würzburger Bischofs einen Exorzismus für sie.

Fakten

Die angehende Lehrerin aus einem streng religiösen Elternhaus, die von sieben verschiedenen Ärzten fast sieben Jahre lang behandelt worden war (u.a. mit dem Verdacht auf Epilepsie), starb 1976 an den Folgen von Unterernährung und Entkräftung. In den letzten Monaten ihres Lebens war zusätzlich zur ärztlichen Behandlung mit Genehmigung des Würzburger Bischofs Josef Stangl von Pater Arnold Renz und Pfarrer Ernst Alt der Große Exorzismus nach dem Rituale Romanum für sie gebetet worden. Schon mehrere Jahre lang hatte sie auffallend wenig gegessen und in den letzten Wochen schließlich jegliche Nahrungsaufnahme verweigert. Bei ihrem Tod wog sie nur noch 31 kg.

Wegen „fahrlässiger Tötung durch Unterlassung” wurden Eltern, Pater Renz und Pfarrer Alt im April 1978 zu je sechsmonatigen Haftstrafen verurteilt, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden. Das Gericht warf ihnen vor, sie hätten für medizinische Hilfe sorgen und einen Arzt hinzuziehen müssen.

Am 25. Februar 1978 fand eine Exhumierung der Toten statt. Als offiziellen Grund gaben die Eltern an, Anneliese hätte in großer Eile in einem billigen Sarg bestattet werden müssen, jetzt wolle man sie in einen mit Zink ausgeschlagenen Eichensarg umbetten. Im Hintergrund stand aber sicherlich auch die Behauptung einer Nonne aus dem Allgäu, Anneliese sei ihr erschienen. Sie hätte angekündigt, ihr Körper sei bisher unverwest. So würde die übernatürliche Natur des Geschehenen belegt. Das offizielle Ergebnis der Exhumierung lautete aber auf eine dem Zeitrahmen entsprechende Verwesung. Von den Angeklagten durfte sie aber niemand sehen; Pater Renz behauptet sogar, am Betreten der Leichenhalle gehindert worden zu sein.

Der Fall wird aufgenommen in dem Film Requiem von Hans-Christian Schmid, der ab 2. März 2006 in den Kinos gezeigt wird. Zudem war der Fall auch die Vorlage zu dem Film The Exorcism of Emily Rose (deutsch: Der Exorzismus von Emily Rose).

Deutungen

Eine eindeutige Beurteilung scheint bis heute nicht möglich zu sein. Zu sehr sind viele Äußerungen von weltanschaulichen Voraussetzungen geprägt, die eine objektive Deutung unmöglich machen. Auch die Fakten sind nicht unumstritten. Zum Teil widersprechen die Schilderungen einander explizit, zum Teil werden gänzlich andere Begebenheiten erzählt. Selbst bei der Frage, ob Anneliese kirchlich eher dem Traditionellen oder dem Modernen zugewandt war, scheiden sich die Geister. Letztlich gibt es im Wesentlichen zwei Erklärungsmuster, einerseits eine rein psychologische Deutung, andererseits die spirituelle Auffassung realer dämonischer Besessenheit.

Psychologische Deutungen

Die behandelnden Ärzte

Die - je nach Zählung - fünf bis sechs großen Anfälle zwischen 1968 und 1972 wiesen für alle zunächst beteiligten Ärzte Anzeichen von Epilepsie auf. Anneliese wurde bis kurz vor ihrem Tod mit Medikamenten behandelt, die eine Verkrampfung des Nervensystems verhindern sollten. Bei zwei der vielen Elektroenzephalografien wurden auch Hinweise auf eine „herdförmige Hirnschädigung im linken Schläfenbereich“ (zit. n. Goodman, 79) gefunden, die aber bei der Obduktion nicht nachgewiesen werden konnte. Keinem der Ärzte fiel dabei auch nur der geringste Hinweis auf eine religiöse Komponente auf. Lediglich dem erstbehandelnden Facharzt in Aschaffenburg vertraute Anneliese an, sie sähe teuflische Fratzen. Der Arzt gab in einem Verhör 1977 an, ihm sei aufgefallen, „dass hinter dem Gesagten nicht der entsprechende Erlebnisgehalt stand“ (zit. n. ebd. 61). Die den Exorzismus selbst begründenden Vorgänge und aufgetretene Phänomene während der Exorzismen waren zu Annelieses Lebzeiten nie Gegenstand einer ärztlichen Untersuchung.

Die Gerichtsgutachter

Der erste vom Gericht bestellte Gutachter kommt zu dem Ergebnis, Anneliese hätte an einem epileptischen Anfallsleiden gelitten. Durch die medikamentöse Behandlung habe sich die Krankheit eine andere Ausdruckform gesucht, sie sei zu einer paranoiden Psychose geworden. Dies werde auch durch die Tonbänder der Exorzismussitzungen bestätigt. Es sei eine Erfahrungstatsache, dass Epilepsiepatienten häufig übertriebene oder krankhafte religiöse Einstellungen sowie depressive und paranoide Phasen aufweisen können. Die ab April 1976 auftretende Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei auf Autosuggestion infolge von endgültigem Kontrollverlust zurückzuführen. Ihr Tod sei schließlich durch Verhungern eingetreten. Auf Antrag der Verteidigung wurde vom Gericht noch ein zweites Gutachten bestellt, das im wesentlichen zu denselben Ergebnissen kommt. Es widerspricht aber ausdrücklich der Diagnose eines Hirnschadens. Darüber hinaus vermuten die beiden Autoren des zweiten Gutachtens auch eine schizophrene Komponente der Krankheit. Alle drei Gutachter sind des weiteren der Meinung, bei den beteiligten Priestern gewisse psychische Defekte im Zusammenhang mit Besessenheit und Exorzismus zu erkennen. Diese seien aber nicht krankhaft, weshalb sie nicht strafmildernd auszulegen seien.

Uwe Wolff

Wolffs Deutung schließt sich den Gutachtern weitgehend an. Sein Interesse gilt aber weniger der wissenschaftlich-psychologischen Erklärung als der Frage: Warum ist Anneliese Michel krank geworden? Als Antwort bietet er die streng katholische Erziehung Annelieses an, die neben väterlich-autoritär vor allem moralisch überfordernd und angstbesetzt gewesen sei. Im Gegensatz zur Mehrheit ihrer Generation habe sie sich nicht einfach von ihrer Erziehung durch Übertretung und Provokation befreien können. Nur eine Rolle habe in der Welt ihres Heimatortes überhaupt die Möglichkeit zur Befreiung geboten: die der Besessenen. Als Besessene konnte sie alles Katholische, ihre Eltern und die sie umgebende Kultur beschimpfen, ohne dafür mit Bestrafung rechnen zu müssen. Die extrem traditionalen Aussagen während der Exorzismen (z.B. gegen die Handkommunion) erklärt Wolff als suggestiv hervorgerufen durch Pfarrer Alt und den angeblich der Bewegung Marcel Lefebvres nahestehenden Pater Renz. Gleichzeitig verfolgt Wolff noch eine zweite Erklärung, die der ersten in gewisser Weise gegenläufig ist. Demnach wäre es gerade ihre tiefe Verwurzelung in der katholischen Frömmigkeit gewesen, die Annelieses Mißtrauen gegen die Hilfe der Ärzte hervorgerufen hat. Denn keiner der Ärzte war in der Lage, ihr eine Sinndeutung ihres Leidens zu geben. Ganz anders die Religion: Hier konnte sie ihr Leid als stellvertretendes Sühneleiden verstehen, durch das anderen Menschen das Fegfeuer verkürzt oder gar die Hölle erspart würde. Andererseits verbot ihr die katholische Kirche den immer wieder bedachten Selbstmord - dieser hätte als Todsünde die Sühnedeutung gerade zerstört. Folglich blieb als letzte Erlösung nur der Tod aufgrund des schon bestehenden Leidens. Daher habe sie sich ab Ostern 1976 allmählich zu Tode gehungert.

Besessenheitsdeutungen

Die Betroffenen

Während Anneliese noch lebte, waren alle, die mit ihr näher zusammenkamen, von einer echten dämonischen Besessenheit überzeugt. Pfarrer Alt ist dies bis heute, ebenso Annelieses Mutter sowie Thea Hein, die sich als Annelieses „Entdeckerin” versteht. Auch Pater Renz und Annelieses Vater waren nach allem, was bekannt geworden ist, bis zu ihrem Tod von der Besessenheit überzeugt. Von besonderer Bedeutung in diesem Fall war das Urteil von Pater Adolf Rodewyk S.J., dem Verfasser zweier Standardwerke im theologischen Fach Dämonologie, der durch sein Gutachten wesentlich zur Durchführung des Exorzismus beigetragen hatte und auch vor Gericht diese These vertrat. Am Ende der ersten Verhandlungswoche im Prozess sagte Pater Rodewyk, der als Zeuge geladen war, dass es unmöglich sei, dass jemand am Exorzismus sterbe, und dass er ohne jede Einschränkung von der Besessenheit Anneliese Michels überzeugt sei. Pater Rodewyk verfügte über große Erfahrung in diesem Bereich, da er selbst häufig den Großen Exorzismus gebetet hatte und auf dem Gebiet der Dämonologie theologischer Berater der Deutschen Bischofskonferenz war. Lediglich von Annelieses Schwester Roswitha ist bekannt, daß sie sich später einer weltlich-psychologischen Deutung anschloss. (vgl. Wolff, 266f).

Felicitas D. Goodman

Die Deutsch-Amerikanerin Prof. Dr. Felicitas Goodman, Professorin für Anthropologie an der Denison-Universität in Ohio, versucht die Geschehnisse auf der Grundlage ihrer eigenen selbstentwickelten kulturanthropologischen Forschungen zu erklären. Demnach gäbe es in allen Religionen das sogenannte Phänomen eines religiösen Ausnahmezustandes, der sowohl positiv als auch negativ auftreten könne. Dieser Ausnahmezustand sei im Menschen prinzipiell angelegt, wobei verschiedene Menschen unterschiedlich begabt dafür seien, diesen zu erreichen. Wird der Ausnahmezustand positiv erfahren, so wirke er sich im Lustzentrum des Gehirns aus, andernfalls erreiche er das Strafzentrum. Besonderes Zeichen des religiösen Ausnahmezustandes sei ein Sprechen in einer bestimmten, immer wiederkehrenden Vokalisation, d.h. in bestimmten Rhythmen und Melodien. Diese meint Frau Goodman anhand der Kassettenaufnahmen nachgewiesen zu haben.

Ebenso kennten alle Religionen auch Heilmittel für den Fall, dass der Ausnahmezustand negativ erfahren wird. In der katholischen Kirche gebe es dafür den seit Jahrhunderten verfeinerten großen Exorzismus. Dieser diene dazu, den Betroffenen anzuleiten, den Ausnahmezustand vom Straf- ins Lustzentrum umzulenken. Genau dies sei auch bei Anneliese geschehen: Am 31. Oktober 1975 fuhren alle Dämonen aus, nachdem sie schon zuvor immer wieder Visionen und Auditionen der Muttergottes, verschiedener anderer Heiliger und Engel sowie angeblich Christi selbst hatte.

Fatal habe sich aber die Medikation ausgewirkt. Von Anfang an haben die neurochemisch wirkenden Mittel den Exorzismus behindert. Letztlich führten sie dazu, daß die Dämonen nur wenige Augenblicke nach der Austreibung zurückkamen. Von diesem Augenblick an wirkten die Medikamente bestimmend. Die zuvor namentlich bekannten Dämonen kamen immer weniger zu Wort und verstummten nach dem 29. Februar 1976 ganz. Auch die positiven Stimmen lassen nach Karfreitag 1976 nichts mehr von sich hören. Nachdem ihr das Schlucken unmöglich geworden war, konnte Anneliese schließlich auch das Medikament Tegretal nicht mehr einnehmen. Nun stellten sich nach Frau Goodmans These die Entzugserscheinungen des Medikaments ein, die sich in auffälliger Weise mit den Symptomen Annelieses deckten. Schließlich sei Anneliese an der durch Tegretal verursachten Schädigung der roten Blutkörper gestorben.

Weitere Stimmen

Joseph Kardinal Höffner

In der Presseerklärung zum Fall Klingenberg, die Josef Kardinal Höffner, damals Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, am 28. April 1978 veröffentlichte, bestätigte der höchste Vertreter der Katholischen Kirche Deutschlands ex cathedra die tatsächlich grundsätzliche Möglichkeit einer dämonischen Besessenheit. Er berief sich dafür auf die ununterbrochene Glaubenslehre der Kirche über die von Gott geschaffenen unsichtbaren Wesen, die Engel genannt werden. Einige hätten sich in freier Entscheidung gegen Gott als den Urheber alles Guten gewandt und seien dadurch aus sich böse geworden. Solcherlei böse Geister, auch Dämonen genannt, versuchten in vielen Formen, einen unheilvollen Einfluss auf die Welt und die Menschen auszuüben, wobei eine mögliche Auftretensart die Besessenheit sei.


Harald Grochtmann

Der Richter am Amtsgericht Rheda-Wiedenbrück, Dr. Harald Grochtmann, kritisierte, dass die Amtskollegen im Fall Klingenberg in unzulässiger Weise Glaubensfragen beurteilt hätten, und stellte die konkreten Konsequenzen für das Gerichtsverfahren dar. Gerade der Aspekt, dass ein staatliches Gericht die Glaubenslehre der katholischen, orthodoxen und evangelischen Kirche massiv in Zweifel zog, verlieh diesem Gerichtsfall weitere, bis heute andauernde Brisanz. Dr. Grochtmann zitierte dazu insbesondere einen Satz auf Seite 55 des Urteils, wonach das Vertrauen der Betroffenen auf eine von außen kommende Wende Ausdruck eines jeglichem Realitätssinn zuwiderlaufenden Wunderglaubens gewesen sei. Weiterhin empfand es Richter Grochtmann als unfassbar, dass das Urteil eine mögliche verminderte Schuldfähigkeit aller vier Angeklagten gemäß § 21 StGB darin sehen wollte, dass sie unumstößlich an die personale Existenz des Teufels glaubten (Seite 44 des Urteils). Die personale Existenz des Teufels sei nicht nur eindeutige Lehre der katholischen Kirche, sondern auch grundsätzlich der orthodoxen und protestantischen Kirchen, wenn es dort auch kein Lehramt mit den gleichen Funktionen wie in Rom gebe. Man könne schlecht allen Christen, die der Glaubenslehre ihrer jeweiligen Kirche ganz folgten, unterstellen, dass sie deswegen möglicherweise vemindert schuldfähig seien.

Literatur

Kritische Darstellungen

  • Uwe Wolff: Das bricht dem Bischof das Kreuz: die letzte Teufelsaustreibung in Deutschland 1975/76. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1999, ISBN 3-499-60619-4

Besessenheitsgläubige Darstellungen

  • Felicitas D. Goodman: Anneliese Michel und ihre Dämonen: der Fall Klingenberg in wissenschaftlicher Sicht. - 2. Aufl. - Christiana-Verlag, Stein am Rhein 1987, ISBN 3-7171-0781-X
  • Georg Siegmund (Hrsg.): Von Wemding nach Klingenberg : vier weltberühmte Fälle von Exorzismen. Christiana-Verlag, Stein am Rhein 1985, ISBN 3717108697
  • Elisabeth Becker (Hrsg.): Der Exorzismus der Kirche unter Beschuss. Christiana-Verlag, Stein am Rhein 1995, ISBN 371710991X
  • Lisl Gutwenger (Hrsg.): „Treibt Dämonen aus!”: von Blumhardt bis Rodewyk; vom Wirken katholischer und evangelischer Exorzisten. Christiana-Verlag, Stein am Rhein 1992, ISBN 3717109561

Allgemein

Kritische Auseinandersetzungen

Besessenheitsgläubige Auseinandersetzungen