Julian Nida-Rümelin

Julian Nida-Rümelin – durch seine kurze Amtszeit als Kulturstaatsminister ins Licht der Öffentlichkeit gerückt – darf zu den momentan bekanntesten Vertretern der akademischen Philosophie gezählt werden. Seine Spezialgebiete betreffen die „angewandte Ethik“, „philosophische Entscheidungstheorien“ und die „Moral des Konsequentialismus“.
Geboren wird Julian Nida-Rümelin am 28.November 1954 als Sohn einer Künstlerfamilie in München. Seine Schwester Martine Nida-Rümelin wird 1957 geboren, sie lehrt ebenfalls als Professorin Philosophie. Im Jahr 2001 heiratet er die erfolgreiche Schriftstellerin Nathalie Weidenfeld (*1970), 2003 kommt ihre gemeinsame Tochter zur Welt.
1974 legt Nida-Rümelin sein Abitur am humanistischen Wilhelms - Gymnasium in München ab. Im selben Jahr tritt er der SPD bei. In den Jahren 1975-1980 schließt sich ein umfassendes Studium der Philosophie, Physik, Mathematik und Politikwissenschaften in München und Tübingen an. Seine Promotion in Philosophie folgt 1983 bei dem Münchner Wissenschaftstheoretiker Wolfgang Stegmüller. In seiner Fächerkombination aus Philosophie, Politikwissenschaft, Logik und Wissenschaftstheorie erreicht er die Auszeichnung „summa cum laude“. In der nun folgenden Zeit von 1984-89 arbeitet Nida-Rümelin als wissenschaftlicher Assistent (Akademischer Rat a.Z.) an der Ludwig Maximilians Universität München. 1989 legt er an der Philosophischen Fakultät seine Habilitation ab und tritt zunächst Lehrstuhlvertretungen für die Professorenkollegen Graf Lobkowicz (Politische Theorie & Philosophie; Geschwister - Scholl - Institut) und Wolfgang Stegmüller (Wissenschaftstheorie und Grundlagenforschung, Uni München) an. 1991 folgt er einem Ruf ins Ausland an die University of Minnesota in Minneapolis/USA. Das Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Eberhard Karls Universität in Tübingen holt Nida-Rümelin in den Jahren 1992/93 in das Leitungsgremium, bevor er 1993 schließlich an den Göttinger Lehrstuhl für Philosophie berufen wird. Während der Jahre 1994-97 wird er Präsident der Gesellschaft für Analytische Philosophie. Im Juli 1998 geht Julian Nida-Rümelin schließlich wieder zurück nach München, um dort bis Dezember 2000 als Kulturreferent der Stadt zu arbeiten. Im Januar 2001 folgt dann der Schritt in die große Öffentlichkeit, Altbundeskanzler Gerhard Schröder ernennt ihn zum Staatsminister für Kultur und Medien. Bis zum Ende der ersten Amtsperiode der rot-grünen Regierung im Oktober 2002 bleibt er in diesem Amt. Fast in der selben Zeit, nämlich von Januar 2001 bis Dezember 2002, ist Nida-Rümelin als Honorarprofessor an der Uni in Göttingen tätig, bevor er im Januar 2003 schließlich fest an den philosophischen Lehrstuhl der Georg August Universität zurückkehrt. Seit dem Sommersemester 2002 nimmt er außerdem eine Honorarprofessur an der Humboldt Universität in Berlin wahr. Im April des Jahres 2004 beruft ihn seine „Heimatuniversität“, die Ludwig Maximilians Universität München, zum Leiter des Lehrstuhls für Politische Theorie und Philosophie an das Geschwister – Scholl – Institut. Im Februar und März 2005 nimmt er die Einladung einer Gastprofessur des California Institue of Technology, Division of the Humanities and Social Sciences in den USA an. Im Jahre 2004 wird Nida-Rümelin zudem mit der Plakette „Dem Förderer des deutschen Buches“ vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels geehrt.
Julian Nida-Rümelin engagiert sich in den folgenden Gesellschaften als Mitglied:
akademische:
•Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
•Europäische Akademie der Wissenschaften
•Akademie für Ethik in der Medizin, Göttingen
andere:
•Kuratoriumsvorsitz „Deutscher Studienpreis“, Körber-Stiftung
•Mitglied des Kuratoriums des Münchner Kompetenzzentrums Ethik
•Mitglied des Internationalen Forums für Kultur und Wissenschaft
•American Philosophical Association
•Allgemeine Gesellschaft für Philosophie in Deutschland
•Gesellschaft für Analytische Philosophie
•Gesellschaft für die Vereinten Nationen
Werke:
Zwei von Nida-Rümelins zahlreichen Veröffentlichungen sollen hier einmal kurz inhaltlich beleuchtet werden:
„Demokratie als Kooperation“. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999.
Ein Hauptziel in der Argumentation von Julian Nida-Rümelin ist es darzustellen, daß, als Grundlage einer zivilgesellschaftlichen Konzeption von Demokratie, ein angemessenes Verständnis von Kooperation existiere. Demokratie bedarf, laut Nida-Rümelin, keines kollektiven Akteurs, da die Idee des repräsentierten Volkswillens, welche ein Relikt aus der Zeit des feudalistischen Gottesgnadentums sei, die Entwicklung föderalistischer Strukturen unter der ,,nationalstaatlichen“ Ebene erschwere. Ebenso behindere der repräsentierte Volkswille den Aufbau supranationaler demokratischer Organisationen. Demokratie als Kooperation stehe auch dem ökonomischen Aspekt des Pluralismus entgegen. Denn die Auflösung der Bevölkerung in konkurrierende „Interessenmaximierer“ würde die Verfassung eines Gemeinwesens allmählich untergraben. Die Vorherrschaft der Ökonomie würde demnach die Demokratie wie die Autorität einzelner kollektiver Identitäten bedrohen.
Als Hauptthese seines Werks ,,Demokratie als Kooperation“ kann somit festgehalten werden: „Eine Demokratie lebt von der wechselseitigen Stützung institutioneller Strukturen und zivilgesellschaftlicher Praxis. Das Instrument dazu ist die Kooperation.“
„Über menschliche Freiheit“. Stuttgart: Reclam 2005.
Julian Nida-Rümelins Essaysammlung „Über menschliche Freiheit“ behandelt in fünf Kapiteln ein großes, klassisches Thema der Philosophie. Was ist Freiheit? Ist der Mensch frei, hat er einen freien Willen? Freiheit wird definiert als Unterbestimmtheit von Gründen etwas zu glauben und etwas zu tun. Damit wird eine Verknüpfung von Freiheit, Rationalität und Verantwortung hergestellt. Das 2005 veröffentliche Büchlein soll dazu, laut Autor, als „Zwischenstand“ bzw. „Teilaspekt“ einer sich noch in Arbeit befindlichen „Theorie des Normativen“ betrachtet werden. Die Titel der Kapitel machen deutlich, wofür Julian Nida-Rümelin ficht, „Warum die Annahme menschlicher Freiheit begründet ist“ – „Warum Entscheidungen notwendig frei sind“ – „Warum es keine Verantwortung ohne Freiheit gibt“ – „Warum der Zufall moralisch irrelevant ist“ – „Warum Menschenwürde auf Freiheit beruht“. Er tritt somit den Vertretern einer kausalen Determiniertheit (Determinismus) des Menschen (u.a. den Neurowissenschaftlern Wolf Singer und Gerhard Roth) entschieden entgegen: Der Mensch kann nicht in all seinen Entscheidungen/Vorgehensweisen bloßes Produkt chemischer Vorgänge sein. Nida-Rümelin „verteidigt“ damit u.a. die Erkenntnis des Augustinus, daß der Mensch eben über Willensfreiheit verfügt, die freie Wahl zwischen „gut“ und „böse“ hat. Nida-Rümelin glaubt nicht, daß der Mensch vollständig durch Gene und Sozialisation festgelegt sei. Wir würden Personen, die wir ernst nehmen, ja auch unterstellen, daß sie anders hätten handeln können. Daß sie gerade nicht vollständig gesteuert seien.
Sicher mag es sein, daß sich vor der Ausführung einer Handlung (z.B. den Arm zu heben) im Gehirn ein gewisses „Aktionspotential“ bildet, noch bevor mir selbst bewußt ist, ob ich ihn, den Arm hebe oder nicht. Aber diese Erkenntnis kann nicht gleich als Beweis gelten, daß es den freien Willen gar nicht gibt. Zumal schwerwiegendere Entscheidungen z.B. für die persönliche Biographie (Bildungsweg, Berufswahl, Familienstand,…) viel komplexer anzusehen sind, als „bloße“ Bewegungen von Körperteilen. Der Einzelne muß hier viele unterschiedliche Gründe gegeneinander abwiegen. Aber bevor man diese grundlegende, auf lange Sicht hin gültige Entscheidung nicht getroffen hat, „ist es ausgeschlossen, daß ich selbst schon weiß, welche Entscheidung ich treffen werde.“ Der Mensch determiniert sich selbst, muß begründen, hält sich an seine Entscheidungen bzw. wägt immer aufs Neue ab. Er muß nicht nur vor sich selbst begründen, warum er sich so und so verhält.
Das hier nur grob wiedergegebene bildet sozusagen den Kern von Nida-Rümelins Gedanken in „Über menschliche Freiheit“. Er liefert damit wieder Material zur Diskussion um die Selbstbetrachtung/-sicht des Menschen und die weitreichenden, gesellschaftlichen Konsequenzen.
Pressestimmen dazu:
Nida-Rümelin hat einen wichtigen Beitrag zu der gegenwärtigen Debatte über die Willensfreiheit vorgelegt, mit stichhaltigen, gut durchdachten Argumenten bei seinem Plädoyer für die Willensfreiheit.“ Süddeutsche Zeitung
Nida-Rümelin hat die Gabe, klar, entschieden und offensiv zu denken. Davon kann der öffentliche und akademische Diskurs in Deutschland nur profitieren.“ Neue Zürcher Zeitung
Quellen:
Horster, Detlef: „Versprochen ist Versprochen; Julian Nida-Rümelin verteidigt den freien Willen“. SZ. 27.08.2005.
Schefczyk, Michael: „Sich von Gründen bewegen lassen“. NZZ. 10.08.2005.
weitere Veröffentlichungen
Editorial Boards
•Erkenntnis. An International Journal of Analytic Philosophy
•Zeitschrift für Philosophische Praxis
•Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik
•UNIVERSITAS, Orientierung in der Wissenswelt (Mitglied des Beirats)
Buchveröffentlichungen
a) Monographien
•Entscheidungstheorie und Ethik (München: Tuduv 1987)
•Kritik des Konsequentialismus (München: Oldenbourg 1993, Studienausgabe 1995)
•Logik kollektiver Entscheidungen (München/Wien: Oldenbourg 1994) (zus. mit L. Kern)
•Handbuch Angewandte Ethik (Hg. und Mitautor, Stuttgart: Kröner 1996)
•Economic Rationality and Practical Reason (Dordrecht: Kluwer 1997)
•Demokratie als Kooperation (Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999)
•Rationalität in der praktischen Philosophie (zus. m. Th. Schmidt, Berlin: Akademie Verlag 2000)
•Strukturelle Rationalität. Ein philosophischer Essay über praktische Vernunft (Stuttgart: Reclam 2001)
•Ethische Essays (Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002)
b) Herausgeberschaften
•Lexikon der Philosophischen Werke (Stuttgart: Kröner 1988; russ. 1997, ital. 2000) Philosophie der Gegenwart (Stuttgart: Kröner 1991, 1999)
•Praktische Rationalität. Grundlagenprobleme und ethische Anwendungen des rational-choice-Paradigmas (Berlin/New York: de Gruyter 1994)
•Ökologische Ethik und Rechtstheorie (zus. mit D. v.d.Pfordten) (Baden-Baden: Nomos 1995, 2. Aufl. 2002)
•Ethische und Politische Freiheit (zus. mit Wilhelm Vossenkuhl) (Berlin: de Gruyter 1998)
•Ästhetik und Kunstphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart (Hg. zus. m. Monika Betzler) (Stuttgart: Kröner 1998)
•Rationalität, Realismus, Revision. Vorträge des 3. internationalen Kongresses der Gesellschaft für Analytische Philosophie vom 15. bis zum 18. September 1997 in München (Berlin/New York: de Gruyter 2000)
•Rationality, Rules, and Structure (Hg. zus. m. Wolfgang Spohn) (Dordrecht: Kluwer 2000)
c) Buchreihen
•Perspektiven der Analytischen Philosophie (Berlin/New York: de Gruyter bis 2000, seitdem Neue Folge bei mentis) (Herausgeber zus. mit Georg Meggle)
•Theory and Decision Library, Series A: Philosophy and Methodology of the Social Sciences (General Editor)
Weblinks
- Vorlage:PND
- Homepage am GSI München Persönliche HP
- Publikationsliste mit downloads (o. hier)
- FR-Streitgespräch mit Wolf Singer vom April 2004 (DF), (a.hier) (oder hier)
- Über menschliche Freiheit - Koreferat zum Symposium I: Der freie Mensch - Nur eine Illusion? (WZNW Kongress Neuro2004 - Hirnforschung für die Zukunft; Text auch hier)
Personendaten | |
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NAME | Nida-Rümelin, Julian |
KURZBESCHREIBUNG | Deutscher Politikwissenschaftler, Philosoph und Politiker (SPD) |
GEBURTSDATUM | 28. November 1954 |
GEBURTSORT | München |
--Einfpol0506 BaeUl 20:24, 18. Dez 2005 (CET)