Hanns Martin Schleyer
Hanns-Martin Schleyer (* 1. Mai 1915 in Offenburg; † 18. Oktober 1977 bei Mulhouse (Mülhausen), Frankreich) war ein deutscher Manager und Wirtschaftsfunktionär. Durch seine nationalsozialistische Vergangenheit und seine Rolle als Arbeitgeberpräsident war er in besonderem Maße der Kritik durch die 68er-Bewegung ausgesetzt. Seine Entführung und Ermordung durch die Terrororganisation Rote Armee Fraktion während des so genannten Deutschen Herbstes waren der Höhepunkt einer der schwersten Krisen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Leben
Hanns-Martin ist der einzige Sohn des Landgerichtsdirektors Ernst Schleyer und seiner Frau Helene (geb. Rheitinger). In der Geburtsurkunde wird noch Hans-Martin Schleyer mit einem "n" eingetragen. Er selbst schreibt sich zeitlebens aber Hanns-Martin Schleyer. Sein Elternhaus ist national-konservativ gesinnt.
Nach dem Abitur 1933 in Rastatt beginnt Schleyer ein Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg, wo er dem Corps Suevia Heidelberg, einer schlagenden Verbindung, beitritt.
Er ist schon früh ein überzeugter Nationalsozialist. Nach Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend seit 1931 wird er am 1. Juli 1933 Mitglied der SS. Während des Studiums engagiert er sich in der NS-Studentenbewegung und findet im Heidelberger Studentenführer Gustav Adolf Scheel einen ersten wichtigen Mentor. Im Sommer 1935 wirft Schleyer seinem Corps "mangelnde nationalsozialistische Gesinnung" vor und tritt unter öffentlichem Protest aus der Verbindung aus, als der übergeordnete Kösener SC-Verband sich weigert, jüdische Alte Herren aus dem Corps auszuschließen. Schleyer selbst kommentiert dies mit den Worten "Ich werde es nie verstehen können, dass ein Corps aus der Auflage, zwei Juden aus der Gemeinschaft zu entfernen, eine Existenzfrage macht". Darauf wird er vom CC der Suevia c.i. excludiert (exclusio cum infamia, dh. Ausschluss mit Schimpf und Schande). Dies ist bis heute die höchste Strafe, welche von Studentenverbindungen verhängt wird. Damit werden Schleyer von Seiten der Suevia die Bürgerlichen Ehrenrechte abgesprochen. Nach dem Kriege wird er wieder aufgenommen, Vorsitzender der Alten Herren und Ehrenmitglied.
Schleyer beginnt seine erste Karriere als Funktionär in der nationalsozialistischen Studentenschaft. Er tritt am 1. Mai 1937 in die NSDAP ein und wird ab dem Sommersemester des selben Jahres Leiter des Heidelberger Studentenwerkes. 1938 beendet er sein Studium mit dem ersten juristischen Staatsexamen.
Nach dem "Anschluss" Österreichs ist er ab dem Sommersemester 1938 auf besonderen Wunsch Scheels, mittlerweile Reichsstudentenführer, Leiter des Studentenwerks in Innsbruck. 1939 erfolgt dort seine Promotion zum Dr. jur. nach österreichischem Recht. Von Sommer 1940 bis Juni 1941 leistet er seinen Wehrdienst an der Westfront ab, aus dem er wegen einer Verletzung als dienstuntauglich entlassen wird.
Er übernimmt dann die Leitung des Studentenwerks in Prag. Am 1. April 1943 tritt er als Sachbearbeiter in den Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren ein. Hier wird er dann später Leiter des Präsidialbüros und persönlicher Sekretär des Präsidenten Dr. Bernhard Adolf, der maßgeblich für die "Arisierung" und Germanisierung der böhmischen Industrie verantwortlich ist.
Nach dem Tod Schleyers kursiert in der linken Szene das Gerücht, er sei ein enger Vertrauter Reinhard Heydrichs gewesen. Bernt Engelmann konstruiert die Möglichkeit, dass Schleyer im Prag der letzten Kriegstage an Geiselerschießungen beteiligt gewesen sei. Diese Vorwürfe sind jedoch nicht durch historische Quellen belegt.
Anfang Mai 1945, bei oder kurz vor Ausbruch des tschechischen Aufstandes, verlässt Schleyer Prag und flieht zu seinen Eltern nach Konstanz. Hier wird er am 18. Juli 1945 vom französischen Militär verhaftet. Er bleibt drei Jahre lang in Baden interniert, da er innerhalb der SS einen Offiziersrang (Untersturmführer), das entspricht dem Range eines Leutnants, bekleidet hatte. Am 24. April 1948 wird er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Im Entnazifizierungsverfahren wird er zunächst als Minderbelasteter eingestuft. Hiergegen legt Schleyer Widerspruch ein, im Revisionsverfahren wird er im Dezember 1948 als Mitläufer eingestuft.
Am 1. März 1949 beginnt er seine Tätigkeit als Referent bei der Industrie- und Handelskammer Baden-Baden.
Zum 1. Oktober 1951 wechselt er als Sachbearbeiter zur Daimler-Benz AG. Hier übernimmt er im Mai 1953 die Leitung des Hauptsekretariats und ist zugleich Assistent des Vorstandsvorsitzenden Dr. Fritz Könnecke. Durch Protektion Könneckes steigt er rasch auf; ab dem 1. Januar 1956 ist er Leiter der Personalabteilung, und zum 1. Januar 1959 wird er als stellvertretendes Mitglied in den Vorstand berufen. Seit dem 1. Oktober 1963 ist er dann ordentliches Vorstandsmitglied, zuständig für das Ressort Personal- und Sozialwesen. Von 1968 bis 1971 ist ihm außerdem das Ressort Unternehmensplanung übertragen, das er aber wegen der Wahl von Joachim Zahn zum Vorstandsvorsitzenden – ein Amt, das Schleyer ebenfalls anstrebt – abgibt.
Nach dieser Niederlage konzentriert sich Schleyer, der anders als Zahn den Ausbau der Nutzfahrzeugsparte bei Daimler forcieren wollte, verstärkt auf seine Arbeit für die Arbeitgeberverbände. Von 1962 bis 1968 ist er Vorsitzender des Verbandes der Metallindustrie Baden-Württemberg. Am 6. Dezember 1973 wird Schleyer zum Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gewählt. Ab dem 1. Januar 1977 amtiert er zusätzlich als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).
Seit 1970 ist Schleyer Mitglied der CDU. Am 12. Februar 1970 wird er zum Ehrensenator der Universität Innsbruck ernannt.
Durch seine harte Haltung in den Arbeitskämpfen der 1960er Jahre – umstritten sind etwa die Aussperrungen 1963 –, seine nationalsozialistische Vergangenheit und wohl auch durch seine – vor allem im Fernsehen – aggressiv wirkende äußere Erscheinung (die New York Times beschrieb ihn als "Karikatur des hässlichen Kapitalisten") gibt Schleyer ein ideales Feindbild für die 68er-Bewegung ab. Durch die Darstellung in Bernt Engelmanns Tatsachenroman "Großes Bundesverdienstkreuz" aus dem Jahr 1974 rückt Schleyer zusätzlich als Schlüsselfigur eines angeblichen rechtskonservativen Netzwerks ins Licht der Öffentlichkeit, mit dessen Hilfe das Tandem Helmut Kohl und Kurt Biedenkopf in Bonn an die Macht gebracht werden soll.
Entführung und Ermordung

Hauptartikel: Deutscher Herbst
Anlässlich seiner Wahl zum Präsidenten des BDI wird Schleyer in einer Sendung des deutschen Fernsehens auf seine NS-Vergangenheit angesprochen (Offiziersrang in der SS). Er erklärt unverblümt, er sei stolz auf diese Vergangenheit. Das rückte ihn definitiv in den Fokus der RAF (Rote Armee Fraktion). Schleyer wird am 5. September 1977 von der RAF in Köln entführt, um die Befreiung von inhaftierten RAF-Mitgliedern zu erpressen.
Drei Polizisten sowie Schleyers Chauffeur Heinz Marcicz werden bei der Entführung getötet. Schleyer wird unter anderem in einem Hochhaus in Erftstadt-Liblar bei Köln versteckt, später wird er über die grüne Grenze in die Niederlande gebracht. Die Nichtentdeckung Schleyers ist einer der größten Fahndungsmisserfolge der deutschen Polizeigeschichte: Mehrere örtliche Polizisten sind davon überzeugt, dass Schleyer in dem Hochhaus in Autobahnnähe gefangen gehalten werde - ein Beamter hat sogar schon an der Tür der Wohnung geläutet - und haben dies auch dem zuständigen Krisenstab gemeldet, der dem aber nicht nachgeht.
Nachdem die Entführer Schleyers vom Tod der Gefangenen in Stuttgart-Stammheim erfahren haben, wird er am 19. Oktober 1977 erschossen in Mülhausen im Elsass/Frankreich aufgefunden. Die Identität des Mörders wird von den noch lebenden Beteiligten der Entführung bis heute geheimgehalten.
Nach Schleyers Tod
Vor der Beerdigung Schleyers auf dem Friedhof Stuttgart-Sillenbuch findet am 25. Oktober 1977 in Stuttgart unter großer Aufmerksamkeit der Medien ein Staatsakt statt, bei dem fast alle führenden deutschen Politiker anwesend sind. Die Beileidsbekundung von Bundeskanzler Schmidt bei Schleyers Witwe wird teils auch als eine Art Entschuldigung verstanden - die Angehörigen Schleyers sind mit der harten Haltung der Bundesregierung nicht einverstanden. Sie haben bereits ein Lösegeld von 15 Millionen DM bereitgestellt; als dessen Übergabe durch die Behörden verhindert wird, stellt Schleyers Sohn Hanns-Eberhard einen Antrag auf Anordnung der Freilassung der RAF-Häftlinge beim Bundesverfassungsgericht, der wenige Stunden vor Ablauf des letzten RAF-Ultimatums abgelehnt wird.
1977 gründen der BDA und der BDI die Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung, die heute hauptsächlich junge Wissenschaftler im Bereich der Rechts-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften fördert. In Stuttgart-Bad Cannstatt wird 1984 die Hanns-Martin-Schleyer-Halle eingeweiht, die von der Messe Stuttgart geleitet wird. In vielen Städten Westdeutschlands werden Straßen nach Schleyer benannt.
Familie
Hanns-Martin Schleyer war über seinen Großvater verwandt mit dem Schöpfer des Volapük, dem Prälaten Johann Martin Schleyer.
Seit dem 21. Oktober 1939 war Schleyer mit Waltrude Ketterer, der Tochter des Arztes Dr. Emil Ketterer (SA-Obergruppenführer und Stadtrat in München) verheiratet. Aus ihrer Ehe gehen vier Söhne hervor (Hanns-Eberhard *1944, Arnd *1949, Dirk *1952, Jörg *1954).
Schleyers Witwe und vor allem sein Sohn Hanns-Eberhard Schleyer (der seit 1989 Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks ist) haben sich immer wieder als Vertreter der RAF-Opfer in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet, etwa in der Diskussion um eine Ausstellung über die RAF, die von Januar bis Mai 2005 in Berlin stattfand.
Literatur
- Lutz Hachmeister: "Schleyer. Eine deutsche Geschichte". Beck: München, 2004 (ISBN 3-406-51863-X) Online-Leseprobe (Einleitungskapitel)
- Klaus Pflieger: "Die Aktion "Spindy". Die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Dr. Hanns-Martin Schleyer". NOMOS Verlagsgesellschaft: Baden-Baden, 1997 (ISBN 3-7890-4598-5)
- Carsten Polzin: Deutscher Herbst im Bundesverfassungsgericht - Zur verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Dimension terroristischer Entführungsfälle. [1]
- Dokumentation der Bundesregierung zur Entführung von Hanns Martin Schleyer. Goldmann, 1977, ISBN 3-442-11154-4
Filme
- "Schleyer - Eine deutsche Geschichte", Dokumentation über das Leben von Hanns-Martin Schleyer von Lutz Hachmeister, 2003.
- "Todesspiel", 2-teiliges Doku-Drama über die Entführung Hanns-Martin Schleyers von Heinrich Breloer, 1997.
- "Deutschland im Herbst"
Weblinks
- Vorlage:PND
- taz-Interview mit Lutz Hachmeister über seine Dokumentation zu Schleyer
- Internet-Auftritt der Schleyer-Stiftung
- Kapitel "Schleyer & Landshut" von rafinfo.de
- Biographische Daten bei NDR Online
Personendaten | |
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NAME | Schleyer, Hanns-Martin |
ALTERNATIVNAMEN | Schleyer, Hans-Martin |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Manager mit nationalsozialistischer Vergangenheit, getötet von der RAF |
GEBURTSDATUM | 1. Mai 1915 |
GEBURTSORT | Offenburg |
STERBEDATUM | 18. Oktober 1977 |
STERBEORT | bei Mulhouse (Mülhausen), Frankreich |