Ethik
Ethik (von griech. ήθος ethos „gewohnter Sitz; Gewohnheit, Sitte, Brauch; Charakter, Sinnesart“, vgl. lat. mos) ist eines der großen Teilgebiete der Philosophie. Die Ethik - und die von ihr abgeleiteten Disziplinen (z.B. Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie) - bezeichnet man auch als „praktische Philosophie“, da sie sich mit dem menschlichen Handeln befasst (im Gegensatz zur „theoretischen Philosophie“, zu der die Logik, die Erkenntnistheorie und die Metaphysik als klassische Disziplinen gezählt werden).
Die Ethik beschäftigt sich damit, was gutes oder schlechtes Handeln ausmacht. Eine Ethik sagt also, wie der Mensch handeln soll und wie nicht, bzw. wie er sich beim täglichen Handeln zu entscheiden hat. Dazu gehören die Auseinandersetzung mit dem Ausmaß individueller menschlicher Freiheit sowie eine Bestimmung von Gut und Böse.
Sie befasst sich hierzu mit den Grundlagen menschlicher Werte und Normen, des Sittlichen und der allgemeinen Moral.
Zentrale Probleme der Ethik betreffen die Motive, die Methoden und die Folgen menschlichen Handelns. Es ergeben sich sehr unterschiedliche Ethiken, je nachdem, wie die Gewichte zwischen diesen drei Bereichen gelegt werden, und was die Quelle der ethischen Normen ist. Von solchen grundsätzlichen Reflexionen einer allgemeinen Ethik zu unterscheiden sind die auf besondere lebensweltliche Problemfelder bezogenen Überlegungen der angewandten Ethik. Die allgemeine Ethik stellt außerdem die Grundlagendisziplin für die speziellen Disziplinen, Individualethik und Sozialethik, dar.
Der Begriff „Ethik“
Als Bezeichnung für eine philosophische Disziplin wurde der Begriff „Ethik“ von Aristoteles eingeführt, der damit die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen (ethos) meinte, wobei allerdings schon seit Sokrates die Ethik ins Zentrum des philosophischen Denkens gerückt war (Sokratische Wende). Hintergrund war dabei die bereits von den Sophisten vertretene Auffassung, es sei für ein Vernunftwesen wie den Menschen unangemessen, wenn dessen Handeln ausschließlich von Konventionen und Traditionen geleitet werde. Aristoteles war dagegen der Überzeugung, menschliche Praxis sei grundsätzlich einer vernünftigen und theoretisch fundierten Reflexion zugänglich. Ethik ist somit für Aristoteles eine philosophische Disziplin, die den gesamten Bereich menschlichen Handelns zum Gegenstand hat, diesen Gegenstand mit philosophischen Mitteln einer normativen Beurteilung unterzieht und zur praktischen Umsetzung der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse anleitet.
Begriffliche Abgrenzungen
In einem allgemeinen Verständnis lässt sich Ethik als philosophische Reflexion auf Moral definieren. Moral ist dabei zu verstehen als Gesamtheit aller Normen und Ideale des guten und richtigen Lebens, die von einem Menschen oder einer Gesellschaft vorausgesetzt werden. Diese Reflexion kann auf verschiedene Weise vollzogen werden.
Wenn sie nur auf die möglichst präzise empirische Erfassung und Beschreibung der tatsächlichen Moral zielt, spricht man von deskriptiver Ethik. Diese Disziplin ist verwandt mit anderen empirischen Disziplinen wie Moralpsychologie, Moralsoziologie, Ethnologie etc.
Wenn die methodische Reflexion auf Moral nicht in empirisch-deskriptiver oder historisch klärender Weise, sondern mit dem Ziel der Begründung und Kritik vorgenommen wird, spricht man - in einem allgemeinen Sinn - von normativer Ethik (wird im folgenden mit Ethik gleichgesetzt).
Von einer normativen Ethik im engeren Sinne spricht man für gewöhnlich dann, wenn es sich um eine Sollens- oder deontologische Ethik handelt (s.u.).
Von der Ethik ist weiterhin die Metaethik zu unterscheiden. Diese reflektiert die allgemeinen logischen, semantischen und pragmatischen Strukturen moralischen und ethischen Sprechens. Die Metaethik ist eine verhältnismäßig junge Disziplin, die sich in erster Linie der Untersuchung praktischer Argumentationen mit den Mitteln der modernen sprachanalytischen Philosophie verdankt.
Geschichte der Ethik
Formale Betrachtungen zur Ethik nahmen ihren Ursprung im alten Orient, im antiken Kaiserreich China, Indien und Griechenland und wurden in Römischen Reich aufgegriffen und weiterentwickelt. Philosophische Schulen dieser Perioden entwickelten verschiedene ethische Systeme, von denen Sokrates, Platon und Aristoteles die bis heute einflussreichsten begründeten. Der Epikureismus und die Stoa haben in hellenistischer Zeit ethische Schulen ausgebildet, die ihrerseits orientierenden Einfluss auf die Gegenwart ausüben.
Religionen entwickeln ihr ethisches System selten systematisch aus Grundprinzipien, sondern als Konsequenz ihres Glaubenssystems. In den jüdisch-christlichen Schriften (Tanach, Talmud, Bibel, Kirchenväter) haben ethische Fragestellungen einen hohen Stellenwert.
Der nächste bedeutende Zeitraum ethischer Betrachtungen begann im Mittelalter mit Maimonides und Thomas von Aquin. Der auf von gottgegebenen Gesetzen basierenden Ethik dieser jüdisch-christlichen Philosophen wurde ein natürliches Gesetz (Naturrecht), das dem Menschen und der Welt innewohne, an die Seite gestellt.
Die moderne philosophische Ethik hatte ihren Ursprung in den Arbeiten von Thomas Hobbes, David Hume, Spinoza und Immanuel Kant. Der Utilitarismus wurde von Jeremy Bentham und John Stuart Mill entwickelt. Arthur Schopenhauer schuf in Abgrenzung zu Kant eine Mitleidsethik. Friedrich Nietzsche gilt als der radikalste Kritiker sämtlicher Arten von Ethik. Insbesondere verwies er darauf, dass moralische Bewertungen von der jeweiligen Perspektive abhängen und dass Moralsysteme sehr oft der Festigung der Position der Herrschenden dienen (sofern damit ein Relativismus behauptet werden soll, sind die dort aufgeführten Gegenargumente zu nennen). Der analytischen Ethik (G. E. Moore, W. D. Ross) folgten Emotivismus (C. L. Stevenson, A. J. Ayer) und Existenzialismus (Jean Paul Sartre). Emmanuel Lévinas suchte die Ethik von der Beziehung zu dem Anderen her neu zu denken. In der feministischen Ethik wird darauf aufmerksam gemacht, dass bestimmte Werte (z.B. Fürsorge) und Lebenssituationen aus Sicht der Frau in der herkömmlichen Diskussion stark vernachlässigt wurden.
Grundfragen der Ethik
Warum überhaupt Ethik?
Die Ethik ist von ihrer Zielsetzung her eine praktische Wissenschaft. Sie soll dem Menschen in einer immer unüberschaubarer werdenden Welt Hilfen für seine sittlichen Entscheidungen liefern. Dabei kann die Ethik allerdings immer nur allgemeine Prinzipien zur Verfügung stellen. Die Anwendung dieser Prinzipien auf den einzelnen Fall ist nicht mehr durch sie leistbar, sondern Aufgabe der praktischen Urteilskraft. Aristoteles vergleicht sie mit der Kunst des Arztes und des Steuermanns. Wie diese muss auch die praktische Urteilskraft allgemeine Prinzipien immer wieder auf neue Situationen und Lebenslagen anwenden. Damit spielt für die richtige sittliche Entscheidung neben der Kenntnis der allgemeinen Prinzipien die persönliche Lebenserfahrung eine große Rolle.
Lassen sich moralische Sätze begründen?
Die Ausgangsfrage, die sich die Ethik stellen muss, ist, ob die Frage nach dem richtigen Handeln überhaupt sinnvolle ist und moralische Sätze sich begründen lassen. Dabei gibt es v.a. drei Ansätze, die die Begründbarkeit moralischer Sätze bestreiten: den ethischen Relativismus, den Nonkognitivismus und den Dezisionismus.
Ethischer Relativismus
Innerhalb des ethischen Relativismus lassen sich grundsätzlich ein deskriptiver und ein normativer Relativismus unterscheiden.
Der deskriptive Relativismus bezieht sich darauf, dass die die Moralvorstellungen der Menschen durch äußere Faktoren wie Kultur, Wirtschaftsordnung, Klassenzugehörigkeit etc. bedingt seien. Daher könne auch keine allgemein gültige Moral formuliert werden.
Diese Behauptung lässt sich auf zwei Ebenen angreifen. Auf der empirischen Ebenen kann bestritten werden, dass die faktischen moralischen Unterschiede zwischen verschiedenen Individuen und Kulturen tatsächlich auf grundlegender Ebene miteinander völlig unvereinbar wären. Entscheidend ist jedoch der Einwand, dass aus deskriptiven Urteile keine Geltungsurteile abgeleitet werden können. Daraus, dass Menschen tatsächlich unterschiedlich moralisch urteilen, kann nicht gefolgert werden, dass tatsächlich auch unterschiedliche Moralvorstellungen Gültigkeit hätten. Dies gilt es ja gerade nachzuweisen.
Der normative Relativismus steht dagegen auf dem Standpunkt, dass ein ethisches Urteil dann gültig ist, wenn es vom moralischen Standpunkt jener Gesellschaft richtig ist, welcher der Urteilende angehört. So sieht z.B. der von Alasdair MacIntyre vertretene Kommunitarismus die Tradition als letzten Maßstab ethischer Rationalität. Seiner Ansicht nach können daher ethische Konflikte zwischen zwei unterschiedlichen Traditionen nicht gelöst werden. Gegen diese Argumentation lässt sich v.a. der Einwand erheben, dass sie sich als Metatheorie über den Traditionen stehend verstehen muss und sich insofern selbst widerspricht.
Nonkognitivismus

Während der ethische Relativismus immerhin noch anerkennt, dass mit moralischen Sätzen ein Wahrheitsanspruch erhoben wird, der dann zurückgewiesen wird, geht der Nonkognitivismus noch einen Schritt weiter: er bestreitet, dass mit moralischen Sätzen überhaupt ein Wahrheitsanspruch erhoben wird.
David Hume
Die wichtigsten Argumente des Nonkognitivismus finden sich bereits bei David Hume. Seiner Ansicht nach können nur zwei Typen von Sätzen einen Wahrheitsanspruch erheben: Sätze, die eine Aussage über die Beziehung von Vorstellungen (ideas) enthalten und Sätze, die eine Aussage über den Bereich der Erfahrung machen. Bei den „Gegenständen“ der Moral, Affekten, Willensakten und Handlungen, sei die Frage nach einer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit sinnlos:
„Es widerspricht der Vernunft nicht, wenn ich die Zerstörung der ganzen Welt einem Kratzer an meinem Finger vorziehe“ (A Treatise of Human Nature, II 3,3).
Die Vernunft ist seiner Ansicht nach nur „Sklave der Affekte“. Ihre Funktion erschöpft sich darin, dass sie Mittel für die von den Affekten vorgegebenen Zielen sucht. Die Regeln der Moral sind nach Hume keine Folgerungen der Vernunft, sondern beruhen nur auf einem Gefühl.
Alfred Jules Ayer
In der metaethischen Diskussion der Gegenwartsphilosophie wurde dieser Ansatz Humes wieder aufgegriffen. So unterscheidet Alfred Jules Ayer wie Hume zwei Klassen sinnvoller Aussagen oder Propositionen: analytische und empirische Propositionen. Moralische Sätze lassen sich in keine dieser beiden Klassen einordnen. Sie dienen vielmehr dem Ausdruck von Gefühlen oder von Einstellungen des Sprechers und sollen bei anderen Gefühle hervorrufen, um so Handlungen auszulösen:
- „Das Vorhandensein eines ethischen Symbols in einer Proposition fügt ihrem tatsächlichen Inhalt nichts hinzu. Wenn ich daher zu jemand sage ‚Du tatest Unrecht, als du das Geld stahlst’, dann sage ich nicht mehr aus, als ob ich einfach gesagt hätte, ‚Du stahlst das Geld’. Indem ich hinzufüge, dass diese Handlung unrecht war, mache ich über sie keine weitere Aussage. Ich zeige damit nur meine moralische Missbilligung dieser Handlung. Es ist so, als ob ich ‚Du stahlst das Geld’ in einem besonderen Tonfall des Entsetzens oder unter Hinzufügung einiger besonderer Ausrufezeichen geschrieben hätte. Der Tonfall oder die Ausrufezeichen fügen der Bedeutung des Satzes nichts hinzu. Sie dienen nur dem Hinweis, dass sein Ausdruck von gewissen Gefühlen des Sprechers begleitet wird" (Sprache, Wahrheit und Logik, S. 141) Vorlage:Ref.
Kritik
Gegen die These des Nonkognitivismus, ethische Aussagen seien bloße Gefühlsäußerungen ohne Wahrheitswert wird der Einwand erhoben, dass dieser den lokutionären Bestandteil von moralischen Äußerungen zu sehr vernachlässige. Moralische Äußerungen drücken zwar eine subjektive Einstellung des Sprechers zum Gegenstand aus und dienen auch dazu eine bestimmte Verhaltensweise des anderen auszulösen. Ihre Bedeutung könne sich aber darin nicht erschöpfen, da die Grundlage meiner Einstellung und des Anspruchs an den anderen die Überzeugung von der Richtigkeit meiner Aussage darstelle. Weiterhin können Emotionen und Aufforderungen ihrerseits wiederum einer ethischen Bewertung unterzogen werden.
Es ist sinnvoll zu fragen, ob die mit einer moralischen Äußerung verbundene Emotion oder die Handlung, die ich beim Adressaten meiner Äußerung auslösen möchte, ihrerseits gut sind.
Dezisionismus
Der Dezisionismus sieht das letzte Kriterium moralischer Urteile in Entscheidungen, die einer rationalen Kritik allenfalls noch in einem eingeschränkten Sinne unterzogen werden können.
Der Dezisionismus ist in den verschiedensten Spielarten anzutreffen. Ein Vertreter der sprachanalytischen Variante ist Richard Mervyn Hare. Für ihn lassen sich moralische Urteile auf Imperative zurückführen. Diesen Imperativen liegen Prinzipienentscheidungen zugrunde, die ihrerseits nicht mehr weiter begründbar sind.
Auch im Kritischen Rationalismus Hans Alberts ist eine Letztbegründung der Moral nicht möglich (vgl. Münchhausen-Trilemma). Moralische Normen können sich nur bewähren oder nicht bewähren. Um das zu entscheiden, sind Kriterien erforderlich, die letztlich „erfunden und festgesetzt werden“ müssen.
Dem Dezisionismus muss ähnlich wie dem Nonkognitivsmus entgegengehalten werden, dass auch Entscheidungen wiederum einer Bewertung unterzogen werden können: ich entscheide mich nicht für bestimmte ethische Prinzipien, sondern diese stellen umgekehrt die Grundlage meiner Entscheidungen dar.
Was sind moralische Handlungen?
Im Mittelpunkt deontologischer Ethiken steht der Begriff der Handlung. Sie lässt sich in erster Annäherung definieren als „eine von einer Person verursachte Veränderung des Zustands der Welt“ (Ricken, 82) Vorlage:Ref. Die Veränderung kann eine äußere, in Raum und Zeit beobachtbare oder eine innere, mentale Veränderung sein. Auch die Art und Weise, wie man von außen einwirkenden Ereignissen begegnet, kann im weiteren Sinne als Handlung bezeichnet werden.
Absicht und Freiwilligkeit
Handlungen unterscheiden sich von Ereignissen dadurch, dass wir als ihre Ursache nicht auf ein weiteres Ereignis verweisen, sondern auf die Absicht des Handelnden. Die Absicht (intentio) ist ein von der Handlung selbst zu unterscheidender Akt. Geplanten Handlungen liegt eine zeitlich vorausgehende Absicht zugrunde. Wir führen die Handlung so aus, wie wir sie uns vorher schon vorgenommen hatten. Der Begriff der Absicht ist von dem der Freiwilligkeit zu unterscheiden. Die Freiwilligkeit ist eine Eigenschaft, die zur Handlung selbst gehört. Der Begriff der Freiwilligkeit ist weiter als der der Absicht; er umfasst auch die spontanen Handlungen, bei denen man nicht mehr von Absicht im engeren Sinne sprechen kann.
Um von einer „freiwilligen“ Handlung sprechen zu können, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
- der Handelnde muss die Einzelumstände der Handlung zur Genüge kennen
- die Handlung muss ohne Einwirkung äußerer Gewalt erfolgen
Handlungsfolgen
Wesentlich für die Bewertung von Handlungen – v.a für teleologische Ethiktheorien - sind die mit ihnen verbundenen vorhersehbaren Folgen. Diese sind zu unterscheiden in motivierende und in Kauf genommene Folgen. Motivierende Folgen sind Folgen, um derentwillen eine Handlung ausgeführt wird; in Kauf genommene Folgen werden zwar nicht unmittelbar angezielt, aber als Nebenwirkung der motivierenden Folgen vorausgesehen und bejaht (siehe Prinzip der Doppelwirkung).
Tun und Unterlassen
Bereits Thomas von Aquin unterscheidet eine zweifache Kausalität des Willens: die „direkte“ Einwirkung des Willens, in der durch den Willensakt ein bestimmtes Ereignis hervorgerufen wird und die „indirekte“, in der ein Ereignis dadurch eintritt, dass der Wille untätig bleibt. Tun und Unterlassen unterscheiden sich hierbei nicht hinsichtlich ihrer Freiwilligkeit. Beim Unterlassen verzichtet jemand auf das Eingreifen in einen Prozess, obwohl er die Möglichkeit dazu hätte. Auch das Unterlassen kann daher als Handlung aufgefasst werden.
Da strikte Unterscheidung zwischen diesen beiden Handlungsformen, die z.B. in der medizinischen Ethik eine große Rolle spielt (vgl. aktive und passive Sterbehilfe etc.), muss daher vom ethischen Standpunkt als fragwürdig erscheinen.
Verschiedene Ethiksysteme
Die Vielzahl ethischer Positionen lässt sich am einfachsten in deontologische und teleologische Richtungen einteilen, wobei aber die jeweilige Zuordnung oft nicht unumstritten ist.
Im Rahmen teleologischer Ethiken (Strebensethiken) wird die moralische Richtigkeit von Handlungen durch ihren Beitrag zur Realisierung oder Erhaltung eines Guten bestimmt. Teleologische Ethiken geben valuativen Sätzen einen Vorrang gegenüber normativen Sätzen. Für sie stehen Güter und Werte im Vordergrund. Die menschlichen Handlungen sind nur insofern von Interesse, als sie hinderlich oder förderlich zum Erreichen dieser Güter und Werte sein können.
Deontologische Ethiken (Sollensethiken) gehen davon aus, dass Handlungen aufgrund anderer Charakteristika als ihrer konkreten Folgen moralisch richtig oder falsch sein können. Hier haben normative Sätze eine Vorangsstellung gegenüber valuativen Satzen. Für sie bilden Gebote, Verbote und Erlaubnisse die Grundbegriffe. Es rücken die menschlichen Handlungen in den Vordergrund, da nur sie gegen eine Norm verstoßen können.
Durch die Art der Definition lassen sich verschiedene ethische Systeme ableiten:
Ethische Richtung | Handlungsprinzip | Handlungsziel |
Aristoteles | Entfaltung seines "telos" | Das Gute |
Epikur | - | die naturgemäße Lust |
Stoa | - | Leben im Einklang mit der Natur |
Utilitarismus | - | Das größte Glück der größten Zahl |
Wertethik | - | Die durch phänomenologischen Schau erkennbaren Werte der Gegenstände |
Kant | Verallgemeinerungsfähigkeit der Handlungsmaxime | "Heiligkeit" und Glückseligkeit |
Diskursethik | Rechtfertigbarkeit seiner Handlungsmaxime im Diskurs | Transformation der realen Kommunikationsgemeinschaft in eine ideale |
Vertragstheorien | Übereinkunft in einem (virtuellen) Gesellschaftsvertrag | Überwindung des Naturzustandes |
Rawls | Urzustand; Schleier der Unwissenheit | bürgerliche Freiheiten; demokratische Gleichheit |
Abb.: Schema der wichtigsten Ethikansätze
Teleologische Ansätze
Das griechische Wort „telos“ bedeutet so viel wie Vollendung, Erfüllung, Zweck oder Ziel. Unter teleologischen Ethiken versteht man daher solche Theorieansätze, die ihr Hauptaugenmerk auf bestimmte Zwecke oder Ziele richten. In ihnen wird die Forderung erhoben, Handlungen sollten ein Ziel anstreben, das in einem umfassenderen Verständnis gut ist. Der Inhalt dieses Zieles kann unterschiedlich bestimmt werden.
onto-teleologische Ansätze
Dieser klassische teleologische Ansatz wurde v.a. in der Blütezeit der griechischen Klassik und im Hellenismus vertreten. Er geht davon aus, dass jedem natürlichen Gegenstand das Streben innewohnt, ein in seiner Natur oder seinem Wesen angelegtes Ziel zu erreichen. Das wesenseigene Ziel wird dadurch verwirklicht, dass der Gegenstand seine spezifischen Anlagen vervollkommnet und so eine natürliche Endgestalt ausbildet. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bei dem betreffenden Objekt um ein lebloses Ding, eine Pflanze, ein Tier oder ein Vernunftwesen handelt. Als Gegenstände in diesem Sinne kommen aber nicht nur natürliche Gegenstände in Frage; auch die soziale oder politische Gemeinschaft, die Geschichte oder der gesamte Kosmos können als teleologische Entitäten aufgefasst werden.
Auch der Mensch besitzt ein eigenes Ziel, das er durch die Perfektionierung seiner spezifischen Anlagen verwirklicht. In seiner Natur ist also schon eine ganz bestimmte Zielgestalt angelegt, auf die hin er sich entwickelt. Allerdings ist er - anders als bei unbelebten Gegenständen, Pflanzen oder Tieren - nicht gänzlich durch seine natürlichen Eigenschaften und Zielvorgaben determiniert. Er muss sich in einem gewissen Rahmen an der Realisierung seines „telos“ selbst beteiligen.
Der Mensch soll so handeln und leben, wie es seiner Wesensnatur entspricht und seine artspezifischen Anlagen auf bestmögliche Weise vervollkommnen. Unter der Voraussetzung, dass er tatsächlich über ein gewisses Maß an Freiheit verfügt, kann er seine Zielvorgabe auch verfehlen.
Eine Unterscheidung zwischen moralischer Richtigkeit und außermoralischer Gutheit ergibt im Rahmen onto-teleologischer Ethiken keinen Sinn. Obgleich die Verfügung über äußere Güter durchaus eine Rolle spielen kann, sind es nicht diese Güter, die in erster Linie angestrebt werden. Das Gut, um das es vor allem geht, ist eine bestimmte Art und Weise zu handeln, nämlich das gute Handeln selbst.
Platon
(...)
Aristoteles

Aristoteles gilt als der klassische Vertreter des onto-teleologischen Ansatzes. Seine Ethik setzt an beim Begriff des höchsten Guts. Dieses muss folgende Kriterien erfüllen:
- Es muss autark sein, das heißt, man darf, wenn man im Besitz dieses Guts ist, keiner anderer Dinge mehr bedürfen
- Es muss um seiner selbst und niemals um einer anderen Sache willen gewählt werden
- Es wird nicht dadurch vergrößert, dass ein anderes Gut hinzugezählt wird
Diese Kriterien werden nach allgemeiner Ansicht von der eudaimonia (Glück) erfüllt. Allerdings bestehen Kontroversen über die Frage, worin das Glück besteht.
Nach Aristoteles' Ansicht kann der Mensch das Glück dadurch erreichen, dass er sein spezifisches „ergon“ zu verwirklichen versucht. Das Wort „ergon“ meint die spezifische Funktion, Aufgabe oder Leistung einer Sache. Um die Frage nach dem „ergon“ des Menschen zu beantworten, greift Aristoteles auf die verschiedenen Fähigkeiten der menschlichen Seele zurück:
- sie verfügt über die lebenserhaltenden Fähigkeiten der Ernährung und des Wachstums: diese stellen aber keine spezifische Leistung des Menschen dar, weil sie sich auch bei allen anderen Lebewesen finden
- sie verfügt über das Vermögen der sinnlichen Wahrnehmung: auch dieses Vermögen findet sich bei anderen Lebewesen
- sie verfügt, über die Fähigkeit der Vernunft (logos): dies ist das dem Menschen eigentümliche Vermögen, weil kein anderes Lebewesen über diese Fähigkeit verfügt.
In der menschlichen Seele gibt es nach Aristoteles zwei verschiedene Teile, die mit der Vernunft zu tun haben:
- den Teil, der selbst vernünftig ist bzw. über Vernunft verfügt
- den Teil, der zwar nicht selbst vernünftig, jedoch in der Lage ist, auf die Vernunft zu hören und ihr zu gehorchen: die Emotionen und bestimmte nicht-rationale Begierden
Das gesuchte ergon des Menschen besteht nun darin, die Vernunftfähigkeit der beiden Seelenteile zu aktivieren, das heißt von der Potentialität (dynamis) in die Aktualität (energeia) überzuführen (Akt-Potenz-Lehre). Diese spezifisch-menschliche Leistung wird dann erreicht, wenn die Seele in einem „vortrefflichen“ Zustand ist, was von Aristoteles mit dem Ausdruck „arete“ (Tugend) bezeichnet wird.
Den beiden Seelenteilen entsprechend, die vernünftig genannt werden können, lassen sich nach Aristoteles auch zwei Arten von Tugenden zuordnen. Dem vernünftigen Seelenteil entsprechen die dianoetischen oder Verstandes-Tugenden, dem unvernünftigen Seelenteil die ethischen oder Charakter-Tugenden.
Von diesem Ansatz ergibt sich Aristoteles Verständnis, wie das vollkommene Glück erreicht werden könne.
Die beste Lebensform sei die „theoretische“ oder „kontemplative“. In ihr könne der höchste menschliche Seelenteil, die Vernunft, entfaltet werden. Ein solches Leben ist aber nach Aristoteles’ Ansicht höher als es dem Menschen als Menschen zukommt und steht eigentlich den Göttern zu. Außerdem sind die Menschen dazu gezwungen, sich mit ihrem äußeren Umfeld auseinanderzusetzen. So bleibt als zweitbeste Lebensform nur die „politische“. Diese ermöglicht im Umgang mit anderen Menschen die Entfaltung der Charaktertugenden.
konsequentialistisch-teleologische Ansätze
Mit diesem Begriff werden teleologische Ansätze bezeichnet, die nicht mehr von einer letzten vorgegebenen Zweckhaftigkeit des menschlichen Daseins oder der Welt ausgehen. Ihr Augenmerk zur moralischen Qualifizierung von Handlungen richtet sich ausschließlich auf deren Konsequenzen im Hinblick auf ein als Nutzen verstandenes „telos“. Diese Theorien können wiederum danach unterschieden werden:
- wie sie diesen Nutzen definieren; dies geschieht meist als eine Form von subjektivem Wohlbefinden: Lust (Hedonismus), Freude, Zufriedenheit, Glück (Eudämonismus) etc.
- ob es nur um den eigenen Nutzen (Individualismus, Egoismus) oder auch um den der anderen (Utilitarismus) geht
Epikur

Die epikureische Ethik, die schon während der Blütezeit der klassischen teleologischen Ethik als gewichtiger Gegenentwurf konzipiert wurde, weist bereits eine letzte Zweckhaftigkeit des menschlichen Daseins oder der Welt ausdrücklich zurück.
Die Lust (hedone) wird von Epikur zum alleinigen Inhalt des guten Lebens erklärt. Er unterscheidet zwei Arten der Lust: eine „kinetische“ (bewegte) Lust auf der einen Seite sowie eine „katastematische“, d.h. mit dem naturgemäßen Zustand verbundene Lust auf der anderen.
Die kinetische Lust scheidet für Epikur als Kandidat für ein gutes Leben aus. Sie beruht auf einem stetigen Wechsel von Unlust- und Lustzuständen und muss somit auch die Unlust als Bedingung ihrer Möglichkeit bejahen. Sie birgt außerdem stets die Gefahr in sich, dass Bedürfnisse ständig über das sinnvolle Maß hinaus befriedigt und somit neue Bedürfnisse geschaffen werden. Diese Art des Luststrebens ist potenziell maßlos und droht entgegen ihrer ursprünglichen Intention zu einer fortwährenden Quelle der Unlust zu werden.
Die katastematische Lust ist die höchste Form der Lust und das Ziel des Lebens. Sie wird erreicht durch den Zustand unbedürftiger Seelenruhe. Diese wird durch Schmerz und Furcht gefährdet. Schlimmer als der körperliche ist der seelische Schmerz. Jeder seelische Schmerz ist aber auf einen körperlichen Schmerz bezogen: er ist Erwartung oder Erinnerung eines körperlichen Schmerzes. Wenn gezeigt werden kann, dass die Erwartung körperlichen Schmerzes unbegründet ist, löst der seelische Schmerz sich auf. Der größte Schmerz wird durch die Furcht vor dem Tod erzeugt. Dieser kann durch eine richtige Sicht des menschlichen Lebens begegnet werden. Es ist nach Epikur nur ein zufälliges Aggregat von Atomen, das sich mit dem Tod vollständig in seine Bestandteile auflöst. Die Grenze des Todes besitzt somit keinerlei Relevanz für die gegenwärtige Lebensführung und braucht deshalb die Daseinsfreude auch nicht zu beeinträchtigen.
Stoa
Für die Stoiker stellen Selbstliebe bzw. Selbsterhaltung den Grundtrieb überhaupt dar. Die Verfolgung dieses Triebes steht am Anfang jedes natürlichen Entwicklungsprozesses. Im Unterschied zum Tier besitzt der Mensch aber mit der Vernunft noch eine darüber hinausgehende Naturanlage, die sich schon bei Kindern ab einem gewissen Zeitpunkt als zweckfreies Erkenntnisstreben zu regen beginnt.

Mit dieser Entdeckung der Vernunft kommt es zu einer wichtigen Konkretisierung des Gegenstandes der Selbstliebe. Das naturgemäße Leben lässt sich jetzt nämlich als ein Leben gemäß der Vernunft begreifen. Dabei ist die Vernunft nicht nur Gegenstand der Selbstsorge, sondern erweist sich zugleich auch als die eigentliche Leitungsinstanz, die alle anderen Antriebsmomente zu bilden und zu ordnen hat. Um ihre Funktionen angemessen erfüllen zu können, muss die Vernunft einen langwierigen Bildungsprozess durchlaufen, der den Menschen allmählich dazu befähigt, sich nur das zu eigen zu machen, was wirklich seiner Natur gemäß ist. Diese Einsichts- und Aneignungsbewegung nennen die Stoiker „oikeiosis“, womit die Vervollkommnung der vornehmsten menschlichen Eigenschaften gemeint ist.
Dieser Vervollkommnungsprozess wird nicht nur als individuelles Geschehen gedeutet, sondern in einen kosmischen Zusammenhang gestellt: die allmähliche Aneignung der Vernunft, die sich im praktischen Bereich als Zuwachs der Tugend äußert, deuten die Stoiker als eine schrittweise Angleichung an das allgemeine Weltgesetz.
Die lebenspraktischen Resultate dieser Haltung verdichten sich im Streben nach der Seelenruhe (ataraxia), die von allen äußeren Umständen und Zufällen völlig unabhängig machen soll. Aus der Tatsache, dass das wahre menschliche Selbst an einer allgemeinen Weltvernunft partizipiert, folgt eine innere Verbundenheit und prinzipielle Gleichheit aller Menschen. Die Welt wird als der gemeinsame Staat der Götter und Menschen betrachtet. Weil jeder Mensch Teil dieses Ganzen und auf es angewiesen ist, ist der gemeinsame Nutzen dem des einzelnen vorzuziehen.
Utilitarismus
Der Utilitarismus ist die am weitesten ausgearbeitete und - u.a. auch deshalb - seit etwa hundert Jahren international meistdiskutierte Variante einer konsequentialistischen Ethik. Seine Anziehungskraft beruht auf seinem Ansatz, Handlungsalternativen ließen sich quantifizieren und durch einen mathematischen Kalkül entscheiden.
Konsequentialismus
Die moralische Beurteilung menschlichen Handelns beruht im Utilitarismus auf der Beurteilung der (wahrscheinlichen) Handlungsfolgen. Den Handlungsfolgen gegenüberzustellen sind allerdings die mit der Handlung selbst verbundenen Aufwände.
Nicht jede Handlung mit guten Folgen ist daher auch schon moralisch geboten. Es können Umstände eintreten (z.B. politische Gewaltherrschaft), unter denen die einzig mögliche Handlung mit guten Folgen so viel moralischen Heroismus verlangt, dass sie von niemandem ernstlich erwartet werden kann.
Auf der anderen Seite ist nicht jede Handlung mit schlechten Folgen unter allen Umständen moralisch verboten. In manchen Situationen kann selbst eine Handlung mit schlechten Folgen erlaubt oder sogar geboten sein, z. B. wenn die Handlungsalternativen - einschließlich Untätigkeit - noch schlechtere Folgen hätten. Zu den „Folgen“ gehören dabei:
- die beabsichtigen Folgen der Handlung
- die unbeabsichtigten absehbaren Folgen („Nebenfolgen“) der Handlung
- die Handlung und ihre Umstände selbst (z.B. der mit ihr verbundene physische und psychische Aufwand)
Alle drei Komponenten müssen bei der Wahl der richtigen Handlung mit ins Kalkül gezogen werden.
Entscheidend sind dabei nicht die tatsächlichen, sondern die absehbaren Folgen einer Handlung, d.h. die Folgen, wie sie sich für einen wohl informierten und vernünftig denkenden Beobachter zum Zeitpunkt der Handlung als mehr oder weniger wahrscheinlich darstellen. Für die Beurteilung der Handlung kommt es dabei neben dem Wert und Unwert der möglichen Folgen wesentlich auch auf deren Eintrittswahrscheinlichkeit an. Kleine Risiken dürfen im Allgemeinen für die Realisierung großer Chancen in Kauf genommen werden. Für einmalige oder gelegentliche Handlungen mit schwerwiegenden negativen, aber sehr unwahrscheinlichen Folgen (wie bei Hochrisikotechnologien) liefert die Utilitaristische Ethik kein eindeutiges Entscheidungskriterium.
Maximierungsprinzip
Unter den jeweils verfügbaren Handlungsalternativen ist für den Utilitarismus diejenige Handlung moralisch geboten, die absehbar das maximale Übergewicht der positiven über die negativen Folgen bewirkt. Dieses Maximum ist rein summativ bestimmt. Geboten ist die Handlung, für die die Differenz aus der Summe des durch sie absehbar bewirkten positiven und der Summe des durch sie absehbar bewirkten negativen Nutzens größer ist als für alle anderen in der Situation möglichen Handlungen.
Universalismus
Für die Beurteilung einer Handlung sind die Folgen für alle von der Handlung Betroffenen erheblich, wobei die Folgenbewertung unparteilich sein und von allen besonderen Sympathien und Loyalitäten absehen soll (Bentham: „Everyone to count for one and nobody for more than one“). Die Folgen für den Akteur und die ihm Nahestehenden sind in den Gesamtfolgen enthalten, erhalten jedoch kein stärkeres Gewicht als die Folgen für Fremde. Räumliche, zeitliche und soziale Distanz der Betroffenen führen nicht (abgesehen von der erhöhten Unsicherheit der Folgenabschätzung) zu einer Minderung ihrer moralischen Relevanz.
Der Nutzen als einziger Wert
Der Utilitarismus kennt nur einen einzigen Wert: den „Nutzen“ (utility). Dieser wird dabei meist verstanden als das Ausmaß der von einer Handlung bewirkten Lust und des durch sie vermiedenen Leides.Der Utilitarismus ist daher im Kern eine hedonistische Theorie. Träger des Nutzens ist im Utilitarismus dabei immer das Individuum. „Gesamtnutzen“ oder „Gemeinwohl“ werden als Summe der jeweiligen Einzelnutzen aufgefasst. Mit diesem Ansatz entfallen auf der Theorieebene alle Wertkonflikte sowie die Notwendigkeit einer Güterabwägung. Es sind vielmehr nur jeweils homogene Nutzenmengen (positive und negative) miteinander zu verrechnen.
Bei der genaueren Bestimmung des Nutzens sind innerhalb des Utilitatismus’ zwei verschiedene Ansätze zu unterscheiden. Grundsätzlich ist zwar der Nutzen mit der Gewinnung von Lust gleichzusetzen. Für den klassischen Utilitarismus (Bentham) sind dabei alle Arten von Lust gleichwertig. Die Handlungsalternativen können daher nur anhand quantitativer Gesichtspunkte entschieden werden wie Dauer und Intensität der Lust. Für den Präferenzutilitarismus (Mill, Singer) ergeben sich dagegen auch qualitative Unterschiede der Lust. Die Freuden, an denen höhere Tätigkeiten des Menschen beteiligt sind, verdienen den Vorzug vor anderen; denn
- „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedengestelltes Schwein; es ist besser ein unzufriedener Sokrates zu sein als ein zufriedener Narr“ (Mill) Vorlage:Ref.
Wertethik
Der Begriff der Wertethik ist ein Sammelbegriff für ethische Theorien, die das Gute als Wert begreifen. Maßgeblich für die Prägung des Begriffs „Wertethik“ war das Buch „Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik“ von Max Scheler. Er begründete damit die materiale Wertethik, die auf der phänomenologischen Methode Edmund Husserls aufbaut und von Nicolai Hartmann fortgeführt wurde. Daneben gibt es auch eine formale Richtung wertphilosophischer Ethik. Diese wurde von Wilhelm Windelband und Heinrich Rickert entwickelt.
Die materiale Wertethik (Scheler)
Scheler entwirft seine materiale Wertethik in betonter Abgrenzung von Kant. Er übernimmt zwar Kants apriorisches Vorgehen und seine Kritik an einer Güter- und Zweckethik. Scheler will jedoch an einer materialen Grundlegung der Ethik festhalten. Dies sei möglich durch den Aufweis apriorischer Wertbestimmtheiten, die nicht in intellektuellen, sondern in emotionalen Akten des Wertfühlens gegeben sind. Werte sind dabei für ihn von den konkreten Gütern in ähnlicher Weise unabhängig wie dies Farben von den Dingen sind. Als Methode zur Erkenntnis der Werte übernimmt Scheler die von Husserl entwickelte Phänomenologie.
Das Ziel der materialen Wertethik besteht nach Scheler darin, zu einer „von aller positiven psychologischen und geschichtlichen Erfahrung unabhängigen Lehre von den sittlichen Werten“ zu gelangen. Die Werte gelten ihm als „streng apriorische Wesensideen“. Sie sind nicht auf dem Wege einer begrifflichen Rekonstruktion zu gewinnen, sondern müssen aus der „natürlichen Weltanschauung“ herausgelöst werden. Durch die Ausblendung oder Einklammerung (epoche) der besonderen Umstände soll die phänomenologische Schau auf das reine Wesen des untersuchten Gegenstands ermöglicht werden. Diese Schau soll dadurch gelingen, dass sie von den besonderen Bedingungen der historisch-kulturell geprägten Situation absieht, indem sie sich rein auf die „aus der Person, dem Ich und dem Weltzusammenhang herausgelöste Aktintention“ konzentriert. Die materiale Wertethik Schelers geht von einer Rangordnung der Werte aus. Diese könne „in einem besonderen Akte der Werterkenntnis“ erfasst werden. Ein Wert steht umso höher, je weniger er durch andere Werte „fundiert“ ist und je tiefer die durch seine Realisierung vermittelte Befriedigung erfahren wird. Jedem positiven Wert steht dabei ein negativer „Unwert“ gegenüber. Scheler entwickelt eine Hierarchie der Werte, die sich einem jeweils entsprechenden „Fühlen“ erschließen:
- das Angenehme und das Unangenehme (sinnliches Fühlen)
- das Edle und das Gemeine (vitales Fühlen)
- das Schöne und das Hässliche; das Rechte und das Unrechte (geistiges Fühlen)
- das Heilige und das Unheilige (Gefühl der Liebe)
Deontologische Ansätze
Das griechische Wort „to deon“ bedeutet „das Schickliche, die Pflicht“. Deontologische Ethiken kann man daher mit Sollensethiken gleichsetzen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass bei ihnen den Handlungsfolgen nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie in teleologischen Ethiken. Innerhalb der deontologischen Ethiken wird häufig zwischen aktdeontologischen (z.B. Jean-Paul Sartre) und regeldeontologischen Konzeptionen (z.B. Immanuel Kant) unterschieden. Während die Regeldeontologie allgemeine Handlungstypen als verboten, erlaubt oder geboten ausweist (vgl. z.B. das Lügenverbot oder die Pflicht, Versprechen zu halten), bezieht sich den aktdeontologischen Theorien zufolge das deontologische Moralurteil unmittelbar auf spezifische Handlungsweisen in jeweils bestimmten Handlungssituationen.
Kant

Die Ethik Kants wird allgemein als die erste entfaltete Konzeption einer deontologischen Ethik angesehen. Die von ihm vollzogene deontologische Wende ist in erster Linie durch sein Bemühen motiviert, die durch Humes Kritik am naturalistischen Fehlschluss entstandene Grundlagenkrise im Bereich der Moralphilosophie zu überwinden. Kant ist mit Hume der Auffassung, dass aus vor-moralischen Werturteilen kein Sollensanspruch abgeleitet werden könne und daher eine teleologische Moralbegründung nicht möglich sei.
Formale Ethik
Für Kant stammt der Anspruch des Sittlichen nicht aus der Erfahrung. Seine unbedingte Verbindlichkeit kann nur a priori, also erfahrungsfrei, und deshalb rein formal, nicht material bestimmt sein. Dieses unbedingt verbindliche Sittengesetz nennt Kant den kategorischen Imperativ. Kant kennt verschiedene Formulierungen des kategorischen Imperativs. Die „Grundformel“ lautet in ihrer ausführlichsten Formulierung:
- „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ (GMS, B 52) Vorlage:Ref.
Der kategorische Imperativ ist für Kant das „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“. Er stellt die allgemeine Form eines sittlichen Gesetzes dar. In der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ formuliert Kant den kategorischen Imperativ in der sog. „Naturgesetzformel“:
- „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte“ (GMS, B 52) Vorlage:Ref.
Ausgehend von dieser Formulierung zeigt Kant an verschiedenen Beispielen Verstöße gegen dieses Prinzip auf. Entscheidend ist dabei immer die Frage, ob die Maxime, die der entsprechenden Handlung zugrunde liegt, sich verallgemeinert denken lässt. Wenn jemand zugeben muss, dass ein objektiv allgemeingültiges Gesetz vorliegt, für sich aber eine Ausnahme davon machen will, liegt ein unmoralisches Handeln vor. Um also die Moralität einer Handlung zu prüfen, muss ein Naturgesetz (ein naturgesetzlich wirkender Trieb) widerspruchsfrei vorstellbar sein, das ein Lebewesen immer auf diese Weise vorgehen ließe.
Ein Verstoß gegen eine solche geforderte Verallgemeinerungsfähigkeit ist z.B. der Selbstmord. Wenn ich mir nämlich aus Selbstliebe im Fall des Lebensüberdrusses das Leben nehmen will, so müsste ich einen Naturtrieb denken können, der zum Zweck eines angenehmeren Lebens immer dann, wenn das Leben zu viele Übel befürchten lässt, zur Selbsttötung führt. Es wäre aber offensichtlich widersprüchlich, wenn der naturgegebene Antrieb zur Steigerung der Lebensqualität zur Zerstörung des Lebens führen würde. Ein wohlüberlegter Selbstmord aus Lebensüberdruss lässt sich also nur als eine ausnahmsweise Ad-hoc-Entscheidung, aber nicht als ein regelgeleitetes Handeln rekonstruieren und ist darum unmoralisch.
Die Ethik Kants bleibt allerdings nicht rein formal, sie wird auch materiell. So wird in der sog. „Selbstzweckformel“ des kategorischen Imperativs der Mensch als Zweck an sich selbst in den Vordergrund gestellt:
- „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (GMS, B 66f.) Vorlage:Ref.
Autonome Ethik
Kant vertritt eine autonome, nicht heteronome Ethik. Autonomie ist dabei im doppelten Sinne zu verstehen:
- als Unabhängigkeit sowohl von empirisch materialen Bedingungen oder Beweggründen des Handelns als auch von der Willkür äußerer Gesetzgebung, weil bloße Heteronomie die sittliche Verbindlichkeit nicht begründen kann, sondern voraussetzen muss
- als Selbstgesetzgebung der reinen praktischen Vernunft, die sich allein aus sich und durch sich selbst sittlich binden kann.
Diese Autonomie bedeutet aber für Kant nichts weniger als gesetzlose Willkür und Beliebigkeit. Er will nur aufzeigen, dass nichts Empirisches, weder eigene Erfahrung noch äußere Gesetzgebung, die unbedingte Verbindlichkeit als solche konstituieren kann, wenn diese nicht als transzendentale Bedingung jedes konkreten, faktisch empirischen Sollens der reinen praktischen, sich selbst verpflichtenden Vernunft entspringt.
Pflichtethik
Die Ethik Kants steht unter dem Gedanken der Pflicht. Sie ist der höchste Moralbegriff, in dem sich die Unbedingtheit des Sittlichen ausspricht. Da jede Heteronomie ausgeschlossen ist, kann der Ursprung der Pflicht nur in der Würde des Menschen als Person liegen.
Kant unterscheidet scharf zwischen Legalität und Moralität. Wahre Moralität wird erst erreicht, wenn das Gesetz allein um seiner selbst willen erfüllt wird, die Handlungen nur „aus Pflicht und aus Achtung fürs Gesetz, nicht aus Liebe und Zuneigung zu dem, was die Handlungen hervorbringen sollen, gesetzt“ werden (KpV, A 145)Vorlage:Ref.
Postulate der praktischen Vernunft
Kant unterscheidet zwischen dem Beweggrund (Motiv) und dem Gegenstand (Objekt) des sittlichen Handelns. Das einzig bestimmende Motiv einer nicht nur legalen, sondern wahrhaft moralischen Handlung kann nur das Gesetz als solches sein. Der Gegenstand ist dasjenige, was die sittliche Tat zwar nicht bestimmen kann, von ihr aber bewirkt wird, also nicht der Beweggrund, sondern die Wirkung sittlichen Handelns ist. Dieser Gegenstand ist für Kant - und damit steht er in der klassischen Tradition - das „höchste Gut“ (summum bonum). Dazu gehören notwendig zwei Elemente: „Heiligkeit“ – von Kant verstanden als sittliche Vollkommenheit - und Glückseligkeit. Davon ausgehend erschließt Kant die Postulate Freiheit, Unsterblichkeit und Gott.
- Freiheit
Das Gesetz wendet sich an den Willen, setzt also die Fähigkeit freier Selbstbestimmung zu sittlichem Handeln, d. h. Freiheit des Willens, voraus. Die Freiheit ist für Kant nicht unmittelbar gegeben, erst recht nicht psychologisch, durch innere Wahrnehmung, erfahrbar: dann wäre sie ein empirischer, d. h. sinnlich erscheinender Inhalt. Unmittelbar als „Faktum der reinen praktischen Vernunft“ gegeben ist allein das sittliche Gesetz. Bedingung der Möglichkeit seiner Verwirklichung ist die Freiheit des Willens. Sie wird von Kant streng transzendental gedacht: als Bedingung der Möglichkeit sittlichen Handelns. Als solche steht sie in notwendigem Zusammenhang mit dem Gesetz, kann daher als Postulat der reinen Vernunft aufgewiesen werden.
- Unsterblichkeit
Das Sittengesetz gebietet die Verwirklichung der „Heiligkeit“. Dazu ist aber „kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt in keinem Zeitpunkte seines Daseins fähig“. Sie kann daher nur in einem „unendlichen Progressus“ erreicht werden, der „nur unter Voraussetzung einer ins Unendliche fortdauernden Existenz und Persönlichkeit desselben vernünftigen Wesens (welche man die Unsterblichkeit der Seele nennt) möglich“ ist (KpV, A220)Vorlage:Ref. Als Postulat der praktischen Vernunft ergibt sich die Unsterblichkeit der Seele, welche Kant als unendlichen Prozess approximativer Verwirklichung sittlicher Vollkommenheit versteht.
- Gott
Das sittliche Handeln verlangt, nicht als Motiv, nur als Wirkung, die Erreichung der Glückseligkeit. Damit nimmt Kant den seit der griechischen Antike durchgehenden Grundgedanken der „eudaimonia“ als Ziel sittlichen Handelns auf, nur mit dem Unterschied, dass sie nach Kant niemals Motiv, sondern immer nur zu bewirkender Gegenstand moralischen Tuns sein darf. „Glückseligkeit“ bedeutet für Kant die Übereinstimmung zwischen dem Naturgeschehen und unserem sittlichen Wollen. Diese können wir selbst nicht bewirken, weil wir nicht die Urheber der Welt und des Naturgeschehens sind. Daher ist eine höchste Ursache erfordert, die uns und der Natur überlegen, selbst von sittlichem Wollen bestimmt ist und die Macht hat, die Übereinstimmung des Naturgeschehens mit dem sittlichen Wollen zu bewirken. Glückseligkeit setzt daher als Postulat der praktischen Vernunft die Existenz Gottes voraus. Gott ist der letzte Grund der unbedingt gültigen Sinnhaftigkeit alles sittlichen Strebens und Handelns.
Diskursethik
Die Diskursethik ist der derzeit wohl prominenteste Vertreter einer Sprachethik. Sie steht hinsichtlich ihrer transzendentalen Methodik in der Tradition Kants, erweitert aber dessen Ansatz um die Erkenntnisse der Sprachphilosophie – v.a. der Sprechakttheorie. Der Diskurs, als der Austausch von Argumenten in einer Sprachgemeinschaft, steht dabei in zweifacher Hinsicht im Vordergrund.
Er wird zum einen als Mittel zur Begründung einer allgemeinen Ethik angesehen. Die Diskursethik will aufweisen, dass jede Person, die an einem Diskurs teilnimmt und dort beispielsweise Behauptungen aufstellt, bestreitet oder in Frage stellt, bestimmte Moralprinzipien implizit immer schon als verbindlich anerkannt hat.
Zum anderen wird der Diskurs als Mittel angesehen, um konkrete ethische Streitfälle schlichten zu können. Eine konkrete Handlungsweise sei moralisch dann richtig, wenn ihr alle - insbesondere die von dieser Handlungsweise Betroffenen - als Teilnehmer eines zwanglos geführten argumentativen Diskurses zustimmen könnten.
Innerhalb der Diskursethik unterscheidet man eine transzendentalpragmatische Variante, die eine Letztbegründung ihrer Prinzipien anstrebt (Karl-Otto Apel, Wolfgang Kuhlmann) und eine universalpragmatische Variante (Jürgen Habermas), die eine grundsätzliche Fallibiliät ihrer Theorie einräumt.
Der transzendentalpragmatische Ansatz
Das Apriori der Argumentation
Das zentrale Anliegen der transzendentalpragmatischen Ethikbegründung, deren vorrangiger Vertreter Karl-Otto Apel ist, ist die Letztbegründung ihrer zugrunde gelegten ethischen Prinzipien. Zu diesem Zweck strebt Apel eine „Transformation der Kantischen Position“ in Richtung einer „transzendentalen Theorie der Intersubjektivität“ an. Von dieser Transformation erhofft er sich eine einheitliche philosophische Theorie, die eine Überbrückung des Gegensatzes von theoretischer und praktischer Philosophie leisten kann.
Nach Apels Ansicht setzt jeder, der argumentiert, immer schon voraus, dass er im Diskurs zu wahren Ergebnissen gelangen kann, dass also Wahrheit grundsätzlich möglich ist. Eine ebensolche Wahrheitsfähigkeit setzt der Argumentierende von seinem Gesprächspartner voraus, mit dem er in den Diskurs eintritt. Dies bedeutet in der Sprache Apels, dass die Argumentationssituation für jeden Argumentierenden unhintergehbar ist. Jeder Versuch ihr zu entfliehen ist letztlich inkonsistent. Apel spricht in diesem Zusammenhang von einem „Apriori der Argumentation“:
- „Wer nämlich überhaupt an der philosophischen Argumentation teilnimmt, der hat die soeben angedeuteten Voraussetzungen bereits implizit als Apriori der Argumentation anerkannt, und er kann sie nicht bestreiten, ohne sich zugleich selbst die argumentative Kompetenz streitig zu machen“ (Transformation der Philosophie, Bd. 1, 62) Vorlage:Ref
Selbst derjenige, der die Argumentation abbricht, will nach Ansicht Apels damit etwas zum Ausdruck bringen:
- „Auch wer im Namen des existenziellen Zweifels, der durch Selbstmord sich verifizieren kann … das Apriori der Verständigungsgemeinschaft zur Illusion erklärt, bestätigt es zugleich dadurch, daß er noch argumentiert“ (a.a.O.) Vorlage:Ref.
Jemand, der auf eine argumentative Rechtfertigung seiner Handlung verzichten will, zerstört sich letztlich selbst. In theologischen Begriffen gesprochen könnte man daher sagen, dass selbst „der Teufel nur durch den Akt der Selbstzerstörung von Gott unabhängig gemacht werden kann“ (a.a.O., Bd.2, 414) Vorlage:Ref.
Reale und ideale Kommunikationsgemeinschaft
Nach Ansicht Apels wird mit der Unhintergehbarkeit der rationalen Argumentation auch eine Gemeinschaft der Argumentierenden anerkannt. Die Rechtfertigung einer Aussage sei nämlich nicht möglich, „ohne im Prinzip eine Gemeinschaft von Denkern vorauszusetzen, die zur Verständigung und Konsensbildung befähigt sind. Selbst der faktisch einsame Denker kann seine Argumente nur insofern explizieren und überprüfen, als er im kritischen ‚Gespräch der Seele mit sich selbst’ (Platon) den Dialog einer potentiellen Argumentationsgemeinschaft zu internalisieren vermag" (a.a.O., 399). Das setze aber die Befolgung der moralischen Norm voraus, dass alle Mitglieder der Argumentationsgemeinschaft sich als gleichberechtigte Diskussionspartner anerkennen.
Diese notwendig vorauszusetzende Argumentationsgemeinschaft kommt nun bei Apel in zwei Gestalten ins Spiel:
- als reale Kommunikationsgemeinschaft, deren Mitglied man „selbst durch einen Sozialisationsprozess geworden ist“ (a.a.O., 429) Vorlage:Ref
- als ideale Kommunikationsgemeinschaft, „die prinzipiell imstande sein würde, den Sinn seiner Argumente adäquat zu verstehen und ihre Wahrheit definitiv zu beurteilen“ (a.a.O.) Vorlage:Ref.
Aus der notwendig vorausgesetzten Kommunikationsgemeinschaft in ihren beiden Varianten leitet Apel zwei regulative Prinzipien der Ethik ab:
- „Erstens muss es in allem Tun und Lassen darum gehen, das Überleben der menschlichen Gattung als der realen Kommunikationsgemeinschaft sicherzustellen, zweitens darum, in der realen die ideale Kommunikationsgemeinschaft zu verwirklichen. Das erste Ziel ist die notwendige Bedingung des zweiten Ziels; und das zweite Ziel gibt dem ersten seinen Sinn, - den Sinn, der mit jedem Argument schon antizipiert ist" (a.a.O., 431) Vorlage:Ref.
Nach Apel sind also sowohl die ideale als auch die reale Kommunikationsgemeinschaft a priori zu fordern. Für Apel stehen die ideale und reale Kommunikationsgemeinschaft in einem dialektischen Zusammenhang. Die Möglichkeit, ihren Widerspruch zu überwinden, ist a priori vorauszusetzen. Die ideale Kommunikationsgemeinschaft ist als das Ziel, auf das es hinzuarbeiten gelte, in der realen Kommunikationsgemeinschaft schon als deren Möglichkeit präsent.
Vertragstheorien
Als Vertragstheorien bezeichnet man Konzeptionen, die die moralischen Prinzipien menschlichen Handelns und die Legitimationsbedingungen politischer Herrschaft in einem hypothetischen, zwischen freien und gleichen Individuen geschlossenen, Vertrag sehen. Die allgemeine Zustimmungsfähigkeit wird damit zu einem fundamentalen normativen Gültigkeitskriterium erklärt.
Den Hintergrund der Vertragstheorien bildet die seit der Neuzeit verbreitetete Überzeugung, dass moralisches Handeln nicht mehr durch Rekurs auf den Willen Gottes oder eine objektive natürliche Wertordnung gerechtfertigt werden kann. Gesellschaft wird nicht mehr wie in der aristotelischen Tradition als Folge der sozialen Natur des Menschen („zoon politikon“) verstanden. Das einzige ethische Subjekt ist in dieser Konzeption das autonome, allein auf sich gestellte Individuum, das in keinerlei vorgegebenen Natur- oder Schöpfungsordnungen mehr steht. Gesellschaftliche und politische Institutionen lassen sich demnach nur dann noch rechtfertigen, wenn sie den Interessen, Rechten und Glücksvorstellungen der Individuen dienen.
Thomas Hobbes: Naturzustand und Legitimation von Herrschaft

Vertragsmotive finden sich zwar bereits im Denken der Sophisten und im Epikureismus; erst in der Neuzeit wurde jedoch der Vertrag in den Rang eines theoretischen Legitimationskonzepts erhoben. Als Begründer der Vertragstheorie gilt Thomas Hobbes. Die von ihm entwickelten Konzepte prägten das gesamte sozialphilosophische Denken der Neuzeit. Sie stellen die ethische Grundlage des Liberalismus dar.
Hobbes Ausgangspunkt ist der Gedanke eines unerträglichen Naturzustandes. Der Naturzustand ist ein Zustand, in dem alle staatlichen Ordnungs- und Sicherheitsleistungen fehlen und jeder seine Interessen mit allen ihm geeignet erscheinenden und verfügbaren Mitteln verfolgen würde. Dieser vorstaatlich-anarchische Zustand sei für die Individuen aufgrund seiner Konfliktträchtigkeit unerträglich. Die Ursache der Konflikte stellen die endlosen Begierden der Menschen und die Knappheit der Güter dar. Dies führe zu einer Situation, in der jeder zum Konkurrent des anderen werde und eine tödliche Gefahr darstelle („Homo homini lupus“), die in der Konsequenz zu einem Krieg aller gegen alle führe („Bellum omnium contra omnes“). Dieser Zustand, in der es kein Recht, kein Gesetz und kein Eigentum gebe, sei letztlich für jedermann unerträglich. Es liege also im fundamentalen Interesse eines jeden, diesen gesetzlosen vorstaatlichen Zustand zu verlassen, die absolute Ungebundenheit aufzugeben und eine mit politischer Macht ausgestattete Ordnung zu etablieren, die ein friedliches Miteinander garantiert. Die zur Einrichtung des staatlichen Zustandes notwendige individuelle Freiheitseinschränkung ist allerdings nur möglich auf der Basis eines Vertrags, in dem die Naturzustandsbewohner sich wechselseitig zur Aufgabe der natürlichen Freiheit und zu politischem Gehorsam verpflichten und zugleich für die Einrichtung einer mit Gewaltmonopol ausgestatteten Vertragsgarantiemacht sorgen. Der Vertrag ist nicht kündbar, außer mit Billigung des Souveräns. Dieser verfügt über eine unumschränkte Staatsgewalt (Hobbes bezeichnet nennt ihn daher auch als „Leviathan“), da er nur so in der Lage sei, Frieden, Ordnung und Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Rawls
Ausgangspunkt
John Rawls Hauptwerk „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ zählt zu den meistdiskutierten ethischen Werken der Gegenwart. Es führt die Linie der Vertragstheorien fort und wendet sich gegen den ebenfalls die zeitgenössische Diskussion beherrschenden Utilitarismus.
Rawls versteht unter Gerechtigkeit in erster Linie soziale Gerechtigkeit. Diese definiert er als „die Art, wie die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen Grundrechte und –pflichten und die Früchte der gesellschaftlichen Zusammenarbeit verteilen“ (TG, 23)Vorlage:Ref. Er kritisiert dabei am Utilitarismus, dass dieser die Gerechtigkeit im Sinne des „größten Glücks der größten Zahl“ nur als eine Funktion des gesellschaftlichen Wohlergehens gesehen habe. Dies werde den Freiheitsrechten der einzelnen Individuen nicht gerecht. Jedem Individuum müsse man „eine auf der Gerechtigkeit - oder wie manche sagen, dem Naturrecht - beruhende Unverletzlichkeit“ zusprechen, „die auch im Namen des Wohles aller anderen nicht aufgehoben werden kann. Es ist mit der Gerechtigkeit unvereinbar, dass der Freiheitsverlust einiger durch ein größeres Wohl aller gutgemacht werden könnte“ (TG, S. 46) Vorlage:Ref.
Der Urzustand und der „Schleier der Unwissenheit“
Auf der Suche nach den legitimen Gerechtigkeitsprinzipien, entwirft Rawls - wie die Vertragstheoretiker vor ihm - das Gedankenexperiment des Urzustandes. In ihm sollen faire Bedingungen herrschen, die niemanden benachteiligen oder bevorzugen. Jedes Individuum ist dabei mit einem „Schleier der Unwissenheit“ (veil of ignorance) umgeben. In diesem Zustand kennt
- „niemand seinen Platz in der Gesellschaft, seine Klasse oder seinen Status; ebensowenig seine natürlichen Gaben, seine Intelligenz, Körperkraft usw. Ferner kennt niemand seine Vorstellung vom Guten, die Einzelheiten seines vernünftigen Lebensplanes, ja nicht einmal die Besonderheiten seiner Psyche wie seine Einstellung zum Risiko oder seine Neigung zu Optimismus oder Pessimismus. Darüber hinaus setze ich noch voraus, daß die Parteien die besonderen Verhältnisse in ihrer eigenen Gesellschaft nicht kennen, d.h. ihre wirtschaftliche und politische Lage, den Entwicklungsstand ihrer Zivilisation und Kultur. Die Menschen im Urzustand wissen auch nicht, zu welcher Generation sie gehören“ (TG, 160) Vorlage:Ref.
Erst diese totale Unwissenheit über die eigenen Fähigkeiten und Interessen garantiert für Rawls, dass die Menschen die zur Wahl stehenden Gerechtigkeitsprinzipien „allein unter allgemeinen Gesichtspunkten beurteilen“ (TG, 159) Vorlage:Ref.
Die beiden Gerechtigkeitsprinzipien
Unter den von Rawls als Gedankenexperiment angenommenen Bedingungen des Urzustandes würden die Menschen sich nun auf zwei Gerechtigkeitsprinzipien einigen:
„1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.
2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen“ (TG, S. 81) Vorlage:Ref.
Das erste Gerechtigkeitsprinzip bezieht sich auf die „Grundfreiheiten“, zu denen Rawls politische und individuelle Freiheiten zählt. Diese sind für alle gleich zu verteilen. Anders sieht es mit den im zweiten Grundprinzip angesprochenen wirtschaftlichen und sozialen Gütern aus. Hier kann eine Ungleichverteilung dann gerechtfertigt sein, wenn sie von allgemeinem Interesse ist. Im Falle eines Konfliktes zwischen beiden Gerechtigkeitsprinzipien hat der Schutz der Freiheit Vorrang. Eine Verletzung der Grundfreiheiten kann selbst dann nicht in Kauf genommen werden, wenn dadurch „größere gesellschaftliche oder wirtschaftliche Vorteile“ (TG, 82)Vorlage:Ref entstehen könnten.
Differenzprinzip und demokratische Gleichheit
Die im zweiten Gerechtigkeitsprinzip erlaubte sozioökonomische Ungleichheit ist nach Rawls nur dann zulässig, wenn sie zur Verbesserung der Aussichten der am wenigsten begünstigten Mitglieder der Gesellschaft beiträgt. So ist z.B. die Ungleichheit zwischen Unternehmer- und Arbeiterklasse nur dann zu rechtfertigen, „wenn ihre Verringerung die Arbeiterklasse noch schlechter stellen würde“ (TG, 98f.) Vorlage:Ref . Rawls bezeichnet die durch das Differenzprinzip charakterisierte Ordnung als „System der demokratischen Gleichheit“. Dieses ist den „gesellschaftlichen und natürlichen Zufälligkeiten“ (TG, 95)Vorlage:Ref entgegenzusetzen, so dass „unverdiente Ungleichheiten ausgeglichen werden“ (TG, 121)Vorlage:Ref.
Siehe auch
Klassische Werke
- Aristoteles: Nikomachische Ethik; Politik
- Epikur: Briefe, Sprüche, Werkfragmente
- Seneca: Philosophische Schriften
- Augustinus: Der freie Wille
- Thomas von Aquin: Summa theologica
- Thomas Hobbes: Leviathan
- John Locke: Zwei Abhandlungen über die Regierung; Brief über Toleranz
- Benedictus de Spinoza: Ethik in der geometrischen Ordnung dargestellt
- David Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur. Bd. 2: Über die Affekte - Über die Moral; Untersuchungen über die Prinzipien der Moral
- Adam Smith: Theorie der ethischen Gefühle
- Rene Descartes: Über die Leidenschaften der Seele
- Immanuel Kant: Vorlage:Fußnote; Vorlage:Fußnote
- Jeremy Bentham: Prinzipien der Gesetzgebung
- Georg W. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts
- Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Mit den Augustenburger Briefen. Reclam, Stuttgart 2000, ISBN 3-15-018062-7
- Arthur Schopenhauer: Die beiden Grundprobleme der Ethik. - II. Preisschrift über die Grundlage der Moral
- Friedrich Nietzsche: Jenseits von gut und böse; Zur Genealogie der Moral.
- John Stuart Mill: Über die Freiheit; Vorlage:Fußnote
- Henry Sidgwick: The Methods of Ethics
- George Edward Moore: Principia Ethica
- Max Scheler: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. 4. Auflage, Bern 1954
- Ludwig Wittgenstein: Vortrag über Ethik. Suhrkamp TB Wissenschaft ISBN 3518283707
- Nicolai Hartmann: Ethik
- Charles L. Stevenson: Ethics and Language
Literatur
Einführungen, Hilfsmittel
- Arno Anzenbacher: Einführung in die Ethik. 3. Aufl. Patmos, Düsseldorf 2003, ISBN 3-491-69028-5 (sehr lesbar)
- Dieter Birnbacher: Analytische Einführung in die Ethik. De Gruyter, Berlin u.a. 2003, ISBN 3-11-017625-4
- Dieter Birnbacher, Norbert Hoerster (Hrsg.): Texte zur Ethik. 12. Aufl. dtv, München 2003, ISBN 3-423-30096-5
- Marcus Düwell, Christoph Hübenthal, Micha H. Werner (Hrsg.): Handbuch Ethik. Metzler, Stuttgart u.a. 2002, ISBN 3-476-01749-4
- Rudolf Ginters: Typen ethischer Argumentation. Zur Begründung sittlicher Normen. Patmos, Düsseldorf 1976, ISBN 3-491-77661-9
- Michael Hauskeller: Geschichte der Ethik. 2 Bde. dtv, München 1997ff., ISBN 3-423-30727-7
- Otfried Höffe (Hrsg.): Lexikon der Ethik. 6. Aufl. Beck: München 2002, ISBN 3-406-47586-8
- Franz von Kutschera: Grundlagen der Ethik. 2. Aufl. Gruyter: Berlin 1999, ISBN 311016289X
- Annemarie Pieper: Einführung in die Ethik. 5. Aufl. Francke, Tübingen u.a. 2003, ISBN 3-8252-1637-3, ISBN 3-7720-1698-7
- Michael Quante: Einführung in die allgemeine Ethik, Darmstadt 2003 ISBN 3534154649
- Friedo Ricken: Vorlage:Fußnote
- Jan Rohls: Geschichte der Ethik. 2. Aufl. Mohr Siebeck, Tübingen 1999, ISBN 3-16-146706-X
- Bernard Williams: Ethik und die Grenzen der Philosophie, Rotbuch-Verlag, Hamburg 1999 (orig. 1985), ISBN 3-434-53036-3
Einflussreiche neuere Abhandlungen
- Karl-Otto Apel: Diskurs und Verantwortung; Vorlage:Fußnote; Vorlage:Fußnote;
- Alfred Jules Ayer: Vorlage:Fußnote
- Jürgen Habermas: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt a.M. 1983, ISBN 3-518-28022-8
- Norbert Hoerster: Ethik und Interesse. Reclam, Stuttgart 2003, ISBN 3-15-018278-6
- Vittorio Hösle: Moral und Politik. Grundlagen einer Politischen Ethik für das 21. Jahrhundert. Beck, München 1997, ISBN 3-406-42797-9
- Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Nachdr. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2003, ISBN 3-518-37585-7
- Niklas Luhmann: Ethik als Reflexionstheorie der Moral., in: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 3, 3. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2003, ISBN 3-518-28693-5
- John Rawls: Vorlage:Fußnote
- Marcus George Singer: Verallgemeinerung in der Ethik. Zur Logik moralischen Argumentierens. Frankfurt a.M. 1984, ISBN 3518074814
- Ernst Tugendhat: Vorlesungen über Ethik., Suhrkamp, Frankfurt 2003, ISBN 3-518-06746-X
Weblinks
Vorlage:Wikiquote1 Vorlage:Wiktionary1
- Ethik im ZUM-Wiki - Informationen für Ethik-LehrerInnen
- EthikNet des Instituts Technik - Theologie - Naturwissenschaften der Universität München
- „Treffpunkt Ethik“ - Materialien und Aktionen zu vielen ethischen Themen, mit Diskussionsforum
- Ethik in der „Philosophischen Bücherei“ (inklusive guter Linksammlung)
- Neuerscheinungen aus dem Bereich der Ethik, zusammengestellt für die Zeitschrift für Evangelische Ethik
- Wertekommission - Verein von Fach- und Führungskräften zwischen 25 und 45 Jahren, der zum Thema Werte in der Wirtschaft arbeitet