Päderastie
Unter Päderastie (von griech. paiderastia Knabenliebe) versteht man die emotionale, erotische und sexuelle Fixierung einer männlichen Person (des so genannten Päderasten) auf Knaben und männliche Jugendliche im Alter von etwa 12 bis 18 Jahren. Die Päderastie ist somit die schwule Form der Pädophilie.
Antikes Griechenland
traditionelle Oben-Unten-Position; Athenische Schwarzfiguramphore; 5. Jhd. v. Chr.; Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek; München |
![]() ca. 100 v. Chr. Gefunden in Pompeji; Archäologisches Museum Neapel |
Junge, hält eine Tasche gefüllt mit Äpfeln, ein Werbungsgeschenk, und Mann beim Schenkelverkehr; Attischer Rotfigurteller 530-430 v. Chr.; Ashmolean Museum, Oxford. |
Im antiken Griechenland war die Liebe erwachsener Männer zu männlichen Jugendlichen nichts Außergewöhnliches. Das Alter der Knaben reichte dabei von der frühen Pubertät bis zu jungen Erwachsenen.
Päderastie in der griechischen Gesellschaft
Es galt als natürlich und wünschenswert, sich von einem gutaussehenden Knaben angezogen zu fühlen. Dieser sollte jungenhaft und zurückhaltend sein, wodurch er das Interesse älterer Männer auf sich zog. Dieses Stadium bezeichnet man folglich als Eromenos, was soviel bedeutet wie "der geliebt wird" bzw. "Geliebter". Mit Erreichen der Pubertät und auf der Schwelle zum Erwachsensein, angefangen im Alter von ungefähr 12 Jahren, wuchs die Attraktivität eines Jungen stetig, bis er schließlich etwa 18 Jahre alt war und als erwachsen galt. Äußeres Anzeichen des Erwachsenseins war der Haarwuchs, speziell an Beinen und Gesäß. Begehrt wurden diese Jungen von Erastai (Sg. Erastes), "Liebenden, Liebhaber", die oft wesentlich älter waren und für die es theoretisch keine Altersgrenze gab. So waren sie meist zwischen 20 und 30 Jahren alt und unverheiratet, in einem Zeitraum päderastischer Praxis, der dem verheirateten Leben mit einer bürgerlichen Frau vorherging. Die Möglichkeit, in einer Beziehung Eromenos und in einer anderen Erastes zu sein, war dabei durchaus gegeben und oft mündeten die päderastischen Bindungen in eine lebenslange Freundschaft.
Für einen Eromenos bedeutete es ein hohes Maß an gesellschaftlichem Aufstieg, von einem Mann der gleichen gesellschaftlichen Schicht begehrt zu werden. Obwohl sich einem jungen Mann im antiken Griechenland viele Möglichkeiten boten, sexuelle Befriedigung zu finden - solange er über ausreichend Mittel verfügte - so war er innerhalb seines Standes doch an die Päderastie gebunden. Bürgerliche Frauen, die durch die Segregation vom Rest der Gesellschaft getrennt waren und mit denen er erst im hohen Alter verheiratet wurde, bekam er nur selten zu sehen. Folglich ermöglichte ihm nur die Beziehung zu einem Mann den Ansehensgewinn, der ihm in einer Beziehung zu einer Hetäre oder Sklavin versagt blieb.
Erzieherische Aspekte
Obwohl die Päderastie theoretisch jedem griechischen Bürger (nicht jedoch Sklaven und Fremden) erlaubt war, so waren doch ein erhöhter Zeitaufwand und wiederholte Schenkungen damit verbunden. Hauptsächlich Aristokraten genossen daher dieses Privileg. War die Werbung erfolgreich, genoss der Erastes ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Es entstand meist eine päderastische Beziehung, deren Ziel eine gesellschaftliche Ausbildung des Eromenos durch den Erastes sein sollte. Dieser sollte ihm jene Werte vermitteln, die ihn zu einem sittlichen und guten Mann machten. Daher galt es in Sparta im speziellen als besonders fein, wenn sich ein Mann vom vorbildlichen Charakter des Jungen und nicht von dessen Körper sexuell angezogen fühlte. Das Verhältnis zwischen beiden sollte dabei idealerweise ohne jeglichen sexuellen Kontakt bestehen.
Darstellung in Kunst & Literatur
Als stärkster Verfechter dieser philosophischen Moral gilt Platon. Neben Phaidros beschreibt vor allem sein Werk Symposion diese Lehre, in dem Platon verschiedene Philosophen vergangener Tage auf einer fiktiven Festlichkeit zu Wort kommen lässt. Pausanias, ein Schüler des Sophisten Prodikos, soll wie die anderen eine Lobrede auf Eros halten und erklärt die platonische Knabenliebe:
The wrong person is the common lover [...] who loves the body rather than the mind. [...] On the other hand, the man who loves a boy for his good character will stick him for life, since he has attached himself to what is lasting. (Hubbard)
Pausanias schließt die sexuelle Befriedigung jedoch nicht aus - er vergleicht eine Verklärung sogar mit der Ablehnung der Philosophie - solange der Liebhaber dem Jungen jeden Dienst erfüllt, der ihm hilft Weisheit und Güte zu gewinnen. Der Junge wiederum muss sich zurückhalten und in diese Beziehung aus Bewunderung und nicht der Suche nach Geld zustimmen.
In den Komödien finden sich, aufgrund ihrer Unverblümtheit und skurrilen Überziehungen, Anzeichen dafür, dass jene Moralvorstellungen wenig mit der Realität in Griechenland zu tun hatten. Ein Beispiel ist das Fragment eines Stückes, in dem sich der Protagonist lustig macht über die angebliche Existenz eines keuschen Liebhabers, who is merely a lover of character, who overlooks his [des Knaben] appearance and is truly modest? (Hubbard)
Auch die darstellende Kunst beschäftigte sich mit der Päderastie. Zwei Aspekte der Knabenliebe finden sich zahlreich auf antiken griechischen Darstellungen, speziell in Form von Vasenmalerei. Der erste ist die Umwerbung des Jungen, die häufig mit der sogenannten Oben-Unten-Position gezeigt wird: Eine Hand des Liebenden berührt das Gesicht, die andere bewegt sich auf die meist entblößten Genitalien zu. Der andere ist die Darstellung der Kopulation zwischen Mann und Knaben. Dabei trifft man fast ausschließlich auf die Form des Schenkelverkehrs: Der Erastes umfasst die Hüfte des Knaben, legt seinen Kopf auf oder unter die Schulter und stößt seinen Penis zwischen die Schenkel des Eromenos. Dieser steht aufrecht und wirkt stets unberührt. Sein Körper entspricht dem griechischen Schönheitsideal: sehr muskulös, mit ungewöhnlich großen Oberschenkeln und großem Gesäß, sowie einem sehr kleinen Penis.
Sexualleben
Der Schenkelverkehr war die gesellschaftlich aktzeptierte Form des Sexualverkehrs zwischen Mann und Knaben. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie nicht der päderastischen Praxis entsprach. Darauf deutet die Häufigkeit der Darstellung analen Verkehrs zwischen Männern und Frauen auf anderen Vasenmalereien.
Frauen stand es zu, sich beim Geschlechtsverkehr zu unterwerfen - dies galt als Ausdruck des Genusses. In päderastischen Beziehungen hingegen sollte der sexuelle Aspekt lediglich ein Antrieb sein, den der Knabe nicht genießen dürfe. Vorrangig war vielmehr die Befriedigung des Erastes. Allerdings sollte dies so geschehen, dass sich der Knabe nicht - und dies war beim Analverkehr nach damaligen Vorstellungen eindeutig der Fall - demütige und von seiner Rolle als Mann löst.
Sollte bekannt werden, dass ein Eromenos dem analen Verkehr zugestimmt und sich damit in die passive, weibliche Rolle begeben hatte, so erntete er Spott und große Verachtung in der Gesellschaft. Aus diesem Grund schwieg man häufig über den sexuellen Aspekt, man redete nicht darüber und erwartete auch nicht, etwas darüber gefragt zu werden. Päderastischer Verkehr war auch in der griechischen Gesellschaft ein tabuisiertes Thema.
Rom
Päderastische Beziehungen zwischen meist unfreien Knaben und erwachsenen römischen Bürgern waren bis ins zweite Jahrhundert nach Christus nicht mit Strafe bedroht. Dabei verschwand der erzieherisch-rituelle Aspekt der Knabenliebe vollständig. Man betrachtete sie als eine Aktivität, die primär vom Sexualtrieb gesteuert ist und im Gegensatz zum Verlangen nach einer Frau steht. Die Päderastie verlor im Laufe der Jahrhunderte zunehmend an gesellschaftlicher Akzeptanz und wurde mit dem Aufkommen des Christentums schließlich vollständig unterdrückt. Die Androhung der Todesstrafe durch Verbrennung stammt aus dem vierten Jahrhundert nach Christus.
Moderne
Der Bildungsschicht in Europa war in den letzten Jahrhunderten die Knabenliebe in den Grundzügen bekannt; sie wurde damit zum Dreh- und Angelpunkt von Bemühungen sowohl emanzipatorischer und apologetischer wie repressiver Art (z.B. durch Assoziationen mit dem Untergang Roms). Dadurch wurde sowohl die Wahrnehmung der eigenen wie auch vor allem fremder Sexualkulturen nachhaltig eingefärbt.
Heute ist die Knabenliebe aufs Äußerste verpönt und wird strafrechtlich verfolgt, falls es zu sexuellen Handlungen kommt und dabei das Schutzalter unterschritten wird, das in Deutschland bei 14 Jahren liegt (bzw. in bestimmten Fällen bei 16 Jahren, hierzu § 182 StGB). Gesellschaftlich sanktioniert wird jedoch nicht erst der strafbare Akt, sondern bereits die Existenz einer entsprechenden sexuellen Neigung, so dass auch sexuell enthaltsam lebende Päderasten mit Ausgrenzung und sozialer Isolation umgehen müssen.
Erwähnenswert ist eine amerikanische Organisation namens North American Man/Boy Love Association (en:NAMBLA), welche in den USA von Ende der 1970er Jahre an die Aufhebung jeglicher Jugendschutzalter verlangte. Sie erregte heftige Kontroversen, weil sie mehrheitlich homosexuelle Mitglieder hatte, welche - der öffentlichen Meinung nach - die Legalisierung der sexuellen Gewalt gegen Kinder forderten. Einzelne Mitglieder wurden tatsächlich wegen Kindesmissbrauchs angeklagt; heute hat die Vereinigung kaum noch Mitglieder und fristet ein Dasein als Briefkastenfirma.
Vier der wichtigsten deutschsprachigen Päderasten, die auch über das Thema schrieben, waren John Henry Mackay, Alexander Ziegler und Peter Schult sowie Thomas Mann.
Literatur
- Homosexualität in der griechischen Antike, von Kenneth J. Dover; München; Beck, 1983. ISBN 3-40607-374-3
- Homosexuality in Greece and Rome, von Thomas K. Hubbard; Univ. of California Press, 2003. [1] ISBN 0-52023-430-8
- Pederasty and Pedagogy in Archaic Greece, von William Armstrong Percy III; Univ. of Illinois Press, 1998. ISBN 0-252-06740-1
Weblinks
- Growing Up Sexually: A World Atlas - umfangreiche Literatur- und Datensammlung über Sexualverhalten