ITER
Der Kernfusionsreaktor International Thermonuclear Experimental Reactor („ITER“, deutsch: Internationaler Thermonuklearer Experimenteller Reaktor) ist ein gemeinsames Forschungsprojekt der Europäischen Union und der Länder Japan, Kanada, Schweiz, Russland, Volksrepublik China, Südkorea und USA. Die USA waren von 1998 bis 2003 vorübergehend aus dem ITER-Projekt ausgestiegen, Kanada seit 2004.
Die EU, die USA, Japan, China, Russland und Südkorea gaben am 28. Juni 2005 nach langen Verhandlungen den Startschuss für den Bau des so genannten Iter-Reaktors. Sie beschlossen, für insgesamt 9,6 Milliarden Euro einen Versuchsreaktor in Cadarache in Südfrankreich zu bauen. Er soll 20 Jahre lang betrieben werden.
ITER soll Wege zu einer wirtschaftlichen Nutzung der kontrollierten Kernfusion aufzeigen. Die ursprüngliche Bedeutung der Abkürzung 'ITER' („International Thermonuclear Experimental Reactor“) wird offiziell nicht mehr verwendet, stattdessen soll auf die lateinische Bedeutung für „iter“, 'der Weg', verwiesen werden.
Kernfusion
Nach dem Vorbild der Sonne wird bei der Kernfusion Wasserstoff zu Helium verschmolzen. Dabei wird eine große Menge Energie in Form von (Wärme)-Strahlung frei. Ein Gramm Wasserstoff setzt dabei etwa dieselbe Menge Energie frei wie acht Tonnen Erdöl oder elf Tonnen Kohle. Die Wasserstoffbombe macht sich diesen Effekt zunutze, allerdings wird hier die Energie unkontrolliert auf einmal freigesetzt.
Fusionsreaktor
Schon seit Jahrzehnten wird an der zivilen Nutzung der Kernfusion geforscht. Das größte Problem dabei ist, dass sich die Wasserstoffkerne extrem annähern müssen, um fusionieren zu können. Dem wirkt die abstoßende elektrische Kraft zwischen den Kernen aber entgegen. Deshalb muss das Produkt von Temperatur und Druck eine gewisse Schwelle überschreiten. In der Sonne reichen auf Grund des hohen Drucks 15,6 Millionen Grad Celsius aus. Bei den niedrigeren Drücken, die im Reaktor beherrschbar sind, liegt die Zündtemperatur bei mehreren hundert Millionen Grad Celsius. Auf derart hohe Temperaturen kann man den Wasserstoff aber nicht in bisher gebräuchlichen Medien erhitzen, da er sofort alle Gefäße zum Schmelzen oder Verdampfen bringen würde.
Der Wasserstoff wird daher in einem Vakuum erhitzt, schwebend, ohne Kontakt zum Behältnis. Um das zu erreichen, werden starke Magnete um die torusförmige Reaktionskammer errichtet, die das hocherhitzte Wasserstoffplasma durch Magnetfelder in Position halten. Um den enormen Energieverlust konventioneller Elektromagnete zu reduzieren, werden die Spulen energiesparend als Supraleiter ausgeführt. Der Energieaufwand zur Kühlung ist deutlich geringer als der Verlust durch den elektrischen Widerstand, der bei ungekühlten Spulen vorhanden wäre.
Bei einem Ausfall des Magnetfeldes wird – entgegen der allgemeinen Auffassung – der Reaktor durch die enormen Temperaturen nicht zerstört. Der Kontakt mit der Reaktorwand verunreinigt das Plasma und lässt es sofort auskühlen. Außerdem ist das Plasma hoch verdünnt: Bei Iter kommen auf 837 Kubikmeter Plasmavolumen nur 0,5 Gramm Plasmamaterial. Das entspricht einer Dichte wie in einem Hochvakuum.
Das Kühlen der Magnete, das Halten und Erhitzen des Plasmas benötigt enorme Energiemengen, bis der Fusionsprozess überhaupt einsetzt. Ist der Prozess erst einmal in Gang gekommen, wird ein Großteil der Heizenergie durch die entstehenden Alphastrahlung (Heliumkerne) gedeckt. Bei bisherigen Projekten konnte die Fusion nur über kurze Zeit (etwa 2 Sekunden) aufrecht erhalten werden, so dass die durch die Fusion gewonnene Energie nur einem kleinen Teil der eingesetzten Energie entsprach. Bereits realisierte Ergebnisse belaufen sich auf 20 Megawatt Heizleistung Aktivierungsenergie und 16 Megawatt Leistung des Reaktors.
ITER-Projekt
Der Reaktor soll die wissenschaftliche und technische Machbarkeit der Energieerzeugung aus Kernfusion demonstrieren. Als erster Testreaktor soll er netto mehr Energie liefern, als er zum Betrieb benötigt. Es wird mit einer Energieverstärkung von 10 gerechnet. Das bedeutet, dass zehnmal mehr Energie freigesetzt werden soll, als zur Plasmaheizung notwendig ist.
Wesentlicher Beitrag zu der positiven Energiebilanz liefert die Baugröße, der konsequente Einsatz von Supraleitern und die Verwendung des radioaktiven Tritiums. Der Energieausstoß soll sich dabei in den Dimensionen eines herkömmlichen Kraftwerks bewegen. Mit dem Projekt sollen wesentliche Schlüsselelemente getestet werden, die für eine praktische wirtschaftliche Anwendung der Kernfusion notwendig sind. Er soll außerdem Erfahrungen im Betrieb liefern, die für einen geplanten nachfolgenden Demonstrationsreaktor (DEMO) notwendig sind.
Der Deuterium-Tritium-Fusionsreaktor wird im Forschungszentrum Cadarache im Süden Frankreichs zu wissenschaftlichen Zwecken erbaut.
Staatspräsident Jacques Chirac bezeichnete dieses Vorhaben als das größte Wissenschaftsprojekt seit der Internationalen Raumstation.
Technische Daten
ITER funktioniert nach dem Tokamak-Prinzip: in einem toroidalen Magnetfeld wird aus Wasserstoff ein Plasmastrom erzeugt. Dieser soll auf die entsprechende Temperatur und Dichte gebracht werden, um eine Kernfusion zu ermöglichen.
Nach den bisherigen Planungen (Stand 2001) sind die technischen Eckpunkte:
Gesamtradius: | 10,7 Meter |
Höhe (über alles): | 30 Meter |
Plasmaradius: | 6,2 Meter |
Plasmavolumen: | 837 Kubikmeter |
Masse des Plasmas: | 0,5 Gramm |
Magnetfeld: | 5,3 Tesla |
Maximaler Plasmastrom: | 15 Megaampere |
Heizleistung und Stromtrieb: | 73 Megawatt |
Fusionsleistung: | 500 Megawatt |
Energieverstärkung: | 10x |
Mittlere Temperatur: | 100 Millionen Grad Celsius |
Brenndauer: | > 400 Sekunden |
Projekt
Bei Gesprächen 1985 zwischen Michail Gorbatschow, François Mitterrand und Ronald Reagan wurde eine Zusammenarbeit bei der Forschung beschlossen. Die ersten Planungen begannen 1988 im deutschen Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, die 1990 in einem ersten Entwurf eines Testreaktors resultierten.
Mittlerweile sind auch Japan, die EU, die Schweiz, die Volksrepublik China, und Südkorea an den Forschungen beteiligt. Von 1998 bis 2001 wurde die Reaktorkonstruktion detailliert ausgearbeitet und abgeschlossen. Kanada ist im Dezember 2003 aus dem Projekt ausgestiegen, diskutiert aber über einen Wiedereinstieg. Indien und Brasilien haben 2004 ihr Interesse an einer Beteiligung angekündigt.
Mit einem Baubeginn rechnet man im Moment im Jahr 2006, mit einer Betriebsaufnahme ist ab ca. 2015 zu rechnen.
Die Kosten für das ITER-Projekt werden auf etwa 10 Milliarden Euro veranschlagt, etwa 4 Milliarden Euro davon entfallen auf die Planung und den Bau der Anlage, ca. 1,5 Milliarden Euro muss das Land tragen, in dem der Reaktor errichtet wird, den Rest teilen sich die anderen Projektpartner. Mittlerweile wurde das Projekt in eine kleinere Version mit ca. 6 Milliarden Euro geändert (Stand Juni 2005).
Nicht nur der Bau, auch der Betrieb des Testreaktors ist teuer, in den geplanten 20 Betriebsjahren wird er nochmal rund 4,5 Milliarden Euro kosten. Wenn sich die Ergebnisse aus dem Testbetrieb wie erwartet gestalten, kann mit einem ersten regulären Fusionskraftwerk ab 2030–2040 gerechnet werden.
Von deutscher Seite am Projekt beteiligt ist das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München und das Institut für Plasmaphysik (IPP) am Forschungszentrum Jülich. Weitere wissenschaftliche Zentren liegen in San Diego, USA und Naka, Japan. Das Aufsichtsgremium ITER-Council hat seinen Sitz in Moskau, Russland.
Standort
Der ITER wird gemäß Medienberichten vom 28. Juni 2005 in Cadarache (Südfrankreich) gebaut. So haben sich die Teilnehmer mit dem Rückzug Japans auf den französischen Standort geeinigt. Die Entscheidung soll mit Vertragsunterzeichnung Ende 2005 verbindlich werden.
Seit 2001 wurde über einen Standort für den ITER beraten. Standortbewerbungen lagen aus Frankreich, Spanien, Japan und Kanada vor. 2005 konkurrierten noch Frankreich (Cadarache) und Japan (Rokkasho-Mura) um den Standort. Während die USA, Japan und Südkorea den Standort Rokkasho-Mura bevorzugten, stimmten die EU, die Volksrepublik China und Russland für Cadarache. Am 28. Juni 2005 entschieden die beteiligten Staaten, den Testreaktor im französischen Cadarache zu erstellen. Bei der Zustimmung Japans spielten aber nicht nur sachliche Abwägungen, sondern auch außenpolitische Aspekte eine Rolle. Außerdem sollen Japan Sonderkonditionen eingeräumt werden, da es sich doch dazu entschloss, dass der Reaktor in Europa gebaut werden soll. Bereits im November 2004 hatte der EU-Ministerrat einstimmig beschlossen, ITER nur in Cadarache zu bauen, notfalls auch ohne die Beteiligung Japans, Süd-Koreas und der USA.
Für den Bau des ITER gab es bis 2003 auch eine inoffizielle deutsche Bewerbung mit dem ehemaligen KKW-Nord „Bruno Leuschner“ in Lubmin an der Ostsee. Das Kraftwerksgelände wurde in den letzten Jahren durch die Energiewerke Nord GmbH als Zwischenlager sehr gut ausgebaut und ein Industriehafen mit überdurchschnittlichem Tiefgang gebaut. Im Sommer des Jahres 2003 kippte Bundeskanzler Gerhard Schröder – trotz einer Zusage des ehemaligen Kanzlers Helmut Kohl – die Zusage zur Bewerbung um den ITER. Der Grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell setzte sich in diesem Zusammenhang in der Berliner Landesvertretung des Landes Mecklenburg-Vorpommern für ein Ende der Fusionsforschung und Kernspaltung in Deutschland ein und bemühte sich ebenfalls, die Montage des in Greifswald geplanten Forschungsreaktors vom Typ Stellarator, den Wendelstein 7-X des Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, zu verhindern. Argumentiert wird damit, dass die Kernfusion innerhalb der nächsten 50 Jahre nichts zu der erforderlichen schnellsten Reduzierung des CO2-Ausstoßes beitrage und dass man mit dem investierten Geld auf anderen Gebieten weit mehr Arbeitsplätze schaffen könne.
Mit dem ITER Kernfusionsreaktor am Standort Lubmin wäre die Universität Greifswald langfristig zu einem der Spitzenstandorte internationaler Fusionsforschung geworden, da wissenschaftliches Fachpersonal sowohl am Max-Planck-Institut, an der Universität Greifswald und am ITER beteiligt gewesen wäre. Lubmin war international der erfolgversprechendste Konkurrent. Der nun festgelegte Standort Cadarache in Frankreich ist ein Erdbeben-Risikogebiet, dies galt ebenfalls für den in Betracht gezogenen japanischen Standort.
Kritik
Die Ankündigung des Standortes für den Testreaktor hat eine kontroverse Diskussion über das Projekt und die Kernfusion im Allgemeinen entfacht. Kritiker, wie die Umweltorganisation Greenpeace, weisen darauf hin, dass auch bei Kernfusion Radioaktivität entsteht – wenn auch in erheblich geringerem Maße als bei der Kernspaltung –, nämlich im Behälter, in dem die Kernfusion abläuft. Nur dieser muss nach Betriebsende entsorgt und für etwa 100 Jahre sicher gelagert werden.
Andere Gegner äußern sich besorgt über die neue Technik. Sie befürchten, dass sich das Projekt finanziell nicht rechnet und die angestrebten Ziele nicht erreicht werden. Für das gesamte Projekt sind bisher über zehn Milliarden Euro veranschlagt worden. Ein Nachweis, dass Kernfusion zur Energiegewinnung überhaupt wirtschaftlich genutzt werden kann, steht bislang noch aus – dieser Nachweis soll von ITER in 30 Jahren erbracht werden.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Baugröße. Für einen wirtschaftlichen Betrieb wird eine elektrische Leistung im Gigawatt-Bereich notwendig sein. Nach Ansicht einiger Umweltverbände sind jedoch kleinere Kraftwerke und dezentrale Energieerzeugung umweltfreundlicher.
Siehe auch
- Kernfusionsreaktor
- Tokamak
- Joint European Torus (JET) – bestehender Kernfusionsreaktor in Culham, England
Weblinks
- http://www.iter.org/ – Offizielle Homepage des ITER-Projekts
- http://www.ipp.mpg.de/ippcms/de/pr/forschung/iter/index.html – Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
- http://www.fz-juelich.de/ipp/ITER – Institut für Plasmaphysik am Kernforschungszentrum Jülich
- http://www.iaea.org – International Atomic Energy Agency