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Demokratietheorie

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Unter Demokratietheorie versteht man zusammenfassend das Bestreben, die Demokratie als Prinzip der Herrschaft im Staat praktikabel umzusetzen. Die Notwendigkeit dazu erwächst aus der Tatsache, dass die Demokratie (Volksherrschaft) stets Gefahr läuft, in Richtung eines Extrems auszuarten: Entweder in Richtung einer Diktatur, also die übermäßige Machtkonzentration bei (zu) geringer politischer Partizipation des Volkes, oder in Richtung einer ungeordneten und nicht gesteuerten Meinungsvielfalt, die in politischem Chaos endet. Demokratie befindet sich also in diesem Spannungsfeld, und die Demokratietheorie ist seit Jahrhunderten bestrebt, für dieses Problem sinnvolle Lösungen zu finden. Sie beruft sich dabei unter anderem auf die Werke, Erkenntnisse und Thesen wichtiger Philosophen und Denker der Geistesgeschichte. Dazu zählen etwa

Hinweis zur Begriffsabgrenzung: Das Teilgebiet der Politikwissenschaft, das sich speziell mit den Lehren abendländischer politischer Denker wie z.B. den oben genannten befasst, bezeichnet man mit dem Oberbegriff Politische Theorie.

Die allgemeine Theorie der Demokratie beruht auf der Idee, dass die Macht in die "Hand" des Volkes gehört, also das Volk durch festgeschriebene Verfahren Entscheidungen herbeiführen kann. Nach dieser Theorie wären solchermaßen getroffene Entscheidungen, die Tauglichkeit des Verfahrens vorausgesetzt, die sinnvollsten.

Am ehesten ist dieses Konzept bei der plebiszitären (direkten) Demokratie verwirklicht, bei der das Volk die Entscheidungen selbst per Volksgesetzgebung trifft. Allerdings ist diese Form der Entscheidungsfindung, unserem Verständnis nach, sehr langsam und in Reinform zur Zeit nicht praktikabel.

Neue Medien und Formen der Wissensorganisation versetzen jedoch die Bevölkerung zunehmend in die Lage, an der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung flexibel teilzuhaben; siehe näheres unter Neue Formen der Enzyklopädie, Mindmaps, Encyclopedia Systematica [1]

Diese demokratietheoretischen Überlegungen stehen hinter den gegenwärtigen Deregulierungs- und Privatisierungsstrategien, die von der Politikverdrossenheit, mangelnden Arbeitszufriedenheit und ökologischen Zivilisationskritik zunehmend gefördert wird.

Die Modellierung und Schaffung der technischen Infrastruktur zur teleplebiszitären Demokratie wird einige Dekaden benötigen, falls sich bereits abzeichnende Kriegs- und Umweltkatastrophen keine dramatischen Zugzwänge ingang setzen.

Da zur Zeit die plebiszitäre Demokratie nicht voll funktionsfähig ist, gibt es in der jetzigen repräsentativen Demokratie die gewählten Vertreter des Volkes, welche den Auftrag haben, im Namen des Volkes die Entscheidungen zu treffen, dabei aber auch im Sinne des Volkes handeln müssen, da sie sonst nicht wieder gewählt werden.

Das Rätesystem schließlich stellt eine Mischform zwischen direkter und repräsentativer Demokratie dar.

Wichtig für die Gewährleistung einer funktionierenden Demokratie sind in erster Linie allgemeine, gleiche, freie und geheime Wahlen, Mehrheitswahlrecht,periodische Wahlen und allgemeines passives Wahlrecht. Ebenfalls sehr wichtig sind Werte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Chancengleichheit und bei repräsentativen Formen die Gewaltenteilung, so dass keine Einzelperson zu viel Macht besitzt.


Der Vorteil der Demokratie liegt in der politischen Gleichberechtigung jeder und jedes Einzelnen. Das bedeutet nicht, dass es in demokratischen Systemen keine Benachteiligten gibt. Es kommt vor, dass sich in Gesellschaften ein Zusammenhalt gegen Minderheiten bildet (z.B. Homosexuelle im Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg - dieses Beispiel zeigt jedoch auch die Stärke der Demokratie: mögliche Korrektur).

Dies führt zu Komplikationen, da nicht immer der Vernunft nachgegangen wird, sondern Politik häufig populistisch betrieben wird.

Demokratie sorgt, erkennbar, nicht automatisch für Frieden, Freiheit und Gleichberechtigung.

Staatsbegründung in der Demokratietheorie

Die demokratische Ethik hat ein Problem. Die Demokraten versuchen ausgehend vom absolutischen Staat (und von bereits gescheiterten Demokratien wie die Weimarer Republik, die sogar die Nazis an die Macht brachten) die Freiheit zu maximieren. Sie sagen, Staat müsse sein, aber das "Volk" solle die Macht haben. Implizierte Wahl- und Mitbestimmungsrechte bedeuten aber nicht, dass man in der Demokratie tatsächlich sozialen Einfluß nehmen kann. Es bedeutet primär nur, dass Rechte im wesentlichen durch sogenannte Mehrheiten entstehen. John David Garcia bringt dies auf den Punkt: "Es ist eine grausame Form von Selbstbetrug zu glauben, dass Entscheidungen, die durch eine große Mehrheit erreicht wurden, automatisch ethisch und richtig wären."

Demokraten begegnen dem Problem mit sogenannten unveräußerlichen Grund- und Menschenrechten. Bei der Umsetzung dieser Rechte in die Realität gibt es aber Schwierigkeiten. Erstens müssten die Probleme der Menschen von Grundrechten tatsächlich erfasst werden. Zweitens unterliegen die Rechte der Auslegung des Rechtesystems und drittens müssen sie auch formal-juristisch einklagbar sein. Letzteres ist äußerst schwer. Nur ein winziger Anteil von Klagen beim Bundesverfassungsgericht hat am Ende Erfolg.

Die demokratische Staatsbegründung ist ideologisch zu bewerten. Vitorio Hösle (in "Moral und Politik", C.H.Beck, Seite 639) beschreibt dies so: "Jedes Staatsrecht setzt eine Verfassung voraus - die Frage was eine Verfassung legitimiert kann es mit seinen Mitteln ebensowenig beantworten, wie die Mathematik ihre Axiome mathematisch rechtfertigen kann. Es kann nur feststellen, daß ein Volk ein Normensystem als seine Verfassung betrachtet. Das die Konstituante, die die Verfassung erarbeitet hat, aus allgemeinen Wahlen hervorgegangen ist, kann ihre Arbeit vielleicht moralisch rechtfertigen; es kann zu einer sozialen Legitimität ihres Ergebnisses führen; aber für eine juristische Verfassungsdoktrin ist dieser Sachverhalt irrelevant. Nur wenn eine Verfassung selbst festlegt, unter welchen Bedingungen sie in Kraft tritt (z.B. das deutsche Grundgesetz Art.144f.) kann das Verfassungsrecht feststellen, ob diese Bedingung erfüllt wurde; ob diese Bestimmungen jedoch legitim sind oder nicht ist kein juristisches Problem mehr. Daß das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erklärte, es bedürfe zu seinem Inkrafttreten nur die Annahme von zwei Dritteln der deutschen Länder und damit unterstellte, es gelte auch in denen, in denen es abgelehnt werde, mag von den üblichen Verfahren der sozialen Legitimation einer Verfassung abweichen; rechtlich ist dies ebenso unbedenklich wie die Oktroyierung einer Verfassung durch einen Monarchen, weil der Jurispundenz alle Kriterien dafür fehlen, um über diese Frage zu entscheiden – erst die Verfassung gibt ihr Kriterien in die Hand."

Siehe auch

Neokorporatismus, Pluralismus, Pluralistische These, parlamentarische Demokratie, Partizipatorische Demokratie, präsidiale Demokratie, repräsentative Demokratie, Direkte Demokratie, Demokratie, Volkssouveränität, Deliberative Demokratie, Staatstheorie, Legitimationskettentheorie

Literatur

  • Peter Massing/Gotthard Breit (Hrsg.): Demokratie-Theorien. Von der Antike bis zur Gegenwart, Bonn 2003 Kann hier für 2 € bei der Bundeszentrale für politische Bildung bestellt werden.
  • Oliver Flügel/Reinhard Heil/Andreas Hetzel (Hrsg.): Die Rückkehr des Politischen. Demokratietheorien heute. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Darmstadt 2004, ISBN 3-534-17435-6. Leseprobe