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Zirkumzision

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Rechts ein vollständig beschnittener Penis

Unter Zirkumzision (lat. circumcisio) bzw. Beschneidung versteht man die Entfernung bzw. das Abschneiden der männlichen Vorhaut.

Im weiteren Sinn bezeichnet der Begriff auch die in verschiedenen Kulturen unterschiedlich gehandhabte genitale Verstümmelung von Mädchen und Frauen bis hin zur teilweisen oder völligen Entfernung der äußeren Geschlechtsorgane.

Als Gründe für die Beschneidungen werden in der Regel religiöse, rituelle, kosmetische, hygienische oder ästhetische Argumente angeführt. Ein gesundheitlicher Nutzen der Beschneidung ohne Indikation wird von Medizinern verneint.

Die Beschneidung bei Kindern ohne oder unter dem Vorwand der medizinischen Indikation wird als gefährliche Körperverletzung eingeordnet. Kritiker stellen teilweise im Bezug auf das verletzte Rechtsgut Vergleiche zur weiblichen Genitalverstümmelung her. Bezüglich der Reichweite des Eingriffs und der medizinischen Folgen ist diese Einordnung jedoch nicht korrekt (siehe Weibliche Genitalverstümmelung).

Medizinische Indikation

Eine medizinische Indikation ist nahezu ausschließlich bei einer schweren Vorhautverengung, der sog. Phimose, gegeben, die jedoch im Kindesalter relativ selten auftritt. Beim Neugeborenen ist die Verklebung der Vorhaut mit der Eichel normal. Vorhautlösungen durch mechanisches Zurückziehen der noch nicht gelösten Vorhaut über die Eichel führen deshalb zwangsläufig zu Verletzungen der Epithelschicht an der Eichel beziehungsweise am inneren Vorhautblatt, mit möglicher Narbenbildung und daraus resultierenden späteren Komplikationen. In der Regel löst sich die Vorhautverklebung im Laufe des Kindesalters spontan und ohne äußeren Eingriff von selbst, zumeist schon in den ersten zwei oder drei Lebensjahren.

Unter der Verklebung sammeln sich zuweilen abgestoßene Hautzellen (Smegma), die zusammen mit eingedrungenen Keimen zu einer Vorhautentzündung führen können. Diese geht jedoch im allgemeinen bei ausreichender Hygiene rasch zurück. In Einzelfällen sehen Ärzte einen Bedarf zum Lösen der Verklebung nach Abklingen der Entzündung.

Eine absolute Indikation zur Zirkumzision besteht nur bei der echten Phimose und bei bestimmten chronisch-entzündlichen Erkrankungen der genitalen Schleimhäute, nämlich dem Lichen sclerosus et atrophicans, der Balanitis xerotica obliterans und nach ausgeprägten Balanopostitiden. Im Alter von 14 Jahren besteht bei lediglich einem Prozent der Jungen eine echte operationsbedürftige Phimose, die sich etwa darin manifestiert, dass sich beim Wasserlassen der Vorhautsack aufbläht und der Urinstrahl auffallend dünn fließt.

Eine relative Indikation kann bei nicht zurückziehbarer Vorhaut nach dem dritten Lebensjahr gesehen werden. Allerdings lässt sich hier auch durch die örtliche Anwendung hormoneller oder Corticoid-haltiger Salben die Vorhautlösung beschleunigen und damit eine ausreichende Therapie der kindlichen Phimose bei bis zu 90 Prozent dieser Kinder erreichen.

Umstrittene medizinische Begründungen und kulturelle Einflüsse

Es wird vermutet, dass es sich bei der Befürwortung der Beschneidung vor allem in den USA primär um eine kulturell bedingte Ansicht handelt, die die Beschneidung als gesünder und empfehlenswerter empfindet.

So gibt es Behauptungen, dass sich das Vorkommen von Portiokarzinomen (Zervixkarzinomen) (Krebs des Gebärmuttermundes bzw. Gebärmutterhalses) bei der Frau nach Geschlechtsverkehr mit unbeschnittenen Männern durch Übertragung von Smegma häufte. Dieser Zusammenhang wurden von Forschern als wissenschaftlich nicht plausibel verworfen.

Eine Studie der Agentur für Aids und Hepatitis (ANR) vom Juli 2005 ermittelte eine signifikant höhere Rate von HIV-Neuinfektionen bei Teilnehmern, deren Penis unbeschnitten blieb, wobei alle Teilnehmer zusätzlich Informationen über die Notwendigkeit der HIV-Vorbeugung mit Kondomen erhielten. Kritiker betonen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Beschneidung und vermindertem HIV-Infektionsrisiko noch nicht durch weitere Studien bestätigt wurde, die zwar bereits liefen, mit deren Ergebnissen jedoch frühestens 2007 zu rechnen sei.

Unabhängig davon sehen Mediziner keinen Anlass, aus den Resultaten der Studie eine Empfehlung zur Zirkumzision oder eine Rechtfertigung zur Beschneidung von Kindern ohne medizinische Indikation abzuleiten. Sie betonen weitererhin das Risiko von medizinischen Komplikationen, welches unvergleichbar höher sei als der vermutete Unterschied im HIV-Infektionsrisiko. Dies gelte insbesondere für rechtswidrige Beschneidungen von Kindern durch medizinische Laien, die im allgemeinen unter nicht sterilen Bedingungen durchgeführt würden. Schließlich machen sie darauf aufmerksam, dass selbst bei der Bestätigung der Studie nach wie vor Kondome den einzigen verlässlichen Schutz gegen eine HIV-Infektion bieten. Sie warnen, die falsche Schlussfolgerung, durch eine Zirkumzision in irgend einer Form geschützt zu sein, könnte beschnittene Männer möglicherweise zum Verzicht auf Kondome bewegen und damit die Rate von HIV-Infektionen sogar erhöhen.

Technik der Beschneidung

Beim Mann wird die Vorhaut teilweise oder vollständig entfernt oder (seltener) eingeschnitten. Dabei ist der Grad des Eingriffs unterschiedlich.

Zu biblischen Zeiten wurde lediglich die besonders empfindliche Spitze der Vorhaut entfernt. Heute wird oft die Vorhaut größtenteils oder sogar ganz entfernt. Wenn sowohl innere als auch äußere Vorhaut soweit entfernt werden, dass die Eichel immer, auch im nicht eregierten Zustand, frei liegt und nur noch ein Rest von ca. 10 mm innerer Vorhaut verbleibt, spricht man von einer radikalen Beschneidung.

Die Beschneidungsstile variieren gleichwohl in Hinsicht auf Straffheit und Platzierung der Narbe:

Nach der Platzierung der Beschneidungsnarbe unterscheidet man zwischen "low", also nah an der Eichel und "high", d.h. hoch am Schaft, also weiter entfernt von der Eichel. Bei einer Beschneidung "low" wird das innere Vorhautblatt nahezu vollständig entfernt. Nach der Straffheit der Schafthaut unterscheidet man zwischen "loose", so dass die Eichel im nicht eregierten Zustand noch teilweise bedeckt ist und "tight", wobei die Eichel immer frei liegt und die Schafthaut bei einer Erektion keinen Bewegungsspielraum mehr hat. Daraus ergeben sich die Beschneidungsstile "high & tight", "high & loose", "low & tight" und "low & loose".

Während in den USA vornehmlich "high & tight" beschnitten wird, ist im europäischen Raum eher ein "low & loose" Stil verbreitet.

In jedem Fall ist der Eingriff wie jede andere Operation mit Risiken, wie Blutungen und Entzündungen, verbunden und nicht völlig ungefährlich. In seltenen Fällen kann es zu irreparablen Verletzungen des Penis bis hin zur vollständigen Zerstörung des Organs kommen. Traurige Berühmtheit erlangte der Fall des Kanadiers David Reimer, der nach der Entfernung seines Geschlechtsteils infolge einer misslungenen Routinebeschneidung im Säuglingsalter in der Folge als Mädchen aufgezogen worden ist.HAHA Allein die Anzahl der Narkoseunfälle bei der Beschneidung von Babys in den USA wird auf mehrere hundert pro Jahr geschätzt. Eine genaue Zahl ist nicht verfügbar, da die Todesfälle als durch Arzneimittel bedingt eingeordnet werden und so nicht als Folge der Beschneidung in die Statistik eingehen.

In den USA wird der überwiegende Teil der Eingriffe mit der hierfür nur unzureichenden örtlichen Betäubung oder ganz ohne jegliche schmerzstillende Maßnahmen durchgeführt. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass das Baby hierdurch möglicherweise einen Schock erleidet, durch den es vorübergehend in einen komatösen Zustand fällt und der zu neurologischen Spätfolgen führen kann.

Bei der rituellen jüdischen Beschneidung wird der Eingriff von einem speziell ausgebildeten Kleriker, dem sogenannten Mohel, also einem medizinischen Laien, der allerdings eine mehrjährige Ausbildung durchlaufen hat, durchgeführt. Im Rahmen der Zeremonie zuhause, die als Brit Mila bezeichnet wird, kommt es gelegentlich ebenfalls zu Komplikationen, die tödlich enden können.

Folgen der Beschneidung

Beim Mann gehört die Vorhaut zu den empfindlichsten Stellen des Körpers, zudem ist das Frenulum besonders dicht mit Nervenenden besetzt und wird bei den üblichen Formen der Beschneidung meist beschädigt oder komplett entfernt.

Durch den ständigen Kontakt mit der Luft und dem Reiben an der Kleidung verliert die ungeschützte Eichel an Empfindlichkeit. Auf der vormaligen Schleimhaut bildet sich eine Keratinschicht, die mit der Zeit zu einer weiteren Desensibilisierung beiträgt. UV-Einstrahlung kann für das ungeschützte Organ gefährlich sein, wenn sie nicht durch Kleidung oder Sonnenschutzmittel abgeschwächt wird.

Die dorsale Vene (Vena dorsalis penis superficialis), die beim Mann an der Spitze der Vorhaut beginnt, wird bei der Beschneidung in jedem Fall durchtrennt und verästelt sich mit der Zeit neu. Dies ist nicht immer problemlos und kann Knoten entstehen lassen.

Manche beschnittene Männer fühlen sich bei der Masturbation eingeschränkt. Das gilt aber nicht für jeden, da eine Beeinträchtigung je nach Art und Umfang der Beschneidung sowohl objektiv wie subjektiv unterschiedlich erlebt wird. Besonders bei den radikaleren Beschneidungsvarianten kann die direkte Stimulation der trockenen Eichel mit der Hand als unangenehm bis schmerzhaft empfunden werden. In diesem Fall helfen Gleitmittel wie z.B.: Speichel, Gleitgel, Handcreme oder Body Lotion, Fett oder Öl. Diese Notwendigkeit kann spontaner sexueller Entfaltung entgegen stehen.

Beim Geschlechtsverkehr mit Partner/-in fehlt das natürliche Gleiten des Penis in seiner Schafthaut, die das Eindringen erschweren kann.

Andererseits kann der Verkehr für beide Partner lustvoller sein, weil aufgrund der Desensibilisierung nach einer Beschneidung meistens eine längere Stimulationsphase bis zum Erreichen des Höhepunktes benötigt wird. Außerdem gleitet der beschnittene Penis nicht mehr in seiner Schafthaut hin- und her, so dass ein direkterer Kontakt mit der Vagina mit entsprechend stärkerer Stimulation möglich ist. Durch das direkte Reiben an der Scheidenwand kann es aber, vor allem bei älteren Frauen, Probleme mit der Trockenheit der Scheide geben.

Im Alltag können sich störendes Reiben an der Kleidung (vor allem beim Tragen von Boxershorts) und die Ungeschütztheit des Harnröhrenendes bemerkbar machen. Dafür geht die tägliche Intimpflege häufig einfacher vonstatten.

Geschichte der Beschneidung

Frühgeschichte

Der Ursprung des Brauchs der Beschneidung liegt im Dunkeln.

Eine mythologische Erklärung kann in der Ablösung vom Menschenopfer gesehen werden. In vorgeschichtlicher Zeit wurden den Göttern, die besänftigt und milde gestimmt werden sollten, Menschen als Opfer dargebracht. Mit dem Fortschreiten in der Entwicklungsgeschichte opferte man schließlich nur noch etwas von dem Teil des Menschen, der für die Weitergabe des Lebens zuständig war und der vermeintlich sogar der Ursprungsort für neues Leben war und damit Gott bzw. den Göttern am nächsten stand. Dies war ein pars-pro-toto Opfer, das vermutlich als erster Abraham, mittels (einer heiligen) Axt vornahm.

Ein eher weltlicher Grund könnte auch die Bekämpfung von weit verbreiteten und nicht behandelbaren Geschlechtskrankheiten gewesen sein. Durch Krankheiten hervorgerufene Beeinträchtigungen und Schmerzen an den Genitalorganen, deren Ursachen sie nicht verstanden, mussten die damaligen Menschen zwangsläufig mit bösen Geistern, Dämonen oder dem Teufel in Verbindung gebracht haben. Um dem Bösen möglichst wenig Ansatzpunkte zu geben, entfernte man das betroffene Gewebe, zumal sich darunter ja Schlechtes (= Krankheitserregendes) verbergen konnte.

Vermutlich haben frühe Stammesgesellschaften die Beschneidung beider Geschlechter auch aus hygienischen Gründen eingeführt. Älteste Überlieferungen des Rituals deuten auf Volksgruppen, die in trockenen, wüstenähnlichen Regionen siedelten also eher Nomaden waren (insbesondere Nord- und Ostafrika sowie Australien), deren Nachkommen auch heute noch die Träger der religiösen Beschneidung sind.

Im weiteren Verlauf der Geschichte der Menschheit geriet der ursprüngliche Sinn der Beschneidung - welcher auch immer - in Vergessenheit und die Beschneidung wurde nur noch als Zeichen der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Glauben angesehen.

Die rituelle oder religiöse Beschneidung in der Pubertät stellt bei beiden Geschlechtern einen Initiationsritus dar. Der heranwachsende Mensch wird in die Gemeinschaft aufgenommen, indem er bewusst in eine Krisensituation gebracht wird, in der er sich bewähren und als vollwertiges Mitglied erweisen soll. Oft muss er dabei eine Reihe von schmerzhaften oder demütigenden Prüfungen ablegen.

Neben der Beschneidung der (männlichen) Vorhaut gibt es zahlreiche Formen der genitalen Verstümmelung, die im Rahmen derartiger Initiationsriten bei verschiedenen Naturvölkern auch heute noch praktiziert werden: Bei den Aborigines, den australischen Ureinwohnern, sowie auf mehreren Inseln des Westpazifischen Ozeans ist es Brauch, jungen Männern einige Wochen nach Entfernung der Vorhaut den Penis aufzuschlitzen, was eine vollständige oder partielle Spaltung der Harnröhre bewirkt, sog. Ariltha. In Indonesien werden den Jungen zu Beginn der Pubertät Bambus- oder Metallkugeln, so genannte Ampallangs, in den Penisschaft oder die Eichel eingesetzt.

Antike

Medizinhistoriker vermuten, dass bereits in der Antike die Beschneidung zur Kontrolle des Geschlechtslebens der Sklaven und der Unterschicht dienen sollte, ohne gleichzeitig die Fruchtbarkeit zu beeinflussen.

Die älteste bekannte Darstellung einer Beschneidung ist ein ägyptisches Relief aus dem Jahr 2420 v. Chr. (siehe Link).

Die Ägypter beschnitten ihre Sklaven, um sie herabzuwürdigen und als Sklaven kenntlich zu machen. Alle Nachkommen der Sklaven wurden ebenfalls beschnitten. Obwohl nach der Bibel die Beschneidung unter den Israeliten schon von ihrem Stammvater Abraham, der meist auf ca. 1.800-1.600 v.Chr. datiert wird, eingeführt wurde, gehen neuere Forschungen davon aus, dass erst unter Mose, also etwa 1.400-1.200 v. Chr. bzw. erst während der babylonischen Gefangenschaft um etwa 600 v. Chr. die Juden diese Praktik übernahmen und ritualisierten, so dass die Beschneidung von Neugeborenen ("milah"), die am 8. Tag nach der Geburt stattzufinden hat, zur Pflicht wurde.

Im frühen Christentum sprach sich dann vor allem Paulus von Tarsus, selbst ein beschnittener Judenchrist, für die neubekehrten Heidenchristen deutlich gegen eine Pflicht zur Beschneidung aus. Entscheidend war für ihn nicht die körperliche Beschneidung, sondern die bereits im Judentum zunehmend betonte "Beschneidung des Herzens", also der demütige Glaube. Wer glaube, durch körperliche Beschneidung heilig zu werden, sei auf einem Irrweg. Mit dem Ende des antiken Judenchristentums als eigener Strömung verschwand dann die Beschneidung im Christentum zunächst fast ganz, außer bei einigen orientalischen und afrikanischen Völkern, die die Beschneidung aus ihrem vorchristlichen Glauben übernommen hatten.

Islam

Der Prophet Mohammed kam laut einer Überlieferung ohne oder zumindest mit einer sehr kurzen Vorhaut zur Welt. Dem Brauch auf der arabischen Halbinsel zur Zeit Mohammeds entsprechend, wird die Beschneidung heute noch bei Moslems als ein Zeichen der Religionszugehörigkeit im Kindesalter durchgeführt. Die Beschneidung wird zwar im Koran nicht erwähnt, ist aber in der Sunna beschrieben und wird heute meist als zentraler Bestandteil des Islams angesehen, da sie für die rituelle Reinheit (Tahara) unverzichtbar ist. Die Gültigkeit ritueller Handlungen, wie etwas des fünfmal täglichen Gebets (Salat), hängt von der rituellen Reinheit des Betenden ab. Die islamischen Rechtschulen haben die männliche Beschneidung zur Pflicht (wadschib) erklärt.

Neuzeit

Rabbi Moses Maimonides hat bereits im Mittelalter einen weiteren Grund für die Beschneidung genannt: Die Geschlechtsorgane sollten so verletzt und geschwächt werden, dass sie zwar noch funktionieren, aber keine 'überschüssige' Lust mehr zulassen. Die Geschlechtsorgane bedürften keiner Perfektionierung, es gehe nicht um die Korrektur eines angeborenen, sondern eines moralischen Makels.

Diese sexualfeindliche Begründung für die Beschneidung wurde im 18. Jh. in Europa wieder entdeckt. So empfahl der Schweizer Arzt Dr. Samuel Tissot die Beschneidung als Kur für Masturbation, die er als Ursache für "jugendliche Rebellion" und Krankheiten wie Epilepsie, "Erweichung von Körper und Geist", Hysterie und Neurosen ansah.

Zu einer allgemeinen Einführung der Beschneidung kam es dennoch nicht, stattdessen wurden, neben der Methode der Infibulation, aus heutiger Sicht merkwürdige Apparaturen und Vorrichtungen zur Verhinderung der Masturbation propagiert.

Eine Ausnahme bildete lediglich das viktorianische England. Dort fand die chirurgische Methode vor allem bei der Oberklasse breite Zustimmung, um die Knaben und Mädchen zu "keuschem Verhalten" anzuhalten. Durch das britische Imperium (Commonwealth) verbreitete sich die Beschneidung schließlich auch in anderen Ländern, wie den USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika und Indien.

Besonders in den puritanischen USA erlebte die Beschneidung ab Mitte des 19. Jh. eine starke Verbreitung. Nach dem englischen Vorbild versuchte man bei beiden Geschlechtern das Verhindern der Masturbation u. a. durch die Beschneidung zu erreichen, da man ihr schädliche Folgen bis zum Tode zuschrieb und sie aus rein religiösen Gründen ablehnte.

Viele einflussreiche Mediziner in zahlreichen Publikationen äußerten sich für eine Beschneidung und empfahlen bei weiblichen Personen neben der Klitoridektomie etwa das Auftragen reiner Karbolsäure auf die Klitoris, als einen "hervorragenden Weg, um die abnormale Erregung zu dämpfen." Dr. John Harvey Kellogg, in: Plain Facts for Old and Young, Burlington, Iowa, F. Segner & Co., 1888, S. 295

Die Beschneidung der Mädchen wurde in den USA bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts praktiziert, fand aber nicht die gleiche Zustimmung wie die männl. Beschneidung, da die mit der Beschneidung beabsichtigte "Dämpfung der sexuellen Begierde" nach Ansicht der damaligen Zeitgenossen bei Mädchen in wesentlich geringerem Umfang erforderlich sei als bei Jungen.

Im 20. Jh. ließen sich derart radikale Forderungen nach sexueller Enthaltsamkeit in den meisten Ländern nicht mehr aufrecht erhalten und so wurde etwa in den USA, Südkorea und Teilen der islamischen Welt der Wunsch nach moralischer Reinheit umgeformt auf den Begriff der Hygiene. Die hier bei Jungen angeführten "hygienischen Gründe" halten jedoch einer sachlichen Betrachtung genau so wenig stand wie bei den Frauen in Afrika.

Kritik und Gegenbewegungen

Die Beschneidung von Jungen ist ein weniger großflächiger körperlicher Eingriff als die weibliche Genitalverstümmelung, aber dafür weiterverbreitete Praxis. In vielen Kulturen die die männliche Beschneidung praktizieren, gilt der Eingriff und das damit verbundene Ritual als Eintritt in das Erwachsenendasein und zur Heiratsfähigkeit. Nichtsdestotrotz stellt auch die Beschneidung von Jungen eine körperliche Versehrung dar, die sowohl starke Schmerzen, dauerhafte Schäden oder gar den Tod nach sich ziehen kann. So wird in Ländern der Dritten Welt, etwa in Afrika, Vorderasien und Indonesien oder bei den Aborigines in Australien die Beschneidung von Knaben oft nicht mit Betäubung und sterilisierten chirurgischen Instrumenten vorgenommen.

Die Beschneidung von Jungen ist in den meisten Ländern verboten und wird lediglich geduldet. Dagegen wenden sich in den USA inzwischen mehrere Gruppen und auch einzelne Betroffene mit teils prominenter anwaltlicher Hilfe, so dass diese Duldung dort langsam in Frage gestellt wird.

Hanny Lightfoot-Klein, ursprünglich eine der Vorkämpferinnen gegen die weibliche Beschneidung, ruft inzwischen dazu auf, das Thema als Ganzes zu sehen und die Verstümmelung beider Geschlechter als eng verwandt zu betrachten.

Eine therapeutische Notwendigkeit, die Vorhaut zu entfernen, wird inzwischen in den meisten Ländern mit hohem medizinischem Standard, wie etwa Norwegen, Frankreich, Schweden, Finnland, Dänemark, Japan und England bestritten.

In Großbritannien erschien 1949 im British Medical Journal die Abhandlung "The Fate of the Foreskin" von Dr. Douglas Gairdner, die zum ersten Mal die Funktionen der Vorhaut beschrieb und die routinemäße Beschneidung als überflüssig und nachteilig darstellte. Daraufhin lehnten die britischen Krankenkassen es ab, weiterhin für unnötige Beschneidungen zu zahlen. In der Folge sanken die Beschneidungsraten in Großbritannien innerhalb kurzer Zeit drastisch von ursprünglich 50 % im Jahre 1950 auf heute unter 0,5 %.

1996 ist in den Richtlinien der British Medical Association unter "Beschneidung männlicher Neugeborener" zu lesen: "Zu therapeutischen Zwecken eine Beschneidung vorzunehmen, obwohl die medizinische Forschung andere Techniken erbracht hat, die mindestens so effektiv und weniger einschneidend sind, wäre unangebracht und unethisch."

Auch in Kanada zahlen die Krankenkassen den für überflüssig erachteten Eingriff nicht mehr. Die Beschneidungsrate ist entsprechend stark gesunken.

In den USA lehnen seit den 1980er Jahren immer mehr Eltern die in den amerikanischen Krankenhäusern früher routinemäßig durchgeführten Beschneidungen ab. Gegenwärtig liegt der Anteil der Beschneidungen bei Neugeborenen, die auch heute noch überwiegend ohne Betäubung vorgenommen werden, in den USA im Durchschnitt um 65%, mit fallender Tendenz. Regional und durch die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ist die Situation in den USA jedoch besonders uneinheitlich; somit können auch gegenläufigen Strömungen und höhere Prozentangaben lokalisiert werden.

1999 sprach sich, nach dem kanadischen, auch der US-amerikanische Verband der Kinderärzte gegen die routinemäßige Beschneidung von Jungen aus.

Ende des gleichen Jahres hat das Parlament in Finnland eine Erklärung bezüglich ritueller Beschneidung abgegeben. Ombudsman Riitta-Leena Paunio bemerkte, dass diese Operation ohne medizinische Begründung nicht zu empfehlen ist, die betroffenen Kinder sollten vorher befragt werden und ihre Zustimmung dazu geben. Sie sagte, das finnische Parlament müsse die religiösen Rechte der Eltern abwägen gegen die Verpflichtung der Gesellschaft, ihre Kinder vor rituellen Operationen ohne unmittelbaren Vorteil für sie zu schützen. Dort ist seither die schriftliche Zustimmung beider Elternteile erforderlich.

Am 1. Oktober 2001 trat in Schweden - nach einer längeren öffentlichen Debatte wegen des Todes mehrerer Babys durch Beschneidungen - ein neues Gesetz in Kraft, das Beschneidungen ohne medizinische Begründung bei Jungen, die älter als 2 Monate sind, generell verbietet. Beschneidungen an jüngeren Babys dürfen nur noch unter Betäubung und in Anwesenheit eines Arztes vorgenommen werden. Schweden ist damit das erste Land der Welt, das rituelle Beschneidungen, die ohne Zustimmung der Betroffenen vorgenommen werden, per Gesetz ausdrücklich eingeschränkt hat.

Siehe auch

Brit Mila, Intactivism