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Hutgesetz

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Basisdaten
Titel: شابقه اکتساسی حقنده قانون
Şapka İktisası Hakkında Kanun
Kurztitel: Şapka Kanunu
Nummer: 671
Art: Gesetz
Geltungsbereich: Republik Türkei
Verabschiedungsdatum: 25. November 1925
Amtsblatt: Nr. 230 v. 28. November 1925, S. 691
(PDF-Datei; 287 KB)
Bitte beachte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung.

Das Hutgesetz (türkisch Şapka kanunu) aus dem Jahre 1925 gehört zu den Reform- oder Revolutionsgesetzen Atatürks und regelt verbindlich das Tragen von Hüten für die männliche Bevölkerung der Türkei. Das Geschehen wird auch als „Hutrevolution“ bezeichnet. Die Kleidungsreform folgte neun Jahre später. De jure ist das Gesetz noch in Kraft.

Rechtlicher Hintergrund

Atatürk mit Kalpak

Das Gesetz trägt die Nummer 671. Die vollständige Bezeichnung lautet „Gesetz über das Huttragen“ (Şapka İktisası Hakkında Kanun). Es wurde am 25. November 1925 von der Großen Nationalversammlung der Türkei verabschiedet und trat am 28. November mit Veröffentlichung in dem Amtsblatt der Türkei in Kraft. Der Gesetzestext lautet:

„Mitglieder der Großen Nationalversammlung der Türkei und Beamte und Angestellte der allgemeinen und speziellen Verwaltung und aller Institutionen müssen den Hut tragen, den die türkische Nation trägt. Die allgemeine Kopfbedeckung der Bevölkerung der Türkei ist der Hut und die Regierung verbietet das Fortdauern der Gewohnheiten, die diesem nicht entsprechen“

Art. 1 des Hutgesetzes[1]

Das Hutgesetz steht unter dem besonderen Schutz von Art. 174 der Türkischen Verfassung von 1982 und gehört zu den Reformschutzgesetzen.[2] Artikel 24 des Gesetzes Nr. 2949 vom 10. November 1983 bestimmt ebenfalls, dass es zu jenen Gesetzen, deren Verfassungswidrigkeit nicht behauptet werden darf, gehört.[3]

Gesellschaftlicher Hintergrund

Atatürk mit Panama-Hut

Eng verbunden mit dem Hutgesetz ist die Reise Atatürks nach Kastamonu drei Monate vor der Verabschiedung des Gesetzes. Bei dieser Reise trug er erstmals einen Panama-Hut anstelle des seit dem Unabhängigkeitskrieg üblichen Kalpak. Auf dieser Reise hielt er auch seine berühmte „Hutrede“ (şapka nutku) in İnebolu. Dort erklärte er:

„Freunde, es gibt keinen Spielraum dafür, die Kleidung Turans zu erforschen und wiederzubeleben. Eine zivilisierte und internationale Kleidung ist für uns wesentlich. Es ist eine würdige Kleidung für unsere Nation. Halbschuhe oder -stiefel an den Füßen, Hosen an den Beinen, Weste, Hemd, Krawatte, Hemdkragen, Jackett und selbstverständlich als Ergänzung dazu auf dem Kopf eine Kopfbedeckung mit Rand. Ich möchte dies sehr offen sagen: Diese Kopfbedeckung nennt man Hut. Wie ein Gehrock, ein Cutaway, ein Smoking oder ein Frack. Hier ist unser Hut. Es gibt Leute, die das für nicht erlaubt halten. Denen möchte ich sagen: Ihr seid ziemlich gedankenlos und unwissend, und ich möchte diejenigen fragen: Wenn es doch strebsam sei den von Griechen stammenden Fes zu tragen, warum sollte dies nicht für den Hut gelten [...]“

Hutrede Atatürks, İnebolu 1925

Das Gesetz führte zu einer großen Nachfrage nach Hüten, die zunächst aus Ungarn eingeführt wurden. In der Türkei entwickelte sich in der Folge auch der Beruf des Hutmachers (şapkacı).[4]

Proteste

Die Bevölkerung hatte die Abschaffung des Sultanats 1922 und des Kalifats 1924 gleichgültig aufgenommen. Die Hutrevolution, die das Leben der Menschen unmittelbar betraf, stieß auf Widerstand. Der Hut war ein Symbol des ungläubigen Abendlandes. Daher protestierten vor allem Muslime gegen die Vorschrift. Nureddin Pascha, genannt „der bärtige Nureddin“, ein bekannter General und Abgeordneter des Parlaments, wurde wegen seiner ablehnenden Haltung vom Parlament ausgeschlossen und vor Gericht gestellt.[5] In Sivas, Rize, Trabzon, Maraş und Erzurum kam es zu Demonstrationen und Unruhen, die gewaltsam unterdrückt wurden. Sondergerichte („Unabhängigkeitsgerichte“ – İstiklal Mahkemeleri) verurteilten Festgenommene zu Haftstrafen. Auch Todesstrafen wurden verhängt und vollstreckt. Zu den bekanntesten Opfern dieser Maßnahmen gehört der islamische Gelehrte Âtıf Hoca aus İskilip, dessen Fall verfilmt wurde. Ihm wurde insbesondere zum Verhängnis, dass er eineinhalb Jahre vor dem Hutgesetz eine Arbeit namens Frenk Mukallitliği ve Şapka („Die Nachahmung des Westens und der Hut“) publiziert hatte, in der er seine Leser davor warnte, durch ihre Kleidung den Westen zu imitieren. Die Todesstrafe gilt als Rechtsskandal, da zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Arbeit von Âtıf Hoca unbekannt war, dass es ein Hutgesetz geben würde. Das Verfahren versuchte Âtıf Hoca nachzuweisen, dass er seine Arbeit nach Verabschiedung des Hutgesetzes verteilt und somit das Volk zur Rebellion gegen dieses Gesetz angestachelt habe. Âtıf Hoca konnte der Vorwurf nicht nachgewiesen werden und so wurde er sogar freigesprochen. Kurz danach kam die Nachricht, dass es keinen Freispruch gegeben habe und das Verfahren in der Hauptstadt Ankara fortgeführt werden würde. Obwohl sogar der Staatsanwalt „nur“ eine dreijährige Haftstrafe für Âtıf Hoca verlangte, entschied sich der Richter Kel Ali (später: Ali Çetinkaya) überraschend für die Todesstrafe. Âtıf Hoca hatte es abgelehnt, sich am Tag der Entscheidung erneut zu verteidigen. Ali Çetinkaya war ein guter Freund Mustafa Kemals.

Bei den Kubilay-Ereignissen im Jahre 1930 forderten die Aufrührer unter anderem die Wiedereinführung des Fes.

Einzelnachweise

  1. Originalwortlaut des Gesetzes (türk.)
  2. Verfassungstext in deutscher Sprache (PDF-Datei; 658 kB)
  3. Originalwortlaut des Gesetzes (türk.)
  4. Klaus Kreiser: Kleines Türkei-Lexikon. München 1992, S. 138.
  5. Mehmet Mihri Özdogan: Nation und Symbol. Der Prozess der Nationalisierung am Beispiel der Türkei. Campus Verlag, 2008, S. 269.
  • Yasemin Doğaner The Law on Headdress and Regulations on Dressing in the Turkish Modernization[1] (PDF-Datei; 284 kB), Hacettepe-Universität, Institut für Geschichte der Grundsätze und Reformen Atatürks