Rose-Rosahl-Fall
Der in der Strafrechtswissenschaft intensiv diskutierte Rose-Rosahl-Fall beruht auf einer Entscheidung des preußischen Obertribunals von 1858, die in Goltdammer’s Archiv 7, S. 322, abgedruckt ist.
Sachverhalt
Der Holzhändler Rosahl aus Schiepzig versprach dem Arbeiter Rose, ihn reichlich zu belohnen, wenn er den Zimmermann Schliebe aus Lieskau erschösse. Rose legte sich daraufhin zwischen Lieskau und Schiepzig (nahe Halle) in den Hinterhalt, um dem Schliebe, den er genau kannte, aufzulauern. Während der Dämmerung sah er einen Menschen des Weges daherkommen. Diesen Menschen erschoß er, da er ihn für den Schliebe hielt. In Wirklichkeit war es der 17jährige Kantorssohn Harnisch.
Problematik
Fraglich ist zum einen, wie der Irrtum des unmittelbaren Täters Rose über die Person seines Opfers zu beurteilen ist, also ob er wegen Mord des Harnisch oder wegen fahrlässiger Tötung des Harnisch und versuchten Mordes an Schliebe zu bestrafen ist. Aus der Sicht des unmittelbaren Täters Rose handelt es sich um einen Irrtum über die Person des Opfers (lat. Error in persona). Das zweite Problem, für das der Rose-Rosahl-Fall prototypisch ist, liegt in den Auswirkungen des Irrtums des Täters (Rose) auf die Strafbarkeit des Anstifters (Rosahl). Denn es lässt sich argumentieren, aus dessen Sicht liege lediglich ein Fehlgehen des Tatmittels (lat. Aberratio ictus) vor.
Entscheidung des preußischen Obertribunals
Das preußische Gericht verurteilte Rose wegen Mordes an Harnisch. Der Irrtum über die Identität des Opfers (sog. Error in persona) schließe den Vorsatz nicht aus. Rosahl wurde wegen Anstiftung zum Mord an Harnisch verurteilt. Nach Auffassung des Obertribunals ist der "Error in persona" des Täters für den Anstifter ebenso unbeachtlich.
Heutige Beurteilung
Der Haupttäter (Rose) würde nach wie vor wegen Mordes bestraft werden. Die Beurteilung der Auswirkung des error in persona des Haupttäters für den Anstifter ist heute umstritten. Die einen verneinen den Vorsatz des Anstifters, da ein von seiner Vorstellung abweichender Kausalverlauf (so genannter aberratio ictus) vorliegt, andere entscheiden weiterhin wie seinerzeit das Obertribunal.
Der Bundesgerichtshof hatte die klassische Konstellation im Jahre 1990 zu entscheiden. Der Sachverhalt dieses so genannten Hoferbenfalls war:
- Der Angeklagte hatte sich entschlossen, Karl-Friedrich M. - seinen Sohn aus erster Ehe und Hoferben - zu töten. Es gelang ihm, den Mitangeklagten St. gegen das Versprechen einer Geldsumme für die Tötung zu gewinnen; er selbst fühlte sich als Vater außerstande, die Tat zu begehen. St. sollte Karl-Friedrich M. im Pferdestall töten, den dieser bei seiner Heimkehr regelmäßig durchquerte; das nähere Vorgehen war ihm überlassen. St. begab sich darauf am 25. November 1985 zum Hof des Angeklagten und in den Pferdestall. St. wartete sodann in dem Stall auf das Erscheinen des Opfers. Es war dunkel, eine gewisse Helligkeit wurde lediglich dadurch erzeugt, daß Schnee lag. Gegen 19.00 Uhr betrat Bernd Sch., ein Nachbar, den Hof und öffnete die Stalltür. Er ähnelte Karl-Friedrich M. in der Statur und führte in der Hand eine Tüte mit sich, wie dies auch M. zu tun pflegte. St. nahm deshalb an, Karl-Friedrich M. vor sich zu haben und erschoß den nichtsahnenden Sch. aus kurzer Entfernung.
Der 1. Strafsenat hat in seinem Urteil vom 25. Oktober 1990, Aktenzeichen 4 StR 371/90, BGHSt 37, 214, entschieden, dass der Irrtum des Täters über die Person des Tatopfers für den Anstifter unbeachtlich ist, es sei denn, daß die Verwechslung des Opfers durch den Täter außerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren liegt. Damit folgt die moderne Rechtsprechung im wesentlichen den im Fall Rose-Rosahl vorgezeichneten Linie des Preußischen Obertribunals, dessen Entscheidung der Bundesgerichtshof ausdrücklich anführt.
Literatur
- Matthias J. Maurer, Tristan Lang, Dörte Scheithauer: Der Rose-Rosahl-Fall. ISBN 3930195437
Siehe auch: Liste der Fallbeispiele in der Rechtswissenschaft.