Differentialgetriebe
Umlaufradträger = Käfig oder Korb
(äußeres Hypoidgetriebe dient zum Antrieb des treibenden Getriebeteils)
Das Differentialgetriebe (bzw. Differenzialgetriebe), auch Ausgleichsgetriebe oder kurz Differential (bzw. Differenzial) genannt, ist ein spezielles Planetengetriebe (Umlaufrädergetriebe).
Geschichte
Das Differential ist erstmals bei Leonardo da Vinci nachgewiesen. Das heute übliche Differentialgetriebe für Fahrzeuge wurde im Jahr 1827 von dem Franzosen Onésiphore Pecqueur erfunden.[1]. Differentiale mit Kronenrädern sind seit mindestens 1940 bekannt[2].
Anwendung
Am häufigsten wird das Differential als Achsdifferential im Automobil verwendet. Zweck des Differentials ist es, zwei Räder so anzutreiben, dass sie einerseits den Vortrieb ermöglichen und andererseits den Ausgleich unterschiedlicher Wege der Räder (insbesondere bei Kurvenfahrt) ermöglichen. Dazu wird Leistung des Motors über das Getriebe zum Differential geleitet und von diesem auf die beiden angetriebenen Räder so verteilt, dass diese sich unterschiedlich schnell drehen können.
Eine weitere Anwendung ist das Zentraldifferential in Allradfahrzeugen, wenn die Leistung auf zwei oder mehr angetriebene Achsen verteilt werden soll.
Aufbau und Wirkungsweise
Das Differentialgetriebe hat wie sein Grundtyp mit innenverzahntem Hohlrad (erstes Bild, unten) drei gleichachsige Wellen. Seine Besonderheit ist aber, dass die Standübersetzung in der Regel den Wert i0 = −1 hat. Als Standübersetzung wird das Übersetzungsverhältnis zwischen den beiden Zentralwellen bezeichnet, wenn der Umlaufradträger (Steg, Käfig oder Korb) festgehalten wird. Das Getriebe unterscheidet sich dann nicht vom sogenannten Standgetriebe, das keine umlaufenden Wellen hat. Mit i0 = −1 verteilt das Getriebe im Dreiwellenbetrieb die Abtriebsleistung vom Steg aus auf die beiden Zentralwellen mit je gleich großem Drehmoment. Weil die beiden Abtriebsräder gleich groß sind, ist der Getriebeaufbau symmetrisch (Bilder zwei bis vier, unten).
-
Umlaufrädergetriebe mit Hohlrad (innenverzahnt)
-
Kegelrad-Differentialgetriebe
-
Stirnrad-Differentialgetriebe
-
Schraubenrad-Differentialgetriebe
Das Kegelrad-Differentialgetriebe (zweites Bild, oben) hat am wenigsten Räder und wird am häufigsten angewendet. Bauformen mit größerer Räderzahl sind Stirnrad-Differentialgetriebe (drittes Bild, oben) und Schraubenrad-Differentialgetriebe (viertes Bild, oben), in denen die Umlaufräder jeweils als Paare enthalten sind.
In allen Bauformen ist der Umlaufradträger kastenförmig gestaltet und wird als Käfig oder Korb bezeichnet. Meistens ist er nicht mit einer Welle sondern mit einem Zahnrad, das ihn treibt, fest verbunden. Das entsprechende Getriebe kann verschieden sein (zum Beispiel einfach ein Stirnradgetriebe, zweites bis viertes Bild, oben), am häufigsten wird das dem Kegelradgetriebe verwandte Hypoidgetriebe verwendet (Bild in Einleitung).
-
Kegelrad-Differentialgetriebe: gleiche Drehzahlen von Differential-Korb und getriebenen Wellen
-
Kegelrad-Differentialgetriebe, eine getriebene Welle still stehend, die andere doppelt schnell drehend
Aufbau und Wirkungsweise eines Kegelrad-Differentialgetriebes
Im Inneren des Korbs ist das Getriebe symmetrisch: Rechts und links befindet sich je ein mit den getriebenen Wellen verbundenes Kegelrad. Über den Umfang trägt der Korb mehrere, mit den getriebenen Kegelrädern kämmende Kegelräder (meistens drei, von denen in den Bildern links nur eins gezeichnet ist).
Bei Kraftfahrzeugen führen die getriebenen Wellen zu den Laufrädern. Beide Räder sind mit gleich großem Drehmoment getrieben, auch wenn sie sich – wie bei Kurvenfahrt – ungleich schnell drehen. Bei gleich schnellem Drehen verursachen die Kegelräder keinen Leistungsverlust und keinen Verschleiß, da sie sich untereinander nicht bewegen. Bleibt eines der Räder ganz stehen, so dreht das andere doppelt schnell (bei gleicher Drehzahl des Korbs, zweites Bild links). Dieser Fall kann auch bei Geradeausfahrt auftreten, nämlich dann, wenn eins der beiden Räder die Haftreibung mit dem Boden verliert. Dieses Rad dreht dann „durch”, es überträgt kein vorwärts treibendes Drehmoment mehr, und das Fahrzeug bleibt stehen. Solchen Fahrweganforderungen (Matsch, Schnee und ähnliches) lässt sich mit einem sogenannten Sperrdifferential begegnen: Die ausgleichende Wirkung eines gewöhnlichen Differentialgetriebes wird komplett oder zum Teil unterbunden. Bei Teilunterbindung wird jedes Rad immer mit einem Teil-Drehmoment angetrieben, so dass das auf „fester“ Fahrbahn verbliebene Rad für weiteres Vorankommen sorgt.
Der in Actionfilmen beliebte Stunt, ein Auto während der Fahrt auf zwei Rädern zu balancieren, funktioniert mit normalem Differentialgetriebe nicht. Das sich in der Luft befindende Antriebsrad macht das andere gleich wirkungslos als wäre es auf glattem Boden.[3]
Varianten im Automobil

Achsdifferential
Wird das Differentialgetriebe an der Achse eines Kraftfahrzeugs verwendet, dann wird es als Achsdifferential bezeichnet und sorgt für den Ausgleich der Drehzahlen zwischen den beiden Laufrädern. In diesem Falle ist die Standübersetzung stets i0 = −1 . Wenn man den Differentialkorb festhält (z. B. durch Einlegen eines Ganges bei stillstehendem Motor), die Räder anhebt und an einem der Laufräder dreht, dann dreht sich das andere mit der gleichen Drehzahl, aber in entgegengesetzter Richtung.
Zentral- oder Längsdifferential
Bei Fahrzeugen, bei denen alle Räder angetrieben werden (Allradantrieb), sind weitere Verteilergetriebe erforderlich: zunächst je ein Achsdifferential je weitere getriebene Achse, außerdem Zentral- oder Längsdifferentiale zur Verteilung des Motorantriebs auf mehrere Achsen. Ein Fahrzeug mit Vierradantrieb hat zwei Achsdifferentiale und ein Zentraldifferential.
Zentraldifferentiale können wie Achsdifferentiale eine Standübersetzung von i0 = −1 haben. Ihre Momentenaufteilung zwischen den Achsen ist 1:1 oder 50 % zu 50 %.
Es werden aber auch Zentraldifferentiale mit von 1:1 abweichender Standübersetzung gebaut. Die hintere Achse erhält oft ein höheres Antriebsmoment als die vordere, was beim Beschleunigen und in Steigungen ein Vorteil ist. Die Verteilung ist zum Beispiel 65 % zu 35 %. Ein solches unsymmetrisch wirkendes Differential ist auch unsymmetrisch gebaut wie zum Beispiel das Umlaufrädergetriebe mit Hohlrad (obige Bildreihe: erstes Bild; angetrieben ist der Steg).
Kinematik
Die Drehzahl-Grundgleichung (Willis-Gleichung)
der Umlaufrädergetriebe vereinfacht sich mit der Standübersetzung zu
- .
Das bedeutet, dass in jedem Betriebszustand die Summe der Drehzahlen der beiden Laufräder (Index 1 und 2) gleich der doppelten Drehzahl des Differentialkorbs (Index S) ist, oder dass die Drehzahl des Korbs der arithmetische Mittelwert der Laufraddrehzahlen ist.
Siehe auch
- Kegeldifferential
- Kompasswagen als historische Anwendung
- Kugeldifferential
- Schneidetisch
- Sperrdifferential
- Synchrodrive
- Torsen-Ausgleichsgetriebe
- Transaxle
Weblinks
- www.ArsTechnica.de Sperrdifferentiale, Animationen, Beschreibungen verschiedener Differentialausführungen
- www.howstuffworks.com Animation des offenen Differentials (benötigt Flash-Plug-in; 105 kB)
- Historischer US-Lehrfilm zur Funktionsweise eines Differentials (benötigt Flash-Plug-in)
- Das Ausgleichgetriebe im Einsatz
Einzelnachweise
- ↑ Encyclopedia Britannica online: differential gear
- ↑ Siehe insbesondere Fig. 3 und Anspruch 1 in US Patent US2270567A vom 13.04.1940 "Differential mechanism" von George Slider, Chrysler Corp.
- ↑ http://www.wdr.de/tv/kopfball/sendungsbeitraege/2009/1101/autostunt.jsp