Jürgen Schneider (Bauunternehmer)
Jürgen Schneider (* 30. April 1934 in Frankfurt am Main) ist ein ehemaliger deutscher Bauunternehmer, der nach einer aufsehenerregenden Milliardenpleite im Jahre 1994 zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Zuvor hatte er sich vor allem durch die aufwendige Sanierung historischer Immobilien in Frankfurt, München, Leipzig und Berlin einen Namen gemacht.
Der Aufstieg

Jürgen Schneider, Sohn eines mittelständischen Bauunternehmers, lernte zunächst Maurer und studierte anschließend Bauingenieurwesen in Darmstadt. Später promovierte er im Fach Staatswissenschaften an der Universität Graz. Seit 1963 arbeitete er in der Firma seines Vaters, die er später übernehmen sollte. Doch 1982 schied er aufgrund von Streitigkeiten mit seinem Vater aus der Firma aus. In der Folge soll der Vater die ihm bekannten Banken aufgefordert haben, seinem Sohn kein Geld zu leihen.
Doch diese Bitte blieb offenbar erfolglos, denn Schneider gelang in den folgenden Jahren der Einstieg in das Immobiliengeschäft großen Stils. Anfang der 1990er Jahre galt Schneider als erfolgreicher Investor. Aus der denkmalgeschützten Firmenzentrale, der prunkvoll restaurierten Villa Andreae in Königstein im Taunus, regierte er sein milliardenschweres Imperium aus über 150 Immobilien.

Zu dieser Zeit war Schneider hoch geschätzt - nicht zuletzt, weil er sich in erster Linie historischen Immobilien in großen Innenstädten widmete, die er aufwendig restaurieren ließ. Allein in Leipzig investierte er in 15 wertvolle Baudenkmäler wie die legendäre Leipziger Mädler-Passage und Barthels Hof. Finanziert wurden die teuren Vorzeigeprojekte von verschiedenen Banken, die sich von Schneider blenden ließen und ihm großzügig Kredite gaben.
Lug und Betrug
Durch sein erstes, erfolgreich saniertes und mit erheblichem Gewinn weiterveräußertes Grossprojekt kam der Baulöwe auf die Idee, weitere Sahnestücke in Top-Lagen deutscher Großstädte aufzukaufen, zu sanieren und zu vermarkten. Mangels genug Eigenkapital waren ihm die riesigen Investitionen nur durch Kreditaufnahme bei zahlreiche Banken möglich. Immer neue Vorhaben kamen hinzu. Die Mieteinnahmen blieben stets deutlich hinter den Prognosen zurück - zum Einen wegen zu optimistischer Markteinschätzung und zum Anderen wegen überzogener Flächenangaben und Mietprognosen. Hinzu kam das Stagnieren und der Verfall der Immobilienpreise. Was Schneider nicht bedachte, aber sein Verteidiger auf den Punkt brachte: Es war ein Imperium der Hoffnungswerte, das nur zu funktionieren schien, solange Expansion möglich war. Weil seine Projekte fast ausnahmslos unrentabel und durch die Wende auf dem im Gefolge der Wiedervereinigung überhitzten Immobilienmarkt kaum verkäuflich waren, benötigte Schneider immer größere Kredite, um die Verluste aus seinen Investitionen aufzufangen. Der eigentliche Skandal an der Schneider-Affäre war aber der fahrlässige Umgang der Banken bei der Vergabe von Krediten. Zu verlockend war der Grosskunde Schneider und zu gross der Futterneid gegenüber anderen Banken. Pikant: Auf die Idee zur Schönung von Zahlen zugunsten eines höheren Kreditbetrages soll ihn ausgerechnet ein Mitarbeiter der Hypotheken-Tochtergesellschaft der Deutschen Bank soll ihn gebracht haben, nämlich den Beleihungswert eines Objektes (das Goldene Kreuz in Baden-Baden) durch geschönte Angaben zu steigern. Schneider bekam den Kredit und fand offenbar Gefallen an der Ausnutzung der offensichtlichen Nachlässigkeit der Kreditinstitute bei der Überprüfung seiner Angaben.
Schneiders Aufstieg und Fall wurde ein eigenes Kapitel in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Seine Unverfrorenheit im Umgang mit seinen Geldgebern wurde legendär. Erschütternd und faszinierend zugleich führte er vor, wie es möglich war, systematische Schwächen des Bankensektors wie mangelnden Immobilien-Sachverstand, bankinternes Kompetenzgerangel, Neid und Missgunst gegenüber den Wettbewerbern und letzlich Arroganz der Chefetagen zu seinem Vorteil auzunutzen. So mancher fühlte sich dabei an Figuren wie den Hauptmann von Köpenick und den braven Soldaten Schweijk erinnert. Mitleid mit den Banken hatte kaum jemand - und musste es auch nicht haben.
Ein Beispiil: Bei einem Kredit für den Neubau der Zeilgalerie, einem großen Geschäftsgebäude auf der Frankfurter Zeil, erhöhte Schneider die tatsächliche Nutzfläche von 9.000 Quadratmetern in den Unterlagen auf angebliche 22.000. Den Mitarbeitern der Deutschen Bank war bei der Überpüfung offenbar entgangen, dass auf dem Bauschild (unweit ihrer Zentrale) die Nutzfläche korrekt mit 9.000 Quadratmetern angegeben war. Auch ihren Münchener Kollegen gegenüber dem Bernheimer Palais fiel offenbar nicht auf, dass zwei Stockwerke und damit einige Tausend Quadratmeter fehlten.
Der große Knall
Ende Februar 1994 erschien ein kritischer Artikel über Probleme mit Mietern der Schneider-Immobilien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Schneider begann an der Standhaftigkeit seines Lügengebäudes zu zweifeln. Er informierte Anfang April seinen Hauptkreditgeber Deutsche Bank über die drohende Zahlungsunfähigkeit und tauchte anschließend mit seiner Frau Claudia unter. Die Bombe war geplatzt. Während die Schneiders mit internationalem Haftbefehl gesucht wurden, begann am 14. April 1994 mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor dem Königsteiner Amtsgericht die Aufnahme des entstandenen Schadens.
Schneiders Bankschulden beliefen sich auf über 5 Milliarden D-Mark, knapp ein Viertel davon hatte ihm die Deutsche Bank gegeben. Deren damaliger Vorstandssprecher Hilmar Kopper bezeichnete auf einer Pressekonferenz die Summe der offenen Handwerker-Rechnungen (etwa 50 Millionen Mark) im Vergleich dazu als Peanuts. Diese Äußerung hat das Ansehen der Deutschen Bank, der ein Mitverschulden an der Milliardenpleite vorgeworfen wurde, stark beschädigt. Peanuts wurde in der Folge das Unwort des Jahres 1994.
Flucht
Schneider tauchte erst wesentlich später wieder auf. Die internationale Fahndung endete erst am 17. Mai 1995, als Jürgen und Claudia Schneider in Miami, Florida festgenommen wurden. Jürgen Schneider verbrachte die Zeit bis zu seinem Prozess zunächst in US-amerikanischer und nach der Auslieferung im Februar 1996 in deutscher Untersuchungshaft.
Der Prozess
Am 30. Juni 1997 begann der spektakulärste Wirtschaftsprozess, den Deutschland bisher erlebt hat. Als Zeugen wurden Vertreter von über 50 Banken vor das Frankfurter Landgericht geladen. Im Verlaufe des Prozesses, der 41 Verhandlungstage dauerte, stellte Richter Heinrich Gehrke auch eine Mitschuld der Banken an der Milliardenpleite fest - in erster Linie, weil die Mitarbeiter der Kreditabteilungen die falschen Angaben ungeprüft akzeptierten, obwohl ihnen in mehreren Fällen sogar bankinterne Warnungen vorlagen. Auch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen hat festgestellt, dass allein die Deutsche Bank in 15 Fällen gegen Vorschriften des Kreditwesens- und Hypothekenbankgesetzes verstoßen habe.
Diese Mitschuld der Kreditinstitute war es, die Schneider am 23. Dezember 1997 eine angesichts der Schadenshöhe relativ milde Strafe von sechs Jahren und neun Monaten einbrachte. Eine strafrechtliche Verfolgung von Mitarbeitern der am Skandal beteiligten Banken fand nicht statt. Doch insbesondere die Deutsche Bank hatte für Monate mit schweren Image-Problemen zu kämpfen.
Das Leben danach
Nachdem Schneider im Dezember 1999 aus der Haft entlassen wurde (unter Anrechnung der Untersuchungshaft verbüßte er zwei Drittel der Haftstrafe), ging er unter die Autoren. Unter Mitarbeit des Ghostwriters Ulf Mailänder veröffentlichte er drei Bücher, darunter die Autobiographie Bekenntnisse eines Baulöwen sowie eine Übersicht über seine Immobilien unter dem Titel Alle meine Häuser. Moderne Denkmale in Deutschland. Die Einnahmen sollen in den von Schneider eingerichteten Hilfsfond zur Unterstützung von der Pleite geschädigter Handwerker fließen.
Noch während des Gefängnisaufenthalts gerät der angeblich geläuterte Schneider in die nächsten Schwierigkeiten. Es geht um das Erbe des 1998 verstorbenen Vaters Richard Schneider, das die Geschwister, zu einem Drittel auch Jürgen Schneiders Kinder Ysabel und Nicolai erhielten. Hier geht es um die Vorwürfe der Steuerhinterziehung, die noch nicht abgeschlossen sind.
Negative und positive Stimmen
Nicht nur in bankenkritischen Kreisen gilt Jürgen Schneider als moderner Robin Hood. Vor allem große Teile der Leipziger Bevölkerung sind ihm bis heute für die Sanierung zahlreicher historischer Bauten dankbar, die ohne Schneiders illegale Geschäftspraktiken wohl kaum möglich gewesen wäre.
Die Bedeutung Schneiders für die Entwicklung der Leipziger Innenstadt drückt sich auch in speziellen Stadtführungen der besonderen Art aus, in deren Mittelpunkt die kulturhistorisch bedeutenden ehemaligen Schneider-Gebäude stehen.
Andererseits wurden zahlreiche Handwerker durch seinen Konkurs geschädigt und in der Existenz gefährdet, während die von ihm sanierten Top-Objekte vermutlich auch ohne ihn instandgesetzt worden wären.
Siehe auch
Literatur
- Marc Frey: Die Akte Schneider, Piper, München 1996, ISBN 3492038832
- Udo Frank, Beate Thorn: Paläste, Pleiten, Peanuts. Der Banken-Skandal Schneider., Hoffmann u. C., 1996, ISBN 3455111807
- Jürgen Schneider: Bekenntnisse eines Baulöwen, Ullstein, 1999, ISBN 3898340058
- Jürgen Schneider: Alle meine Häuser. Moderne Denkmale in Deutschland., Vaw, B.H. 2000, ISBN 3932366107
- Jürgen Schneider: Top oder Flop - Was gute Geschäfte von schlechten unterscheidet, Eichborn, 2001, ISBN 3821816473
Weblinks
- Vorlage:PND
- Die satirische Verfilmung des Falles Schneider bei IMDB: "Peanuts - Die Bank zahlt alles (1996)"
Personendaten | |
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NAME | Schneider, Jürgen |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Bauunternehmer und Pleitier |
GEBURTSDATUM | 30. April 1934 |
GEBURTSORT | Frankfurt am Main |