Zum Inhalt springen

Sequenz (Musik)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 7. Februar 2013 um 18:03 Uhr durch Balliballi (Diskussion | Beiträge) (Zwischen Organistenzwirn und Schusterfleck differenziert. Ist nicht das Gleiche! (Der Artikel Rosalie (Musik) ist fehlerhaft.)). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Melodisch-figurative Sequenz in Chopins Etüde op. 10,4

Der Begriff Sequenz (lat. sequentia, „Folge“) bezeichnet in der musikalischen Satzlehre eine Folge von gleichartigen musikalischen Abschnitten auf verschiedenen Tonstufen. Jede Sequenz beginnt mit einem (melodischen und/oder harmonischen) Sequenzmodell (kurz Modell), dem anschließend Sequenzierungen folgen, indem das Modell wörtlich oder leicht variiert auf anderen Stufen wiederholt (sequenziert) wird. Das Modell und die Sequenzierungen nennt man auch Sequenzglieder. Eine n-gliedrige Sequenz besteht also aus dem Modell und n – 1 Sequenzierungen.

Üblicherweise spricht man von einer Sequenz im eigentlichen Sinne erst dann, wenn das Modell mindestens zweimal sequenziert wird. Eine durch nur einmalige Sequenzierung entstehende zweigliedrige Sequenz nennt man auch Halbsequenz oder einfach Versetzung. Bei Sequenzen mit mehr als vier Gliedern besteht die Gefahr einer monotonen und fantasielosen Wirkung, so dass solche manchmal verächtlich als Organistenzwirn bezeichnet werden. Die ebenfalls abfälligen Bezeichnungen Schusterfleck oder Rosalie beziehen sich auf ein seit 1750 als abgedroschen geltendes Sequenzmuster.

Sequenzarten

fallende diatonische und akkordische Sequenz:
J.S. Bach, Violinkonzert E-Dur, BWV 1042, 1. Satz
steigende chromatische Sequenz:
Franz Schubert, Impromptu Es-Dur op. 90,2

Die Vielfalt der möglichen Erscheinungsformen lässt folgende Unterscheidungen zu:

  • nach Art des Sequenzmodells: melodische (motivische oder figurative) oder harmonische Sequenzen, wobei beide auch häufig in Kombination auftreten,
  • nach Richtung der Versetzung: steigende oder fallende Sequenzen,
  • nach dem jeweiligen Prinzip der Versetzung: diatonische (in den natürlichen Stufen der Tonart fortschreitende), chromatische (in Halbtonschritten vorrückende) oder akkordische (innerhalb einer Harmonie versetzte) Sequenzen,
  • nach dem Intervall der Versetzung: Sekund-, Terz-, seltener auch Quart- und Quint-Sequenzen,
  • nach dem Verhältnis zur Tonart: tonale (nicht modulierende) und reale (modulierende) Sequenzen.

Tonale und reale Sequenz

  • Bei der tonalen Sequenz wird innerhalb der Tonart sequenziert, so dass die Intervalle des musikalischen Abschnitts (kleine/große Sekunden; kleine/große Terzen) sich ändern können.
  • Bei der realen Sequenz werden alle Intervalle der musikaliscnen Gestalt identisch verrückt, wobei sich die Tonart ändert.

Beispiel für eine tonale Sequenz

Johann Sebastian Bach, Fuge G-Dur BWV 860, Takt 17-19. Play/?

Das Beispiel zeigt die Sequenz im Zwischenspiel einer Fuge. Motivisch gesehen handelt es sich in allen drei Stimmen um eine tonale Sequenz, die in Sekundschritten abwärts führt. Jeder Takt stellt ein Sequenzglied dar. Die eingekreisten Töne der Bassstimme bilden eine Quintfallsequenz.

Beispiel für eine reale Sequenz

Chopin: aus Nocturne op 37,2, Takt 129 ff   anhören/?

Im nebenstehenden Beispiel wird ein musikalischer Abschnitt („Sequenzglied“) dreimal intervallgetreu im Abstand einer kleinen Terz aufwärts wiederholt („sequenziert“), so dass eine insgesamt viergliedrige Sequenz entsteht. Dabei findet eine „schweifende“ Modulation statt, wobei die rot markierten Töne im Bass (nahezu) den gesamten Quintenzirkel abwärts durchschreiten.

Quint- und Quartfallsequenz

Quint- und Quartfallsequenz sind zwei gängige Sequenztypen, die oft auch unter dem Oberbegriff Quintschrittsequenz zusammengefasst werden. (Die ebenfalls denkbare Bezeichnung Quartschrittsequenz verhält sich zur Quintschrittsequenz ähnlich komplementär wie der Quartenzirkel zum Quintenzirkel.)

  • Unter Quintfallsequenz versteht man eine Akkordfolge, deren Grundtöne in Quint-Schritten abwärts gehen. Da ein Quintschritt abwärts gleichbedeutend mit einem Quartschritt aufwärts ist, lässt man in der Regel diese beiden Schritte im Wechsel erfolgen, wobei sich insgesamt eine stufenweise Abwärtsbewegung ergibt.
  • Bei der Quartfallsequenz gehen die Akkordgrundtöne in Quarten abwärts bzw. in Quinten aufwärts. Man könnte sie auch Quintstiegsequenz nennen, doch ist diese Bezeichnung eher ungebräuchlich, wenn auch nicht ganz so exotisch wie die Bezeichnung Quartstiegsequenz anstelle von Quintfallsequenz. Lässt man auch hier Quartfälle mit Quintanstiegen wechseln, ergibt sich insgesamt eine stufenweise Aufwärtsbewegung.

Häufig, aber nicht ausnahmslos, erscheinen die Akkordgrundtöne in der Bassstimme. Man muss auch hier zwischen realen und tonalen Sequenzen unterscheiden. Tonale Quint/quartfallsequenzen spielen sich innerhalb einer Tonart ab, was nur möglich ist, wenn neben reinen Quint- oder Quartschritten auch Tritonusschritte geduldet werden.

Beispiele für Quintfallsequenzen

tonale Quintfallsequenz
aus Schuberts Es-Dur-Impromptu op. 90,2


Klangbeispiel Quintfallsequenz a-Moll/?

Im obigen Beispiel ist jeder Ton der Tonleiter einmal Grundton eines Akkords. Zwischen dem 5. und 6. Basston erfolgt ein verminderter Quintschritt.

Das Literaturbeispiel (es-Moll-Passage aus Franz Schuberts Es-Dur-Impromptu op. 92,2) entspricht in seinem harmonischen Ablauf exakt dem obigen Schulbeispiel. Einzige Unterschiede sind die andere Tonart (es-Moll) und die Ersetzung der Quintschritte abwärts durch Quartschritte aufwärts. Es ergibt sich eine insgesamt 4-gliedrige in Sekundschritten diatonisch absteigende Sequenz, deren Glieder durch rote Klammern gekennzeichnet sind. (Am Rande sei vermerkt, dass die Strenge der Sequenzierung dadurch ein wenig eingeschränkt ist, dass das erste Sequenzglied mit einer aufsteigenden Terz, alle andern jedoch mit einer aufsteigenden, teils verminderten Quinte beginnen.) Die blauen Klammern markieren eine weitere 2-gliedrige Sequenz, die mit der ersten verzahnt ist. Ein Vergleich beider Sequenzen verdeutlicht den Unterschied zwischen einer Quintfallsequenz und einer Quintsequenz (bzw. hier zwischen deren äquivalenten Gegenstücken: Quartstiegsequenz und Quartsequenz): Die „rote“ Quartstiegsequenz besteht aus Gliedern, die jeweils einen Quartschritt der Harmoniegrundtöne enthalten, selbst aber in Sekundschritten abwärts sequenziert werden. Es handelt sich also nicht um eine „Quartsequenz“, sondern um eine diatonische oder auch Sekundsequenz. Bei der „blauen“ Sequenz liegt jedoch eine echte Quartsequenz vor, weil das eintaktige Sequenzglied mit allen Stimmen um eine Quarte versetzt wird.


Klangbeispiel Quintfallsequenz C-Dur/?

Das obige Beispiel hat vierzehn Schritte, da es den Oktavraum zweimal abschreitet. Hier erfolgt zwischen dem 2. und 3. Basston ein übermäßiger Quart- und zwischen dem 9. und 10. Basston ein verminderter Quintschritt. Diese Tritonusschritte lassen sich vermeiden, wenn man abwechselnd Dreikänge in Grundstellung und als Sextakkorde notiert: anhören/?

Beim Dreiklang der VII. Stufe (3. und 10. Akkord) wird der Leitton verdoppelt, was normalerweise „verboten“ und nur in Sequenzen wie der vorliegenden ausnahmsweise erlaubt ist. [1]

reale Quintfallsequenz

anhören/?

Hier werden ausschließlich reine Quintschritte ab- und Quartschrtte aufwärts verwendet. Es findet ein moduliernder Rundgang durch den Quintenzirkel abwärts statt. (Im 4. Takt wird Ges-Dur enharmonisch in Fis-Dur umgedeutet.)

Beispiele für Quartfallsequenzen

Bei den folgenden Klangbeispielen handelt es sich um rückwärts gespielte Versionen der beiden letzten obigen Beispiele. Tonale Quartfallsequenz in C-Dur/?

Reale Quartfallsequenz: von C-Dur ausgehende Modulation durch den Quintenzirkel aufwärts/?

Anwendungen

Quintschritt- und insbesondere Quintfallsequenzen trifft man in der Musikliteratur seit mehr als 300 Jahren immer wieder an. Als besonders erfolgreiches Mittel zur Modulation oder zur Durchwanderung einer bestimmten Tonart findet man sie in allen Zeiten und Epochen wieder. Thematisiert wurde sie deutlich von Simon Sechter (1788- 1867), dem Lehrer Franz Schuberts. Deshalb spricht man bei den Quintfallsequenzen auch von der "Sechter-Sequenz".

Besonders häufig hörbar sind sie in der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, in Barock und Klassik. Vor allem im Barock werden fast sämtliche Modulationen über Quintfallsequenzen vorgenommen. Besonders ausgedehnte Quintfallsequenzen begegnet man in den Kompositionen von Claudio Monteverdi und Heinrich Schütz.[2] Modulierende Beispiele finden sich in fast sämtlichen Werken von Johann Sebastian Bach. Der charakteristische Bass bleibt nur bei den grundstelligen Sequenzformen erhalten.

Quintfallsequenzen sind ein prägendes Element auch in der Jazz-Harmonik und finden sich in vielen Jazz-Standards wieder, wie beispielsweise "Autumn Leaves" und "Fly me to the moon" sowie in Rock- und Popmusik, beispielsweise in "Still Got The Blues" von Gary Moore und "I Will Survive" von Gloria Gaynor (Akkordfolge für beide d - G - Cj7 - Fj7 - h b5 - E 7 - a), oder bei Santana in "Europa" (f - Bb - Ebj7 - Abj7 ...). Taizé-Lieder mit Quintfallsequenzen sind "Nada te turbe" und "Miserere domini". Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus Liedern und Songs aller Gattungen seit dem Barock. In dem Jazz-Standard "Fly me to the moon" findet sich die Quintfallsequenz mit Septakkorden, hier in der Tonart a-Moll, gleich zum Beginn. (Vgl. erstes Notenbeispiel mit Akkordsymbolen)

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Heinrich Lemacher, Hermann Schroeder: Harmonielehre. 3. Auflage. Musikverlag Hans Gerig, Köln 1958, S. 76.
  2. Gerald Drebes: ‘‘Schütz, Monteverdi und die „Vollkommenheit der Musik“ – „Es steh Gott auf“ aus den „Symphoniae sacrae“ II (1647)‘‘. In: ‘‘Schütz-Jahrbuch‘‘, Jg. 14, 1992, S. 25-55, spez. S. 40 und 49, online: [1]

Literatur

  • Willibald Gurlitt, Hans Heinrich Eggebrecht (Hrsg.):: Riemann Musik Lexikon (Sachteil). B.Schott’s Söhne, Mainz invalid format, S. 865 f.
  • Marc Honegger, Günther Massenkeil (Hrsg.):: Das große Lexikon der Musik, Band 7. Herder, Freiburg im Breisgau 1987, ISBN 3-451-20948-9, S. 335 f.
  • Wulf Arlt: Satzlehre und ästhetische Erfahrung. In: Angelika Moths, Markus Jans, John MacKeown, Balz Trümpy (Hrsg.): Musiktheorie an ihren Grenzen: Neue und Alte Musik. Peter Lang, Bern 2009, ISBN 978-3-03910-575-8. S. 47–66.
  • Thomas Enselein Der Kontrapunkt im Intrumentalwerk von Joseph Haydn, ISBN 3936655596 Seite 136, Überschrift Kontrapunktisch gestaltete in Hydens Spätwerk, „In gleicher Weise bilden auch die 7-6-Terzfall- Quintfall-Sequenz und die Sekundfall-Quintfall-Sequenz Varianten...“
  • Jochen Schulte: Analyse der Skalen "Theorie" auf Basis der Pöhlertschen Grundlagenharmonik, Werner Pöhlert, 1988, ISBN 392172936X, Seite 322, „Fortwährender Quintfall bei gleichzeitiger Chromatik bilden im Dauerquintfall eine Einheit [...] daß "der Quintenzirkel keineswegs das allgemeingültige Regulativ harmonischer Sequenzen" sei, und daß "andere Prinzipien oder ...“
  • Hubert Mossburger: Poetische Harmonik in der Musik Robert Schumanns, Volume 10 of Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert: Studien und Quellen, 2005, ISBN 3895640794, Seite 157, „Von hier aus (T. 96) beginnt eine harmonische Sequenz mit der Grundtonfolge Terz- fall-Quartanstieg', die, nach einem dreitaktigen Aufenthalt auf der Dominante C-Dur (T. 102-104), in einer absteigenden Sequenz (Quintfall-Terzanstieg) ...“