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Homo floresiensis

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Homo floresiensis (der Mensch von Flores) ist eine Menschenart, die vor etwa 100.000 bis 12.000 Jahren auf der indonesischen Insel Flores (südlich von Sulawesi) lebte. Vor allem die geringe Körpergröße von nur einem Meter, das geringe Gehirnvolumen sowie die Tatsache, dass er noch vor wenigen Tausend Jahren existierte, machen ihn zu einem besonderen Fund. Homo floresiensis und Homo sapiens, der "verständige Mensch", lebten wahrscheinlich für einige zehntausend Jahre zeitgleich in der Region. Allerdings gibt es bisher keine Beweise, dass sich die beiden Menschenarten begegnet sind. Bekannt sind ein fast vollständiges Skelett sowie Teile von sechs weiteren Individuen, die 2003 alle in der Liang-Bua-Höhle gefunden wurden. Neben den Überresten fand man außerdem mehrere Steinwerkzeuge in Schichten, die auf ein Alter von 94.000 bis 13.000 Jahren geschätzt werden. Die von den Entdeckern in Anlehnung an Tolkiens Phantasierasse scherzhaft gebrauchte Bezeichnung Hobbit hat sich neben dem wissenschaftlichen Namen im Volksmund ebenfalls verbreitet.

Fund

Schädel des Homo floresiensis

Auf der Suche nach Spuren der Wanderung des Homo sapiens von Asien nach Australien fand ein australisch-indonesisches Archäologenteam unter der Leitung von Mike Morwood (University of New England, Armingdale) in einer Karsthöhle namens Liang Bua im September 2003 erstmals Fossilien des Homo floresiensis. Die gefundenen Knochen waren nicht versteinert, sondern mürbe und durchfeuchtet. Nach sehr vorsichtiger Freilegung wurden sie mehrere Tage getrocknet, anschließend mit Leim gefestigt und konnten schließlich abtransportiert werden.

Es handelte sich um einen weitgehend vollständigen Schädel, einen Oberschenkel-, einen Hüftknochen sowie Fragmente von Händen und Füßen, die alle zu einem Individuum gehören. Im Jahre 2005 wurde gemeldet, dass auch die bisher noch fehlenden Ober- und Unterarmknochen des als LB1 bezeichneten Individuums geborgen werden konnten. Das Alter der Knochen wird aufgrund der in knapp fünf Metern Tiefe liegenden Erdschicht, in der sie sich befanden, auf 18.000 Jahre geschätzt. Bei weiteren Grabungen wurden die Überreste von fünf bis sieben weiteren Individuen gefunden, die jüngsten 13.000 Jahre, die ältesten 94.000 Jahre alt. Weiter stießen die Ausgräber auf Steinwerkzeuge wie Klingen, Keile und Ahlen, Feuerstellen und verkohlte Knochen eines Komodowarans und Schädel des heute ausgestorbenen Zwergelefanten Stegodon. Die Hoffnung der Wissenschaftler auf konservierte Mitochondriale DNA in den Resten wird sich wahrscheinlich nicht erfüllen, da diese wahrscheinlich durch die Feuchtigkeit zerstört wurde (unter entsprechenden tropischen Bedingungen degeneriert genetisches Material innerhalb weniger Jahrzehnte). Ein Vergleich mit ebenfalls nicht versteinerten Knochen des Homo sapiens sowie des Neandertalers Homo sapiens neanderthalensis wird deshalb wahrscheinlich nicht möglich sein.

Untersuchung und Interpretation

Die Untersuchungen durch den Paläoanthropologen Peter Brown (ebenfalls University of New England) ergaben, dass es sich bei dem ersten Fund um die Reste einer etwa 30-jährigen Frau von nur einem Meter Größe, einem geschätzten Körpergewicht von 16 bis 29 Kilogramm und einem Gehirnvolumen von etwa 380 Kubikzentimeter (vergleichbar dem von Schimpansen) handelt. Das Geschlecht wurde anhand des Hüftknochens, das Lebensalter anhand des Gebisses ermittelt. Die weiteren Funde belegen, dass die geringe Körpergröße nicht eine individuelle Anomalie darstellt, sondern offenbar die durchschnittliche Größe des Homo floresiensis.

Ähnlich klein war nur der afrikanische Australopithecus, der jedoch schon vor mindestens zwei Millionen Jahren ausstarb und ein anders geformtes Gesicht mit weit stärkerem Gebiss besaß. Das Gesicht des Homo floresiensis ist dagegen bereits menschenähnlich und erinnert, wie auch andere Merkmale, an den Homo erectus, der die Insel vermutlich vor 800.000 Jahren besiedelte. Kleinwüchsige Formen des Homo sapiens (z. B. Pygmäen) wiederum unterscheiden sich in Gehirnvolumen und Schädelaufbau kaum von den großwüchsigen. Es wird daher vermutet, dass sich der Homo floresiensis aus dem etwa 1,80 Meter großen Homo erectus zu einer Zwergenform entwickelt hat.

Aufgrund der Beifunde zeigt sich, dass der Homo floresiensis trotz seines geringen Gehirnvolumens in der Lage war, Steinwerkzeuge herzustellen und das Feuer beherrschte. Es ist auch nicht auszuschließen, dass es zu Kontakten mit dem modernen Menschen kam, der bereits vor rund 40.000 Jahren in der Region siedelte.

Ausgestorben ist der Homo floresiensis wahrscheinlich durch einen Vulkanausbruch, der vor 12.000 Jahren auf der Insel stattfand und den gesamten Regenwald verwüstete. Auch vom Stegodon sind bisher keine jüngeren Spuren gefunden worden.

Eingeborene berichteten dem australischen Forscher Richard Roberts von der Universität Wollongong allerdings von sogenannten Ebu Gogo, die ihre Vorfahren noch getroffen hätten: „Die Ebu Gogo waren winzig wie kleine Kinder, außer im Gesicht komplett behaart und hatten lange Arme und einen runden Trommelbauch. Sie murmelten ständig in einer unverständlichen Sprache, plapperten aber auch nach, was wir ihnen sagten.“ Der letzte dieser Ebu Gogo soll erst kurz vor der Kolonisation der Insel durch die Holländer verschwunden sein.

Da die Funde erst seit kurzer Zeit untersucht werden, sind die Schlussfolgerungen und die Einordnung als Unterart des Homo erectus als vorläufig zu betrachten. Die Entdeckung des Homo floresiensis gilt jedoch schon heute als eine der bedeutendsten der letzten Jahrzehnte. Von besonderem Interesse ist dabei die Verbindung von geringem Hirnvolumen (weniger als die Hälfte verglichen mit dem Homo erectus und weniger als ein Viertel verglichen mit dem Homo sapiens) mit der Fähigkeit Kulturtechniken wie Werkzeugherstellung und den Gebrauch des Feuers zu beherrschen.

Peter Brown wurde, angesprochen auf die vielen offenen Fragen im Zusammenhang mit dem weiblichen Skelett, in New Scientist (18. Juni 2005) so zitiert: „Was sie uns wirklich zeigt, ist, wie wenig wir über die Evolution des Menschen wissen.“

Kontroverse

Innerhalb der Anthropologie war die Einordnung des Homo floresiensis als eigene Art von Anfang an umstritten. Einige Forscher gingen stattdessen davon aus, dass es sich bei den Funden um Homo sapiens handle, die an Mikrozephalie litten. Sie stützten sich dabei auf eine weit verbreitete Korrelation, nach der bei der Halbierung der Körpergröße, die Gehirnmasse lediglich um 15 Prozent abnimmt. Im Vergleich mit dem modernen Menschen weist Homo floresiensis ein Hirnvolumen von 380 cm³ statt der zu erwartenden 750 cm³ auf. Eine derartige Verkleinerung könne nach Ansicht der Kritiker krankheitsbedingt sein.

Gegen diese Deutung sprechen jedoch die Fundsituation, in der ausschließlich Skelette mit ungewöhnlich kleinen Schädeln gefunden wurden und eine ungewöhnliche Gehirnform, die anhand von Computersimulationen rekonstruiert worden ist. Die gefundenen Werkzeuge lassen außerdem auf handwerkliches Geschick schließen, das im Widerspruch zu den mit Mikrozephalie meist einhergehenden kognitiven Behinderungen steht. Die inzwischen gefundenen Arme waren überproportional lang und unterscheiden sich damit deutlich vom mikrozephalen Menschen oder Pygmäen. Das Skelett ähnelt in seinen Proportionen eher einem Australopithecus.

Mitte Oktober 2005 wurden in der Zeitschrift Nature (Bd. 437, S. 1012) weitere Untersuchungsbefunde vorgelegt, die auf der Analyse von mindestens neun Individuen beruhen und die These einer eigenständigen Art stützen.

Literatur

  • Brown, P, Sutkina T, Morwood, MJ, Soejono, RP, Jatmiko, Wayhu Saptomo, E & Rokus Awe Due: A new small-bodied hominin from the Late Pleistocene of Flores, Indonesia. In: Nature Band 431, 2004, S. 1055-1061
  • Morwood, MJ, Soejono, RP, Roberts, RG, Sutkina, T, Turney, CSM, Westaway, KE, Rink, WJ, Zhao J-X, van den Bergh, GD, Rokus Awe Due, Hobbs, DR, Moore, WM, Bird, MI & Fifield, LK: Archaeology and age of a new hominin from Flores in eastern Indonesia. Nature Band 431, 2004, S. 1087-1091
  • Kate Wong: Die Zwerge von Flores. Spektrum der Wissenschaft, Heft 3, 2005
  • The little troublemaker. In: New Scientist, Heft 2504 vom 18.06.2005, S. 41-45