Kolonialismus
Der Ausdruck Kolonialismus (v. lat.: colonia Niederlassung, Ansiedlung) bezeichnet die auf Erwerb und Ausbau von Kolonien gerichtete Politik unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen, militärischen und machtpolitischen Nutzens für das Mutterland bei gleichzeitiger politischer Unterdrückung und wirtschaftlicher Ausbeutung der abhängigen Völker. Der Kolonialismus ist kein Phänomen der Neuzeit, sondern spielt schon in der Antike eine große Rolle. Beim europäischen Kolonialismus ab dem 14. Jahrhundert, initiiert v.a. von portugiesischen und spanischen Seefahrern, spielte neben ökonomischen Aspekten auch religiöses Sendungsbewusstsein (christliche Missionierung) eine große Rolle.
Nach dem Muster des Kolonialismus verfuhren europäische Staaten bei der Eroberung und Ausbeutung anderer Kontinente wie Afrika, Asien, Amerika und Australien. Die europäischen Staaten beförderten Rohstoffe (z. B. Rohrzucker, Gold, Diamanten) aus den kolonialisierten Ländern in die Heimatländer, ohne dafür eine angemessene Tauscheinheit anzubieten. Das Zeitalter des Kolonialismus war auch geprägt von Gewalt und Unterdrückung gegenüber den "Ureinwohnern" (Indigene Völker) dieser Kontinente.
Auch kam es vermehrt zu Sklaverei, v.a. aus Afrika in die neuen Kolonien in Amerika.
Die Ära des Kolonialismus im engeren Sinne ging in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zu Ende, als fast alle ehemaligen Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen wurden. Aufgrund der Festlegung von Grenzen auf dem Reißbrett durch die ehemaligen Kolonisatoren ergaben sich in Afrika und im Nahen Osten immer wieder Kriege, da diese Grenzziehungen kulturelle Zusammenhänge kaum berücksichtigt hatten. Viele Staaten der Dritten Welt befanden sich auch nach ihrer Unabhängigkeit in einem Zustand wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihren ehemaligen Kolonisatoren.
Mit dem Untergang der Sowjetunion Ende des 20. Jahrhunderts wurden erstmals auch russische Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen.
Neuere Bestrebungen, kolonialistische Machstrukturen herzustellen, bezeichnet man als Neokolonialismus. Aspekte der heutigen Kultur und Politik ehemaliger Kolonien, welche mit ihrer Vergangenheit als Kolonie zusammenhängen, werden unter dem Begriff Postkolonialismus zusammengefasst.
Eine Weiterentwicklung der Ideologie des Kolonialismus war der Imperialismus (1880-1914).
Ob der Zionismus zum Kolonialismus gezählt werden kann, ist eine höchst umstrittene und politisch aufgeladene Frage, die im Umfeld des Nahostkonflikts immer wieder aufkommt.
Alle außereuropäischen und auch einige europäische Länder (z. B. Malta, Zypern) sind im Verlauf der Geschichte Kolonie oder Halb-Kolonie (z. B. Türkei, Iran, Afghanistan, Thailand, China, Japan) einer europäischen Kolonialmacht gewesen.
Die letzten Beendigungen einer Kolonialherrschaft in einer bedeutsamen Kolonie waren die von Hongkong 1997 und von Macao 1999.
Geschichte
Vor dem ersten Weltkrieg
Vor dem ersten Weltkrieg war Großbritannien die bei weitem größte Kolonialmacht gefolgt von Russland an zweiter Stelle, Frankreich, Deutsches Reich den Vereinigten Staaten und Japan sowie weiteren Staaten. England, Russland und Frankreich traten bereits frühzeitig als Kolonialmächte in Erscheinung.
Kolonialbesitz der Großmächte (Mill. Quadratkilometer und Mill. Einwohner) Kolonien || Kolonien Metropolen* Insgesamt --------------------------------------++---------------------------------------------------- 1876 || 1914 1914 1914 --------------------------------------++---------------------------------------------------- km2 Einw. || km2 Einw. km2 Einw. km2 Einw. --------------------------------------++---------------------------------------------------- England 22,5 251,9 || 33,5 395,5 0,3 46,5 33,8 440,0 Russland 17,0 15,9 || 17,4 33,2 5,4 136,2 22,8 169,4 Frankreich 0,9 6,0 || 10,6 55,5 0,5 39,6 11,1 95,1 Deutschland - - || 2,9 12,3 0,5 64,9 3,4 77,2 Vereinigte Staaten - - || 0,3 9,7 9,4 97,0 9,7 106,7 Japan - - || 0,3 19,2 0,4 53,0 0,7 72,2 --------------------------------------++---------------------------------------------------- 6 Großmächte zusammen 40,4 273,8 || 65,0 523,4 16,5 437,2 81,5 960,6 Kolonialbesitz der übrigen Staaten (Belgien, Niederlande usw.) 9,9 45,3 Halbkolonien (Persien, China, Türkei, Japan usw.) 14,5 361,2 Die übrigen Länder 28,0 289,9 ================ Der ganze Erdball 133,9 1.657,0 Quelle: Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus * Metropole ist im Sinne des Mutterlandes oder der Kolonialmacht selbst zu verstehen
Kolonialmächte
- klassische europäische Kolonialmächte mit außereuropäischen Kolonien:
- Kolonialmächte außerhalb Europas:
- USA (erst Mitte des 19. Jahrhunderts)
- Japan (erst Anfang des 20. Jahrhunderts)
Halb-Kolonialmächte
- europäische Nationen, die vergeblich versuchten außereuropäische Kolonien dauerhaft zu erwerben:
Halb-Kolonien
(Länder, die nur teilweise Kolonie bzw. nur zum Teil von einer Kolonialmacht beherrscht waren und denen sog. "ungleiche Verträge" aufgezwungen wurden)
Türkei, Saudi-Arabien, Jemen, Iran, Afghanistan, China, Thailand, Japan, Korea, Liberia
Verbliebene "Kolonien"
(außerhalb Europas)
Großbritannien: Anguilla, Bermuda, Britische Jungferninseln, Britisches Antarktisterritorium, Britisches Territorium im Indischen Ozean, Kaimaninseln, Falklandinseln, Montserrat, Pitcairninseln, St. Helena, Südgeorgien und die Südlichen Sandwichinseln, Turks- und Caicosinseln
Frankreich: Guadeloupe, Martinique, Französisch-Guayana, Reunion, Mayotte, St. Pierre und Miquelon, Französisch-Polynesien, Neukaledonien, Wallis und Futuna, Französische Süd- und Antarktisgebiete, Iles Eparses, Clipperton
Niederlande: Aruba, Niederländische Antillen
Spanien: Kanarische Inseln, Ceuta, Melilla, Inseln der Plaza de soberanía
Literatur
- Aimé Césaire, Über den Kolonialismus, Berlin: Wagenbach 1968
- Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt am Main 1981
- Horst Gründer, Eine Geschichte der europäischen Expansion, Stuttgart 2003, ISBN 3-8062-1757-2
- Horst Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, Schöningh, 5. Auflage 2004, ISBN 3-8252-1332-3
- Jürgen Osterhammel, Kolonialismus : Geschichte, Formen, Folgen, Beck : München : Beck 1995, 142 S., ISBN 3-406-39002-1
- Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hg.) „... Macht und Anteil an der Weltherrschaft.“ Berlin und der deutsche Kolonialismus. Unrast-Verlag. Münster 2005, ISBN 3-89771-024-2
- Udo Scholze/Detlev Zimmermann/Günther Fuchs, Unter Lilienbanner und Trikolore : Zur Geschichte des französischen Kolonialreiches. Darstellung und Dokumente, Leipzig 2001, 289 S., ISBN 3-934565-96-4
- Jürgen Zimmerer, Joachim Zeller (Hg.), Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen, Berlin: Christoph Links Verlag 2003, ISBN 3-86153-303-0
Weblinks
- Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus
- Deutsches Koloniallexikon im Internet
- Frank Holl: Alexander von Humboldt - „Geschichtsschreiber der Kolonien”
Siehe auch
- Kolonisation, Kolonialrecht, Kolonialgesellschaft, Sklaverei, Zivilisation, Dekolonialisierung, Unabhängigkeit, Dritte Welt
- Geschichte Afrikas, Wettlauf um Afrika, Geschichte Algeriens, Geschichte Namibias, Aufstand der Herero und Nama
- Geschichte Asiens, Boxeraufstand, Geschichte des Irak
- Geschichte Amerikas, Geschichte Haitis
- Kolonialpolitik Bismarcks, Lawrence von Arabien, Frantz Fanon, Patrice E. Lumumba
- Anglozentrismus
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