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Fall Rouzier

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Der Fall Rouzier war ein Mordfall im pfälzischen Germersheim am 27. September 1926, bei dem der Bürger Emil Müller (* 10. Dezember 1905[1]) durch den französischen Unterleutnant Pierre Charles Alexandre Auguste Rouzier[2] (* 1902[3]) erschossen wurde, und der international Aufsehen vor allem zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich erregte.

Vorgeschichte

In Folge des Ersten Weltkriegs wurden in der Festung Germersheim französische Besatzungstruppen im Rahmen der Alliierten Rheinlandbesetzung stationiert (siehe Friedensvertrag von Versailles), ab Dezember 1918 waren die Soldaten vor Ort.[4] Bereits zu Beginn der Besatzung kam es zu Konflikten zwischen der einheimischen Bevölkerung und fränzösischen Militärs.[5]

Als der Vertrag von Locarno am 10. September 1926 mit der Aufnahme von Deutschland in den Völkerbund in Kraft trat, entspannte sich in Germersheim die Lage nicht.[6] Auch sollte durch den Vertrag der Umfang der Besatzungstruppen reduziert werden, in Germersheim erhöhte er sich allerdings.[7]

Ablauf

In der Nacht vom 26. auf den 27. September 1926 gerieten Deutsche und französische Soldaten nach Alkoholkonsum in einem Wirtshaus in Streit. Auch Rouzier war zugegen. Im späteren Verlauf der Nacht kam es auf der Straße erneut zu Gerangel. Dabei gab Rouzier drei Schüsse ab und der nationalsozialistisch gesinnte[8][9] Emil Müller wurde in der Nähe des Postamts erschossen, zwei weitere Bürger (Josef Mathes und Richard Holzmann) wurden ebenfalls getroffen und verwundet.[10]

Reaktionen

Für die deutschen Presse stand schon früh die Schuld Rouziers fest, wohingegen die französischen Medien berichteten, Rouzier sei angegriffen worden und habe in Notwehr gehandelt.[11]

Prozess

Am 17. Dezember 1926 begann vor dem französischen Militärgericht in Landau die Gerichtsverhandlung gegen Rouzier (wegen Mordes und zweifacher Körperverletzung) und gegen Mathes, Holzmann und den weiteren Beteiligten Heinrich Fechter (wegen Beleidigung, Provokation und Bedrohung). Wegen weiterer Vorfälle saßen auch Fritz Arbogast, Hans Kögler und Jakob Kegel auf der Anklagebank.[2] Ein Verteidiger der deutschen Angeklagten war Friedrich Grimm,[12] der mit einem Freispruch Rouziers rechnete.[13] Während des Prozesses wurde versucht, die Ereignisse des Falls zu rekonstruieren, allerdings konnten mehrere widersprüchliche Aussagen nicht aufgeklärt werden. Einer der beiden Anwälte Rouziers[14] bat in seinem Schlusswort um einen Freispruch für alle, um ein „Urteil der Befriedung“ zu erhalten.[15]

Am 21. Dezember wurde Rouzier freigesprochen, die deutschen Angeklagten erhielten Freiheitsstrafen zwischen drei Monaten und zwei Jahren.[16][17]

Folgen

Während deutsche Medien mit Verwunderung und Entrüstung auf das Urteil reagierten („Der Mörder wird freigesprochen, die Zeugen werden verurteilt“, Fränkischer Kurier am 22. Dezember 1926), wurde der Deutsche Botschafter in Paris Leopold von Hoesch angewiesen, Gespräche mit der französischen Regierung aufzunehmen, um eine Revision des Urteils zu erreichen. Die Verhandlungen mit dem Generalsekretär des Außenministeriums Philippe Berthelot und damit dem Minister Aristide Briand führten dazu, dass die deutschen Verurteilten am 25. Dezember von Präsident Gaston Doumergue begnadigt wurden. Reichsaußenminister Gustav Stresemann interpretierte die Begnadigungen so, dass Frankreich an Entspannung zu Deutschland gelegen sei.[18]

Der Unterleutnant Rouzier wurde planmäßig am 30. September zusammen mit seinem 311. Artillerieregiment nach Verdun versetzt, Josef Mathes erhielt vom Kriegsministerium Frankreichs im Frühjahr 1927 eine Entschädigung von 10000 Francs, ob die Familie von Emil Müller eine Entschädigung erhielt, ist nicht bekannt.[3][19]

Nach dem Abzug der französischen Truppen am 30. Juni 1930 wurde von der NSDAP auf dem Friedhof Germersheim, auf dem Müller am 30. September 1926 beigesetzt worden war,[20] ein Gedenkstein gesetzt. Für dessen Einweihungsfeier wurde von der bayerischen Staatsregierung ein Uniformverbot erlassen, wofür die Polizei auch eintrat und der aufmarschierenden SA deren Uniformen untersagte. Der damalige Gauleiter der Rheinpfalz Josef Bürckel ließ daraufhin die SA-Leute mit nacktem Oberkörper weiterlaufen.[21][9]

Noch im Januar 1940 wurde der Fall Rouzier als eine Rechtfertigung für den Zweiten Weltkrieg herangezogen.[3]

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Röttjer, S.24
  2. a b Röttjer, S.37
  3. a b c Riesenberger, S.184
  4. Sellinger, S.23
  5. Kißener, S.17
  6. Kißener, S.21
  7. Riesenberger, S.183
  8. Röttjer, S.22
  9. a b Lothar Wettstein: Josef Bürckel: Gauleiter Reichsstatthalter Krisenmanager Adolf Hitlers, Books on Demand, Norderstedt 2009, ISBN 978-3-8391-1761-3, S.98
  10. Röttjer, S.13
  11. Röttjer, S.25, 27
  12. Röttjer, S.33ff: Als zweiter Anwalt wird Dr. Führ, dessen Vorname unerwähnt bleibt, genannt
  13. Röttjer, S.33
  14. Röttjer, S.37: Die Anwälte Rouziers hießen Mourier und Garçon
  15. Sellinger, S.30
  16. Röttjer, S.37-38
  17. Sellinger, S.30: Holzmann 2 Monate mit Strafaufschub, Mathes 2 Jahre, Fechter 6 Monate, Kegel 3 Monate, Kögler 6 Monate, Arbogast (in Abwesenheit) 6 Monate
  18. Röttjer, S.38, 40
  19. Röttjer, S.41
  20. Das Grab ist nicht mehr erhalten.
  21. Hans Fenske: Die Pfälzische NSDAP 1921-1932, in Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz, Nummer 85, Speyer 1987, S.355
  22. Simplicissimus 31. Jahrgang/Nr. 29. Simplicissimus, 18. Oktober 1926, abgerufen am 4. Januar 2013.