Erschießung von SS-Männern bei der Befreiung des KZ Dachau
Dachau-Massaker ist die Bezeichnung für ein angeblich durch US-Soldaten verübtes Kriegsverbrechen bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945.
Die Zahl der bei der Befreiung getöteten Personen ist Gegenstand revanchistischer Geschichtsklitterung. Gestützt auf ein Buch des ehemaligen Militärarztes Col. Howard A. Buechner wird die systematische Exekution von 560 kriegsgefangenen deutschen Soldaten behauptet. Tatsache ist jedoch, dass im Verlauf der Befreiung 39 (gesichert) bis 50 Angehörige des Wachpersonals der SS völkerrechtswidrig erschossen wurden.
Zustand des KZ Dachau
In den letzten Kriegsmonaten waren die Zustände im Lager katastrophal. Aufgrund immer neuer Transporte von der Front war das Lager ständig überbelegt, die hygienischen Zustände waren menschenunwürdig. Ab Ende 1944 bis zum Tag der Befreiung starben mit 15.000 Menschen etwa die Hälfte aller Todesopfer im KZ Dachau. Am 27. April durfte Victor Maurer, ein Delegierter des Deutschen Roten Kreuzes das Lager betreten und Nahrungsmittel verteilen. Am Abend des selben Tages traf ein Gefangenentransport aus Buchenwald ein. Von ursprünglich 4480 bis 4800 Personen im Zug wurden nur 800 Überlebende ins Lager gebracht. Über 2300 Leichen wurden im und um den Zug liegen gelassen. Der letzte reguläre Kommandant des KZs, Obersturmbannführer Eduard Weiter, hatte sich bereits am 26. April abgesetzt. Ihm folgte vermutlich Obersturmbannführer Martin Weiss, der bereits von September 1942 bis November 1943 das Lager geleitet hatte. Am 28. oder 29. April floh auch er, das Kommando übernahm der 23jährige Untersturmführer Heinrich Wicker. Bereits am 28. April hatte SS-Standartenführer Kurt Becher vermutlich mit Weiß die Übergabe des Lagers an die Amerikaner besprochen.
Am 29. April wollte sich auch der letzte Teil der SS-Garnison um Heinrich Wicker absetzen, sie wurden jedoch von Victor Maurer zum Bleiben überredet. Maurer befürchtete den Ausbruch der Gefangenen und die Verbreitung der unter ihnen grassierenden Typhusepidemie. Die Wachtürme des Lagers blieben besetzt, eine weiße Fahne wurde gehisst.
Das Gelände in Dachau umfasste neben dem eigentlichen Konzentrationslager noch weitere SS-Einrichtungen - eine Führerschule des Wirtschafts- und Verwaltungsdienstes, die Sanitätsschule der SS und andere. Das Schutzhaftlager (also das eigentliche KZ) nahm den flächenmäßig kleineren Teil des gesamten Komplexes ein.
Angriff der US-Armee

Am Morgen des 29. April erhielt das 3. Bataillon des 157. Infanterieregiments in der 45. Infanteriedivision der 7. US-Armee den Befehl, das Lager Dachau einzunehmen. Der Bataillonskommandeur Col. Felix L Sparks beauftragte die I-Company und übernahm selbst die Einsatzleitung. Gegen Mittag erreichten die Amerikaner von Westen her den Eingang der SS-Garnison. Auf der Zufahrtsstraße trafen sie auf den Zug aus Buchenwald - 39 Waggons voll mit Toten. Laut einem Untersuchungsbericht machte die Parole Hier machen wir keine Gefangenen! unter den Soldaten die Runde. Am Ende des Zuges kamen den Amerikanern vier SS-Leute entgegen, die sich ergaben. Sie wurden zum Zug geführt und vom Kompaniechef niedergeschossen. Da sie nicht sofort tot waren, feuerte ein weiterer Schütze auf die Verwundeten.
Kurz darauf erreichten die Soldaten die in Nähe des Eingangs gelegenen Lazarettgebäude. Mindestens 100 Deutsche wurden aus dem Lazarett geholt, darunter auch Frauen. Der Kompaniechef ordnete die Selektion der SS-Leute an, ein polnischer Häftling half bei der Identifizierung. Die 50 bis 75 abgesonderten SS-Wachen wurden in einen nicht einsehbaren Kohlenhof geführt und an einer Mauer aufgestellt. Ein Maschinengewehr wurde aufgebaut, der Kompaniechef ordnete die Vorbereitung der Exekution an. Aus nicht genau geklärten Gründen eröffnete der MG-Schütze das Feuer, drei oder vier andere US-Soldaten schlossen sich an. Die Getroffenen fielen zu Boden, viele der Unverwundeten ließen sich ebenfalls fallen. Nur wenige SS-Männer blieben mit erhobenen Händen stehen. Aufgrund einer Ladehemmung am MG dauerte die Schießerei nur wenige Sekunden, kurz darauf erschien Col. Sparks und ordnete die Einstellung der Aktion an. Die Unverletzten wurden in der Dachauer Altstadt inhaftiert, 15 bis 16 Mann blieben tot zurück.

Beim weiteren Vormarsch in Richtung Lager kam es zu vereinzelten Scharmützeln mit fliehenden SS-Leuten. Auch bei der Einnahme der Wachtürme gab es Schusswechsel. Der letzte besetzte Turm war der Wachturm B nördlich des Jourhauses. Die Amerikaner näherten sich ohne beschossen zu werden in zwei Gruppen. Ein Soldat feuerte eine Salve in den Turm, woraufhin sich die Wachmannschaft ergab. Die Gefangenen wurden in Zweierreihe aufgestellt. Die darauf folgenden Ereignisse konnten nie mit Sicherheit aufgeklärt werden. Tatsache ist jedoch, dass die Soldaten das Feuer auf die Gefangenen eröffneten. Am Wachturm wurden später sechs Tote gefunden, drei weitere im Würmkanal. Auf dem Abmarsch entlang des Kanals wurden nochmals acht Gefangene erschossen. Zeugen berichteten davon, dass ein GI einen SS-Mann aus nächster Nähe niederschoss, es blieb jedoch unklar, ob es sich um einen Angehörigen der Turmbesatzung oder ein separates Opfer handelte. In einem Untersuchungsbericht wurde zu den Vorfällen geschrieben: "Der ganze Vorfall schmeckt nach einer Exekution, ähnlich den anderen Vorfällen, die in diesem Bericht beschrieben werden.".
Auch die Häftlinge nahmen Rache an SS-Leuten, Kapos und Kollaborateuren. Nach Schätzungen der 7. US-Armee wurden in den ersten 24 Stunden nach der Befreiung 25 bis 50 Personen von Häftlingen ermordet. Auch einige Tage nach der Befreiung fanden noch Vergeltungsakte statt. So wurde am 2. Mai einem Wachsoldat der L-Company von einigen Häftlingen das Gewehr entrissen, die damit zwei angebliche SS-Leute erschossen.
Die Vorgänge um die Befreiung des Lagers wurden von einer Kommission unter Assistant Inspector General Joseph M. Whitaker untersucht. Die Anzahl der mit Sicherheit völkerrechtswidrig von US-Soldaten getöteten Gefangenen beläuft sich auf 39 Personen, die Maximalzahl wird auf 50 geschätzt. Die Kommission empfahl die Eröffnung von fünf Kriegsgerichtsverfahren wegen Mordes, eines Pflichtverletzungsverfahren gegen Howard Buechner und die Erteilung einer Rüge.
Legendenbildung
In Berichten ehemaliger Häftlinge werden die Erschießungen von SS-Mitgliedern am Rande erwähnt. Um die Zustände im KZ Dachau zu relativieren und zu verharmlosen, wurden die Schicksale der Lagerwachen von revisionistischen Autoren in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen gerückt. Ziel dieser Werke war es, Kriegsverbrechen als „Normalität“ bzw. die amerikanischen Soldaten direkt als Killer und grausame Kreuzzügler darzustellen. Der erste Autor, der die Vorgänge bei der Befreiung des KZ Dachau thematisierte, war der ehemalige SS-Mann Erich Kern. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr der ehemalige Divisionsarzt Howard Buechner. Sein 1986 erschienenes Buch Dachau: The Hour of the Avenger. bildet die wesentliche Basis für die bestehende Legende von der Exekution des gesamten im Lager angetroffenen SS-Personals. Durch die 1992 freigegebenen Untersuchungsakten Whitakers und eine von John H. Linden aufgebaute Quellensammlung konnten Buechners Behauptungen widerlegt werden.
Erich Kern
Der ehemalige Untersturmführer der SS Erich Kern (eigentlich Erich Kernmayr) veröffentlichte 1964 ein revisionistisches Werk unter dem Titel Verbrechen am deutschen Volk. Eine Dokumentation alliierter Grausamkeiten., desweiteren 1971 das Buch Meineid gegen Deutschland. Eine Dokumentation über politischen Betrug.. In diesen Publikationen zitierte Kernmayr die Aussage des Oberscharführers Hans Linberger, der zum Zeitpunkt der Lagerbefreiung als schwerversehrter Ersatzmann im KZ Dienst tat. Linberger gehörte zu den Personen, die im Kohlenhof zur Exekution aufgestellt wurden, kam aber unverletzt davon. Seiner Aussage nach blieben bei der Exekution 12 Mann tot zurück. Der Bericht Linbergers gilt - aus dem rechtsradikalen Kontext von Kerns verharmlosenden Text entnommen - als glaubwürdig. Seine Schilderungen widerlegen die von rechten Autoren oft unkritisch gemachten Annahmen, dass sämtliche SS-Leute im Lager hingerichtet worden seien.
Howard Buechner
Col. Howard A. Buechner war als leitender medizinischer Offizier der 45. Infanteriedivision bei der Befreiung des KZ Dachau vor Ort. Er veröffentlichte 1986 das Buch Dachau. The Hour of the Avenger. Seinen Schilderungen zufolge wurden bei der Lagerbefreiung 560 Kriegsgefangene exekutiert. Nach seiner Darstellung wurden von dem 1977 verstorbenen 1st Lt. Jack Bushyhead 346 Mann im Kohlenhof erschossen. Weiterhin habe ein Gefreiter namens Birdeye 12 Personen erschossen. Weiter rechnete er 122 an Ort und Stelle erschossene Gefangene, 40 von Häftlingen getötete Wachen, 30 im Gefecht gefallene SS-Männer und 10 erst entkommene und später gefasste Personen zusammen. Da Buechner sowohl Augenzeuge als auch Angehöriger der US-Streitkräfte war, wurde sein Buch in der rechten Szene als unzweifelhafter Beleg für das Massaker in Dachau rezipiert und bildet die wesentliche Basis für die Legende des Massenmordes. Aufgrund des Untersuchungsberichts von Joseph Whitaker konnten seine Angaben jedoch widerlegt werden. Buechners Motivation wird anhand des Untersuchungsberichtes deutlich, der die Eröffnung eines Kriegsgerichtsverfahrens wegen Pflichtverletzung gegen ihn empfahl. Dieses Ergebnis kam aufgrund der Tatsache zustande, dass Buechner den Opfern der Schießerei im Kohlenhof keine Hilfe leistete. In seinem Buch begründete er diesen Umstand damit, dass wütende Häftlinge die noch lebenden Deutschen mit Revolvern erschossen hätten. Außer Buechners Bericht gibt es jedoch keine weiteren Quellen dafür. Die Zahl von 560 SS-Leuten entnahm er einer Publikation des Journalisten Nerin Gun, dessen Angaben jedoch als unzuverlässig gelten. Nach Gun wurde die Zahl bei einem Morgenappell durch einen Leutnant Heinrich Skodzensky festgestellt. Ein Mann mit diesem Namen konnte jedoch nie ermittelt werden, vermutlich ist er identisch mit Heinrich Wicker. Ausgehend von der Gesamtzahl 560 rechnete Buechner 122 Personen (Eine Gesamtzahl, die vom Army-Photographen George Stevens Jr. genannt wurde), die 40 von Häftlingen erschlagenen, 30 gefallene, 10 geflohene und 12 von PVT Birdeye getötete Lagerwachen zusammen. Die zur Gesamtzahl fehlende Menge schlug Buechner der Exekution im Kohlenhof zu, die seiner Aussage nach von Lt. Bushyhead hauptverantwortlich durchgeführt worden sein soll. Buechner behauptete weiter, Bushyhead hätte ihm gegenüber auf die Frage nach dem Grund der Erschiessung die Zustände im Lager und beim Krematorium angegeben. Tatsache ist jedoch, dass die US-Soldaten das Schutzhaftlager zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erreicht hatten. Mit dem Abschieben der Hauptschuld auf Bushyhead und weiteren Aussagen, die sich nach den Vernehmungsprotokollen Whitakers als falsch herausgestellt haben (z.B. sollen deutsche Ärzte ein Hilfsangebot Buechners ausgeschlagen haben), stellte sich Buechners eigene Rolle bei dem Vorfall natürlich deutlich positiver dar.
Die Rolle von General Patton
In seinem Avenger behauptete Buechner, General George S. Patton, der seinerzeitige Militärgouverneur von Bayern hätte das Untersuchungsverfahren gegen die Beteiligten der Exekutionen persönlich niedergeschlagen und die Unterlagen verbrannt. Dies wird in rechten Kreisen als Beleg dafür gewertet, dass solche Kriegsverbrechen von höchster Stelle gedeckt und gutgeheißen wurden. Tatsache ist, dass die Stellungnahme durch Alexander McCarrell Patch, den Kommandanten der 7. US-Armee, bestrebt war, die Vorfälle herunterzuspielen. So wurden lediglich die Erschießungen am Leichenzug als völkerrechtswidrig anerkannt, bei allen anderen - insbesondere die Exekutionen im Kohlenhof und am Schutzhaftlager - wurde die Darstellung der Beschuldigten adaptiert, dass es sich um die Verhinderung von Fluchtversuchen gehandelt habe. Letztlich blieben die Täter unbehelligt, ein Verfahren hat nie stattgefunden. Die Legende um Patton resultiert aller Wahrscheinlichkeit nach aus einem Untersuchungsverfahren, das General Linden gegen Col. Sparks nach ihrem Zusammenstoß am Eingang des Schutzhaftlagers in Gang gebracht hatte. Patton schlug aufgrund seiner Wertschätzung Sparks' dieses Verfahren nieder, die Exekutionen waren allerdings nicht Bestandteil desselben.
Personalia
US-Armee
General George Patton, Militärgouverneur von Bayern
- 7. US-Armee unter General Alexander McCarrell Patch
- Assistant Inspector General Lt. Col. Joseph M. Whitaker, Leiter der Untersuchungskommission bei der 7. US-Armee
- VII Korps
- 42. Infanteriedivision US-Army
- 222. Infanterieregiment unter Brigadegeneral Henning Linden
- 45. Infanteriedivision
- 157. Infanterieregiment
- 3. Bataillon
- Col. Felix L. Sparks, Bataillonskommandeur
- I Company
- Kompaniechef (Nachname nur als W. bekannt, Dienstgrad Lt.)
- MG-Schütze (Nachname nur als C. bekannt), beteiligt an der Exekution im Kohlenhof
- 1st Lt. Jack Bushyhead, beteiligt an der Exekution im Kohlenhof
- Schütze (Name nur als P. bekannt), beteiligt an der Exekution am Zug
- PV Birdeye
- I Company
- Col. Howard A. Buechner, Militärarzt und leitender medizinischer Offizier der Division
- 157. Infanterieregiment
- 42. Infanteriedivision US-Army
Personal der SS
- Obersturmbannführer Eduard Weiter, Lagerkommandant bis 26. April 1945
- Obersturmbannführer Martin Weiß, Lagerkommandant Sept. 1942 - Nov. 1943, vermutlich Lagerleiter 26. bis 28./29. April 1945
- SS-Standartenführer Kurt Becher, am 28. April in Dachau um die Übergabe des Lagers an die Amerikaner zu besprechen.
- Untersturmführer Heinrich Wicker, Lagerkommandant am 29. April. Schicksal unklar, evtl. exekutiert von einem Major der US-Streitkräfte
- Oberleutnant Heinrich Skodzensky, vermutlich identisch mit Wicker
Siehe auch
- zum Konzentrationslager Dachau: KZ Dachau
- zur Erläuterung der verwendeten SS-Dienstgrade: Dienstgrade der SS
- zur Erläuterung der verwendeten US-Dienstgrade: Dienstgrade der US-Armee
Zitate
- Eben höre ich noch, dass erregte Häftlinge den Soldaten die Maschinenpistolen aus den Händen rissen und SS-Männer erschossen, die mit erhobenen Händen hinter dem elektrischen Drahtzaun standen. (Edgar Kupfer-Koberwitz, bezieht sich auf den Vorfall mit der Turmbesatzung)
- You would not have come to here to do that. That is not the American way of fighting. (Aussage eines US-Lieutenants aus Whitakers Vernehmungsprotokollen, nach Zarusky)
Literatur
- Jürgen Zarusky: That is not the American Way of Fighting'. In: Dachauer Hefte 13 - Gericht und Gerechtigkeit, S. 27-55, Verlag Dachauer Hefte, Dachau 1997
- Edgar Kupfer-Koberwitz: Dachauer Tagebücher. Kindler-Verlag, München 1997
- Erich Kern: Verbrechen am deutschen Volk. Eine Dokumentation alliierter Grausamkeiten. Göttingen 1964
- Howard A. Buechner: Dachau: The Hour of the Avenger. Metairie, Louisiana 1986