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Hannah Arendt

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Hannah Arendt (* 14. Oktober 1906 in Linden, heute Hannover; † 4. Dezember 1975 in New York) war eine jüdische Publizistin und Gelehrte deutscher Herkunft, die seit 1933 in der Emigration lebte und 1951 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft annahm. Sie war unter anderem als Journalistin tätig und veröffentlichte wichtige Beiträge zur politischen Philosophie. Gleichwohl lehnte sie es stets ab, als "Philosophin" bezeichnet zu werden, auch der Begriff "politische Philosophie" gefiel ihr nicht, sie bevorzugte "politische Theorie".

Im Rückblick darf sie dennoch – nicht zuletzt auf Grund ihrer reichen theoretischen Bezüge zu Denkern wie Sokrates , Platon , Aristoteles, Augustinus, Kant, Kierkegaard, Jaspers und Heidegger – als Philosophin gelten, und zwar als eine sehr bedeutende. Kein größeres Kompendium der Philosophiegeschichte kann es sich leisten, Hannah Arendt und ihre spezifischen Problemstellungen außer Acht zu lassen.

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Hannah Arendt
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Hannah Arendt 1928
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Hannah Arendt mit ihrem ersten Ehemann Günther Stern alias Günther Anders
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Hannah Arendt in Paris

Biographie

Tiefer als mit ihrer Geburtsstadt Linden war Hannah Arendt mit Königsberg verwurzelt: Nicht nur, dass ihre unmittelbaren Vorfahren zu Königsberger Familien gehörten – auch kehrten der schwer erkrankte Vater und die Mutter (geb. Cohn) mit ihr in die ostpreußische Metropole zurück, als Johanna kaum 3 Jahre alt war. Hier wurde sie eingeschult, musste die Schule jedoch wegen Differenzen mit einem Lehrer verlassen, ging anschließend nach Berlin, wo sie ohne formalen Schulabschluss die Guardini-Vorlesung besuchte. Zurück in Königberg, bestand sie als externer Prüfling das Abitur.

1924 nahm sie in Marburg ihr Studium auf: Philosophie bei Martin Heidegger, Theologie bei dem evangelischen Theologen Rudolf Bultmann, außerdem Griechisch.

Der zwei­fache Familienvater Heidegger und die 17 Jahre jüngere Studentin verliebten sich ineinander; sie wechselte auf sein Zuraten im darauffolgenden Jahr den Studienort und ging zu Edmund Husserl nach Frei­burg im Breisgau. In Hei­delberg schließlich promovierte sie 1928 über den 'Liebesbegriff bei Augustin' – ebenfalls auf Heideggers Anregung hin. Ihr Doktorvater indessen war Karl Jaspers, dem sie besonders freundschaftlich verbunden blieb, ähnlich wie ihrem Kommilitonen Hans Jonas.

1929 heiratete sie Günther Stern, der sich später Günther Anders nannte in Nowawes bei Berlin (Scheidung 1937) und im Januar 1940 Heinrich Blücher. In Berlin erlebte sie den Beginn der Nazi-Herrschaft; sie war für eine zionistische Organisation tätig, um die beginnende Judenverfolgung zu recherchieren. Ihre Wohnung diente Flüchtlingen als Zwischenstation. Sie kam im Juli 1933 kurz in Gestapo-Haft. 1964 sagte sie im Interview mit Günter Gaus dazu: Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen. Diese Ansicht hatte Arendt bereits 1933 vertreten. Sie stand damit im Gegensatz zu vielen Deutschen jüdischer Herkunft, die sich mit dem Nationalsozialismus arrangieren wollten, die neuen Herrscher sogar lobten oder die Diktatur zunächst unterschätzten. Als sie las, dass der deutsch-jüdische Germanist Eugen-Rosenstock-Huessy Hitler mit Hölderlin verglich, war Arendt davon abgestoßen und wollte mit dieser Art von affirmativen, opportunistischen oder sogar begeisterten Intellektuellen nichts gemein haben. Ebenso war sie von Heidegger enttäuscht, der bereits 1933 der NSDAP beitrat. Daraufhin hatte sie bis 1950 keinen Kontakt mit Heidegger.

Über das tschechische Karlsbad und Genf emigrierte sie 1933 zunächst nach Frank­reich: in Paris war sie in einer jüdischen Flüchtlingsorganisation aktiv. 1937 wurde ihr die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1939 glückte es ihr gerade noch, ihre 65-jährige Mutter aus Königsberg in Sicherheit zu bringen. Vom Mai bis Juli 1940 wurde sie im südfranzösische Lager Gurs interniert. Sie galt als "feindliche Ausländerin". Nach fünf Wochen gelang ihr mit anderen die Flucht als die französische Lagerverwaltung die Aufsicht vorübergehend lockerte, nachdem die Wehrmacht Paris besetzt hatte und nach Süden vorrückte. Im französischen Exil verband sie eine enge Freundschaft mit Walter Benjamin.

Im Mai 1941 erreichten Arendt und ihre Mutter über Lissabon New York. In den USA war sie von 1941 bis 1952 als Journalistin für den Aufbau- Verlag tätig und arbeitete für verschiedene jüdische Organisationen. Zwei Jahre war sie Lektorin beim Schocken Verlag. Sie hielt außerdem Vorträge und Vorlesungen an verschiedenen New Yorker Einrichtungen.

Arendt schrieb seit Oktober 1941 Beiträge für den deutsch-jüdischen "Aufbau" in New York. Sie wollte das politische Bewusstsein der jüdischen Öffentlichkeit in aller Welt wecken und forderte eine selbständige jüdische Armee als Mitwirkende der Alliierten. Mit diesem Verlangen, das sie bereits vor Beginn der Massenvernichtung in den KZs formulierte, konnten sie und ihre Mitstreiter sich nicht durchsetzen.

1951 erhielt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Im selben Jahr wurde ihr bekanntestes Buch The Origins of Totalitarianism veröffentlicht. Nachdem sie zunächst lediglich den Nationalsozialismus mit diesem Terminus belegen wollte, erweiterte sie den Begriff des Totalitarismus um die Verbrechen des Stalinismus. Dieses Werk, das heute zum Standard politischer Bildung gehört, brachte ihr einerseits viel Zustimmung ein, andererseits wurde es von Teilen der politischen Linken zunächst kritisiert. Insbesondere in Frankreich gab es öffentliche Debatten.

In New York wirkte sie 1955 neben Martin Buber u.a. mit bei der Gründung des Leo Baeck Institute, einer wichtigen Dokumentations- und Forschungsstätte für die Geschichte der deutschsprachigen Juden. Die Bestände sind in elektronischer Form im Jüdischen Museum Berlin einsehbar.

1961 nahm sie von April bis Juni als Reporterin der Zeitschrift The New Yorker an dem Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem teil. Daraus ging eines ihrer bekanntesten und damals sehr umstrittenen Bücher Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen hervor, welches 1963 veröffentlicht wurde. Adolf Eichmann wurde 1960 in Argentinien vom israelischen Geheimdienst gefasst und nach Jerusalem entführt. Ihre vieldiskutierte Wendung im Hinblick auf Eichmann – die "Banalität des Bösen" – wurde zu einem geflügelten Wort.

"In diesen letzen Minuten war es, als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir beigewohnt hatten - das Fazit von der furchtbaren »Banalität des Bösen«, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert." - Eichmann in Jerusalem, 2004, S. 371

Von 1963 bis 1967 war sie Professorin an der Universität von Chicago und von 1967 bis 1975 an der Graduate Faculty der New School for Social Research in New York.

Im Jahr 1970 starb ihr Mann Heinrich Blücher.

In den USA wurde Hannah Arendt mit zahlreichen Ehrendoktoraten ausgezeichnet. Im westlichen Nachkriegs-Deutschland wurden ihr bedeutende Ehrungen zuteil: so 1959 der Les­sing-Preis der Stadt Hamburg und 1967 der Sigmund-Freud-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. 1975 erhielt sie den Sonnig-Preis für Beiträge zur europäischen Kultur der dänischen Regierung.

Eine geistig intensive Freundschaft verband sie mit Mary McCarthy und Karl Jaspers.

Zitat

"Das den Nürnberger Prozessen zugrunde liegende Londoner Statut hat, wie bereits erwähnt, die »Verbrechen gegen die Menschheit« als »unmenschliche Handlungen« definiert, woraus dann in der deutschen Übersetzung die bekannten »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« geworden sind - als hätten den Nazis lediglich an »Menschlichkeit« fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten, wahrhaftig das Understatement des Jahrhunderts." Eichmann in Jerusalem, 2004, S. 399

Werke

  • Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation. (Berlin, 1929), 1959
  • Denktagebuch 1950-1973. Hrsg. von Usula Ludz und Ingeborg Nordmann, Piper Verlag München und Zürich, 2002
  • The Origins of Totalitarianism. New York, 1951 (dt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt, 1955)
  • Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil. New York 1963 (dt. Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München, 1964)
  • Vita activa oder Vom tätigen Leben, 1960
  • On Revolution. New York 1963 (dt.: Über die Revolution, München 1963)
  • Macht und Gewalt, 1975
  • Rahel Varnhagen: The Life of a Jewess. London 1958, (dt. Rahel Varnhagen: Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik. München, 1959)
  • Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I, 1949; Darin: Die Krise in der Erziehung
  • In der Gegenwart. Übungen im politischen Denken II, 2000
  • Was ist Politik?, 1993
  • Menschen in finsteren Zeiten. 2001 (engl.: Men in Dark Times, New York, 1968)
  • Ich will verstehen, 1996, neu: 12.2005
  • Zur Zeit. Politische Essays, 1999
  • Die verborgene Tradition, 2000; darin: Sechs Essays, 1948
  • Besuch in Deutschland, 1993 (1950)
  • Vom Leben des Geistes. Band 1: Das Denken; Band 2: Das Wollen, 1979; Band III: Das Urteilen. Texte zu Kants politischer Philosophie., 1985
  • Was ist Existenz-Philosophie?. Verlag Anton Hain
  • Walter Benjamin / Bertolt Brecht. Zwei Essays. Piper Verlag, München, ISBN 3-492-100-12-0
  • Nach Auschwitz. Essays und Kommentare, 1989
  • Israel, Palästina und der Antisemitismus. Aufsätze, Hrsg. Eike Eisel, Klaus Bittermann, aus dem amerikanischen Englisch, 1991, Verlag Klaus Wagenbach,Berlin ISBN 3-8031-2196-5

Korrespondenz, Reden und Interviews

  • Arendt, Hannah und Blumenfeld, Kurt, ... in keinem Besitz verwurzelt. Die Korrespondenz, hrsg. v. Ingeborg Normdmann und Iris Pilling, Hamburg, 1995
  • Arendt, Hannah und Jaspers, Karl, Correspondence, 1926-1969, hrsg, v. Lotte Köhler und Hans Saner, New York 1992 (dt.: Briefwechsel, München, 1985)
  • Arendt, Hannah und McCarthy, Mary, Between Friends: The Correspondence of Hannah Arendt und Mary McCarthy, 1949-1975, hrsg. v. Carol Brightman, New York, 1995 (dt.: Im Vertrauen, München 1995)
  • Arendt, Hannah und Scholem, Gershom, Eichmann in Jerusalem: Exchange of Letters between Gershom, Scholem and Hannah Arendt. In: Encounter 22/1 (1964), S. 51-56
  • Arendt, Hannah und Broch, Hermann, Briefwechsel, Frankfurt, Jüdischer Verlag, 1996
  • Arendt, Hannah und Heidegger, Martin, Briefe 1925-1976, Frankfurt, 1998
  • Gespräche mit Hannah Arendt. Hrsg. Adelbert Reif. München 1979
  • Arendt, Hannah, Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten. Rede über Lessing. München 1960
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Hannah Arendt 1975

Literatur

  • Richard Albrecht, Politik und mehr: Zum 20. Todestag einer politischen Wissenschaftlerin; in: liberal, 38 (1996) 1, 91-94; ders., Politische Philosophie und/als philosophische Politik (2005); [[1]]
  • Seyla Benhabib: Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne, 1998, Originaltitel: The Reluctant Modernism of Hannah Arendt. 1996
  • Karl-Heinz Breier: Hannah Arendt zur Einführung, Hamburg: Junius 1992, 1.Auflage, ISBN 388506345X
  • Hauske Brunkhorst: Hannah Arendt. becksche reihe denker, Verlag C.H. Beck, herausgegeben von Otfried Höffe, ISBN 3-406-41948-8, Originalausgabe
  • Margaret Canovan: Hannah Arendt: A reinterpretation of her political thought, Cambridge University Press 1992, ISBN 0-521-41911-5
  • Elżbieta Ettinger: Hannah Arendt - Martin Heidegger
  • Joachim Fest: Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, September 2004, ISBN 3-498020889, darin Portraits von Hannah Arendt, Sebastian Haffner, Ulrike Meinhof, Dolf Sternberger, Wolf Jobst Siedler, Arnulf Baring, Golo Mann, Joachim Kaiser, Rudolf Augstein und anderen mit dem Autor Joachim Fest
  • Paolo Flores d' Arcais: Libertärer Existenzialismus. Zur Aktualität der Theorie von Hannah Arendt. Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main, 1997. ISBN 3801502538
  • Phillip Hansen: Hannah Arendt: Politics, History and Citizenship, Standford: Standford Univ. Press: 1993, ISBN 0-8047-2145-9
  • Wolfgang Heuer: Hannah Arendt. Bildmonographie, Verlag Rowohlt, 1990
  • Wolfgang Heuer: Citizen: Persönliche Integrität und politisches handeln: Eine Rekonstruktion des politischen Humanismus Hannah Arendts, Berlin: Akademie Verlag 1992, ISBN 3-05-002189-6
  • Peter Kemper (Hrsg.): Die Zukunft des Politischen, Ausblicke auf Hannah Arendt, Frankfurt: Fischer Taschenbuch V. 1993, ISBN 3-596-11706-2
  • Maurizio Passerin d'Entrèves: The political philosophy of Hannah Arendt, London & New York: Routledge 1994, ISBN 0-415-08790-2
  • Alois Prinz: Beruf Philosophin oder die Liebe zur Welt. Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt. Beltz & Gelberg, Weinheim und Basel 1998, ISBN 3-407-78879-7
  • Adelbert Reif (Hrsg.): Hannah Arendt, Materialien zu ihrem Werk, Wien: Europaverlag 1979, ISBN 3-203-50718-7
  • Gary Smith (Hrsg.): Hannah Arendt Revisited: "Eichmann in Jerusalem" und die Folgen, edition suhrkamp 2135

Siehe auch


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