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Kirnberger-Stimmung

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Johann Philipp Kirnberger veröffentlichte ab dem Jahr 1766 mehrere Stimmungssysteme für Tasteninstrumente, die unten im Einzelnen näher beschrieben werden. Sie gehören der Gruppe der wohltemperierten Stimmungen an und erlauben damit das Spiel in allen Tonarten, allerdings mit unterschiedlichen Tonartencharaktern. Folgende Eigenheiten sind allen gemeinsam:

Die Kirnberger-Stimmungen weisen eine reine Terz C-E auf, sowie reine Quinten von E aufwärts bis Fis und von C abwärts bis Cis (daraus ergibt sich eine um das Schisma verkleinerte Quint Fis-Cis). Sie unterscheiden sich nur in der Stimmung der 4 Quinten C bis E (also C-G, G-D, D-A und A-E), d.h. im Ergebnis in den 3 Tönen G, D und A.

In der ersten Version von 1766 (heute als „Kirnberger I“ bezeichnet) sind die Quinten C-G, G-D und A-E rein, die sich daraus ergebende Quint D-A ist daher um das volle syntonische Komma verkleinert. In der selben Quelle verweist er auf die Möglichkeit, die Quinten D-A und A-E jeweils um das halbe syntonische Komma zu verkleinern, was zwar schwieriger zu stimmen ist, da nun das Stimmen reiner Intervalle nicht mehr ausreicht, aber durch die Entschärfung der extrem kleinen Quint von Kirnberger I zu einem besseren Klangergebnis führt (heute „Kirnberger II“). Diese Variante findet sich auch 1771 in seiner Kunst des reinen Satzes. In einem undatierten Brief an J.N. Forkel erwähnt er die Verteilung des syntonischen Komma auf alle vier Quinten C bis E in unterschiedlichen Varianten, wobei die gleichmäßige Verkleinerung aller 4 Quinten heute als „Kirnberger III“ bezeichnet wird.

Die Nummerierung stammt nicht von Kirnberger und auch nicht aus seiner Zeit, sondern ist im Rahmen der Wiederentdeckung historischer Stimmungen im 20. Jahrhundert als Analogie zum (originalen) „Werckmeister III“ eingeführt worden.


Historische Einordnung

Kirnbergers Stimmanweisungen entstammen einer Zeit, in der verschiedene Stimmungssysteme nebeneinander existierten: mitteltönige Systeme insbesondere auf Orgeln, wohltemperierte Stimmungen, die sicherlich den wichtigsten Anteil darstellten, sowie die gleichstufige Stimmung, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts mehr und mehr an Bedeutung gewann.

Da es zur Zeit von Kirnbergers Veröffentlichungen äußerst differenzierte und komplizierte Stimmungen gab (beispielsweise bei J.G. Neidhardt, G.A. Sorge) und der Trend in Richtung gleichstufige Stimmung zeigte, nehmen sich seine Anleitungen merkwürdig deplaziert aus, denn seine Stimmungen sind vergleichsweise einfach gestrickt und stark ungleichstufig. Die Fachwelt ist sich über die Bewertung dieser Tatsache uneins. Folgende sich teils widersprechende Erklärungsversuche werden dabei angeführt:

  • Die Einfachheit des Stimmvorgangs sollte im Vordergrund stehen, damit auch unerfahrene Musiker ihr Instrument selbst stimmen können.
  • Seine Stimmungen haben ihre eigenen Qualitäten und sind eigenständig, folgen also nicht modischen Trends
  • Seine Stimmungen sind der (mißglückte) Versuch, die real existierenden Stimmungen mit einfachen Mitteln zu beschreiben