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Ästhetik

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Im traditionell-klassischen Kunstbegriff bis zum 19. Jahrhundert wird Ästhetik (gr. aísthesis: Wahrnehmung) häufig mit der Lehre von der Schönheit (Kallistik) gleichgesetzt. Moderne Philosophen dagegen definieren Ästhetik als die Theorie und Philosophie der sinnlichen Wahrnehmung in Kunst, Design, Philosophie und Wissenschaft. Demnach entscheiden über den ästhetischen Wert eines Objekts nicht die Begriffe "schön" und "hässlich", sondern die Art und Weise der Sinnlichkeit und/oder Sinnhaftigkeit in Verbindung mit dem Zeichensystem des Objekts.

Jüngere philosophische Strömungen versuchen, beide Auffassungen zusammenzuführen. Sie interpretieren u. a. die sogenannte "Ästhetik des Hässlichen" als eine höhere Form von Schönheit.

Wenn man freilich "ästhetisch" klassisch mit "dem Auge wohlgefällig" übersetzt, entfallen die meisten anderen und jüngeren philosophischen Lehrgebäude hierzu.


Wandlung des Begriffs/Begriffsgenese

Mit seinen Meditationes (1735) begründete Alexander Gottlieb Baumgarten die Ästhetik in Deutschland als eigenständige philosophische Disziplin.

Die traditionelle Ästhetik nimmt an, dass universelle und zeitlose Kriterien für die geschmackliche Bewertung von Kunstwerken existieren.

Die metaphysische Ästhetik der deutschen Idealismen (Romantik, Genie-Begriff) wurde kritisiert als eine verordnete Ästhetik, die der Zeit nicht mehr gerecht wird. Aus dieser kritischen Grundhaltung entwickelten sich zwei Strömungen: die psychologische Ästhetik und die Kunstwissenschaft Fiedlers.

Ästhetische (sinnliche) Erkenntnis wurde auch lange Zeit als Gegensatz gesehen zu rationaler Erkenntnis. Diese Auffassung ist durch die moderne Hirnforschung überholt, die gezeigt hat, dass diese Gegenüberstellung falsch ist und rationale Erkenntnisse ohne sinnlich-emotionale Prozesse nicht denkbar sind. Auch messerscharfe Logik kann höchst ästhetisch sein.

Der Mediziner Gustav Theodor Fechner unterschied im 19. Jahrhundert zwischen einer Ästhetik von unten und einer Ästhetik von oben. Die Ästhetik von oben ist die „schöngeistige“ Ästhetik der traditionellen Philosophie und Literaturwissenschaft, die Ästhetik fast ausschließlich im Zusammenhang mit Kunst betrachtet. Die Schönheit von Landschaften, Gebrauchsgegenständen oder wissenschaftlichen Theorien wurde ausgeklammert oder bestenfalls als Randaspekt abgetan. Die Ästhetik von unten bemüht sich demgegenüber um eine empirische Grundlage. Sie reduzierte Ästhetik nicht auf die Kunst, sondern betrachtete Schönheitserleben als ein alltägliches psychologisches Phänomen, das man in Experimenten untersuchen kann (weitere Infos und eine Zusammenfassung der Fechnerschen Prinzipien siehe hier).

Ästhetik seit dem 20. Jahrhundert

Seit dem 20. Jahrhundert gibt es verschiedene Versuche, Schönheit und Ästhetik mit naturwissenschaftlichen Methoden zu ergründen. Dazu gehört die Informationsästhetik, die vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Rolle spielte und die sich schließlich zur kognitiven Ästhetik weiter entwickelte. Wissenschaftler dieser Richtung halten die Informations-Verarbeitung in unserem Gehirn für den entscheidenden Faktor, der die Schönheit eines Objekts ausmacht. Schön sind demnach Objekte mit einer gewissen - aber nicht zu großen - Komplexität; die unser Gehirn stimulieren und zur Musterbildung anregen, es aber nicht überfordern.

Überhaupt weckte die moderne Hirnforschung die Hoffnung, ästhetische Phänomene neuropsychologisch beschreiben und erklären zu können. Doch auch Schlagworte und Buchtitel wie "Neuronale Ästhetik", "Beauty and the brain" oder "neuroesthetics" ändern nichts daran, dass die neuronale Grundlage ästhetischer Prozess bisher nur rudimentär verstanden ist.

Die evolutionäre Ästhetik wiederum versucht, unsere Vorlieben für bestimmte Farben, Formen, Landschaften oder Gesichter evolutionspsychologisch zu erklären. Was gut für unsere Vorfahren war, so die Annahme, habe sich als Vorliebe in unser Erbgut programmiert.

Auch die Sozialwissenschaften haben die Ästhetik längst als Thema entdeckt. Sie beschreiben die Ästhetisierung der Alltagswelt (Design, Architektur) sowie die durch die Postmoderne entstandenen Probleme und Phänomene der Kunst (Reproduzierbarkeit der Kunstwerke, Verwischen der Grenzen zwischen Populär- und Hochkultur).

Während Natur- und Sozialwissenschaften versuchten, die Ästhetik vom schöngeistigen Sockel herunter zu holen und empirischer Forschung zugänglich zu machen und somit zu "profanisieren", beschäftigte sich die Sozialphilosophie mit ihrer gesellschaftlichen Funktion. Hier geht es dann kaum noch um die ursprüngliche Frage nach der Schönheit, sondern eher um die soziale Rolle von Kunst und Stil. Insbesondere die Kritische Theorie befasste sich u.a. mit dem revolutionären Potential der Ästhetik. Marcuse und Adorno widmeten dem Thema zentrale Werke, Adorno sogar sein letztes und wahrscheinlich schwierigstes Buch "Ästhetische Theorie".

Die Erkenntnisästhetik schließlich erhebt den Anspruch, die bisherigen und zum Teil einander widersprechenden Ansätze zu einem Gesamtkonzept zu verbinden. Demnach besitzen alle kognitiven Leistungen – nicht nur die Kunst – ein ästhetisches Potential. Im großen Unterschied zur kognitiven Ästhetik und anderen Theorien „von unten“ nimmt die Erkenntnisästhetik nicht nur Bezug auf die formalen informationellen Eigenschaften von ästhetischen Objekten, sondern auch auf ihre Bedeutung für den jeweiligen Rezipienten. Die Erkenntnisästhetik geht außerdem davon aus, dass es verschiedene Ebenen ästhetischen Erlebens gibt, so dass sich auf diese Weise auch die Ästhetik des Hässlichen erklären lässt. Auch bietet die Erkenntnisästhetik ein Modell für die Ästhetik des Lernens.

So gewinnt die Ästhetik auch in den Schulen, nicht nur als Gegenstand von Unterricht, sondern auch als Zugangsweise für Allgemeinbildung an Bedeutung. Schomaker entwickelt aus den klassischen Ästhetiktheorien von Baumgarten, Schiller und Kant moderne Kategorien einer ästhetischer Zugangsweisen für allgemeine Lernprozesse...

Literatur

  • Schomaker, Claudia: "Mit allen Sinnen, oder?" Über die Relevanz ästhetischer Zugangsweisen im Sachunterricht; in: A. Kaiser u. D. Pech, Integrative Dimensionen für den Sachunterricht. Neuere Zugangsweisen; Baltmannsweiler 2004, 49-58
  • Paál, Gábor: Was ist schön? Ästhetik und Erkenntnis; Würzburg 2003. ISBN 3826024257.
  • Paál, Gábor: Woher kommt der Sinn fürs Schöne? Gehirn und Ästhetik. SWR 2005
  • Changeux, Jean-Pierre (1994): Art and Neuroscience. In: Leonardo 27,3 : 189-201.
  • Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. Frankfurt 1970.
  • Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über Ästhetik. [1835]
  • Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. 1790
  • Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. In einer Reihe von Briefen an Goethe, Hrsg.: Berghahn, Klaus L. Reclam ISBN 3-15-018062-7
  • Schneider, Norbert: Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne, III. Auflage 2002, (Stuttgart: Reclam 1996).
  • Gethmann-Siefert, Annemarie: Einführung in die Ästhetik, UTB für Wissenschaft, (München: Fink 1995).
  • Liessmann, Konrad Paul:Philosophie der modernen Kunst.Eine Einführung. UTB für Wissenschaft, (Wien: WUV-Univ.-Verl. 1999) 11-79.
  • Grätzel, Stephan: Kunst ohne Ende. Vorlesungen zu einer Philosophie der Kunst. London: Turnshare 2004. ISBN 1-903343-58-5.

Siehe auch

Vorlage:Wiktionary1 Perzeption der Ästhetik, Ästhetizismus, Formalismus, Kunstbegriff, Friedrich Nietzsche, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Kindchenschema, Kritik der Urteilskraft, Kunsttheorie, Neurobiologie, Strukturalismus, Symmetrie, Erkenntnisästhetik, Walter Benjamins Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, das Naturschöne, Goldener Schnitt, Das Erhabene, Wissenschaftstheorie, Waldästhetik